Message 02953 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT02890 Message: 10/17 L7 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] GPL und OpenSource



On Wed, Jul 11, 2001 at 06:12:25PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Meretz wrote:
Hi alle,

Thomas hat mit der Frage nach dem Verhältnis von BSD-Lizenz und GPL
(beides Freie-Software-Lizenzen, aber nur GPL ist Copyleft) ein
gründlicheres Nachdenken über den Knappheitsbegriff hervorgerufen - zu
Recht! Viele haben dazu schon Interessantes geschrieben. Hier noch meine
Ideen dazu.

IMHO ist Knappheit in diesem Zusammenhang ein gesellschaftstheoretischer
Begriff. Als solcher ist er nicht zu verwechseln mit einem "subjektiven"
oder "subjektbezogenen" Begriff wie Casimir meinte. 

Das meinte ich nicht! Der Begriff ist als
gesellschaftstheoretischer Begriff, wie übrigens alle
gesellschaftstheoretischen Begriffe, subjektbezogen (nicht
subjektiv): das heißt nämlich für mich, daß dieser Begriff für
unterschiedliche Subjekte unterschiedliche Bedeutung hat (-- wäre
nämlich die Bedeutung für alle Gesellschaft gleich, wäre es kein
gesellschaftstheoretischer Begriff mehr, sonder einer, der
höchstens noch für Betrachtungen auf der Ebene zwischen
Physik-Chemie-Biologie-Gesellschaft geeignet ist) und daß er ohne
die Bedeutung für Subjekte inhaltsleer wäre. Natürlich werden
sich einigen die Haare sträuben, wenn ich hier "subjektbezogen"
schreibe, obwohl ich mit Subjekt ausdrücklich nicht "Individuum"
meine. Der Begriff ist also nicht subjektiv, sondern
subjektbezogen, während sein ideologischer Gehalt bzw. sein
Gebrauch sehr wohl auch subjektiv sind, aber das hatte ich an der
Stelle gar nicht gemeint.

Es geht also hier
nicht um die Frage, ob ich gerade etwa "knapp bei Kasse" bin oder die
Milch in meinem Kühlschrank verbraucht ist, sondern um die Frage, welche
Rolle Knappheit bei der gesellschaftlichen (Re-)Produktion des Lebens
spielt.

Das sind aber nicht unbedingt zwei verschiedene Sachen.  Das
heißt, sie sind zwar durchaus verschieden, aber sie bedingen sich
gegenseitig und hängen also untrennbar miteinander zusammen: Ich
bin nur "knapp bei Kasse", wenn _ich_ "zu wenig" Geld habe. Für
meine Reproduktion brauche ich aber gar kein Geld. Geld brauch
ich nur, wenn ich die Ressourcen für meine Reproduktion anders
nicht ergattern kann. Daher ist auch die subjektiv empfundene
Knappheit von Geld nur auf der Basis der konkreten
gesellschaftlichen Verhältnisse (PW) möglich. Und das heißt, daß
es für die gesellschaftliche (Re-)Produktion des Lebens sehr wohl
eine Rolle spielt, daß (ob) ich knapp bei Kasse bin. Für
bestimmte Gesellschaftsformationen spielt das sogar eine
_wesentliche_ Rolle.

 Analytisch (also bloss logisch, aber nicht historisch)
unterscheide ich zwischen der gesamtgesellschaftlichen
Produktion und derselben in ihrer besonderen Gestalt der
Warenform. Oder anders ausdrückt: Ich gucke mir erstmal die
Rolle der Knappheit bei der Produktion der Lebensbedingungen
unter Absehung der Form an, dann unter Hinzuziehung.  Zunächst
unter Absehung der Form: Menschen finden ihre Lebensbedingungen
nicht bloss vor, sondern stellen sie her. 

