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RE: Herangereifte Widersprueche in der buergerlichen Gesellschaft (was: RE: [ox] Gedanken von den Berliner Konferenzen)



(weia, das ist wieder laenger geworden)

Stefan Merten wrote:

In der Summe der letzten sagen wir 20 Jahre waren es immer noch die
Gewerkschaften, die bei allen Defiziten und Anpassungszwaengen
das meiste
fuer die abhaengig Beschaeftigten rausgeholt haben.

Darüber möchte ich nicht streiten. Aber ich würde nicht von
"rausgeholt" sprechen. Was die Gewerkschaften nach meinem Eindruck
noch hinkriegen, ist weitere Dammbrüche zu verhindern oder eher nur
noch zu verzögern - was ja auch eine wichtige Aufgabe ist - nur halt
nicht in irgendeine Zukunft weisend :-( .

Die Kraefteverhaeltnisse unter denen etwa Gewerkschaften arbeiten definieren
sie ja nicht selber. Und da ist seit dem Zusammenbruch des realexistierenden
Sozialismus und auch davor schon einiges den Bach runtergegengen. Nicht,
dass die DDR jetzt unbedingt fuer die westlichen AN erstrebenswert gewesen
waere, aber alleine ihr Vorhandensein, hat die Kapitalseite dazu gezwungen
sozialstaatliche Zugestaendnisse zu machen und etwa anstaendige Loehne zu
zahlen, ua. auch weil man sich staendig im Legitimationsdruck sah. Was immer
man von Honeckers Kordhuetchen-Sozialismus (Droste) gehalten haben mag,
dieser Druck ist offenkundig weggefallen und im Triuphgeheul werden auch im
Westen die tariflichen und sozialstaatlichen Sicherungen abgeraeumt und als
veraltet/sozialistisch/gleichmacherisch etc. denunziert BTW nicht nur von
Seiten der Rechten, sondern auch zahlreicher ach so 'moderner' Linker.

Vor dem Hintergrund ist ein 'Damm halten' moeglicherweise nicht das
schlechteste, was man machen kann. Richtig ist, dass va. die politische
Perspektive fehlt, seit etwa die Kampagne zur letzten BTW '98 ja eher ihr
Gegenteil erreicht hat - Rot-Grün räumt alles an Sozialstaat ab, was nicht
niet- und nagelfest ist.

Dass daneben viele Gewerkschaften enorme Defizite haben, was den Umgang mit
der Herausforderung neue Medien angeht, will ich nicht bestreiten. Wobei
gerade wenn ich so einige technikfixierte Euphorie auf dieser Liste sehe,
man manchmal ganz gut daran tut, alte und realexistierende Konflikte nicht
gleich zugunsten wolkiger Hoffnung auf Replikator-Gesellschaften aufzugeben.
Eine IG Metall auf der Cebit, ein Multimediabuero in Frankfurt usw. finde
ich da einen durchaus gelungenen Start.

daraus macht. Und da finde ich 35-Std. (oder auch mal 30) bei vollem
Lohnausgleich eine ebenso altmodische wie weiterhin richtige Forderung.

Also heute müßten wir ja wohl von einer 15- oder höchstens
20-Stunden-Woche reden. Alles darüber - worüber ja wohl auch keiner
mehr redet - verpufft doch erwiesenermaßen.

Nein. Es ist richtig, dass immer ein Teil der AZV in Rationalisierung
eingeht, was aber ja nicht per se falsch sein muss und zum anderen immer
noch ein klarer Beschaeftigungseffekt uebrig bleibt. Dass 'darueber keiner
mhr redet' (naja in Frankreich tut man es schon) liegt moeglicherweise nicht
an irgendeiner physikalischen Wirksamkeit, sondern an ideologischen Annahmen
und Kraefteverhaeltnissen.

Wobei eine solche Forderung angesichts der galoppierenden Auflösung
des Normalarbeitsverhältnisses selbst schon wieder antiquiert wirkt...

