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Re: [ox] Wieder ausgegraben



Hallo Hans-Gert,

Hans-Gert Graebe schrieb:

Hallo Ingo,

Ingo Heer schrieb am 24 Jun 2001
 
Bedingen und bestimmen sind für mich zwei Verben mit entgegen
gerichteter kausaler Wirkung, wobei wir vielleicht sogar die je andere
kausale Richtung mit den Begriffen verbinden, wie Deine weitere Mail
zeigt.
Das sehe ich ganz anders. Bedingen wirkt nicht kausal, bestimmen kann
Kausalität bewirken, muß es aber nicht.
Als Beispiel will ich einmal ein physikalisches System nehmen. Ich mache
eine Bergwanderung. Das dreidimensionale Bergprofil stellt mit der
Schwerkraft zusammen die Bedingungen dar, das heißt physikalisch gesehen
die Zwangskräfte. Wohin ich in dieser Begwelt wandere, wird aber durch
diese Zwangskräfte keinesfalls kausal festgelegt. Den Weg den ich
wandere, lege ich fest. Allerdings kann ich mich im Raum nicht beliebig
bewegen. Die Freiheitsgrade meiner Bewegung werden durch das Profil der
Zwangskräfte (Bedingungen) festgelegt. (Hier findet noch keine
Kausalität statt). Ob ich in Serpentinen den Berg hochgehe oder den
direkten Weg nehme (steepest ascend), das entscheide ich als
Bergwanderer, hierauf hat das Bergprofil keinen kausalen Einfluß, nur
einen restringierenden Einfluß. Das ist der Unterschied von Bedingung
und Bestimmung.

Wie dem auch sei, mir kam es darauf an, dass _beide_ kausale
Richtungen in dieser Frage zu beachten sind, so dass weitere
Begriffsschärfung hier in Haarspalterei ausarten würde.

Darauf kann ich mich nicht einlassen. Bei Interessenskonflikten können
Kompromisse geschlossen werden, nicht jedoch bei
Begriffsverschiedenheiten.
Da ich diese Argumentation nicht als Haarspalterei verstehe, habe ich
hier weitergemacht, trotz Deiner Diktion, hier aufzuhören.
 
Vielleicht einigen wir uns auf "subtiles Wechselverhältnis", denn mein
Einwand war ja, dass nicht nur Sozialisationsformen technische
Entwicklungen ermöglichen oder verhindern, sondern auch umgekehrt
technolgische Entwicklungen neue Sozialisationsformen ermöglichen und
oft auch erfordern.

Nein, ich kann mich nicht auf ein subtiles Wechselverhältnis einlassen. 
Ich stimme ja sowohl dem einen als auch dem anderen zu, allerdings nur
dann wenn ich die Bedingungen und die Bestimmungen herausarbeite und
unterscheide.

Außerdem ist "der Mensch als gesellschaftliches Wesen" in diesem
philospohischen Kontext ein hochgradiges Abstraktum und
grundverschieden von "der Mensch als Mensch". Jedenfalls kann ich "der
Mensch als Gesellschaftswesen" und "er bestimmt ..." (in dieser
personalisierten Form) nicht zusammen denken. Das Problem sind die
unterschiedlichen Zeithorizonte verschiedener sozialer Prozesse, die
bei oberflächlicher Betrachtung gewisse Komponenten als statisch
erscheinen lassen, obwohl gerade deren Dynamik subtilen Einfluss auf
das Gesamtbild hat. Aber das ist die Keimformdebatte, die will ich
hier nicht weiter führen.

Hier gebe ich Dir völlig recht. Marx hat ja auch gegenüber Feuerbach
(Humanismus) so argumentiert. Manchmal müssen wir einfach verkürzt
argumentieren, weil uns einfach die Zeit fehlt, jeden Satz begrifflich
in den richtigen Kontext zu setzen.

Das weitere Stichwort wäre für mich "Kulturlandschaft" als die
durch menschliche Tätigkeit veränderte "Naturlandschaft", die
ihren Kulturcharakter (positiv wie negativ) nur durch die weitere
Tätigkeit des Menschen erhalten (reproduzieren) kann. Sonst
"verwildert" sie und wird wieder reine "Naturlandschaft".

Du stellst hier Naturlandschaft und Kulturlandschaft nebeneinander. Für
mich gibt es nichts außerhalb der Natur, daher ist alles
Naturlandschaft. Kulturlandschaft ist daher immer Naturlandschaft.
Kulturlandschaft ist Naturlandschaft, allerdings eine besondere.
Kulturlandschaft ist vom Menschen geprägt, während Naturlandschaft auch
ohne den Menschen da sein kann. Und sie war es auch, bis der Mensch in
der letzten Sekunde der Evolutionsuhr auf der Erde aufgetaucht ist. Seit
es den Menschen gibt, findet neben der bisherigen Naturveränderung auch
eine Naturveränderung durch den Menschen statt, was Du mit dem Begriff
der Kulturlandschaft beschrieben hast.

