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Re: [ox] Re: Moral und anderer Schrott



Hallo,

Das "Gefangenendilemma" ist wohl eher als ein Erklaerungsmodell
gedacht, nicht als eine Kalkuel-Anleitung fuer Gefangene.  Es kann eher
dazu dienen, Vorhersagen ueber gesamtgesellschaftliche Entwicklungen zu
treffen als einzelnen darin Gefangenen bei ihrer Entscheidungsfindung
zu helfen.
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http://www.uni-heidelberg.de/institute/fak5/igm/g47/bauerins.htm

   Drei metaethische Theorien über die Begründbarkeit moralischer Werte
   von Axel W. Bauer, Heidelberg (1996)

1. Kognitivismus

Nach kognitivistischer Auffassung haben ethische Aussagen denselben Rang
wie solche Sätze, mit denen wir eine empirische Erkenntnis oder einen
logischen Schluß ausdrücken: Das Verfassungspostulat "Die Würde des
Menschen ist unantastbar" wäre nach dieser Theorie prinzipiell genauso
zu beurteilen wie die Feststellung "Die Augen der Katze sind grün" oder
der mathematische Satz "Die Winkelsumme im Dreieck beträgt 180 Grad".
Die kognitivistische Theorie hat zum einen den Vorteil, daß sie mit den
syntaktischen Regeln unserer Sprache ("Die Eigenschaft A des Objekts B
hat die Ausprägung C") übereinstimmt. Zum anderen korrespondiert der
ethische Kognitivismus sowohl mit dem klassischen
erkenntnistheoretischen Realismus als auch mit unserer Alltagserfahrung,
die wir gerne als den "gesunden Menschenverstand" bezeichnen. Die
Mehrheit der Philosophen von Platon über Aristoteles bis hin zu dem
englischen Neurealisten George Edward Moore (1873-1958) kann zu den
Vertretern kognitivistischer Positionen gerechnet werden, die in ihrer
Konsequenz zu einem ethischen Objektivismus führen. Der Inhalt
moralischer Aussagen ist danach entweder eindeutig wahr oder eindeutig
falsch, weil er mit moralischen Tatsachen übereinstimmt, die ihrerseits
in der äußeren Realität objektiv existieren.

2. Emotivismus

Für den Emotivisten - so z.B. für den schottischen Empiristen David Hume
(1711-1776) - gibt es keine objektiven moralischen Propositionen; nach
seiner Meinung beschreibt deshalb etwa der Satz "Die Würde des Menschen
ist unantastbar" keine kognitiv erfaßbare Realität, er ist vielmehr das
literarische Resümee eines subjektiven Gefühls, einer Emotion. Der
englische Philosoph Alfred Jules Ayer (geb. 1910), einer der führenden
Repräsentanten der Analytischen Philosophie des 20. Jahrhunderts, geht
noch einen Schritt weiter, wenn er bemerkt: "Es verdient erwähnt zu
werden, daß ethische Terme nicht nur dazu dienen, um Gefühle
auszudrücken. Sie werden auch verwendet, um Gefühle zu erwecken, und so
zum Handeln anzuregen". Sowohl der deskriptive Emotivismus bei Hume als
auch dessen moderne expressive Variante bei Ayer lassen nun allerdings
einen verbindlichen ethischen Diskurs beinahe aussichtslos erscheinen,
denn wenn moralische Propositionen stets nur subjektive und individuelle
Gefühle widerspiegeln, dann läßt sich über diese weder vernünftig
streiten noch aus ihnen gar eine allgemeingültige Bewertungs- oder
Handlungsnorm ableiten.

3. Institutionalismus

Einen gangbaren Weg aus den Sackgassen sowohl des Kognitivismus als auch
des Emotivismus verspricht schließlich der Institutionalismus, wie ihn
1969 der amerikanische Sprachphilosoph John Rogers Searle (geb. 1932) in
seinem Buch Sprechakte durch den Begriff der institutionellen Tatsache
eingeführt hat. Moralische Tatsachen sind demnach keine objektiven
physischen oder metaphysischen Realitäten, wie es der Kognitivismus
behauptet. Sie sind aber auch nicht bloß subjektive psychische
Phänomene, die andere Personen allenfalls zur Nachempfindung oder zur
Nachahmung anregen können. Moralische Tatsachen müssen vielmehr als von
Menschen historisch geschaffene soziale Institutionen angesehen werden,
die innerhalb einer Kultur- und Sprachgemeinschaft nach bestimmten
Regeln intersubjektiv konstituiert, stabilisiert, tradiert und
modifiziert werden. Diese Regeln folgen der Struktur "Y gilt als X im
Kontext der Gemeinschaft Z". Daraus folgt, daß die
institutionalistischen Regeln, nach denen sich moralische Werte
entwickeln, stets zugleich auch semantische Regeln sind: Dem Terminus
/Y/ wird durch sie die Bedeutung "X" im Kontext der Sprachgemeinschaft Z
zugeordnet. Da die zur Kommunikation benutzten Wörter einer Sprache
(d.h. die Menge aller /Y/) Symbole, also künstliche Zeichen sind, läßt
sich deren Assoziation mit konkreten Bedeutungen (d.h. der Menge aller
"X") als eine relativ flexible und im Lauf der Zeit veränderbare
Beziehung charakterisieren. Institutionelle Tatsachen sind so auf eine
bestimmte Art und Weise interpretierte reale Tatsachen, in ihnen gehen
Lebenswelt und Sprachwelt eine bestimmte normative Verbindung ein, die
indessen nicht unauflöslich ist. Institutionelle Tatsachen werden von
Menschen gemacht. Dabei kann die Frage durchaus offenbleiben, ob der
Anstoß zu einer Neuinterpretation bzw. Neukodierung von der Lebenswelt
oder von der Sprachwelt ausgeht. Vermutlich dürften hier zwischen beiden
Sphären sogar kybernetische Wechselwirkungen im Sinne der positiven oder
negativen Rückkopplung auftreten. Die moralischen Gefühle und
Überzeugungen des einzelnen Menschen sind nun normalerweise in den
überkommenen institutionellen Rahmen gut integriert. Sie sind also nicht
rein subjektiv, sondern durch Verinnerlichung konstitutiver Regeln der
Sprachgemeinschaft sozialisiert. Ethische Normen und Werte sollten daher
als dem historischen Wandel unterliegende Zeichen mit mittelfristigem
Prozeß- oder langfristigem Strukturcharakter behandelt werden.

Literatur:
Braucht die Medizin Werte? Gedanken über die methodologischen Probleme
einer "Bioethik". (Medizinethische Materialien des Bochumer Zentrums für
Medizinische Ethik, 106.) Bochum 1996. [32 S., 2 Abb., ISBN
3-927855-87-1]
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-- 
Salut
 _)oachim
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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