Das ist ja keine gottgegebene Sache, sondern auch ein Ergebnis staatlichen
Handelns und von Definitionsmacht. Die DPG fordert etwa den Betriebsbegriff
neu zu definieren und die sozialstatlichen Schutzbestimmugen auf die gesamte
sagen wir mal Multimedia-Wertschoepfungskette auszudehnen. Klingt erstmal
ziemlich abstrakt und schwierig, koennte man aber versuchen:
http://www.jusos.org/medien/theorie/sv_haaren.html

Wie wir an der Auseinandersetzung um die 630 DM Jobs gesehen haben ist da
sehr wohl politischer Spielraum. Ungesicherte Beschaeftigung wurde
zurueckgedraengt, ohne, dass das christliche Abendland untergegangen ist,
oder dass die bayerischen Biergaerten nunmehr veroeden wuerden.

Alten noch brauchbar oder sogar vorwärtsweisend ist. Wenn wir über die
Arbeitsgesellschaft hinausdenken wollen, dann ist es naheliegend, daß
arbeitsgesellschaftliche Institutionen vielleicht dazu genauso wenig
beizutragen hat, wie die Zehntscheune zum Kapitalismus.

Man muesste sich dann erstmal ueberlegen, was das denn sein soll ueber die
AG hinauszudenke. Fuer ca. 2/3 der Menschheit ist Arbeit immer noch ein
ziemlich anstrengender, dreckiger und das Leben stark verkuerzender Prozess.
Ich habe manchmal den Eindruck diese ganzen Ueberlegungen zum Ende der
Arbeit sind eine postmaterialistische Rumphilosophiererei INNERHALB einer
Wohlstandsgesellschaft, die die Quellen ihres Reichtums schon nicht mehr
hinterfragt.

Ja genau. Gut, daß du das sagst ;-) . Heute sind die
Produktivitätsfortschritte eben immer stärker widersprüchlich.

Nur wenn man annimmt, dass sie sich ad infinitum fortsetzen lassen (und das
weltweit) und dass das irgendwann eine Art Grenzwert erreicht, wenn also
sagen wir 5% der Leute in absolut Topbezahlten Jobs mit gigantischen
Roboterfabriken 99% der Produktion bestreiten koennen. Abgesehen davon, dass
ich solche Visionen fuer extrem spekulativ halte, hat auch gerade das 20. Jh
Beispiele gesehen, wie man auch grosse Mengen unerwuenschter Menschen
beiseite schaffen kann. Ich sage icht, dass es notwendig so kommen muss, nur
wenn man schon grosse Visionen und Spekulationen anstellt, sollte man auch
die negativen nicht voellig ausser Acht lassen.

Nein, leider nicht. Dem zitierten Herrn ging es um Textwerke, die - ja
glaubt mensch es denn - im Web stehend ohne Bezahlung einfach von
anderen weiterverwendet werden oder gar per Mail repliziert o.ä. Für
Musik etc. gilt natürlich die gleiche Argumentation, die uns ja
demnächst wohl GEMA-Abgaben auf Festplatten etc. bescheren wird.

Waere fuer mich ein Beispiel, wie man auf solche 'Herausforderungen'
reagieren kann, wenn man ein Interesse am Schutz von intellectual property
hat. Weitere sind denkbar, auf der Ebene eines Internetprotokolls habe ich
es skizziert.

Aber das ist genau der Punkt, wo du einfach begreifen mußt, daß die
digitale Kopie diese ganzen ollen Kamellen einfach unterläuft. Da ist
es einfach überholt sich mit den Konzepten der Buchdruck-Ära zu
positionieren.

Diese Auseinandersetzung scheint mir in Zeiten wo Bertelsmann
gerade Napster
kauft noch lange nicht ausgestanden.

Unbenommen. Der Beitrag dieses Projekts könnte m.E. sein, helfen, das
Bewußtsein zu vergrößern, was da auf dem Spiel steht.

Zwischen

a) "diese ganzen ollen Kamellen einfach unterläuft" und
b) "helfen, das Bewußtsein zu vergrößern"

scheint mir genau die Spannung zu liegen um die es geht. Deine Ausage a)
unterstellt, dass ein Projekt wie Napster die kapitalistische
Verwertungslogik sozusagen technisch-naturnotwendig untergraebt, bei b)
sieht es schon ein wenig anders aus. Und das innerhalb von wenigen
Tagen/Wochen, wo eben ein Projekt wie Napster unter die kapitalistische
Verwertung geraten ist (oder geraten wird, nach einem gewissen 'Umbau'). An
diesem Beispiel kann man sehr gut sehen, dass die Hoffnung auf die
naturnotwendige Herausbildung einer GPL-Gesellschaft (wenn ich das mal so
verkuerzen darf) oder die Schaffung der technischen Voraussetzungen dazu
eine aeusserst truegerische ist - zumal dann, wenn sie im Gegenzug 'alte'
Ansaetze wie Parteien, Gewerkschaften, Verbaende etc. vernachlaessigt.