Da hast Du sicher recht, aber brauchen wir nicht gerade diese
Unterscheidung, um über das menschliche Tun zu reflektieren?  Und dann
auch einen Begriff, der das Gegenteil von "Kulturlandschaft"
bezeichnet? Wenn Dir "Naturlandschaft" als solcher Begriff nicht
gefällt, dann vielleicht "unberührte Natur"?

Doch, unbedingt. Aber Du stellst die beiden Begriffe nebeneinander und
Jetzt gegeneinander, was im Prinzip dasselbe ist. 
Für mich stehen diese Begriffe in einem hierarchischen Verhältnis
zueinander: Naturlandschaft ist das allgemeine, Kulturlandschaft ist das
besondere.
Nur als Beispiel aus meinem Mathematikunterricht: Ein Quadrat ist ein
Rechteck, aber ein Rechteck muß kein Quadrat sein(Es kann eines sein,
muß aber nicht).

Ich weiß nicht, was Du mit vorsichtig einst, ich verwende den Ausdruck
jedenfalls nicht als Schimpfwort. Ich sehe das auch so wie Du, dass
diese Konzeption aus der Diskussion um die Zeitschriften Prokla, Das
Argument und anderen hervorging. 
Oh, das kenne ich überhaupt nicht. 

Prokla: www.prokla.de
Das Argument: Hier habe ich auf die Schnelle keine web-Adresse gefunden.
Ich suche weiter.
Da gibt es auf jeden Fall noch ein "Unmenge" an Quellen.

Ich bezog mich auf die Debatte der
60er Jahre in Ost wie West um Kybernetik, Systemwissenschaften, NÖS
und wie sie alle heißen, die letzlich zu den 68ern (West) und dem
Prager Frühling (Ost) geführt haben und in der DDR seit wenigstens
Mitte der 70er Jahre abgewürgt war. Ein Weizenbaum oder eben
Fuchs-Kittowski wurden da nur noch sehr marginal in absoluten
Fachkreisen wahr genommen. Aber da gibt es viele Anknüpfungspunkte zum
heutigen Diskurses.

Weizenbaum wurde nicht abgewürgt, der hatte einfach nichts wesentliches
mehr zu sagen. Bei Fuchs-Kittowski gebe ich Dir recht. Aber Werner Loh
zitiert ihn in "Kombinatorische Sytemtheorie: Evolution, Geschichte und
logisch-mathematischer Grundlagenstreit, campus Forschung, Band 135".

Es geht um a-priori bekannten Nutzen, also die Geschichte von der
Biene und dem Baumeister bei Marx. Für einen funktionierenden Markt
müssen Verkäufer und Käufer nicht nur klare (Gebrauchswert)-Nutzen-
Vorstellungen von der gehandelten Ware haben, sondern dieser Nutzen
muss schon (wenigstens im klassischen Marktmodell) _vor_ der
Produktion der Ware selbst im Kopf des Verkäufers als Vorstellung
vorhanden sein. Der Markt besorgt dann die Sozialisierung dieser
Vorstellungen, d.h. den Abgleich mit der Wirklichkeit (Stichwort
"Erfolg am Markt"). Für Wissen gilt das alles nur, wenn ich bereits
grobe Vorstellungen habe, dass es geht, und wie es geht. Das kann dann
ein Diplomand bearbeiten und er hat für 6 Monate sein Brot, aber so
richtig interessant ist es nicht. Wirklich interessantes Wissen (bei
F.-K., und da stimme ich zu) ist solches, dessen Nützlichkeit sich auf
kausal (und auch zeitlich) nicht vorhersehbare Weise manifestiert und
deshalb weder plan- noch steuerbar ist.


Bei Fuchs-Kittowski wird klar herausgearbeitet,
dass das für die Menschheit wirklich relevante Wissen im Zeitpunkt
seiner Kreation gerade _nicht_ in diese Kategorie fällt.  Und was das
Thema "nützliches Wissen" betrifft, da sind wir ja wohl hier und heute
(in diesem System) auch nicht viel weiter.
Leider hast Du zu Fuchs-Kittowski keine Literaturangabe gemacht.

Das Mail-Archiv der Oekonux-Liste hat eine schöne Suchfunktion, mit
der Du vieles findest, auf was schon einmal Bezug genommen wurde.

   ... Steht auf meiner Texte-Seite
   http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe/projekte/moderne/Texte
   und empfehle ich allen, die am Thema "Wissen" interessiert sind, zur
   Lektüre. (Mon, 7 May 2001)

Leider komme ich nicht dazu, auf alle Argument weiters eizugehen.
bis später
--
Mit freundlichen Gruessen, Hans-Gert Graebe

Mit freundlichen Grüßen,
Ingo Heer.
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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