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Re: [ox] On Conflict and Consensus



Hi Stefan und Listige,

ich schmeisse mal fast alle FK-Angriffe raus, weil es mir hier um die
Konsensverfahren geht. Zur FK sage ich also hier nix, FK benutze ich nur
so als Spiegel für die Konsensverfahren.

Stefan Merten wrote:

>>Heute finde ich den Text nicht mehr so spannend. Mir ist nicht klar,
>>in welcher Weise ihn du als alternativ zur FK setzt. Ich habe dich
>>jedenfalls so verstanden: Die FK produziert "Krieg", dabei gibt es
>>doch Konsens-Verfahren - so etwa?
>
> Ja, so etwa.
>
> Vielleicht ist das ein bißchen Äpfel mit Birnen verglichen - weil die
> Freie Kooperation ja nichts über günstige Vorgehensweisen *innerhalb*
> einer Kooperation sagt, während Konsens*verfahren* sich in erster
> Linie darauf beziehen. Allerdings meine ich ja, daß die Drohungen, die
> die Freie Kooperation ans Ende einer solchen Kooperation setzt, bzw.
> das ganze Verhalten daß die Freie Kooperation nahelegt, zu ungünstigen
> Vorgehensweisen führt.

Zu diesem Schluss kann ich genauso beim Konsensverfahren kommen - ich
muss mir nur entsprechende Szenarien ausdenken.

> Vielleicht so: Die Freie Kooperation konstruiert die Menschen als
> (Geld-)Monaden indem sie über den Scheidungspreis die Teilbarkeit und
> die Zurechenbarkeit unabdingbar macht. Durch das individuelle
> Verpissen bei gleichzeitiger Androhung der Zerstörung der Kooperation
> wird das Partialinteresse der Menschen gefördert. Ja, wer in der
> Freien Kooperation nicht auf die eine oder andere Weise seine
> Schäfchen ins Trockene bringt, ist jederzeit existentiell bedroht.
> Dies sagt sie natürlich nicht explizit, aber das ist das Ergebnis, auf
> das du nun wirklich nicht viele Gedanken verwenden mußt.

Das ist so ein Szenario. Das hat aber IMHO mit der FK-Theorie nicht viel
zu tun, sondern mit der allgegenwärtigen Vergesellschaftungslogik.
Dieses unhinterfragte Dritte, diese Kritik teile ich, wird von der FK
nicht gesehen. Aber eben auch nicht von den Konsensverfahren.

> Konsensverfahren beschreiben dagegen, wie es gelingen kann, einen
> kollektiven Prozeß in Gang zu setzen, bei dem sowohl die Freiheit der
> Individuen als auch die Freiheit des Kollektivs maximal ermöglicht
> sind. Entscheidende Größe dafür ist nach meinem Empfinden die
> Wahrnehmung von Verantwortlichkeit der beiden Entitäten.
>
> Das hat viel mit Freiheit und mit Selbstentfaltung zu tun.
> Verantwortung hört sich für Leute, die in der Trotzphase stecken
> geblieben sind, aber nicht so schrecklich attraktiv an :-( . Und es
> hat auch was mit (freiwilliger) Bindung zu tun - noch etwas, was für
> Frei-Kooperative sakrosankt ist.

Die freiwillige Verantwortung, auf die du schon öfter rekurriert hast,
hat in deiner Argumentation die Stellung des "Rausgehen-Könnens" in der
FK. Es ist sozusagen die andere Seite der Münze (sic!;-)). Freiwillige
Bindung und Verantwortung sind doch genau die gleichen
kritisierenswerten leeren Bezugnahmen auf eben das unsichtbare Dritte
(das real-abstrakte "Sollen").

Stell dir das Konsensverfahren in einer Alternativklitsche vor. Alle
sind wild entschlossen, die Regel des Konsensverfahren anzuwenden und
eine entsprechende Kultur zu befördern. Alle wollen einen "kollektiven
Prozeß in Gang ... setzen, bei dem sowohl die Freiheit der Individuen
als auch die Freiheit des Kollektivs maximal ermöglicht" wird. Das ist
bestimmt tausendfach, na ja, sagen wir: hundertfach, passiert. Nun ist
da aber leider, leider der Markt. Der diktiert die Preise, na und so
weiter. Jetzt darf das Kollektiv konsensuell und verantwortungsvoll
beschliessen, dass es leider, leider auf Mitarbeiter verzichten muss.
Oder eben alle auf Knete. Usw. - Das meine ich mit inhaltlich "neutral".

