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Re: [ox] Der wilde Dschungel der Kooperation



Hallo Stefans und so...

On Sat, Oct 06, 2001 at 11:02:36PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Was ich bei dir lese,
hat mit dem Spehrschen Begriff der Freien Kooperation kaum noch was zu
tun. Das ist dein Begriff - dem ich mich natürlich sehr viel näher
fühle 

Wir alle hier interpretieren FK anders, das liegt ja nunmal in der Natur der
Sache. Für mich ist die Interpretation von Stefan Mz. allerdings sehr nah am
Text. Da zwischen einer "oekonux" FK und einer Spehr-FK zu unterscheiden
finde ich irgendwie einen unglücklichen devide-and-conquer-Angriff.

(um mal den Koalitionskreis zu schließen ;-) ).

Schön, dass der Kreis jetzt geschlossen ist, das deutet ja auf weitere
produktive Verständigungsmöglichkeiten hin.

Das ist aber nicht gerade neu. Im Anarchismus gibt's das an jeder
Ecke.

FK _ist_ Anarchismus ;-)

(18) Die Freie Kooperation beginnt hier und heute. Eine Kooperation muss
sich jetzt als besser erweisen, es muss sich in und mit ihr besser leben
als ohne sie, es muss sich »lohnen«: »Unter Gleichen definieren wir 'es
lohnt sich' als: 'Diese Kooperation ist besser für mich als wenn ich sie
nicht hätte'.

Und auch hier scheint das instrumentelle Verhältnis des atomisierten
Individuums durch: "Diese Kooperation nutzt je meinem Zweck." 

Ja und? Bei Oekonux dabei zu sein, ist besser, als wenn es Oekonux nicht
gäbe, weil es je meinen Interessen dient. Bei Linux mitzumischen, ist
besser, weil es genau je meine Interessen sind, die da verwirklicht werden.

Wo ist Dein Problem damit?

- "Und
wenn ich diese Kooperation ausbeuten könnte, würde sie mir noch mehr
nutzen." finde ich die ganz natürliche Ergänzung. 

Na, was ist daran natürlich? Sie auszunützen, würde bedeuten, sie von einer
Freien Kooperation in eine Erzwungene umzuwandeln, womit Du genau obiges
Prinzip torpedierst. FK _ist_ Selbstentfaltung nur etwas besser formuliert.

Das ist doch grad der Witz an Selbstentfaltung, dass es dabei um Interessen
geht und nicht um eine hehre Idee. Deine Kritik an FK entwickelt für mich
immer mehr einen idealistischen Kern.

Wie ich in meiner
Eingangskritik schon bemerkt hatte, unterscheidet sich die Spehrsche
Freie Kooperation (z.B.) in dieser Hinsicht nicht vom Liberalismus.

Unsinn. Liberalismus gibt offen zu, dass er auf erzwungenen Kooperationen
basiert.

Wir definieren 'es lohnt sich' <i>nicht</i> als: 'Diese
Kooperation lohnt sich, weil ich dir weniger gebe als du mir'« (S. 14).

Eine oekonuxige Sichtweise würde ich mir eher so vorstellen: Die
Kooperation macht mir Spaß. Da lebe ich einfach drin und tue was ich
für richtig halte. Wenn ich wenig gebe und viel bekomme ist das
genauso ok wie umgekehrt.

Solange es ok ist, ist es doch auch in Deinem Interesse. Also kein Grund zur
Aufregung. FK handelt von dem Fall, wenn es nicht Ok ist und davon wie ich
es herbeiführe, dass es ok wird.

Dennoch handelt es sich nicht einen »Tausch«, der etwa »gerecht« sein
solle. Darum geht es nicht.

Doch exakt darum geht es. Christoph kann sich aus diesem
Tauschkontinuum mit den logisch folgenden instrumentellen Beziehungen
nicht lösen - das ist wie angedeutet m.E. das fundamentale Problem.

Es geht nur darum, dass die Kooperation so
beschaffen ist, dass sich niemand auf je meine Kosten durchsetzt.

Das ist exakt die Definition von Gerechtigkeit, die Christoph mit dem
"vergleichbaren und vertretbaren Preis" sogar expliziert. Ich verweise
in diesem Zusammenhang nur auf eine Mail von Petra, die ich wegen
ihrer Knappheit hier komplett zitiere.

Nein, sein "gerecht" bedeutet nur, dass der Preis für jeden nach seiner
individuellen Bewertung vertretbar sein muss. Es ist kein abstrakter
liberaler Gerechtigkeitsbegriff. Christoph kritisiert diesen auch
ausführlich im ersten Teil.

