Re: [ox] Wie steht es mit der Uebertragbarkeit?
- From: Thomas Uwe Gruettmueller <sloyment gmx.net>
- Date: Tue, 10 Jul 2001 03:31:57 +0200
Hi, Stefan!
Die Mail kam wie gerufen. :o) Hier kann ich einige der Gedanken
reinknallen, die ich bei meinem Vortrag darzustellen nicht fähig
war. Daher hab ich auch ein großes Interesse an Antworten zu
dieser Mail.
On Sunday, 8. July 2001 22:35, Stefan Merten wrote:
Die Frage, die in Weimar kam war: Wie steht es denn eigentlich
jetzt genau mit der Übertragbarkeit der Prinzipien Freier
Software-Entwicklung auf andere Güter - auch auf
Informationsgüter?
Ich finde, daß man bei dieser Frage nicht alles
durcheinanderwürfeln, sondern folgende drei Bereiche sauber
voneinander getrennt untersuchen sollte:
1. Die rechtliche Seite
-----------------------
Bei freier Software sind durch Verzicht auf das Copyright oder
Lizensierung an alle, sowie durch die Einhaltung bestimmter
Dinge (Sourcecode usw.) bestimmte Bedingungen (Definition der
FSF oder DFSG/OSD) erfüllt, wodurch Software zu freier
Software wird.
Eine Übertragung auf andere Bereiche bestünde darin, zunächst
eine Definition aufzustellen, was "frei" bedeuten soll. Bei
Musik treten z.B. solche Fragen auf wie: "Ist der Source Code
ein sinnvolles Kriterium?" oder "Was ist mit öffentlicher
Aufführung und Sendung?"; die meisten Punkte sollten sich aber
aus dem Softwarebeireich 1:1 übernehmen lassen. Als nächster
Schritt käme dann eine Copyleft-Lizenz und ein paar erste
freie Werke.
2. Die Motivation zur Arbeit an freier Software
-----------------------------------------------
Freie Software entsteht aus verschiedener Motivation heraus:
o aus Überzeugung (Huhu, GNU-Leute!)
o aus Spaß am Programmieren (Huhu, Linus T.!)
o gegen Belohnung (Hacken als Dienstleistung o.ä.)
Interessant ist dabei, daß die ersten beiden Punkte stark
überwiegen.
Aus Überzeugung oder gegen Belohnung kann jegliche Arbeit
ausgeführt werden, aus Spaß jedoch nur solche, die
eine Herausforderung darstellt oder künstlerischen Charakter
hat. Eine Übertragung des Spaßmotivs setzt also einen
bestimmten Typ Arbeit voraus.
3. Projektorganisation
----------------------
Hierunter fallen die kulturellen Dinge, die mit GNU/Linux
gewachsen und teilweise entstanden sind und Entwicklern und
Anwendern das Leben erleichtern, z.B. "Release early, release
often", CVS, Mailinglisten, User Groups usw.
Diese Dinge sollten sich leicht übertragen lassen und
allenfalls technische Probleme (Komponieren über CVS???)
hervorrufen.
Diese Bereiche bedingen sich nicht gegenseitig, d.h. es gibt
durchaus User Groups für proprietären Kram oder Programmierer,
die zum Spaß Plugins für proprietäre Programme schreiben. Die
Übertragung der rechtlichen Prinzipien ist für mich daher die
Grundlage für eine nachhaltige Übertragung der anderen
Prinzipien.
Konkret festgemacht wurde die Frage am Beispiel Indymedia:
Dies ist kein so gutes Beispiel, da die rechtlichen Prinzipien
freier Software nicht übertragen wurden:
http://www.indymedia.org
| (c) Independent Media Center. All content is free for reprint
| and rebroadcast, on the net and elsewhere, for non-commercial
| use, unless otherwise noted by author.
(siehe dazu:
http://www.gnu.org/philosophy/categories.html#semi-freeSoftware
)
Was bei Indymedia übertragen wurde, ist die über das Internet
verteilte Zusammenarbeit am Projekt, die bei den meisten
freie-Software-Projekten zu finden ist.
Welchen konkreten, individuellen Gewinn hat die Person, die
für Indymedia journalistische Arbeit macht? Wir haben
versucht, daß an diesem Beispiel zu diskutieren, sind aber
(für mich) nicht befriedigend damit fertig geworden und ich
würde das gerne hier nochmal ausführlicher reflektieren.