> Verantwortung kommt bei der Freien Kooperation indirekt nur insofern
> vor, als daß die Monade im eigenen Interesse ihren Partialinteressen
> maximal nachgehen sollte. Kollektive Verantwortung bleibt der Monade
> fremd und sobald das Kosten-Nutzen-Kalkül in die negative Richtung
> ausschlägt, ist die Monade zu Gewalteinsatz berechtigt wenn nicht
> sogar aufgerufen. Dies unterscheidet sich vom liberalen Modell nur
> dadurch, daß im Liberalismus der Staat als letzte Grenze der
> Partialinteressen konstruiert wird. In einer Gesellschaft, in der der
> Krieg aller gegen alle Programm ist, halte ich das nach wie vor für
> eine Notwendigkeit - ja, mit sakrosankten Regeln. (BTW: *Wirklich*
> sakrosankt sind nur die Naturgesetze. Alles andere kann und wird
> verändert - halt nicht völlig spontan jederzeit, überall und völlig
> willkürlich.)

Mir kommt es so vor, als ob die "kollektive Verantwortung" hier als
Gegenbegriff zu "Partialinteresse" verwendest. Die
Wertvergesellschaftung kennt aber kollektive Verantwortung nur als
"gemeinsame Partialinteressen". Das sind die berühmten sog.
Win-Win-Konstellationen, bei denen das Loose-Ende einfach unterschlagen
wird.

Ich teile ja deine Befürchtungen. Keine organisatorischen Tricks
garantieren irgendwas. Das gilt für FK wie für die Konsenskiste.

>>Meine Beobachtung ist: Solche Verfahren retten die jeweiligen
>>Kooperationen ggf. vor dem Absaufen oder Zusammenbrechen (habe ich
>>live in über zweijähriger Arbeit, ja Arbeit, in meiner Abteilung
>>erlebt); die tägliche Arbeit wird gut unterstützt; mit einem
>>bestimmten Toolset in der Hand klappen bestimmte Prozesse einfach
>>besser. Unbestritten.
>
> Na ja, purer Technikeinsatz ist halt immer so eine Sache. Wenn der
> dahinterliegende Geist nicht mit eingesetzt wird, dann nutzt die beste
> Technik nur begrenzt was - jedenfalls bei sozialen Systemen.

Uhh, der Geist. Der steht im Zweifel auf der Seite des Wertfetischs.

>>Aber sie klappen nicht wirklich gut. Meine These ist: Sie klappen nur
>>weniger schlecht. Damit sind wir oft schon ganz zufrieden: Wenn die
>>Leute das, was sie tun sollen, damit weniger widerwillig und weniger
>>"unkooperativ" auch tun, werden die Moderatoren (so hiessen sie bei
>>HBV), die das Glück (die Technik) bringen, sehr verehrt.
>
> Technik kann emanzipative Prozesse begünstigen oder behindern -
> deswegen ist das nicht beliebig und deswegen meine Kritik an der
> Freien Kooperation. Aber die Technik alleine macht's nicht - weder bei
> Konsensverfahren noch bei der Freien Kooperation. In beiden Fällen
> sind leicht Szenarien denkbar, in denen die Techniken funktionieren
> bzw. nicht funktionieren - das geht immer. Entscheidend ist die Frage,
> welche Dynamiken begünstigt werden.

Ok, da sind wie einer Meinung.

> Und da bin ich immer noch der (erfahrungsgestützten) Meinung,
> daß Konsensverfahren *wesentlich* mehr zu bieten haben.

Gut, prima, die eigenen Erfahrungen sind wichtig. Aber erkläre deine
Erfahrungen nicht zum ultimativen Massstab.

Ich habe andere Erfahrungen gemacht: Konsensverfahren als sehr coole
Mittel, um seine Partialinteressen besonders raffiniert durchzusetzen
und gleichzeitig jede offene Auseinandersetzung zu verhindern.

>>Mein Problem ist aber das "sollen". Das wird nicht hinterfragt.
>
> Konsensverfahren sind ein Angebot, das wahrgenommen werden kann -
> ähnlich wie Freie Software. Das "soll" nicht.

Das verstehe ich nicht. Ich meinte mit dem "Sollen" die Zwangslogiken
der allgegenwärtigen Vergesellschaftungsstrukturen.

