Re: [ox] Grundsicherung
- From: Hans-Gert Graebe <graebe informatik.uni-leipzig.de>
- Date: Fri, 26 Jan 2001 16:32:00 +0100 (MET)
Hi Franz,
hier eine kleine Anmerkung meinerseits. Du schreibst am 25 Jan 2001
ich moechte aber trotzdem noch praezisieren: ... aber zugleich
denke ich sehr ans **lokale** Dorf: Globalisierung und
Re-lokalisierung gehen Hand in hand!!
Wir entdecken gerade heute, wie sehr Lokalitaet auch im
geographischen Sinn eine "funktionale" Sphaere in Deinem Sinne ist.
Schlicht und ergreifend durch die Tatsache, dass sich physische
Prozesse eben lokal abspielen. Es ist faszinierend zu sehen wie
die Praktiker der Nachhaltigkeit das Spiel der physischen Verfahren
so gruppieren, dass sich im Kreislauf das von den Menschen
benoetigte quasi "automatisch" oder mit ziemlich viel weniger
Muehe ergibt, als muessten wir die Rohstoffe immer von einem
zum anderen ort schaffen. Durch die Praesenz globaler funktionaler
Elemente, die ihre "raeumliche Beschraenkung sprengen" (die
Universitaet, frueher staedtisch borniert und in der Stadt fixiert,
kann ab nun in jedes Dorf) werden die Bedingungen, Verfahren lokal
zu halten oder zu machen, dramatisch verbessert!!
In Wirklichkeit ist es m.E. noch schwieriger, denn es ergibt sich eine
subtile Mischung aus beiden Lokalisierungsansätzen, weil auch eine
(räumlich) lokal gut funktionierende Infrastruktur auf die global
kausale zurückwirkt. Das ist im Gehirn übrigens nicht anders; die
Energieversorgung läuft (räumlich) lokal, die Verschaltung über
Synapsen nicht. Ich habe vor einem Jahr einen Aufsatz dazu geschrieben
("Zur Globalisierung der Ökonomie",
http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe/projekte/infopapers/glob.html),
der die besondere Rolle der Regionen hervorhebt (ich versteige mich
dort sogar zu der Behauptung, dass diese das der Linken verloren
gegangene revolutionäre Subjekt der anstehenden Veränderungen sind).
Ein interessanter Gedanke spukt mir dazu in Anlehnung an Luhmann noch
im Kopf herum: Sollte man sich bei der Beschreibung von Gesellschaft
statt auf die Subjekte auf die Prozesse konzentrieren? Also nicht die
Prozesse als Kommunikationsform zwischen Subjekten (z.B. Regionen)
verstehen, sondern die Subjekte als Kommunikationsform zwischen
Prozessen? Luhmann teilt die Gesellschaft ja in funktionale Sphären
ein längs dieser Prozessgrenzen (also längs der kausalen Topologie).
Und einzelne Subjekte sind in unterschiedlichen solchen Sphären drin,
und zwar meist in starker Abstraktion von aller Involviertheit in
andere Sphären (was weißt Du z.B. von meinem Tun hier an der Uni, oder
gar von meiner Familie zu Hause, oder meinen Connections in die PDS
usw.) Gleichwohl bringe ich die Aufladung, die ich als Subjekt in
_diesem_ (Diskussions)prozess erfahre, natürlich in die anderen
Prozesse mit ein, so dass hier Kommunikation zwischen den Prozessen
vermittelt wird.
Ist fast so wie die Perspektivenbrechung durch die Quantenphysik
Anfang des 20. Jh. oder die Grothendiecksche Revolution der Geometrie,
die Theorie der Quantengruppen und ähnliche Dualitätsansätze.
Du schreibst noch
Das widerspricht natuerlich auch ein wenig der Aussage, dass
"jede funktionale Sphaere der Gesellschaft schauen muss wie sie zu
ihren Ressourcen kommt". Vieleicht müsssen andere Sphaeren auch
Ressourcen transferieren, aber so wie eben im Sinn einer Investition
oder einer Symbiose.