Neben ihren Lebensbedingungen stellen die Menschen aber auch noch
*sich* her (-- darauf hast Du ja oben auch mit dem Zusatz "(Re-)"
zur "Produktion" schon hingewiesen). Und mit *sich* stellen sie
auch ihre Bedürfnisse her. Da die bewußte (wenn auch zumeist
irrationale) Herstellung von Bedürfnissen (bspw. in Form von
Marketing) einen unglaublichen (und wachsenden) Anteil der
Ressourcen und also der gesellschaftlichen Produktivkräfte
verschlingt, brauche ich dafür wohl keine Beispiele
anzuführen. Da diese Bedürfnisse aber bei weitem nicht nur durch
Marketing, sondern durch jegliche Umgestaltung der
Lebensbedingungen gestaltet (bzw. hergestellt) werden, und also
als integraler Bestandteil zu den Lebensbedingungen dazuzurechnen
sind, gehören die Bedürfnisse zu den "gesellschaftlichen
Infrastrukturen" dazu.

Sie tun das nicht
bloss in unmittelbarer Kooperation, sondern stets vermittels
der gesellschaftlichen Infrastrukturen, die sie durch ihr Tun
gleichzeitig reproduzieren. Das nenne ich gesellschaftliche
Kooperation. Die unmittelbare Kooperation (etwa das Abwaschen
oder den Biogarten im Hinterhof bestellen) ist nur möglich vor
dem Hintergrund ein "stabilen" Einbettung in selbstreprodukive
gesamtgesellschaftliche Kooperationsstrukturen (vermittelt etwa
über Lohnarbeit). Was in gesellschaftlicher Kooperation
hergestellt wird, ist das, was gebraucht wird. 

Das ist als Allgemeinaussage falsch, auch wenn es das ist, was
wir uns wünschen. Es sei denn, Du wechselst hier doch die
Perspektive und sprichst jetzt im subjektiven Sinn: hergestellt wird,
was irgendjemand meint zu brauchen. (Übrigens ist selbst das in
dieser Allgemeinheit falsch: wie oft wird etwas hergestellt,
bevor überhaupt jemand meint, es zu brauchen?! Und wie oft wird
das, was gebraucht wird, nicht hergestellt?!) 

Es sind also
erwünschte Lebensbedingungen, die knapp sind. 

Es muß nicht alles knapp sein, was eine erwünschte
Lebensbedingung ist. Knapp ist nur das, wovon ich ausgeschlossen
bleiben soll (-- so sind bspw. Äpfel nicht knapp, wenn ich mir von
den Bäumen von gegenüber so viele holen kann (und darf), wie ich
will).

Dabei ist
Knappheit historisch spezifisch: Sie spiegelt die je
entwickelten Bedürfnisse der Menschen wider. 

Das ist ein Kreisschluß: wenn Knappheit Bedürfnisse
widerspiegelt, dann schränkst Du "die Bedürfnisse" ein auf die,
die nicht einfach befriedigt werden können (wegen Knappheit der
Ressourcen zu ihrer Befriedigung) und deshalb besonders
wahrgenommen werden. Hatten die Leute etwas früher kein Bedürfnis
nach sauberer Luft? Doch, aber sie war nicht knapp. Das so
verstandene Bedürfnis spiegelt also nur die Knappheit wider. Und
deshalb spiegelt Knappheit in diesem Sinne nur Knappheit wider,
oder aber den Fakt, daß die Menschen in der Regel ein sehr
eingeschränktes Bild von ihren Bedürfnissen haben.

Wenn Knappheit
Bedürfnisse widerspiegelt, also historisch-spezifisch sind (und
als solche auch "objektiv"), dann heisst das, dass es _immer_
Knappheit geben wird. 

Nein. Zur Aufhebung von Knappheit gibt es zwei mögliche
Extremansätze: 1) unbegrenzte Ressourcen herstellen; 2)
befriedigbare Bedürfnisse herstellen. Nur wenn das beides nicht
geht (oder eine brauchbare Mixtur aus beiden: immer soviel
Ressourcen bereithalten, wie zur Befriedigung der jeweils nicht
ausufernden Bedürfnisse erforderlich sind), nur dann wird es
"_immer_ Knappheit geben".