Wie wahr das ist, daß Gerechtigkeit exakt mit dem Tausch von
Äquivalenten zusammenfällt, ist mir in den vergangenen zehn Monaten
immer klarer geworden.

Das stimmt für einen bürgerlichen abstrakten Gerechtigkeitsbegriff, aber
eben nicht für jeden denkbaren Gerechtigkeitsbegriff. Es kann doch nicht
darum gehen, immer wenn jemand "Gerechtigkeit" sagt, ihn darauf aufmerksam
zu machen, dass das Unsinn ist. Alltagssprachlich positiv besetzte Begriffe
haben meist auch irgendwo einen positiven Kern, diesen muss man freilegen
und nicht den Begriff wegschmeissen, wenn man ihn als bürgerlich-ideologisch
erkannt hat. Sonst kann man nämlich in letzter Konsequenz das Sprechen
einstellen.

(20) Die beiden Bewegungsmodi personaler kooperativer Zusammenschlüsse
lassen sich noch schärfer formulieren: Freie Kooperationen sind solche,
in denen die Entfaltung des Einzelnen die Entfaltung der Anderen
erfordert.

Wo liest du denn das bitte bei Christoph raus? Das ist die Meretzsche
oder meinetwegen Oekonux'sche Freie Kooperation.

Es steht doch sogar in einer seiner Kapitelüberschriften. FK heisst "to be
someone". Das genau ist auch der Kern von Selbstentfaltung.

Nochmal ein konkretes Beispiel: Ich hänge mich in diesen Laden hier
ziemlich rein. Ich will nicht mal überschlagen, wieviele Stunden ich
in dieses Projekt schon "investiert" habe. Ja genau: "investiert" ist
schon die falsche Sprechweise, weil es sich eben gerade *nicht* um
eine Investition handelt, von der ich mir eine Rendite erwarte. Auch
wenn ich die natürlich durch euch alle so etwas wie eine
Erkenntnisrendite kriege, so ist das aber weder etwas, was a priori zu
erwarten war, noch etwas *weswegen* ich das hier mache. Ich mache es,
weil es *für mich* wichtig ist. Weil es mir was bringt - nix sonst -
kein Deal.

So. Wenn ich nach dem obigen Diktum vorgehen würde, dann könnte ich
diese Kooperation hier gar nicht mehr verlassen, weil ich die nicht
ohne Beschädigung verlassen kann. Das hat so tief mit mir zu tun, daß
ich das aus mir rausreißen müßte und erhebliche Teile meines Selbst
unwiederbringlich verloren wären. Und glaubt mir: Ich weiß wovon ich
rede, weil ich das vor ein paar Jahren in ähnlichem Zusammenhang schon
mal tun mußte :-( .

Jetzt mal die Regeln der Spehrschen Freien Kooperation angewandt.
Einfaches und naheliegendes Beispiel wäre, daß es auf der Liste hier
Entwicklungen gibt, die mir (d.h. meinem Partialinteresse) nicht
entsprechen. Nach Spehrschen Regeln müßte ich mich jetzt hinstellen
und erklären: "Entweder ihr macht das jetzt soundso oder sagt dieses
oder jenes nicht mehr, oder ich verweigere meine Kooperation mit der
Liste." Das ist doch an sich schon kindisch - d.h. mit Mitteln, die
ein Kind zur Verfügung hat, die aber deutlich hinter denen
zurückbleiben, die einE ErwachseneR zur Verfügung haben kann.

Aber angenommen, ich kann mich mit der angedeuteten Erpressung nicht
durchsetzen. Dann müßte ich mich trennen und einen Scheidungspreis
verlangen - immerhin habe ich ja deutlich investiert (im Rahmen der
Spehrschen Freien Kooperation dann ja ohne Anführungszeichen). Ja, was
könnte denn das sein? Vielleicht das ich die Bezeichnung "Oekonux"
mitnehme und hinfort den Rest verklage, wenn sie sie verwenden? Oder
alle meine Mails aus dem Archiv entfernen? Oder einen Geldbetrag für
die investierte Zeit fordern? Ihr merkt schon: Das ist einfach absurd.

Und wir glaubt ihr, müßte ich mich unter solchen Bedingungen *schon
vor dem Knall* verhalten? Ich meine, immerhin kann das ja jedeR
jederzeit tun. Und jedeR kann jederzeit einen beliebigen
Scheidungspreis fordern - es gibt ja keine sakrosankten Regeln. Glaubt
irgendwer im Ernst, daß wir unter diesen Faustrechtsbedingungen das
Klima entwickeln könnten, daß wir hier haben?