Ehrlich gesagt, das halte ich nicht für vorstellbar. Einfach deswegen
nicht, weil die Mehrheit der Kapitalfraktionen daran kein Interesse
hat und nicht bereit sein wird, die gewaltigen Kosten für so eine
Maßnahme zu tragen. Die schleppende Verbreitung von IPv6 mag als
stützendes Beispiel durchgehen.

Ob daran kein Interesse besteht halte ich nicht fuer ausgemacht. Das
Internet 'gibt' es fuer die Masse der Firmen seit etwa 1995/1996 und seitdem
ist die Entwicklung exponentiell verlaufen und ein Ende ist vorerst nicht in
Sicht. Auch in anderen Bereichen gibt es Spannungen zwischen den Interessen
grosser Konzerne und kleiner Firmen, wo nicht immer klar ist, welche sich
durchsetzen.

Ich als alter Stamokapler kann mir schon eine Konstellation vorstellen, wo
sich sagen wir die EU-Kommission, die US-Regierung und ein Zusammenschluss
grosser Provider und Content-Provider entschliesst zum Schutz von
'intellectual property' und zur Verhinderung von Spam, Kinderporno etc. zu
einer Allianz fuer ein IPv7 (oder was auch immer) entschliesst um
'Arbeitsplaetze zu sichern', 'unsere Kinder zu schützen' usw. Und das nicht
im Sinne Verordnung/Big Brother/Zwang, sondern freiwillige Selbstkontrolle.
Wenn SPIEGEL.de, Yahoo.com und noch 25 weitere major Portalseiten ihren
Content nur noch mit IPv7-Micropayment-trashfilter anbieten und das in den
IE8 und in Netscape8 eingebaut wird weiss ich nicht, ob sich sowas nicht
durchsetzen kann (Cisco macht evt. auch noch mit).

Und ich sage Dir eine Position wie die von Mueller-Maghun, die auf sowas mit
einem liberalistischen Moralismus (doofe Krawattis) antwortet wird eine
extrem hilflose sein, weil sie die kapitalistische Verfasstheit von
(Glasfaser-)Leitungen und Kommunikationsstrukturen zugunsten einer
historisch ueberholten Mystifizierung  eines universell-freien Netzes
vernachlaessigt, eines Mythos, der sich materiell auf die staatlich
subventionierten Universitaestnetze, die Gemeinschaft der (meist
maennlichen) Experten der ersten Stunde (die eine Art
Verhaltenskodex -Nettiquette- aufgestellt hatten) und das anfaengliche
Desinteresse des (platt gesagt) Kapitals an der noch nicht ausgereiften
Technik gruendete.

Das Moralisieren der liberalistischen Internet-Gentlemen wird von der
inneren Landnahme durch den  Kapitalismus genauso hinweggefegt werden, wie
die pastorale-Idylle des ruralen England durch Enclosures und
Industrialisierung im 19. oder der bürgerliche Sittenkodex (Knigge,
Sexualmoral) durch die agressive Industrie- und Konsumgesellschaft im 20.
Jahrhundert. Ohne eine politische Ökonomie des Internets, wird alles noch so
scheinbar progressive Rumlamentieren hilflos sein; ohne, dass ich behaupten
koennte eine solche ausgereifte Theorie im Angebot zu haben.

Historisch wohl. Die These ist ja aber, daß die Zeit des Kapitalismus
abgelaufen ist. Und dafür gibt es m.E. reichlich Indikatoren.

???? das ist reines Wunschdenken.

Aber anyway, ist halt die Frage, wie sich der Kapitalismus konkret
anpassen wird. Und das ist bei der Frage Freier (Informations)güter
schon deswegen diffizil, weil die Interessenlagen der KapitalistInnen
da sehr unterschiedlich sind. Warum sollte es z.B. IBM jucken, wenn M$
den Bach runtergeht? Mit ihrem AIX oder gar OS/2 haben sie nicht viel
zu verlieren und mit M$ haben sie sowieso noch eine Rechnung offen.
Das gilt erst recht für die Kapitalgruppen aus anderen Sektoren der
Wirtschaft, die nur den Nutzen von Freier Software haben.