Übrigens bedeutet auch die Notwendigkeit einer Anstrengung zur
Befriedigung von Bedürfnissen noch nicht, daß etwas knapp ist
(gehobener formuliert: die Notwendigkeit eines Aktes der
Aneignung), -- da brauchen wir nur an den Säugling zu denken, der
hier kürzlich erwähnt wurde (und das hat jetzt nichts mit der
Frage zu tun, ob er in diesem "Akt der Aneignung" Arbeit
verrichtet oder nicht).

Die menschliche Bedürfnisse nach
bestimmten Lebensbedingungen sind unbegrenzt und werden immer
Knappheit hervorrufen. Das Herstellen menschlicher
Lebensbedingungen bedeutet also immer das Reduzieren von
Knappheiten und Produzieren von neuen.  

"immer" ... im "Reich der Notwendigkeit", und ich bestehe darauf,
darüberhinausdenken zu dürfen: Knappheit ist keine Voraussetzung
für menschliche Existenz.

Wichtig: Lest das nicht
normativ oder quantitativ. Damit ist weder gesagt, dass es
irgendwas überhaupt, noch wieviel es davon geben muss.  

Es sagt aber, daß es _immer_ «nicht 'genug'» geben wird. Und das
ist ohne Zusatzaxiome nicht haltbar.

Was menschliche Lebensbedingungen sind, ist historisch
verschieden. Dass das Auto als Verkehrmittel nicht als globaler
Schwachsinn erkannt wird, der er ist, hat nicht mit den
Bedürfnissen der Menschen "an sich" zu tun (der Ebene der
unmittelbaren Kooperation), sondern mit den Bedürfnissen der
Menschen in der besonderen gesellschaftlichen Form, in der sie
befriedigt werden und der sie entsprechen: der Warenform (der
Ebene der gesellschaftlichen Kooperation).  

Hier steckt, glaube ich, etwas drin, worin wir
übereinstimmen. Aber es ist, scheint mir, gut versteckt. Dennoch
möchte ich Dich bitten, nochmal genauer darzulegen, wo die Grenze
zwischen «den Bedürfnissen der Menschen "an sich"» und den
formationsspezifischen Bedürfnissen liegt. (Du wirst nicht
überrascht sein, wenn ich Dir verrate, daß ich da meine Zweifel
habe, was die Existenz «der Bedürfnissen der Menschen "an sich"»
betrifft. Dazu hatte ich schon mal unter dem Thema Interessen und
isolierte Aspekte derselben eine Auslassung geschrieben.)

Also jetzt zur
Warenform und zur Knappheit. Neben dem "ontologischen"
Knappheitsbegriff (also als Seins-Begriff) gibt es dann eine
formbestimmten Begriff, für den ich "künstliche" oder
"produzierte" Knappheit treffend finde. 

Wie shon gesagt, die Gegenthese lautet knapp:

         *Alle Knappheit ist künstlich.*  

 Wenn Du in Deiner "ontologischen" Betrachtung davon
abstrahierst, dann ignorierst Du ihren gesellschaftlichen
Charakter und kannst den Knappheitsbegriff nicht mehr als
"gesellschaftstheoretischen" benutzen.

[ wegen inhaltlicher Übereinstimmung gelöscht ;-) ]

Mein Fazit also:
Knappheit im Sinne menschlicher Bedürfnisse ist zu
unterscheiden von produzierter Knappheit. Beides sind
gesellschaftstheoretische, objektive Begriffe. Es kommt also
nicht darauf an, was jemand zu Bedürfnissen/Knappheiten
erklärt, sondern nur, ob es die Bedürfnisse/Knappheiten real
gibt (es gibt keine "falschen" Bedürfnisse, gleichwohl aber
solche, die ihrer gesellschaftlichen Befriedigungsform, der
Warenform, entspringen - nämlich fast alle). 

