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Re: [ox] WOS2 -- Wohlstand



Hi Gregor et al.,

Gregor Zeitlinger wrote:

> On Tue, 16 Oct 2001, Robert Gehring wrote:
>>Ich würde da vorsichtiger sein und eher von mehr Effizienz statt von
>>mehr Wohlstand sprechen. Es kommt für das Mehr an Wohlstand m.E.
>>darauf an, aus diesen Effizienzgewinnen ("weniger Aufwand" = höhere
>>Effizienz) etwas zu machen, was zu Wohlstand führt.
>>
> Ja Effizienz trifft es technisch besser. Auf der Veranstaltung hatte
> ich ja auch an das Wort "prosperity" gedacht, was subjektiv bei mir
> mehr positive Assozationen auslöste als "efficiency". Im Grunde meinen
> wir doch aber das gleiche.

Effizienz ist ein Leerwort. Effizienz wird gerade in Afghanistan
praktiziert. Effizienz wofür und worin? Ökonomische Effizienz ist
tödlich, irgendwann. Effiziente Produktion kann sinnvoll sein - in einer
GPL-Gesellschaft z.B.

>>Eine reine ökonomische Betrachtung hat nun mal ihre Tücken, wenn es
>>es um Bereiche jenseits des Quantifizierbaren und Operablen geht.
>>
> Es ist ist ein weit verbreittes Vorurteil, daß ökonomisch gleich
> kaptialistsich heißt.

Nach meinem Eindruck ist eher das Gegenteil der Fall: Es ist ein weit
verbreitetes Vorurteil, dass ökonomisch ein neutraler Begriff sei im
Sinne einer "Aufwands-Ergebnis-Betrachtung".

In Wahrheit ist es ein hochgradig ideologischer Begriff, der
verschleiert, dass "Ökonomie" eine aus der Lebenssphäre herausgelöste
Sondersphäre der selbstzweckhaften Vermehrung von Wert ist. Diese
erscheint uns so "normal", ist uns so sehr zur "zweiten Natur" geworden,
dass Ideologen ohne grosse Anstrengung behaupten können: Ökonomie, guckt
euch doch um, ist etwas Normales, nein, mehr noch: Es ist etwas Natürliches.

> Ökonomisch heißt aber nun mal eine wirtschaftleiche
> Betrachtung nach verschiedenen Gesichtspunkten.

Ökonomisch mit wirtschaftlich zu erklären ist und vice versa ist
irgendwie tautologisch. Aber das ist Ökonomie ja auch: Sie bezieht sich
nur auf sich selbst.

> Vielleicht meintest du mit
> reiner ökonomischer Betrachtung eher reine Gewinnmaximierung oder so
> ähnlich.

Gibt es eine unreine ökonomische Betrachtung?

> Aber um zu deinem Beispiel zurückzukommen. Eine Unfallvermeidung
> um jeden Preis wäre tatsächlich aus ökonomischen=moralischen Gründen
> nicht effizient. Wenn wir davon ausgehen das die Vermeidungskosten
> pro unfall exponentiell Wachsen kommt man irgendwann zu einem Punkt,
> an dem die Unfallvermeidungskosten höher sind als für den gleichen
> (oder ähnlichen) Wohlfahrsteffekt anderswo (z.B. könnten Menschen
> anderswo auf der Welt ernährt werden, die sonst verhungern müßten.)
> So wird vielleicht klar, warum es nicht eine ökonomische und eine
> moralische Sichtweise gibt, sondern nur moralische Grundvorstellungen
> in ökonomischen Betrachtungen. Als Globalökonom versuche ich, den
> globlaen Wohlstand zu optimieren. D.h. z.B. daß die marginalen Kosten
> für ein gerettetes Menschenleben überall auf der Welt gleich sein
> sollten (die Annahme das jedes Menschenleben genausoviel wert ist,
> fließt hier ein). Wenn dies nicht erfüllt ist, heißt das nämlich im
> Umkehrschluß, daß für manche Menschen mehr investiert wird,
> sie also implizit mehr wert sind. Das dies der Fall ist, zeit die
> verbreitete Doppelmoral.

Wie sehr herausgelöst und verselbstständigt Ökonomie und derartiges
Denken ist, zeigst du in diesem Absatz. Die Ökonomie ist gegenüber dem
Menschen "neutral", sie hat mit ihm eigentlich nichts zu tun, denn in
der Ökonomie handelt und leidet der Mensch nicht als Mensch, sondern nur
als ein Aggregatzustand von Wert (aka Kostenfaktor).

Hier wird übrigens auch wunderbar deutlich, warum "Moral" für die
Wertvergesellschaftung konstitutiv ist: Würde man der Ökonomie nicht
reinpfuschen, würde sie sich zu schnell selbst umbringen. Siehe unser
früherer Moralthread - da müsstest du ins Archiv gucken.

Wir konnten auf der WOS nicht lange diskutieren. Ich wollte dir in Kürze
nur rüberbringen, dass meine primäre Kritik nicht eine an der
Verwerflichkeit der Ausbeutung, den bösen Kapitalisten, der
Gewinnmaximierung, der ungerechten Verteilung etc. ist. Sondern sie
richtet sich gegen den verselbstständigten Zusammenhang der stets auf
erweitertem Niveau zu wiederholenden Wertproduktion, in der "Menschen"
nicht vorkommen, sondern nur Funktionäre der Aufrechterhaltung der
Selbstzwecklogik und Aggregatzustände von Wert. Wenn du so willst,
richtet sie sich gegen den Terror der Ökonomie, also gegen "das
Ökonomische" an sich. Evtl. reichlich unverständlich für dich, weil ich
dir das in deinen Kategorien gar nicht erklären kann: Es ist eine
kategoriale Kritik.

Ciao,
Stefan

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