Ja und, dann wird halt die Produktion von Standardsoftware effizienter
gestaltet, als mit einem trad. privatkapitalistischen M$, so what. daraus
gleich das Ende des Kapitalismus abzuleiten fuehrt mich wieder zu dem
Mark-Twain Bonmont. Wobei ich auch das noch nicht fuer ausgemacht halte.
Maerkte sind entgegen der liberalen Doktrin und entgegen der Vorstellung
mancher Linker keineswegs voellig frei und unreguliert, sondern im Gegenteil
haeufig stark vermachtet. Es wuerde mich schon sehr wundern, wenn das nun
ausgerechnet im Bereich Software anders sein sollte.

Denkbar waere, dass man die Produktionsbedingungen freier Software quasi
kapitalistisch reproduziert. Also etwa weltweit 30-50.000 hochbezahlte
SpezialistInnen den ganzen Tag ueber Code philosophieren laesst und der
einzige 'Druck' einer ist, innerhalb dieser definierten (was ssgen wir)
'MS-Elite' ganz vorne zu sein. Angesichts der aktuellen Marktkapitalisierung
sollte es kein Problem sein sowas zu bezahlen. Man wuerde innerhalb eines
Weltkonzerns die offenkundig erfolgreichen Produktionsbedingungen freier
Software adaptieren.

Und selbst wenn Software zu guten Teilen aus der kapitalistischen
Verwertungslogik ausscheiden sollte, ist es halt ein Allgemeingut, von
dessen Nutzung in gewissem Umfang niemand ausgeschlossen werden kann -
daraus ein Ende des Kapitalismus abzuleiten halte ich (again) fuer stark
uebertrieben.

Nee, nee, nee, das lasse ich dir nicht durchgehen. Das Sozialisieren
eines M$-Windows-Pakets ist eben schon etwas fundamental anderes als
die Installation einer Linux-Distribution - oder hast du schon mal von
M$-"Raub"kopierer-Kongressen mit weit über 10000 Leuten gehört?

Aber ja. Wasmeinst Du, wie die meisten MS-NutzerInnen die sich auf
kommerziellen Kongressen oder so wo rumtreiben sich ihr KnowHow ursprünglich
angeeignet haben. Ich würde behaupten, dass mit der stillschweigend
geduldeten privaten Raubkopiererei MS ein Prinzip freier Software, naemlich
die Selbstausbildung und Selbstkonditionierung erfolgreich adaptiert - evt.
ist denen das noch gar nicht mal so klar, ich glaube aber doch. Die Ausgabe
von Schul- und Unilizenzen zu quasi Schutzgebuehren etwa von Visualbasic,
MS-Office deutet darauf hin, dass man die Mechanismen durchaus versteht und
bemueht ist daraus zu lernen.

Was Trampert/Ebermann da (wohl - "Die Offenbarung der Propheten" steht
nach einem Krisis-Verriß ungelesen bei mir im Regal :-} ) ansprechen,
ist genau der Widerspruch, der im Kapitalismus eben schon

Schade, die verreissen naemlich umgekehrt die Kurzsche Weltuntergangs
(pardon) Kapitalismusuntergangsrhetorik als (im Kern) Esoterik.

Ja klar, im Kapitalismus bilden sich diese Formen schon heran - nur
daß sie dort eben in ihrer widersprüchlichen Form gefangen bleiben.
Ich denke aber, daß dieser Widerspruch analysiert werden muß. Die
Alternative kann ja wohl nur sein, daß jegliche Tätigkeit jenseits von
Strand und Glotze dann schon als Konditionierung fürs Kapital
denunziert werden muß. Hast du für dich das Gefühl, daß das eine
stimmige Analyse ist? Ich für mich jedenfalls nicht.

Nein, das sage ich nicht. Und die Alternative ist natuerlich nicht, sich
nicht zu konditionieren, weil dies offenkundig notwendig ist um sich in
einer kapitalistischen Gesellschaft (moeglichst angenehm) reproduzieren zu
koennen. Ausserdem haben MarxistInnen sich immer schon fuer die
Errungenschaften der wissenschaftlich-technischen Revolution begeistert.
Nach klassischer Auffassung muss ja die kommende Klasse die Mittel zur
Ueberwindung der vorherigen in die Hand bekommen. Insofern spricht nichts
gegen eine gewisse Konditionierung; nur sollte man diesen
Doppelcharakter -der auch jeder Bildung innewohnt- nicht einfach ignorieren.