Ich hab das mal in all seiner Länge stehen lassen, weil ich das ein schönes
Beispiel finde und vor allem eines, das wir alle kennen, so dass es sich
vielleicht wirklich lohnen könnte, das mal näher zu beleuchten. Und
vielleicht lernen wir dabei ja genausoviel über Ox wie über FK. 

Ein paar Anmerkungen dazu:

- Es gibt keine perfekte FK. Sie ist nur ein Prozeß. Notwendig ist also auch
Oekonux nicht perfekt und es wäre sogar sehr verwunderlich, wenn man nicht
auch hier Elemente erzwungener Kooperation finden würde. Wertkritisch kann
man das auch formulieren als das es nicht verwundert, dass wir hier alle mit
unserer verkorksten Wertsubjektivität nicht immer alle frei und gleich
miteinander umgehen.

- Wenn Du oben schreibst, dass Du diese Kooperation nicht ohne
Beschädigungen verlassen kannst... Macht Dich das nicht vielleicht auch
nachdenklich, dass hier irgendwas falsch laufen könnte? Ist das nicht wie
bei einer Beziehung, von der man sich abhängig macht? Ist das nicht, wie bei
einer Partei, die auf einmal weiter existieren muß unabhängig von ihren
Inhalten. Ist das nicht genau ein Element, dass Dich an Deiner
Selbstentfaltung hindert?

- Als Du die Vereinsgründung forcieren wolltest, hast Du genau das gemacht,
was Du verdammst: Du hast damit gedroht Deine Kooperationsleistung
einzuschränken (in dem Du gesagt hast, das das übrige Geld sonst das
Finanzamt kriegt). 

- Offene Prozesse, wie Oekonux und Freie Software haben einen gewaltigen
Vorteil darin, dass sie einen sehr großen Teil des Scheidungspreises immer
schon allen zur Verfügung stellen können, eben gerade dadurch, dass das
Ergebnis der Arbeit sowieso schon immer allen auch außerhalb der Kooperation
zur Verfügung steht und somit das Hauptergebnis der Kooperation schon immer
beim Scheidungsfall garnicht verhandelt werden muß. Immaterielle
Kopierbarkeit erleichtert dieses Verfahren enorm.

Der letzte Punkt ist übrigens etwas, wo Ox und FK vielleicht wirklich _sehr_
produktiv ins Gespräch kommen können. Das ist nämlich eine Antwort auf die
Frage, wie man die von Dir vielfach befürchteten Verwerfungen im
Scheidungsfall minimieren kann. Und genau in diesem Sinn hab ich auch Stefan
Mz. Ausführungen verstanden.

Die Tatsache des »hinter-dem-Rücken-Durchsetzens«
muss als Ganzes zur Disposition gestellt werden.

Genau. Und die Grundlagen der Macht müssen als Ganzes zur Disposition
gestellt werden. Genau das leistet die Spehrsche Freie Kooperation
nicht, sondern bringt nur eine neue, leicht durchschau- und
widerlegbare Trickkiste.

Nicht die Grundlagen der Macht, sondern der Herrschaft müssen zur
Disposition gestellt werden. Vielleicht liegt ja darin auch ein Teil Deines
Problems. Im Alienbuch definiert Christoph Herrschaft als Dominanz plus
Ausbeutung. Also eine Form von bestandhabender asymmetrischer Macht. Macht
an sich ist erst mal nix schlechtes. Auch in perfekter Kooperation (sowohl
in Deinem als auch in Spehrs Sinne) haben Menschen Macht über andere
Menschen. Das macht ja gerade die Kooperation aus. Man verfügt über Arbeit
und Natur anderer. Das Problem tritt erst auf, wenn es dauerhaft immer die
Selben sind (Nein - nicht personal gedacht), die Ausbeuten.

Eins ist für mich klar: Eine Freie Gesellschaft muß auf der Grundlage
von Überfluß stattfinden. D.h. die existentielle Absicherung für jeden
einzelnen Menschen muß a priori gegeben sein.

Hoppla. Im Umkehrschluß ist also eine Unfreie Gesellschaft in Zeiten des
Mangels erlaubt oder gar nötig? Und: Welche Gesellschaft vor der freien
Gesellschaft sorgt denn dann für die existentielle Absicherung?

Grüße, Benni
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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