Der konkrete Gewinn bei der Herstellung eines Stücks Freier
Software besteht ja mindestens zum Teil auch darin, daß die
AutorIn selbst bessere Software hat - das war die
Ausgangsthese.
Das klingt nach "gegen Belohnung".
Bei nochmaligem Durchdenken ist vielleicht aber die
Ausgangsthese schon falsch.
Sie ist sicher nicht falsch, aber zu eng gefaßt.
Ich denke, die Gemeinsamkeit der verschiedenen Motivationen,
freie Software zu programmieren, ist, daß die rechtlichen
Prinzipien freier Software den idealen Rahmen schaffen: Es
werden keine Vergütungen fällig, und auf Vorhandenes kann man
aufbauen, ohne daß man als böser Plagiator verachtet wird.
Das Motiv hinter der Beteiligung an Indymedia ist vermutlich
Überzeugung. Wie bei freier Software restriktive Software gibt
es bei Indymedia ein Gegenstück: die kommerzielle Presse.
Nun aber noch zu dem anderen Strang, der mir in Weimar
begegnet ist: Die Übertragbarkeit auf die Kunst. Nun ist der
Kunstbereich für mich mehr oder weniger Terra incognita und
ich kann da im fachlichen Detail nichts dazu sagen, aber schon
die Anfänge dieser Diskussion beschäftigen mich ziemlich -
auch wenn im Moment noch alles ziemlich kraus ist.
Ich habe um 1997 herum mit einem Tracker (Rastersequencer)
herumhandtiert. Tracker sind Programme, mit denen zu Amigazeiten
Spielemusiken geschrieben wurden. Die Möglichkeiten die man
damit hat, sind zwar, im Vergleich zu MIDI, ziemlich beschränkt,
aber dafür gibt es einen gewaltigen Vorteil: Alles wird per
Software zusammengerechnet. Die Soundkarte benötigt also keine
wahnsinnigen -äh- man benötigt eigentlich nichtmal eine
Soundkarte ;o), und das Ergebnis klingt immer gleich. Manche
Tracker (z.B. Fasttracker 2 (unter DOS) oder Soundtracker (unter
GNU/Linux)) arbeiten so genau, daß man sie auch als
Mehrspurrekorder (z.B. für Gesang) mißbrauchen kann.
Der Vergleich mit freier Software ist der, daß die Module
(Dateien, welche Notation und Samples enthalten) bei sparsamem
Gebrauch der Samples sehr klein sind und daher oft direkt (statt
fertig zusammengemischt als MP3) getauscht werden und
bearbeitungsfähig sind. Man könnte die Module also als "Source
Code", den Tracker als "Compiler" und die fertige Aufnahme als
"Object Code" ansehen.
Diese technische Übereinstimmung reicht jedoch noch nicht für
freie Musik, es fehlen als wichtige Grundlagen eine Definition,
was "freie Musik" sein soll, sowie eine Copyleft-Lizenz für
Musik. Den rechtlichen und technischen Schnulli lasse ich jetzt
aber mal weg, da dies innerhalb dieser Mail off-topic wäre. Mehr
dazu gibt es auf http://www.gaos.org/freemusic Stattdessen ein
wenig zum Thema Motivation:
Zu der Zeit, als ich selbst viel Musik gemacht habe, habe ich
über diese Aspekte nicht groß nachgedacht. Ferner kannte ich
damals weder GPL noch GNU, lediglich Freeware aus Atarizeiten.
Ein interessantes Erlebnis war das Musical "Kaschej Bessmertnyj"
("Kaschtschej, der Unsterbliche") der russischen Punkband
"Sektor Gaza" ("Gaskammer"), welches ich mir als MP3s von einem
Kanadier kopiert habe. In diesem wurden lauter Stücke westlicher
Bands umgetextet nachgespielt, was hier gegen das Urheberrecht
verstossen würde. Von zweien der Stücke kenne ich die
Originalversionen (von Ace of Base bzw. Red Hot Chili Peppers),
welche ich im Gegensatz zu den Derivaten total scheiße finde.
Mir kann also niemand erzählen, daß es ohne Urheberrecht keine
gute Musik mehr gäbe.
