Message 03230 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT03104 Message: 42/43 L4 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] Re: Zum Freiheitsbegriff



Hi Stefan, andere MitthreaderInnen, alle!

3 days ago Stefan Meretz wrote:
whow, spannend!

Ja superspannend dieser Thread hier und mit superviel Tiefe und tollen
Beiträgen! Wieder mal ein echtes Highlight! Ich weiß gar nicht, worauf
ich zuerst was sagen soll. Ich mach's mal der Reihe nach.

Stefan Merten schrieb:
Freiheit "als solche" gibt es nicht, IMHO. Freiheit ist doch immer
"Freiheit von", und dieses "von" gilt es zu explizieren.

Das ist aber höchstens die halbe Wahrheit.
                          ^^^^^^^^^^^^^^^^^^

Das ist mir wichtig, das nochmal zu unterstreichen. Die "Freiheit von"
(äußeren und inneren Beschränkungen) ist schon auch ein Teil der
Wahrheit.

Richtig spannend wird's aber, wenn die "Freiheit zu" sich mit den
Handlungsmöglichkeiten verbindet. Wenn wir aus einem Möglichkeitsraum
uns zu etwas verständigen können.

Ist also "Freiheit zu" = Handlungsmöglichkeit(en) haben? Das klingt
schon gut...

Ja, in die Richtung habe ich mir das wohl gedacht. Wobei mir das reine
"Handlungsmöglichkeiten haben" noch irgendwie zu abstrakt ist. Das
klingt für mich zu sehr einfach nach einer Auswahl. Das meine ich aber
nicht nur. Gestaltungsmöglichkeiten wäre vielleicht noch ein wichtiges
Stichwort.

Da kommt dann auch die Verantwortung
hinein, die ich irgendwie immer mit drin sehe. Bei der "Freiheit von"
braucht es dagegen keine Verantwortung.

Zu dem Verantwortungsthema wollte ich auch noch mal was schreiben (auch
angeregt durch deine Vortragserfahrungen). Nach meinem Gefühl ist
"Verantwortung" nichts, was noch irgendwie "dazu kommen" muss, sondern
identischer Teil von Selbstentfaltung. Aber ich habs noch nicht klar.

Ja, in meinem Paper steht dazu auch kurz was drin. Demnächst in dieser
Liste. So langsam reift in meinem Kopf was ran, was rund wirkt.

Z.B. Free Software: Software, die nicht proprietär ist, über die kein
Proprietär (Eigentümer) exklusiv (andere auschliessend) verfügen kann.

Gerade bei Freier Software finde ich das Neue, die "Freiheit zu" viel
entscheidender als das "Freiheit von".

Gerade hier fällt mir aber auf, dass du immer das "frei von" findest,
wenn du nachhakst.

Ich würde das auch nicht als Widerspruch konstruieren. Das "frei von"
ist schon eine wichtige Voraussetzung - klar. Aber eben nicht alles.

Z.B. Freie Menschen: Menschen in Verhältnissen, in denen sich Menschen
nicht (mehr) auf Kosten anderer durchsetzen.

Klar ist immer - auch wenn es nicht explizit genannt wird - welche
"Unfreiheit" jeweils mit der "Freiheit" gemeint ist, jedenfalls so
ungefähr.

Ja, ein Kennzeichen der Antithese :-} . Aber gut, das hatte ich so
klar auch noch nicht :-) .

Also mir kommt das zu schematisch vor: "Unfreiheit"=These, "Freiheit
von"=Anti-These, "Freiheit zu"=Synthese.

Habe ich das gesagt? Ich hoffe nicht ;-) .

Meine These;-) wäre also: Jedes "Freiheit zu" kann man reformulieren als
"Freiheit von".

Das denke ich nicht.

An der Freien Software ist klasse, das sie nicht einfach nur gegen etwas
ist, sondern konkret das Neue (keimförmig) macht. Ich vermute, damit
assoziierst du das "Freiheit zu".

In die Richtung. Aber in deiner Formulierung steckt mir immer noch zu
viel Anti: "das sie nicht einfach nur gegen etwas ist, sondern" finde
ich nicht ganz treffend. Ok, der Stallman'sche Impuls war schon ein
Anti, aber m.E. ist die Freie Software darüber längst hinaus
gewachsen. Sie ist m.E. eine Bewegung für sich - sage ich jetzt mal so
- -, die sich eben nicht mehr durch ein Anti definiert, sondern durch
ein Pro.

Die Freie Software hat sich ein eigenes Terrain geschaffen, auf dem
sie unabhängig von irgendwelchen Gegenpolen existiert. Das schafft
erst den Raum für eine wirkliche "Freiheit zu"! Da ist - im Ideal -
kein Bezug mehr zu irgendwelchen Gegenpolen, sondern ein eigenes
selbständiges Voranschreiten.

Das Anti hat halt immer das Problem, daß es das Terrain des Bezugs
nicht verläßt. Ich sehe das immer bei antiklerikalen Leuten. Klar ist
eine Kritik an Kirche wichtig, aber wenn mensch sich darauf
einzuschießt, dann verläßt mensch dieses Terrain einfach nicht. Das
kannst du erst dann verlassen, wenn du weder Pro noch Kontra bist,
sondern einfach dein Ding machst. Vielleicht ist das für mich
"Freiheit zu".

