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RE: [ox] Internet und Macht



Stefan Merten wrote:

Mir ist nochmal deutlich aufgefallen, daß es im Internet faktisch fast
keine Machtmittel gibt: Was kannst du schon jemenschem übers Internet
antun? Selbst eine Mail-Bomb ist ja heute keine wirkliche Bedrohung
mehr. Na ja, Hack-Angriffe wie DoS-Attacken oder so sind denkbar.
Hmm... Gewaltmittel gibt es im Extremfall vielleicht doch. Anyway ;-) .

Ich kann das absolut nicht nachvollziehen. Das Internet ist zwar dem ersten
Anschein nach frei und unstrukturiert, darunter gibt es aber eine
Hierarchie, die sich gewaschen hat. Angefangen vom Zugriff der US-Regierung
auf die zentralen Root-Rechner ueber die grossen Backbone-Provider bis hin
zur Gilde der Netzadministratoren, diein ihrem jeweiligen Beritt ueber
grosse Macht verfuegen.

wenn Du meinst, dass ich jemandem ueber das Netz erstmal keine physische
Gewalt antun kann, magst Du recht haben (ausser wir nehmen die
Thriller-Konstruktion her, wo man via Netz jemanden zu fahndung ausschreibt,
oder ihm falsche Medikamente einfloessen laesst), aber das heisst noch lange
nicht, dass es sich um einen herrschaftsfreien Raum handeln wuerde.

Im Gegenteil gerade die grossen Kommunikationsnetze, Mailinglisten,
Chatforen, Suchmaschinen sind per se viel zentraler strukturiert und viel
weniger demokratischen Kontrollen unterstellt als jeder
Karnickelzuechterverein.

Es ist ein wenig wie Big Brother - wer die Party bezahlt, bestimmt auch, was
hinten rauskommt.

Durch diese strukturelle Abwesenheit von Machtmitteln sind
Einflußstrukturen vowiegend über "natürliche" Aspekte wie z.B.
persönliche Kompetenz geprägt. Dies spiegelt sich - soweit ich das
überblicke - in den EntwicklerInnengruppen auch genau so wieder.

Ich halte die Entwicklung freier Software immer noch fuer einen wenn auch
interessanten Sonderfll in dem Zusammenhang. In einem EntwicklerInnenforum
fuer Linux mag es in der Tat so sein, dass Kompetenz und Persoenlichkeit
zaehlen, aber schon auf einem beliebigen chatserver ist das anders. Da hat
der Betreiber das letzte Wort und es ist ziemlich egal, ob der Ahnung hat.

Und letztlich ist das Internet ja kein abgeschlossener Raum, sondern eng mit
dem was als 'real life' bezeichnet werden kann verknuepft. Wenn etwa der
SPIEGEL mit grossem Kapitaleinsatz Leute auf seine Plattform holt, die dort
diskutieren, abstimmen etc. sollen, gibt es eine eingebaute Ungleichheit
zwischen dem Einzeluser X und der SPIEGEL GmbH.

Das Ethos des freien Netzes in dem nur die Nettiquette regiert und sich
hochkompetente Gentlemen (meist waren es men) User frei bewegten ist
irgendwann 1996-1998 im Zuge der inneren Landnahme durch den schnoeden
Kapitalismus den bach runtergegangen. Was davon uebrig bleibt ist Esoterik,
der feste Glaube ans herrschaftsfreie Diskutieren und Entwickeln.

Wenn ich diesen Gedanken jetzt mit unseren Gedanken zur Übertragung
der Prinzipien Freier Software auf die Gesellschaft übertrage, so
kreuzt sich natürlich sofort die Tatsache ein, daß es in der weniger
virtuellen Realität sehr handfeste Machtmittel gibt.

Das Netz IST real. Wie Du auf die Idee kommen kannst es gaebe einen sauberen
Trennstrich zwischen dem guten gewalt- (und herrschaftsfreien?) Netz ist mir
voellig schleierhaft. Diese Grundannahme ist schon falsch. Das Internet ist
ein aus einer Kombination aus staatlichen (und zunehmend)
privatkapitalistischen Mitteln erschaffenens zentrales
Kommunikationsinstrument, welches gestuetzt vornehmlich auf Datenbanken
einen enormen Produktivitaetsfortschritt bei allem ermoeglicht, was man
nicht physisch herstellen oder transportieren muss - wobei klar ist, dass
auch auf diese Bereiche massive Rueckwirkungen zu erwarten sind. Zu glauben
dieses Kommunikationsnetz sei etwas per se freies ist doch ganz schoen
strange.

Wenn meine Überlegungen bis hierher stimmen, dann besteht da ein
erheblicher Unterschied zwischen virtueller und weniger virtueller
Welt. Das könnte uns evt. ganz gehörig Essig in den Wein schütten :-( .

Yepp ich schaetze auch.

Nun könnten wir zwar argumentieren, daß mit der Abschaffung des Geldes
ein heute ganz wichtiges Machtmittel wegfällt, andere Machtmittel
bleiben aber dennoch erhalten.

Geld ist doch kein Instrument, wie eine Pistole oder sowas, das man einfach
weglegen kann. Es ist der Ausdruck der Warenfoermigen Beziehungen im
Kapitalismus. Kapitalismus ohne Geld gibt es nicht, aber man schafft
ersteren nicht dadurch ab, dass man sich das Geld wegdefiniert. Die ganzen
'geldlosen' Alternativen sind im wesentlichen Subsistenzwirtschaften, in
modernen Gesellschaften ausgefuehrt von religioes oder (seltner) politisch
motivierten Sekten oder Kommunen. Eine Perspektive, die die Arbeiterbewegung
spaetestens in der 2. Haelfte des 19. Jh. erfreulicherweise verlassen hat.

Markus


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