> Wenn du dich auf ein solche Technik einläßt, dann solltest du
> allerdings im eigenen Interesse wenigstens am Anfang versuchen, die
> Empfehlungen zu berücksichtigen, zu denen die Erfahrungen vieler Leute
> geronnen sind. Wenn du eigene Erfahrung hast und ein Gefühl für den
> Prozeß, dann kannst, ja solltest du nach meiner Erfahrung natürlich
> Anpassungen vornehmen. Solche Dinge kommen ja auch immer sehr auf die
> Gegebenheiten wie z.B. die Zusammensetzung der Gruppe und deren
> Erfahrungsstand an.

Das ist klar.

>>Von der
>>Konsensmethode nicht und von der FK eigentlich nur formal (keine
>>sakrosankten Regeln - immerhin, finde ich nämlich richtig).
>>
>>Viele (nicht alle) deiner Kritikpunkte zur "Freien Kooperation"
>>treffen IMHO eher oder stärker auf das Konsensverfahren zu. Mal so
>>aus dem Kopf, was mir von der Diskussion in Berlin im Kopf hängen
>>blieb:
>>- es ist formal (heisst ja auch so) und sieht vollständig von Inhalt
>>ab
>
> Nicht wirklich. Konsens als Entscheidungsmittel aber auch als
> kooperativer Prozeß *ist* bereits ein Inhalt: Wie gestalte ich meine
> sozialen Beziehungen und wie gehe ich mit Konflikten um.

Hm, naja, sie ist insofern Inhalt als sie ihn eben nicht thematisiert
und damit (wie die FK) über das "Selbstverständliche" und
"Verantwortungsvolle" (s.o.) dann hinterrücks reingedrückt bekommt.
Verantwortung ist dann eben die Verantwortung für die Verwertung.

Seine sozialen Beziehungen danach umzugestalten, heisst noch nix. Du
verbindest damit etwas Bestimmtes, z.B. etwas jenseits von Wert und
Markt. Aber der/die Alternativklitschige verbindet damit etwas ganz
anderes. Der/die nutzt die Konsenskiste für seine/ihre Durchsetzung, s.o.

>>- es hat das isolierte bürgerliche Individuum zur Grundlage
>
> Woraus schließt du das?

Es hat wie FK keinen Begriff von der gesellschaftlichen Natur des
Menschen. Individuum und Kollektiv erscheinen deswegen stets als
logische Gegensätze (s.u.), was aus der Annahme des (apriori
ungesellschaftlichen) bürgerlichen Individuums resultiert.

>>- es ist ein Schönwetterverfahren, was aber, wenn es kracht
>
> Darüber gehen doch Konsensverfahren überhaupt: Wie kann ich möglichst
> gewaltarm (und d.h. für mich: emanzipatorisch) mit Konflikten umgehen.
> Verstehe ich nicht diesen Einwand.

Ich verstehe nicht, was du nicht verstehst. Es geht nicht um Konflikte
jenseits des Konsensprozesses, sondern nur innerhalb.

>>- was ist, wenn die Herrschenden, die Tools nutzen (und das tun sie)
>
> Die richtigen Dynamiken werden auch dann in Gang gesetzt und Leute
> können für sich eine positive Erfahrung machen, die sie in
> selbstentfaltete Prozesse einbringen können. Und wenn du *wirklich*
> Konsensverfahren im Betrieb benutzt, dann kommen da schon auch andere
> - - und bessere! - Ergebnisse raus als im Kommandoverfahren. Sowohl im
> Produkt als auch in den Köpfen. Wir sollten froh sein, daß die
> Herrschenden uns den Gefallen tun, und in ihrem Herrschaftsbereich mit
> diesem - für sie - Feuer spielen.

Also, das finde ich sehr übertrieben - das klingt wie der Optimismus der
frühen Achtziger Jahre als viele dachten, dass die Kapitalisten sich mit
den neuen flachen Hierarchien etc. einen antikapitalistischen Floh ins
Ohr setzen. Es ist kein "Feuer", es kann als ein nettes, elegantes
Kollektiv-Formierungsverfahren im harten Wettbewerb genutzt werden. Ich
bin ja trotzdem dafür, lieber das als z.B. dysfunktionale Hierarchien
einzusetzen - nur bitte keine Illusionen.

> Aber wie gesagt: Klappt alles nur wirklich gut, wenn der Geist
> mitkommt. Wenn das von außen (d.h.: Geschäftsleitung) aufgedrückt
> wird, dann sind das natürlich keine guten Voraussetzungen, denn auch
> die MitarbeiterInnen müssen das ja erstmal für sich als positiv
> erkennen - was schon wegen der Verantwortungsdinge für viele nicht
> einfach ist.

