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Re: [ox] Wesen et al



Hallo,

Bezüglich des Diskurses zum Wesen des Menschen schicke ich
euch hier einen Text von Erich Fromm, vielleicht bringt dieser ein
wenig Licht ins Dunkel.

Tja, mit E.F. kann man ja nun schlecht diskutieren... Aber ich hack
trotzdem mal ein paar Bemerkungen rein... 

Nehmen wir als Beispiel eine primitive Gesellschaft, einen
Stamm, der auf einer kleinen Insel in der Mitte des Ozeans
...
Gesellschaften. Im Gegensatz dazu werden die
erforderlichen Charakterzüge eines Jäger- und
Kriegerstammes, dessen Leben von der Jagd oder der

Warum nur werden immer und immer wieder dieselben Bilder von der
Vergangenheit verwendet, die immer und immer wieder Bilder im Kopf
festklopfen, daß genau diese Zustände sich ins Wesen der Menschen
eingeschrieben haben könnten...
Ich will nicht behaupten, daß dies die Absicht der Verwendung dieser
Beispiele bei Fromm ist - ich will nur drauf aufmerksam machen. 
Warum taucht nicht einmal wenigstens auch ein Beispiel über eine
matrilinear-partnerschaftliche Lebensform auf...?

Das Individuum muß gleichsam
automatisch in Übereinstimmung mit den Normen seiner
Gesellschaft handeln. Das bedeutet, daß der
gesellschaftliche Verhaltenszug zum Charakterzug werden
muß....
In jeder Gesellschaft gibt es eine Reihe von
Charakterzügen, die der Mehrheit ihrer Mitglieder
gemeinsam ist: den "Gesellschafts-Charakter". Er hat die
Funktion, das Überleben der Gesellschaft zu sichern. 

Genau dies ist m.E. eine überkommene, aber nicht stimmige Form der
Vorstellung des Verhältnisses von Gesellschaft und Individuum. Es ist
eine systemtheoretische Sicht: das Element hat nur die Funktion, das
System zu sichern... 
Wenn die Gesellschaft in der Vergangenheit so erschien, umso schlimmer.
Aber diese Grundstruktur des Denkens über Allgemeines und Einzelnes
trägt in sich die ewige Unauflösbarkeit der "Herrschaft des Allgemeinen
über das Einzelne". Tatsächlich jedoch gibt es kein Allgemeines außer
dem und über dem Einzelnen, sondern nur in den
Bewegungungszusammenhängen der Einzelnen. Darum drehte sich der ganze
sog. Universalienstreit (In welchem Sinne existieren Universalien, d.h.
das Allgemeine), darum dreht sich heute die Debatte, ob es
gesellschaftliche Gesetze gibt und ob sie über Menschen "herrschen"...
i) Menschliche Gesellschaft dagegen ist prinzipiell davon
gekennzeichnet, daß der Einzelne IMMER DIE MÖGLICHKEIT HAT, sich
unmittelbar zu beteiligen oder nicht.
ii) Daß ihm sehr nahegelegt wird, dies so zu tun, wie die herrschenden
Verhältnisse es vorsehen, ist dann ein anderes Thema. 
Welche der beiden Sichtweisen betont wird - i) oder ii) ist m.E. sehr
wichtig.  

Solange sich keine grundlegenden Veränderungen in der
Gesellschaftsstruktur ergeben, funktioniert dieser Vorgang
reibungslos. Treten allerdings Veränderungen ein, wie dies

Das klingt wieder sehr deterministisch: Primär muß also auf die
Veränderung des Ganzen, Allgemeinen gewartet werden, was dann wieder
dafür sorgt, daß auch der Einzelne anders handelt...
Meist sind kulturelle Veränderungen - auch bei Einzelnen - aber
vorgängig, sie werden nur lange Zeit "ausgemittelt" - aber sie kommen
nicht erst, wenn sie gesamtgesellschaftlich gebraucht werden. 

heute überall auf der Welt geschieht, dann treten
Widersprüche zwischen dem traditionellen
Gesellschafts-Charakter und den neuen gesellschaftlichen
Erfordernissen auf, für die das Individuum zunächst
schlecht ausgerüstet ist. 

