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[ox] Re: Zum Freiheitsbegriff



Hi all, hi Stefan,

whow, spannend!

Stefan Merten schrieb:
Freiheit "als solche" gibt es nicht, IMHO. Freiheit ist doch immer
"Freiheit von", und dieses "von" gilt es zu explizieren.

Das ist aber höchstens die halbe Wahrheit. Freiheit ist für mich vor
allem "Freiheit zu" etwas. Die "Freiheit von", das ist der Widerstand
- - halt nur die Antithese.

"Freiheit zu" kann ich mir nicht vorstellen.

Freiheit hat auch was mit Handlungsmöglichkeiten zu tun habe ich
gelernt. Die einfachste, die uns die Bürgerlichen immer als das
Maximum verticken wollen, ist die der Wahl zwischen äußeren Vorgaben.

Ja, genau.

Richtig spannend wird's aber, wenn die "Freiheit zu" sich mit den
Handlungsmöglichkeiten verbindet. Wenn wir aus einem Möglichkeitsraum
uns zu etwas verständigen können.

Ist also "Freiheit zu" = Handlungsmöglichkeit(en) haben? Das klingt
schon gut...

Da kommt dann auch die Verantwortung
hinein, die ich irgendwie immer mit drin sehe. Bei der "Freiheit von"
braucht es dagegen keine Verantwortung.

Zu dem Verantwortungsthema wollte ich auch noch mal was schreiben (auch
angeregt durch deine Vortragserfahrungen). Nach meinem Gefühl ist
"Verantwortung" nichts, was noch irgendwie "dazu kommen" muss, sondern
identischer Teil von Selbstentfaltung. Aber ich habs noch nicht klar.

Z.B. Free Software: Software, die nicht proprietär ist, über die kein
Proprietär (Eigentümer) exklusiv (andere auschliessend) verfügen kann.

Gerade bei Freier Software finde ich das Neue, die "Freiheit zu" viel
entscheidender als das "Freiheit von".

Gerade hier fällt mir aber auf, dass du immer das "frei von" findest,
wenn du nachhakst.

Z.B. Freie Menschen: Menschen in Verhältnissen, in denen sich Menschen
nicht (mehr) auf Kosten anderer durchsetzen.

Klar ist immer - auch wenn es nicht explizit genannt wird - welche
"Unfreiheit" jeweils mit der "Freiheit" gemeint ist, jedenfalls so
ungefähr.

Ja, ein Kennzeichen der Antithese :-} . Aber gut, das hatte ich so
klar auch noch nicht :-) .

Also mir kommt das zu schematisch vor: "Unfreiheit"=These, "Freiheit
von"=Anti-These, "Freiheit zu"=Synthese. Ich finde aber auch das
Schul-Schema für Dialektik These-Antithese-Synthese zu statisch. Darin
fehlt nämlich der ganze Aspekt der Entwicklung als Bewegung in
Widersprüchen, deren Widerspruchspole sind in der Bewegung ändern etc.

Das Schema mal genommen, ist mir nicht klar, was in der "Freiheit zu" da
aufgehoben (synthetisiert) wird. Es verschwindet das eine (die
Unfreiheit), was aber wieder genau dem "Freiheit von" entspricht. Es
handelt sich also nicht um eine Aufhebung (Synthese), sondern um die
Durchsetzung eines Pols.

Meine These;-) wäre also: Jedes "Freiheit zu" kann man reformulieren als
"Freiheit von".

An der Freien Software ist klasse, das sie nicht einfach nur gegen etwas
ist, sondern konkret das Neue (keimförmig) macht. Ich vermute, damit
assoziierst du das "Freiheit zu". Es gibt in der Dialektik die
Unterscheidung von einfacher und doppelter Negation. Das passt hier IMHO
viel besser als These-Antithese-Synthese. Die einfache oder unbestimmte
Negation ist die Ablehnung: Das will ich nicht. Da passen alle
Widerstandsbewegungen rein (Genua...). Die Negation der Negation oder
die doppelte Negation oder die bestimmte Negation (oder die Aufhebung)
ist das Überwindung der bloßen Ablehung durch Schaffen von Neuem
(wenigstens keimförmig): Das will ich (und mache es auch). Da passt die
Freie Software rein - und natürlich Oekonux.

Also anders formuliert: Auch die doppelte Negation ist eine "Freiheit
von", nur eben keine unbestimmte, sondern eine bestimmte. Der
Unterschied ist also nicht "von/zu", sondern "unbestimmt/bestimmt".
Meinen wir hier gar das Gleiche?

"Freiheit von" heute zu denken kann nicht heissen, "Freiheit von"
personaler Abhängigkeit zu denken, denn personale wie nichtpersonale
Abhängigkeiten sind überlagert von der allgemeinen Abhängigkeit von der
kybernetischen Wertverwurstung - genauer von der Notwendigkeit, vom
Zwang, daran mitzuwirken.

"Freiheit von" heute zu denken, kann nur bedeuten, Verhältnisse zu
denken, in denen die Bedienung der Wertverwertung aufhört Bedingung zu
sein für die individuelle Existenz.

Ja, die Antithese. Was wir aber brauchen, ist die Synthese.

Es ist dann schon die Synthese. Ich könnte es anders formulieren, mehr
in deinem Sinne: "Jeder Mensch kann seine individuelle Existenz
erhalten." - Aber hier müsste ich eigentlich ergänzen: "unabhängig von
Bedingungen" oder "bedingungslos". Und schon ist die "Freiheit von"
wieder drin.

Das sind dann auch Verhältnisse, in
denen niemand personal die Möglichkeit hat, andere von sich abhängig zu
machen.

Das würde ich auch tiefer hängen und den Begriff der Freiwilligkeit
aufwerfen wollen. Eine freiwillig eingegangene Abhängigkeit würde ich
nämlich nicht als Freiheitsbeschränkung begreifen wollen. Auch hier
scheint wieder die Spannung zwischen Freiheit und Bindung auf.

Auch eine freiwillig eingegangene Anhängigkeit ist eine freiwillig
eingegangene Freiheitseinschränkung. Das kannst du natürlich immer
machen, wenn es dir gefällt. Das geht dann von dir aus. Ich meinte aber
mit obigem Satz den "Abhängig-Macher": Den gibt es dann nicht mehr, denn
es gibt keine Zwangslagen, die dich dazu bringen, dich unfreiwillig in
die Abhängigkeit zu begeben (ich meine hier erstmal nur
gesellschaftlich-kooperative Beziehungen).

Die personale Freiheit ist also in der Freiheit von der
Wertverwertung als gesellschaftlichem Überlebensprinzip aufgehoben.

Eine völlige Bindungslosigkeit kann es aber nicht geben - schon wegen
der gesellschaftlichen Natur des Menschen nicht.

Ich stimme dir zu - aber mir ist nicht klar, wie du hier überhaupt auf
"Bindungslosigkeit" kommst und was das ist. Die Form der
Vergesellschaftung ist eine andere - meinst du das?

Entscheidend ist hier
wohl die Abwesenheit von Herrschaft und die Dominanz von
Freiwilligkeit.

Das ist aber kein "Add-on", sondern genuines Feature der
GPL-Gesellschaft;-)

Ciao,
Stefan

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