Die Verantwortung für die Verwertung nur immer mehr selbst zu
übernehmen, die eigene Selbstverwertung mehr und mehr selbst zu
organisieren, ist in der Tat für viele nicht einfach. Deswegen springen
hier nur allzuoft die Gewerkschaften bei, die dem "doofen" Management
beibringen "müssen", wie man solche Prozesse richtig zu organisieren
hat, weil sonst doch die Akzeptanz flöten geht. Richtig stolz auf diese
Leistung waren die Betriebsräte, die mir das erzählten, so richtig mit
dem Pathos der "historischen Mission". Ich dachte, ich bin im falschen
Film...

>>>Autocracy can work, but the idea of a benevolent dictator is just a
>>>dream. We believe that it is inherently better to involve every
>>>person who is affected by the decision in the decisionmaking process.
>>>
>>Interessanterweise wird ja für die FS oft von "gütigem Diktator"
>>gesprochen. Und der steht dort ja überhaupt nicht im Gegensatz zum
>>Einbringen eines jeden in den Prozess.
>
> Momang. Dort steht "involve every person who is affected by the
> decision in the *decisionmaking process*". Das ist nicht dasselbe wie
> sich allgemein in einen Prozeß einbringen.

Schon klar. Der Gegensatz, der im Zitat formuliert ist, besteht trotzdem
nicht.

> Allerdings wird einE gütigeR DiktatorIn das implizit tun - jedenfalls
> in der Freien Software. Schlicht weil ihr sonst die Leute weglaufen.

Witzig, du denkst gerade fk-logisch. Nur btw;-)

> Wahrscheinlich muß jede Führungsaufgabe, die nicht mit Machtmitteln
> über die Personen ausgestattet ist, so funktionieren.

Das macht schon Sinn. Eine breit getragene Entscheidung ist ja auch eine
wichtige Unterstützung und Bestätigung für den Maintainer. Aber was es
nicht geben muss, ist sowas wie ein Demokratiefetisch: Wenn die
Interessen tendenziell kongruent sind, dann kann ich auf Mitentscheidung
auch verzichten. Ich kann mich entspannen und vertrauen.

>>Das können wir mit Selbstentfaltung inzwischen viel besser denken:
>>nicht "Diktator" vs. "Beteiligung" als formalem Gegensatz, sondern
>>Entfaltung eines jeden Einzelnen - unabhängig von der Position.
>
> Das liegt m.E. nochmal quer zu obigem.

Nö, darum geht's IMHO.

>>>In joining a group, one accepts a personal responsibility to behave
>>>with respect, good will, and honesty. Each one is expected to
>>>recognize that the group's needs have a certain priority over the
>>>desires of the individual. Many people participate in group work in a
>>>very egocentric way. It is important to accept the shared
>>>responsibility for helping to find solutions to other's concerns.
>>>
>>Das ist so ein ähnlicher Punkt. Wieso sollen die Gruppenbedürfnisse
>>Priorität gegenüber den Wünschen des Einzelnen haben?
>
> Da steht "certain priority" - d.h. also nicht unbeschränkt.

Natürlich nicht unbeschränkt, das habe ich auch nicht geschrieben. Aber:
warum überhaupt?

> Das hat aus meiner Sicht wieder was mit Verantwortung zu tun: Die
> Gruppe hat Verantwortung dafür, die Interessen (Nein, nicht:
> Partialinteressen. Sage ich mal so.) der Einzelnen zu berücksichtigen,
> gleichzeitig haben die Einzelnen eine Verantwortung, die Interessen
> der Gruppe zu berücksichtigen.
>
> Die Freie Kooperation und du sagen: Jedes Partialinteresse hat vor den
> Gruppeninteressen zu kommen. Das haben wir aber schon - mit der
> Eingrenzung des bürgerlichen Staats.

Also bitte, das sage ich nicht, und du weisst es ganz genau:-(

>>Das ist eine
>>Soll-Forderung, ein moralisches Apriori letztlich (wovon ich
>>bekanntlich Ausschlag bekomme;-)), was auf dem Denken basiert: wenn
>>der Einzelne sich zu wichtig nimmt (egocentric way), dann geht das
>>auf Kosten der Gruppe.
>
> Das hat nichts mit sich-zu-wichtig-nehmen zu tun. Ich weiß gar nicht,
> ob das in einem emanzipatorischen Prozeß überhaupt geht. Allerdings
> ein anderes Sich-wichtig-nehmen als Partialinteressen verfolgen.
>
> Ich lese das so, daß Störungen unterbleiben bzw. als Konflikt
> behandelt werden sollen. Und das finde ich richtig.