Und wenn wir uns nicht auf die "Warenform" beschränken, müssen
wir sagen, daß nicht nur "fast alle", sondern *alle* Bedürfnisse
den gesellschaftlichen Bedingungen entspringen.

Es kommt auch nicht darauf an, ob ein Subjekt mit der Rede von
Knappheiten bestimmte Zwecke verfolgen _will_ - als
Warenproduzent _muss_ es die objektivierten (Selbst-)Zwecke der
kybernetischen Wertmaschine verfolgen. 

Wir diskutieren doch hier aber hoffentlich nicht (nur?) als
Warenproduzenten, oder?

Es ist aber - und das ist hier wichtig - ein ideologischer
Schein, wenn Warenproduzenten die produzierte und
bedürfnisbedingte Knappheit in Eins setzen - und etwa den
Kapitalismus als einzig denkbare Form dieser scheinbar von der
Warenform völlig getrennten "natürlichen" Knappheit behaupten.

 Richtig. -- Genauso wie es "ideologischer Schein" ist, die
Verknappung von Knappheit als "künstliche Knappheit" zu
bezeichnen, was Thomas' Ausgangsthese war...  
 Die Verknappung der Knappheit ist nunmal ein notwendiges
Durchgangsstadium zur Abschaffung der Knappheit. So wie die
"Beschränkung des Zwanges" Voraussetzung für "Befreiung" ist.
Freiheit (im Sinne der Möglichkeit zu freier Entfaltung) ist mit
Knappheit genausowenig vereinbar, wie mit Zwang.

Wo Knappheit als "Gut" empfunden wird, ist es notwendigerweise
schmerzhaft, wenn sie (die Knappheit) beschränkt wird. So
z.B. wird auch die Inflation, wo die Knappheit des Geldes
verknappt wird, oder gar die Hyperinflation, wo die Knappheit des
Geldes _fast_ aufgehoben wird, als äußerst schmerzhaft
empfunden. Und zwar durchaus mit Grund: es gibt genügend Leute,
die von der Knappheit des Geldes leben und darunter leiden, wenn
diese eingeschränkt bzw. aufgehoben wird. Genauso wie genügend
Leute darunter leiden, wenn die Knappheit von Software aufgehoben
wird (Knappheit von Software ist hier im umfassenden Sinn
gemeint, einschließlich der Beschränkungen bezüglich ihrer
Anwendbarkeit usw.). Dennoch spricht witzigerweise keiner von
Verknappung der Geldknappheit. Warum nicht? Weil "Verknappung" im
Gebrauch negativ belegt ist, und weil in einer solchen
Formulierung also Geldknappheit implizit, aber für alle spürbar,
als "Gut" bezeichnet werden würde. Es möchte aber keiner der
Knappheitsideologen darauf aufmerksam machen, das Geldknappheit
gut ist. Bei der Knappheit von Software ist das ja noch
umstritten (also ich meine jetzt nicht hier).

P.S. Noch ein Detail zu Casimir: 

- Unter GPL bleibt der Programmierer von proprietärer SW von 
  der Nutzung ausgeschlossen.

Nein, das ist nicht richtig! Jede/r kann
GPL-Software nutzen, wie er/sie es will. Er/sie darf die so
kombinierte Software nur nicht vertreiben, sprich
verknappen. Das ist ein wichtiger Unterschied! 

Richtig. Danke. (und 'tschuljung!)

Gruß,
Casimir.

p.s. jetzt hoffe ich nur, daß ich Dich nicht --und auch nicht alle
anderen-- mit dieser Ausführlichkeit verprellt habe...
(Und wenn's ein anderer Grund wäre, würde ich das auch gerne wissen)
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT02890 Message: 10/17 L7 [In index]
Message 02953 [Homepage] [Navigation]