Ein zentraler Punkt, über den hier auf der Liste wohl weitgehend
Konsens herrscht, ist die kooperative Verfasstheit einer solchen
zukünftigen Gesellschaft, also die positive Rückkopplung der freien
Entfaltung der einen auf die Möglichkeiten der freien Entfaltung
aller, kurz, es ist lukrativer, miteinander statt gegeneinander zu
agieren. Das wird natürlich einige Brisanz aus der aufgeworfenen
Frage nehmen.
Ich glaube daß die Handlungsspielräume und die Kompetenz der Zivil-
gesellschaft ständig am Wachsen sind; und das beste, was Politik tun kann,
ist diese Spielräume zu erhalten und auszubauen. Hier gibt es eine
erbitterte Abwehrschlacht, denn die Konservativen sehen die tödliche
Gefahr, die ihrem Verständnis von staatlicher Souveränität durch
ein solches Empowerment droht. In Österreich haben sie daher auch und vor
allem die zivilgesellschaftlichen Ressourcen in einem dramatischen Ausmaß
angegriffen. Inwieferne sich rot-grüne Politiker dieses Themas annehmen,
ist von wahltaktischen Kalkülen bestimmt. Eine korrekte und umfassende
Politisierung des Themas steht noch aus. Daß Zivilgesellschaft selbst
souverän werden kann, daß sie das Scheinbare des staatlich repräsentierten
Allgemeininteresses durchbricht und tatsächlich konkrete Vermittlung
und Rückkoppelung von Interessen leistet, ist jedenfalls in den populären
Behandlungsweisen dieses Begriffes noch nicht gedacht.
Wobei ich hoffe, dass die Dinge auch genügend Eigendynamik haben, so
dass man evtl. nur noch ein kleines bißchen nachhelfen muss. In dem
oben zitierten Aufsatz habe ich am Schluss geschrieben
Solche kollektiven Vernunftformen, die sich nur aus der
kommunikativen Vernetzung heutiger Sozialisationsformen entwickeln
können, haben auch ein anderes gesellschaftliches Grundklima als
das kapitalistisch geprägte zur Voraussetzung: sie funktionieren
nur im Miteinander, nicht im Gegeneinander ihrer einzelnen
Teile. Dieses die moderne Wissenschaft (noch) prägende Grundklima
gilt es also, (wieder) auf andere Bereiche des gesellschaftlichen
Zusammenlebens auszuweiten. Dies schließt nicht nur nahtlos an das
"Vom Ich zum Wir" traditioneller Sozialismuskonzepte an, sondern
ist auch der Kern des Luxemburgworts von der "Freiheit der
Andersdenkenden", da sich Partnerschaft ohne ausreichende Freiräume
zur eigenständigen Entwicklung der Partner nicht fruchtbar
entwickeln kann. Selbst zu ethisch geprägten Lebensbildern wie den
christlichen Moralvorstellungen läßt sich ein direkter Bogen
spannen.
Die subtile Sprengkraft eines solchen Solidargedankens in einer
kapitalistisch geprägten Umgebung von Eigennutz und
Konfrontationsdenken kann man wohl kaum überschätzen. Als Keim bereits
in dieser Gesellschaft, den technisch-technologischen Bedingungen
geschuldet, angelegt, sollte man ihm deshalb in linken Konzepten einen
wesentlich zentraleren Platz einräumen als derzeit üblich.
Eine solche Solidarität im Großen schließt Wettbewerb, auch auf
marktwirtschaftlicher Grundlage, ein, vermag ihn aber dort zu zähmen,
wo er beginnt, sich gegen diese solidarische Grundlage selbst zu
richten. Instrumente und Ansätze für eine solche Zähmung gibt es
bereits heute mehr als genug. Diese selektiv verstärken zu helfen
sollte deshalb linker Politik zu einem ihrer zentralen Anliegen
werden.
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Mit freundlichen Gruessen, Hans-Gert Graebe
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