Na, dann haben wir hier auch ein Lesartenunterschied.

>>Das ist eine unbesehene Übernahme des Partialinteressen-Settings
>>(Sich-behaupten geht nur auf Kosten anderer), dass die
>>Verwertungsgesellschaft als "unsichtbares Drittes" setzt.
>>
>>Dass Selbstentfaltung geradezu das Gegenteil bedeutet, dass in einem
>>Setting, in dem die Entfaltung des Einzelnen die Vorausetzung für die
>>Entfaltung aller ist, der "egozentrische Weg" der Königweg ist, ist
>>damit nicht denkbar.
>
> Ich denke nicht, daß der "egozentrische Weg" der emanzipatorische
> Königsweg sein kann. Egozentrik setzt das eigene Partialinteressen-Ego
> in den Mittelpunkt. Das ist aber nicht, woran ich denke, wenn ich von
> Selbstentfaltung spreche. Die denke ich immer auch eingebettet. Da
> fehlt mir/uns wohl eine richtige Bezeichnung für.

Die Konsenstheorie hat keinen Begriff von Allgemein- und
Partialinteressen. Für sie gibt es nur Partialinteressen. Deswegen ist
jede Egozentrik stets nur denkbar als Partialinteresse. Wir aber wissen:
Bei der Art von Egozentrik, die wir Selbstentfaltung nennen, geht die
Entfaltung gerade ja nicht auf Kosten anderer. Deswegen ist IMHO der
hier aufgemachte Gegensatz von Individuum und Kollektiv stets eine
Widerspiegelung der bürgerlichen Gesellschaft. Denn in der ist
Allgemeininteresse nun mal nicht denkbar.

>>Unsere Schwierigkeit und Herausforderung besteht doch darin, wie wir
>>damit umgehen, dass wir immerhin mit dem Begriff Selbstentfaltung die
>>andere Dynamik denken können, aber das "Setting" in dieser
>>Gesellschaft allgemein ja keineswegs günstige Voraussetzungen schafft
>>wie teilweise eben in der FS.
>
> Ja. Daher müssen wir uns Settings überlegen und Dynamiken finden, die
> das begünstigen.

Ja.

>>>The individual is responsible for expressing concerns; the group is
>>>responsible for resolving them. The group decides whether a concern
>>>is legitimate; the individual decides whether to block or stand
>>>aside.
>>>
>>Die Gruppe hat IMHO kein bisschen das Recht (ich meine nicht das
>>"bürgerliche" - Himmel, gibt's da keinen anderen Begriff?), über die
>>Legitimität je meiner Angelegenheiten zu entscheiden.
>
> Über die Legitimität im kollektiven Rahmen aber klar.

Die Gruppe kann natürlich sagen: interessiert uns nicht. Aber kann sie
über die Legitimität meiner Angelegenheit urteilen? Nein. Meine
Angelegenheit ist meine Angelegenheit, in welchen Rahmen auch immer.

> Ja, du denkst halt, daß jeder individuelle Furz von jedem Kollektiv
> bedient werden muß.

Wie kommst du darauf? Ich sage nur, die Gruppe hat nicht die Befugnis(!)
hat, über die Legitimität (wahrscheinlich heisst das auch Berechtigung)
meiner Angelegenheiten zu entscheiden.

> Da bin ich nach wie vor anderer Meinung. Eine Gruppe hat nicht
> nur das Recht sich gegen Störungen zu verteidigen, sondern geradezu
> die Pflicht - bei Strafe des Untergangs.

Also mit dieser Argumentation haben historisch wahrscheinlich schon sehr
viele "Gruppen" gerechtfertigt, warum sie gegen Einzelne vorgegangen
sind, "um sich gegen Störungen zu verteidigen". Ich muss das nicht
ausmalen. Mir wird da nur ganz anders.

Mir ist echt nicht klar, warum du so oft die Gruppe durch das einzelne
Individuum bedroht siehst. Warum also die Gruppe das Individuum derart
kontrollieren muss, dass sie über die Legitimität seiner Anliegen
entscheidet.

>>Das tue ich schon selbst.
>
> Ja, und wenn du das mit der "shared responsibility" verinnerlicht
> hast, wirst du in dieses Problem auch nicht reinlaufen. Wenn du deine
> Partialinteressen durchsetzen willst, dann schon. Das ist aber
> schwierig, daß ohne den kulturellen Background zu denken.