Desweiteren benutze ich inzwischen GNU/Linux und habe mich
seitdem mit den rechtlichen Grundlagen befaßt. Damit zurück zu
meiner eigenen Musik: In einem Stück habe ich eine
Fernsehansagerin gesampelt, wie sie gerade einen Satz mit "Ihr
Weg nach Bonn..." beginnt. Dieser Spruch kommt in dem Stück,
neben einigen anderen Wortfetzen, ziemlich oft vor, und ich weiß
nicht, wie legal es wäre, dieses Stück zu verbreiten.
Wenn ich in ein Musikgeschäft gehe, um mir eine CD mit
Keyboardsamples zu kaufen, und den Verkäufer frage, ob ich die
Samples unvermischt mit dem Stück mitverbreiten darf, damit ein
anderer das Stück weiterbearbeiten kann, dann heißt es, ich
solle die GEMA fragen, und überhaupt sei das eh alles Blödsinn,
und das Programm scheiße und ausserdem raubkopiert...
Fragt sich noch, wie das mit der Weiterbearbeitung bestehender
Musik aussieht, so wie in obengenannten Beispiel. Mit solch
einer Vorgehensweise könnte ein hiesiges Enseble nicht zu
Weltruhm kommen, nicht aber, weil das die Zuhörer scheiße
finden, sondern weil die Musikverlage klagen würden wie
bekloppt.
Ich hätte keine Probleme mit veränderten Versionen meiner Stücke
oder einer kommerziellen Nutzung derselben, wohl aber mit der
Situation, wenn diese Versionen auf die gleiche Weise frei
wären. Daher möchte ich durch ein Copyleft auf Musik eine
Musik-Szene aufbauen, innerhalb welcher die Freiheit anzutreffen
sein soll, die in anderen Teilen der Welt selbstverständlich
ist, und auch wieder selbst Musik machen, jedoch nicht allein,
sondern mit anderen zusammen, über das Netz verteilt.
Nach längerem Überlegen hat sich bei mir der Begriff des Werks
eingeschlichen und dessen Unterschiede bei Software und in der
Kunst. Bei Software - ein Programm aber auch Datenbanken, etc.
- ist ein Werk ja eigentlich nie fertig. Auch wenn die
Informatik (früher?) da gerne davon ausgegangen ist, daß ein
Programm geschrieben, getestet und dann fertig ist, ist das in
der Praxis wohl eher die große Ausnahme.
Ein restriktives Werk ist fertig, wenn es in die Läden kommt,
ein freies kann hingegen immer weiter bearbeitet werden -- da
sehe ich keinen Unterschied zwischen einem Programm und einem
Musikstück.
Natürlich kann jemand sagen: "In diesem Zustand betrachte *ich*
das Werk als fertig" -- aber auch das gilt für Programm und
Musikstück gleichermassen.
Freie Software erhebt
diese starke Versionierung / Evolution von Software quasi zum
Prinzip: "Release often, release early" bringt diesen
Paradigmenwechsel in der Software-Produktion gut auf den
Punkt.
Man kann nicht davon ausgehen, daß eine neue Version automatisch
besser ist, als die alte. Dies ist gerade in der Kunst überhaupt
nicht objektiv zu beurteilen. Aber warum soll diese Version
nicht existieren dürfen?
An diesem Aspekt der "stofflichen" Organisation der Produktion
von Software scheint mir vieles von dem zu hängen, was den
Prinzipien der Entwicklung Freier Software dann letztendlich
zugrundeliegt.
Die Übertragbarkeit der rechtlichen Grundlagen hängt daran nicht.
Sind alle Informationsprodukte evolutionär entwickelbar?
Ich denke schon.
Aber es ging ja um Kunst. Ich bin da wie gesagt blutiger Laie,
aber ich habe in der Kunst den Eindruck, daß viele Werke nicht
so entstehen wie Software, sondern daß diese noch stärker
individuelle Werke Einzelner sind. Da ist dann also nichts mit
Selbstorganisation, internationaler Kooperation und so.
Woran liegt das wohl?
Andererseits schweben auch Kunstwerke ja nicht in einem
luftleeren Raum, sondern die Bezüge auf andere Werke und somit
wieder auf ein Kollektiv sind ja wohl praktisch nicht
wegzudenken.
Ideen sind ja zum Glück nicht urheberrechtlich geschützt.
Tschüß,
Thomas
}:o{#
Ungelesen: nur noch schlappe 408 [ox]-Mails
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