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Re: [ox] Grundsicherung




Hi Franz, 

hier eine kleine Anmerkung meinerseits. Du schreibst am 25 Jan 2001

   ich moechte aber trotzdem noch praezisieren: ...  aber zugleich
   denke ich sehr ans **lokale** Dorf: Globalisierung und
   Re-lokalisierung gehen Hand in hand!!

   Wir entdecken gerade heute, wie sehr Lokalitaet auch im 
   geographischen Sinn eine "funktionale" Sphaere in Deinem Sinne ist.
   Schlicht und ergreifend durch die Tatsache, dass sich physische
   Prozesse eben lokal abspielen. Es ist faszinierend zu sehen wie 
   die Praktiker der Nachhaltigkeit das Spiel der physischen Verfahren
   so gruppieren, dass sich im Kreislauf das von den Menschen
   benoetigte quasi "automatisch" oder mit ziemlich viel weniger
   Muehe ergibt, als muessten wir die Rohstoffe immer von einem
   zum anderen ort schaffen. Durch die Praesenz globaler funktionaler
   Elemente, die ihre "raeumliche Beschraenkung sprengen" (die
   Universitaet, frueher staedtisch borniert und in der Stadt fixiert,
   kann ab nun in jedes Dorf) werden die Bedingungen, Verfahren lokal 
   zu halten oder zu machen, dramatisch verbessert!!

In Wirklichkeit ist es m.E. noch schwieriger, denn es ergibt sich eine
subtile Mischung aus beiden Lokalisierungsansätzen, weil auch eine
(räumlich) lokal gut funktionierende Infrastruktur auf die global
kausale zurückwirkt.  Das ist im Gehirn übrigens nicht anders; die
Energieversorgung läuft (räumlich) lokal, die Verschaltung über
Synapsen nicht. Ich habe vor einem Jahr einen Aufsatz dazu geschrieben
("Zur Globalisierung der Ökonomie",
http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe/projekte/infopapers/glob.html),
der die besondere Rolle der Regionen hervorhebt (ich versteige mich
dort sogar zu der Behauptung, dass diese das der Linken verloren
gegangene revolutionäre Subjekt der anstehenden Veränderungen sind).

Ein interessanter Gedanke spukt mir dazu in Anlehnung an Luhmann noch
im Kopf herum: Sollte man sich bei der Beschreibung von Gesellschaft
statt auf die Subjekte auf die Prozesse konzentrieren? Also nicht die
Prozesse als Kommunikationsform zwischen Subjekten (z.B. Regionen)
verstehen, sondern die Subjekte als Kommunikationsform zwischen
Prozessen? Luhmann teilt die Gesellschaft ja in funktionale Sphären
ein längs dieser Prozessgrenzen (also längs der kausalen Topologie).
Und einzelne Subjekte sind in unterschiedlichen solchen Sphären drin,
und zwar meist in starker Abstraktion von aller Involviertheit in
andere Sphären (was weißt Du z.B. von meinem Tun hier an der Uni, oder
gar von meiner Familie zu Hause, oder meinen Connections in die PDS
usw.) Gleichwohl bringe ich die Aufladung, die ich als Subjekt in
_diesem_ (Diskussions)prozess erfahre, natürlich in die anderen
Prozesse mit ein, so dass hier Kommunikation zwischen den Prozessen
vermittelt wird.

Ist fast so wie die Perspektivenbrechung durch die Quantenphysik
Anfang des 20. Jh. oder die Grothendiecksche Revolution der Geometrie,
die Theorie der Quantengruppen und ähnliche Dualitätsansätze. 

Du schreibst noch

   Das widerspricht natuerlich auch ein wenig der Aussage, dass 
   "jede funktionale Sphaere der Gesellschaft schauen muss wie sie zu
   ihren Ressourcen kommt". Vieleicht müsssen andere Sphaeren auch
   Ressourcen transferieren, aber so wie eben im Sinn einer Investition
   oder einer Symbiose.