Und zu dem verstohlen in Klammern gesetzten "vermeintlich": Ich finde
es sehr schwierig, den Leuten abzusprechen was für sie
Selbstentfaltung ist. Wenn es für sie Selbstentfaltung ist, dann ist
das doch erstmal ok. Daß davon natürlich z.B. in der Software-Branche
eben auch die Kapitalseite profitiert ist natürlich weniger nett, aber
deswegen darf mensch das doch Selbstentfaltung nennen wo es die Leute
selbst so sehen - oder? Widersprüche aushalten - nicht wegdenunzieren.

Oh weia eine gaaanz schwierige Kiste. Befasse mich momentan studienbedingt
mit der Frage von der These der Individualisierung. Und da ist dann
irgendwann die Frage ob man einfach sagen soll Individualisierung ist, wenn
die Leute sich selbst fuer individualisiert halten :-)

Ich wuerde vermuten, dass das was Du als Selbstentfaltung bezeicnest stark
mit den Produktionsverhaeltnissen zusammnhaengt. Wenn man staerker in
Projekten oder sowas arbeitet, verlieren trad. Werte wie Puenklichkeit an
Bedeutung. Bei Projekten ist es egal, ob man von 9-16h exakt arbeitet und
dann die Stechuhr drueckt, hauptsache nach 2 Monaten stimmt das Ergebnis.

Dies bedeutet auf der einen Seite sicher mehr individuelle Handlungsoptionen
an einem Tag, wenn man selbstaendig arbeitet und es ist sicher auch
angenehmer etwa ein Webportal zu konzipieren in einem klimatisierten Buero,
als einen Hochofen zu bedienen. Es waere aber ein Irrtum zu glauben, man
koenne sich so bereits dem Zwang des Verkaufs seiner Arbeitskraft entziehen.
Moderne Kommunikationstechnik sorgt ja gerade fuer die 'sanfte' Integration
dieser Anforderungen.

Es waere in der Tat voellig unproduktiv etwa einen Serveradmin mit
Bueroknigge, Krawattenzwang und exakt einzuhaltenden Arbeitszeiten zu
gaengeln. Aber nur, weil der- oder diejenige ihre Arbeit in Zukunft per
UMTS-Laptop aus dem Eiscafe macht, verschwindet die Notwendigkeit der Arbeit
nicht. Ausser wir haben es mit einers ehr kleinen Elite zu tun, die wirklich
innovative Medien- und Softwareprodukte herstellt, die kann bereits mit
einigen Jahren Arbeit soviel verdienen, dass sie sich zur Ruhe setzten kann.
Das trifft aber selbst fuer die Masse der neuen Facharbeiter, der
Serveradmins, Webdesigner usw. nicht zu.

Ja, aber da siehst du genau den Widerspruch sich entwickeln, der m.E.
und mit Marx letztlich zum Ableben des Kapitalismus führen wird: Weil
der Kapitalismus mit seinen fundamentalen Strukturen eben immer
stärker zur Fessel der Produktivkraftentwicklung wird. Die
KapitalistInnen versuchen ja schon, die Keimformen in ihren Laden zu
integrieren - und scheitern dabei oft - was genau wegen des
Widerspruchs zwischen äußeren Zielen und der gewünschten
Selbstentfaltung so sein muß.

Kann ichso nicht sehen. Es werden eine Reihe von neuen Formen sehr kreativ
integriert, zu einem notwendigen Ende des Kapitalismus wird das nicht
fuehren. Den Widerspruch den Karl Max sah zwischen gesellschaftlicher
Produktion und privater Aneignung des Mehrwerts wird nicht dadurch
aufgehoben, dass die Produktion in Teams (bei Volvo) oder in der vernetzten
Kooperation kleiner DOT.COMs und/oder grosser Konzerne (Toyotism, Wintel)
passiert.

Diese Fessel ist m.E. auch der tiefere Grund, warum die sog.
realsozialistischen Länder abdanken mußten. Aber letztlich auf
erweiterter Stufenleiter wird diese Fessel auch den Kapitalismus
selbst obsolet machen.

