Re: [ox] Text zur Konferenz
- From: sabine.nuss freenet.de
- Date: Tue, 14 Nov 2000 20:15:07 +0100
Stefan Meretz wrote:
Hi alle,
nachfolgend ein Text, den ich als Einladung zur Konferenz
gedacht habe.
*Bremse zieh*
Was ist eigentlich mit all jenen auf der Mailingliste, die seit
etlichen Zeiten dagegen argumentieren, dass die Freie Software-
Produktionsweise aus ihren Zusammenhängen (und sie steckt sehr
wohl in welchen drin) gerissen wird, um sie dann als Pilotprojekt für
eine andere Wirtschaftsweise herzunehmen? Ich sträube mich ein
wenig, dass auf der geplanten Konferenz gar so viel bereits schon
als zu Ende diskutiert und gedanklich beschlossen daherkommt.
Ich hab ja schon bei dem Konferenz-Titel rumgemeckert, nun auch
noch beim Text hier und mich überkommt fast ein schlechtes
Gewissen, weil mein Engagement kaum im Verhältnis zu meiner
Kritik (dies nun rein quantitativ) steht. Aber wurscht.
Von New Economy zu Oekonux
Oekonux ist eine Wortverbindung von Oekonomie und Linux, von
Ökonomie und Freier
Software. Es symbolisiert eine neue Form des Wirtschaftens, die
erst mit der
Freien Software entstanden ist - und die eigentlich gar keine
"Wirtschaft" im
klassischen Sinne mehr ist. Oekonux ist ein dem in Angebot,
Nachfrage und Geld
denkenden Menschen unverständliches Phänomen.
Das ist eben nicht durch, das Thema. Es gibt einen Haufen Leute, die die Art und Weise, wie Freie Software entwickelt wird (mehr ist es erst mal nicht, ich würde hier noch nicht mal von einer neuen Form des Wirtschaftens
reden wollen) in den ganz normalen Kategorien von Angebot und Nachfrage und Geld einordnen würden. Das Internet, was dafür zitiert wird, ist immerhin nicht im geld- oder nationalmarktleeren Raum entstanden, sondern war ma
chtpolitisch motiviert und staatlich finanziert. Markt und Staat kann man halt nicht trennen. Es geht nicht nur um abstrakte Ökonomie.
Da schaffen tausende Freiwillige
hochkomplexe Software, die heute die Welt zusammenhält - das Internet gäbe es
ohne Freie Software nicht - und die allermeisten der Volunteers bekommen dafür
kein Geld.
Aber sie haben Geldquellen. Andere halt. Wir hatten die Diskussion ganz zu Anfang schon mal, als es darum ging, ob nicht auch der Hobbyheimwerker, der gemeinsam mit Freunden in der Freizeit ein Baumhaus bastelt nicht eben
das gleiche tut, wie die Linux-Leute, ohne dass wir ihm gleich revolutoinäres Potential zuschreiben würden. Letztlich ist auch Wohngemeinschaft, wenn sie denn wohl funktioniert, ein Beispiel dafür, dass Leute auch ohne G
eldzwang gemeinsam etwas tun. Müll runterbringen, Essen machen, Wohnung renovieren. Ganz ohne Geld. Und in Kooperation. Wir sind doch nie richtig zu Ende gekommen, mit dieser Debatte.
Das ist ein Phänomen, dass mit Altruismus nur unzureichend
beschrieben ist, denn die Entwickler haben ja etwas von ihrer Tätigkeit: Es ist
ihr Leben, sie gehen darin auf, es entspricht ihrer Persönlichkeit, genau dieses
zu tun. Der Maßstab des Geldes verliert an Bedeutung, natürlich auch,
"natürlich auch" - ist hier eben etwas zu schwach. NUR SO geht das.
weil die
hochqualifizierten Spezialistinnen und Spezialisten in der Regel gut abgesichert
sind. Neben der Möglichkeit der Selbstentfaltung tritt die globale Vernetzung
und Selbstorganisation hinzu. Sie ermöglicht eine globale Allokation von
Ressourcen, die kein Global Player der "alten" New Economy zustande bringt. Das
hat etwas mit der besonderen Form der Ressource zu tun: Es handelt sich um
Wissen.
Das hat nicht etwas mit purem Wissen zu tun, sondern mit der Vernetzung. Mit der technnischen Neuerung, die es ermöglicht, das Wissen zu verbreiten, schnell und quasi transaktionskostenfrei. Wissen gabs schon vorher.
Die New Economy versucht Wissen wie Röhrenradios und Fließbandautos
proprietär, also exklusiv und knapp zu halten. Marktwirtschaft als
Knappheitsökonomie, Knappheit, die Reichtum produziert. Oekonux dreht das
Paradigma um: Es produziert Reichtum durch Überfluss. Die Allokation von Wissen
in freier Form ist effektiver als die der Beschränkung von Austausch. Die
Netzwerkökonomie stellt die Linienökonomie auf den Kopf. Oekonux baut auf den
Universalprodukten der New Economy auf und geht gleichzeitig über sie hinaus.
Was mich hier stört, zieht sich durch den Text durch: Oekonux als eigenständige Produktionsform. Als existiere sie nicht im Kapitalismus, sondern bildet für sich eine fiktive Welt und verweist dazu noch auf die kommende G
esellschaft. Dabei geht völlig unter, inwiefern sie halt doch in den Kapitalismus intergriert wird, stellenweise ist das ja längst passiert. Auch hier haben wir längst nicht zu Ende gedacht und ausgestritten.
----So.
Ich für meinen Teil betrachte die Entwicklung der Freien Software als ergebnisoffen. Tendiere aber zu der Ansicht, dass seitens der Wettbewerbsstaaten in Zeiten des Daten(überflusses) andere und neue Rahmenbedingungen gef
unden werden müssen, die die kapitalistische Verwertung im Internet doch noch umfassend möglicht macht. Möglicherweise kommt die Freie Software-Bewegung dem mehr entgegen, als ihr selbst lieb wäre. Nicht umsonst haben die
Staaten nun auch die Open Source für förderungswürdig befunden und die herrschenden Ökonomen beschwören eine New Economy hervor, die gaaaaanz anders funktioniere, als die traditionelle, nämlich mit verschenken (!) und ve
rkaufen dann erst auf einer zweiten Stufe, usw. usf. Wenn das nicht stutzig machen sollte, ganz zu schweigen von den Parallelen....
Ich will kein Spielverderber sein, aber Kritik ist mir immer noch näher, als Utopie.
Kurz und gut: Ein wenig mehr auf den (analytischen) Boden zu kommen, wäre mir sehr recht. Wieso nicht ergebnisoffen bleiben und sagen, dass auf der Konferenz diskutiert wird, in welche Richtung sich das alles entwickeln k
önnte? Und auch mögliche Richtungen aufzeigen, die vielleicht nicht so sympathisch, aber doch wahrscheinlich sind?
Das war mein kleines Plädoyer für den Konjunktiv ;-)
Grüße
Sabine
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Organisation: projekt oekonux.de