Die Widersprüche gibts vorher auch schon. Da interessieren sie bloß
keinen, weil der den Widerspruch empfindende Einzelne ihn alleine
austragen muß - allein gelassen wird. Das Individuum ist eigentlich oft
gut dafür ausgerüstet - es wird bloß nicht gelassen, sondern ihm werden
neue Ketten auferlegt...Daß er sich - wie auch immer - dagegen wehrt,
wird seiner "schlechten Ausrüstung" zugeschrieben... 

machtlos, sie verlieren jegliche Autorität und verstehen
ihre Kinder nicht. Dabei appellieren sie noch oft an das
Einvernehmen der Kinder und zeigen darin einen
bestürzenden und zunehmend gefährlichen Mangel an

Das ist mir alles zu beschreibend-moralisierend. Jeder wird da immer
irgendwie zustimmend nicken können - aber was besagt das wirklich? 

Diese neue Generation hat nämlich kein
Verständnis mehr für den Sinn des Lebens; sie fragt sich
nicht mehr, wohin sie gehen oder was sie anstreben soll.

Moralisierung. Stimmt außerdem nicht. Die richten sich schon lange eh
weder nach Schule, Kirche oder nur Geld und Konsum. Man muß genauer
nachbohren, was der Konsum für sie z.B. ist. Welche Bedürfnisse er
befriedigt. Ich bin ja nun selber in der Elterngeneration der jetzigen
Kids, aber ich empfinde bei denen oft mehr "Sinn" als damals bei meiner
Generation... Manche sehen das eben ganz anders, weil sie nur ihren Sinn
als Sinn akzeptieren können und den bei den Kids vermissen...

Diese
Generation erlebt ihre Erziehung, die die neuen
Entwicklungen verpaßt hat, als überholt. Ihre Eltern
fühlen sich machtlos, da sie ebenfalls desorientiert sind.

Es gibt welche, wo das so ist. Ist das aber wirklich in dieser
Verallgemeinerung für so viele Familien das Wesentliche? 

Doch die Menschen sind keine
unbeschriebenen Blätter, auf die die Gesellschaft nur
ihren Text zu schreiben bräuchte. Sie haben vielmehr ihre
eigenen Grundbedürfnisse, die sie mit allen Individuen der
menschlichen Rasse teilen. Sie haben das Bedürfnis, auf

Okay... hier sehen wir aber wieder das Auseinanderreißen von
Gesellschaft und Individuum. Diese jetzt genannten Bedürfnisse werden
dann irgendwie in die "Natur des Menschen" hineingeschrieben und aus
ihnen wird denn doch Hoffnung geschöpft. Wenigstens etwas. Aber die
Vermittlung mit dem Gesellschaftlichen gelingt nicht. Es bleibt bei:
Individuelles contra Gesellschaftliches.

Je mehr Diskrepanzen aber zwischen den
gesellschaftlichen und den humanen Bedürfnissen bestehen,
desto schlechter ist die Gesellschaft. In diesem Fall hat
der einzelne nur noch die Wahl zwischen einem schweren
Nervenzusammenbruch oder der Veränderung seiner
Gesellschaft, damit diese die Bedürfnisse des universalen
Menschen besser erfüllt.

Hier steckt der wahre Kern drin: Der Mensch hat die Wahl. Blöd nur, wenn
er sie erst in der Alternative des Nervenzusammenbruchs hätte. So weit
bin ich noch lange nicht und will trotzdem die Gesellschaft verändern...

Es ist sehr wichtig, daß sich die heutigen Eltern nicht so
ohne weiteres von dem gesellschaftlichen Verlangen nach
größerem Erfolg, mehr Geld oder Luxus beeindrucken lassen.

Schöner moralischer Aufruf. Wenn sies machen, machen sies halt. Und wenn
nicht, dann merkens die Kids sowieso. Und entscheiden, ob sie das
übernehmen oder nicht. Manchmal sind gerade die Kids, die von ihren Öko-
und Müsli-Eltern kurz gehalten wurden, allerdings inzwischen ziemlich 
marktkonform geworden, weil sie was nachzuholen haben. Bei uns ist auch
manchmal eine Schulfreundin der Tochter zu Besuch, wos keinen Fernseher
gibt. Diesem Mädchen vermittelt unsre Tochter jetzt Kurse im "Bewußt
fernsehen" - weil sie sonst nur ziemlich fasziniert auf die bunten
Bilder schaut und nicht gelernt hat, damit umzugehen.... 

1) Dieser Vortrag aus dem Jahr 1958 wurde von Erich Fromm

Ich hab ja nix gegen E.F., ich hab ihn auch nach der Wende sehr
interessiert kennengelernt. Er reicht aber eben nicht mehr aus und ich
habe mehr als einmal erlebt, wie sich Leute von seinen schönen Losungen
"Sein statt haben" ziemlich haben ruhigstellen lassen, weil sie sich
moralisch plötzlich "gut fühlten" - aber nicht weiter dachten. 

Ahoi Annette

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*   Annette Schlemm			*
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