Ist nicht gerade das Wechselspiel aus Deregulierung und neuem Zwang (chain
gangs, Arbeitspflicht für Stützeempfänger) ein gutes Beispiel dafuer, dass
der Kapitalismus sehr wohl in der Lage ist auf die Produktivkraftentwicklung
und die daraus entstehenden Verwerfungen zu reagieren?

Das was Du 'Selbstenfaltung' nennst, koennte man auch als
Selbstkonditionierung bezeichnen. Man arbeitet in seiner Freizeit noch
zusaetzlich um sich KnowHow anzueignen und meinetwegen fortgeschrittene
Software herzustellen.

Was wäre deine Alternative?

Es gibt natuerlich keine echte Alternative zu einer historisch
vorherrschenden Produktionsform; worum es geht, ist die Mehrwerte so
umzuverteilen, dass man eben nicht 50 Std. arbeitet, sondern ggf. 20-25 Std.
Dass man irgendwann auch einmal versuchen sollte den Kapitalismus
abzuschaffen finde ich auch richtig, die dafuer notwendige (wenn auch nicht
hinreichende) Bedingung, die Verstaatlichung oder Vergesellschaftung der
Produktionsmittel, die wird sich aber nicht naturwuechsig einstellen,
sondern muss im Zweifel erkaempft werden.

Das wir uns da verstehen: Die Ausdehnung der (fremdbestimmten) Arbeit
in die (übrigens auch fremdbestimmte) freie Zeit finde ich genauso
problematisch wie du. Darum geht's aber hier nicht. Hier geht es um
das selbstbestimmte, das Freie Tun. Das aus je eigenen Antrieben sich
entwickelnde Bedürfnis tätig zu werden. Zugegeben: Schwer zu denken
mit einem arbeitsgesellschaftlich zugerichteten Kopf, aber da geht's
lang.

Oder genau das 'freiere' Denken laesst sich mit Produktionserfordernissen
wunderbar in Einklang bringen und ggf. auch nur fuer eine (elitaere?)
Minderheit, die sich dann ueber so Konzeptfragen Gedanken machen darf,
waehrend man in anderen (Produktions)bereichen eine Rueckkehr des
Taylorismus sieht (Industrialisierung von DL, Call-Center als
'Legebatterien' der Moderne - nach H. Oberlindober) oder die Produktion
gleich in informellen Sweat-Shops erfolgt.

Ich kann diese postmaterialistische Esoterik vom naturwuechsigen Ende der
Arbeitsgesellschaft nicht nachvollziehen. Ohne eine wirksame
Interessenvertretung Partei/Gewerkschaft what ever, die in der Lage ist die
Interessen der Arbeiterklasse zu vertreten tut sich gar nichts und auch die
Produktivitaetsfortschritte fuehren nicht zum Verschwinden des Kapitalismus.
Und dem armen Kapitalismus geht auch nicht die Arbeit aus, weil dies einmal
voraussetzt, dass weltweit die Produktivitaet an einen Schwellenwert
stoesst, den ich nicht sehe, und selbst wenn sagen wir 50-60% der Menschen
zur Produktion real ueberfluessig werden sollten, verstehe ich nicht, wieso
der Kapitalismus damit ein Problem haben sollte. Er kann auch ganz gut damit
leben, dass momentan real ein kompletter Kontinent den Bach runtergeht und
nur noch fallweise von War Lords oder UN/US-'Friedens'truppen als
Rohstofflager gebraucht wird und in einen Zustand eher urspruenglicher
Akkumulation zurueckfaellt.

Das hat nichts mit einer 'arbeitsgesellschaftlichen Zurichtung' zu tun, ich
teile nur nicht die Untergangspropheterie der Kurzschen Zeugen.

Jetzt wuerde ich als begeisterter Computer- und Laptopuser
vielleicht sagen:

Du spürst den Widerspruch auch ;-) .

Ja, aber das bedeutet ja nicht, dass er deswegen auch Verschwindet.
Widersprueche koennen Ausgangslage von Selbtsorganisations- und
Interessensvertretungsprozessen sein, muessen es aber nicht. Anders als Marx
wuerde ich keine derart teleologische Geschichtsauffassung vertreten.

Markus


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