Es gibt in der Dialektik die
Unterscheidung von einfacher und doppelter Negation. Das passt hier IMHO
viel besser als These-Antithese-Synthese. Die einfache oder unbestimmte
Negation ist die Ablehnung: Das will ich nicht. Da passen alle
Widerstandsbewegungen rein (Genua...). Die Negation der Negation oder
die doppelte Negation oder die bestimmte Negation (oder die Aufhebung)
ist das Überwindung der bloßen Ablehung durch Schaffen von Neuem
(wenigstens keimförmig): Das will ich (und mache es auch). Da passt die
Freie Software rein - und natürlich Oekonux.

Also anders formuliert: Auch die doppelte Negation ist eine "Freiheit
von", nur eben keine unbestimmte, sondern eine bestimmte. Der
Unterschied ist also nicht "von/zu", sondern "unbestimmt/bestimmt".
Meinen wir hier gar das Gleiche?

Uuh, die Negation der Negation. Sorry, aber für mich ist das am
ehesten wieder die Ausgangsthese - aber da kenne ich mich einfach zu
wenig aus :-( . Ich hatte andernthreads schon mal die Frage gestellt,
was das Gegenteil von Blau ist - und die wirklich erhellende Antwort
"nüchtern" bekommen. Das traf den Nagel auf den Kopf wie ich fand: Für
eine Negation in allen spannenden Fällen mußt du zumindest mal die
Achse angeben, auf der du negieren willst. Und damit wird's auch schon
wieder langweilig, denn alle interessanten Dinge haben so viele
Achsen, daß die unäre(!) Operation der Negation einfach nicht paßt.

"Freiheit von" heute zu denken kann nicht heissen, "Freiheit von"
personaler Abhängigkeit zu denken, denn personale wie nichtpersonale
Abhängigkeiten sind überlagert von der allgemeinen Abhängigkeit von der
kybernetischen Wertverwurstung - genauer von der Notwendigkeit, vom
Zwang, daran mitzuwirken.

"Freiheit von" heute zu denken, kann nur bedeuten, Verhältnisse zu
denken, in denen die Bedienung der Wertverwertung aufhört Bedingung zu
sein für die individuelle Existenz.

Ja, die Antithese. Was wir aber brauchen, ist die Synthese.

Es ist dann schon die Synthese. Ich könnte es anders formulieren, mehr
in deinem Sinne: "Jeder Mensch kann seine individuelle Existenz
erhalten." - Aber hier müsste ich eigentlich ergänzen: "unabhängig von
Bedingungen" oder "bedingungslos". Und schon ist die "Freiheit von"
wieder drin.

Ja gerade eben nicht bedingungslos! Das konstruiert einen Menschen im
leeren Raum und das ist bei einem so gesellschaftlichen Wesen -
wahrscheinlich bei überhaupt keinem Wesen - sinnvoll. Menschen sind
immer gesellschaftlich "bedingt" und somit nicht bedingungslos. Die
"Freiheit von" führt in letzter Konsequenz ins Nichts.

Das sind dann auch Verhältnisse, in
denen niemand personal die Möglichkeit hat, andere von sich abhängig zu
machen.

Das würde ich auch tiefer hängen und den Begriff der Freiwilligkeit
aufwerfen wollen. Eine freiwillig eingegangene Abhängigkeit würde ich
nämlich nicht als Freiheitsbeschränkung begreifen wollen. Auch hier
scheint wieder die Spannung zwischen Freiheit und Bindung auf.

Auch eine freiwillig eingegangene Anhängigkeit ist eine freiwillig
eingegangene Freiheitseinschränkung. Das kannst du natürlich immer
machen, wenn es dir gefällt. Das geht dann von dir aus. Ich meinte aber
mit obigem Satz den "Abhängig-Macher": Den gibt es dann nicht mehr, denn
es gibt keine Zwangslagen, die dich dazu bringen, dich unfreiwillig in
die Abhängigkeit zu begeben (ich meine hier erstmal nur
gesellschaftlich-kooperative Beziehungen).

Es gibt keine Zwangslagen mehr? Na, also so etwas kann ich mir
wirklich nicht vorstellen... Ok, wir können (und wollen denke ich) die
Machtmittel minimieren, mit denen Menschen andere in Zwangslagen
bringen können. Ganz abschaffen wirst du sie nicht können. Macht und
Zwang gehören zum Menschsein dazu. Wichtig wäre mir eine Gesellschaft,
die davon nicht dominiert ist sondern von Freiwilligkeit.

Die personale Freiheit ist also in der Freiheit von der
Wertverwertung als gesellschaftlichem Überlebensprinzip aufgehoben.

Eine völlige Bindungslosigkeit kann es aber nicht geben - schon wegen
der gesellschaftlichen Natur des Menschen nicht.

Ich stimme dir zu - aber mir ist nicht klar, wie du hier überhaupt auf
"Bindungslosigkeit" kommst und was das ist. Die Form der
Vergesellschaftung ist eine andere - meinst du das?

S.o.

--
  Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
  Internetredaktion
  Potsdamer Platz 10, 10785 Berlin

Hah, die Signatur ist schon neu :-) .


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT03104 Message: 42/43 L4 [In index]
Message 03230 [Homepage] [Navigation]