Ein zentraler Punkt, über den hier auf der Liste wohl weitgehend
Konsens herrscht, ist die kooperative Verfasstheit einer solchen
zukünftigen Gesellschaft, also die positive Rückkopplung der freien
Entfaltung der einen auf die Möglichkeiten der freien Entfaltung
aller, kurz, es ist lukrativer, miteinander statt gegeneinander zu
agieren.  Das wird natürlich einige Brisanz aus der aufgeworfenen
Frage nehmen.

   Ich glaube daß die Handlungsspielräume und die Kompetenz der Zivil-
   gesellschaft ständig am Wachsen sind; und das beste, was Politik tun kann,
   ist diese Spielräume zu erhalten und auszubauen. Hier gibt es eine
   erbitterte Abwehrschlacht, denn die Konservativen sehen die tödliche
   Gefahr, die ihrem Verständnis von staatlicher Souveränität durch 
   ein solches Empowerment droht. In Österreich haben sie daher auch und vor
   allem die zivilgesellschaftlichen Ressourcen in einem dramatischen Ausmaß
   angegriffen. Inwieferne sich rot-grüne Politiker dieses Themas annehmen,
   ist von wahltaktischen Kalkülen bestimmt. Eine korrekte und umfassende
   Politisierung des Themas steht noch aus. Daß Zivilgesellschaft selbst 
   souverän werden kann, daß sie das Scheinbare des staatlich repräsentierten
   Allgemeininteresses durchbricht und tatsächlich konkrete Vermittlung 
   und Rückkoppelung von Interessen leistet, ist jedenfalls in den populären
   Behandlungsweisen dieses Begriffes noch nicht gedacht.

Wobei ich hoffe, dass die Dinge auch genügend Eigendynamik haben, so
dass man evtl. nur noch ein kleines bißchen nachhelfen muss.  In dem
oben zitierten Aufsatz habe ich am Schluss geschrieben

   Solche kollektiven Vernunftformen, die sich nur aus der
   kommunikativen Vernetzung heutiger Sozialisationsformen entwickeln
   können, haben auch ein anderes gesellschaftliches Grundklima als
   das kapitalistisch geprägte zur Voraussetzung: sie funktionieren
   nur im Miteinander, nicht im Gegeneinander ihrer einzelnen
   Teile. Dieses die moderne Wissenschaft (noch) prägende Grundklima
   gilt es also, (wieder) auf andere Bereiche des gesellschaftlichen
   Zusammenlebens auszuweiten.  Dies schließt nicht nur nahtlos an das
   "Vom Ich zum Wir" traditioneller Sozialismuskonzepte an, sondern
   ist auch der Kern des Luxemburgworts von der "Freiheit der
   Andersdenkenden", da sich Partnerschaft ohne ausreichende Freiräume
   zur eigenständigen Entwicklung der Partner nicht fruchtbar
   entwickeln kann. Selbst zu ethisch geprägten Lebensbildern wie den
   christlichen Moralvorstellungen läßt sich ein direkter Bogen
   spannen.

   Die subtile Sprengkraft eines solchen Solidargedankens in einer
   kapitalistisch geprägten Umgebung von Eigennutz und
   Konfrontationsdenken kann man wohl kaum überschätzen. Als Keim bereits
   in dieser Gesellschaft, den technisch-technologischen Bedingungen
   geschuldet, angelegt, sollte man ihm deshalb in linken Konzepten einen
   wesentlich zentraleren Platz einräumen als derzeit üblich.

   Eine solche Solidarität im Großen schließt Wettbewerb, auch auf
   marktwirtschaftlicher Grundlage, ein, vermag ihn aber dort zu zähmen,
   wo er beginnt, sich gegen diese solidarische Grundlage selbst zu
   richten. Instrumente und Ansätze für eine solche Zähmung gibt es
   bereits heute mehr als genug. Diese selektiv verstärken zu helfen
   sollte deshalb linker Politik zu einem ihrer zentralen Anliegen
   werden.

-- 
Mit freundlichen Gruessen, Hans-Gert Graebe

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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