Mir ist weiter nicht klar, warum du meinst, dass es ohne die
Verinnerlichung eines Dritten - hier die shared responsibility - nicht
gehen kann. Der Gegensatz zu den Partialinteressen (die ich stets nur
Kosten anderer durchsetzen kann) ist nicht irgendeine Verinnerlichung
eines dritten abstrakten Dings, sondern einzig die Erkenntnis, dass ich
mir selbst schade, wenn ich mich auf Kosten anderer durchsetze - oder
positiv formuliert: Das mir nichts mehr nutzen kann, als wenn ich die
Entfaltung der Anderen als die Vorausetzung für meine Entfaltung
verstehe. Verantwortung habe ich für mein Handeln, aber nicht für das
Handeln anderer. Dafür brauche ich nichts Drittes, keine shared
responsibility. Oder anders gedacht, so in etwa wie bei der Moral:
shared responsibility wird das Resultat von Selbstentfaltung sein, sie
geht ihr aber weder voraus, noch ist sie Bedingung. Ich kann mit der
Selbstentfaltung heute anfangen, es gibt keine Eintrittskarten.

>>Und auch für die Lösung ist sie nicht "verantwortlich" im Sinne
>>von "zuständig". Das kommt inhaltlich auf die "Angelegenheit" an,
>>sowas lässt sich nicht formal als Regel formulieren.
>
> Das ist vielleicht eine Spur zu plakativ formuliert. Aber irgendwie
> habe ich das Gefühl, daß es dir schwer fällt, die "shared
> responsibility" vorzustellen. Kann das sein?

Vielleicht sind wir hier beim Kern: Ich kann sie mir vorstellen, aber
ich lehne sie als (Ersatz-)Fetisch ab. Aus den o.g. Gründen.

>>Im übrigen erinnert
>>mich der letzte Halbsatz an Regel 2 aus der FK - nur das hier nicht
>>enthalten ist, wie das Individuum mit dem Blocken oder Beiseitestehen
>>(kein Rausgehen?) Einfluss auf den Prozess nimmt.
>
> In einem anderen, sehr guten "Konsens-Reader" - den ich leider nicht
> mehr habe :-( :-( - war mal Konsens in sieben Stufen angeben. Die
> Trennung war da die letzte Stufe - d.h. das Scheitern.
>
>>In deinem Vorwort schreibst du:
>>
>>>BTW: Das Dumme an Konsensverfahren ist, daß sie nur bedingt erklärt
>>>werden können. Du mußt einfach spüren, daß ein gelingendes
>>>Konsensverfahren etwas anderes mit dir macht, als z.B. ein
>>>demokratischer Prozeß. So gesehen: Eine entsprechende Kultur zu
>>>etablieren, wäre m.E. Gebot der Stunde.
>>>
>>Ich stimme dir zu, denke jedoch, dass die "Kultur" nicht etwas ist,
>>was man "etablieren" kann. Sie ist eher Resultat vieler konkreter
>>Handlungen, die von einem bestimmten Herangehen unter bestimmten
>>Bedingungen geleitet sind.
>
> Das meinte ich mit etablieren. Tägliche Praxis. Das emanzipatorische
> muß sich in die Bedürfnisstruktur absenken. In der Freien Software
> wächst sie sogar aus der Bedürfnisstruktur heraus.

Dass ich gegen die abgesenkten, verselbstständigen Dinger meine grossen
Vorbehalte habe, ist wohl deutlich geworden. Ich finde, dass du damit
auch große Hürden aufbaust. Das "Emanzipatorische" ist doch kein Ding.
Es kann doch nicht sein, das ich erst einen geläuterten (abgesenkten)
Zustand erreichen muss, um emanzipationsfähig zu sein.

Der emanzipatorische Weg muss einfach nur spürbar besser sein als der
alte Weg - das ist schon alles. Und das ist schon schwer genug, denn wo
kann man das schon spüren?

>>Worauf wie uns also konzentrieren müssen,
>>sind genau diese Bedingungen des Handelns - das ist sowohl die Idee
>>des Konsensverfahrens wie der Freien Kooperation.
>
> Ja.
>
> Vielleicht kommen wir ja über diesen Weg weiter. Ich ahne, daß wir
> momentan an der Spitze eines Eisbergs kratzen und uns dieses
> Grundthema noch eine ganze Weile begleiten wird.

Das denke ich auch. Ich wünsche mir, dass wir dabei sorgfältig
miteinander umgehen.

Ciao,
Stefan

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