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Re: [ox] Maintainership-Konflikte jenseits von Software



Hi Benja, StefanMz, alle!

Ich versuche dein Beispiel mal in etwas abstrakteren Begriffen zu
fassen.

Last week (7 days ago) B Fallenstein wrote:
nachdem ich auf der englischen Liste schon etwas mitdiskutiert habe,
melde ich mich auch mal hier :-)

Finde ich - beides - gut :-) .

Stefan Merten schrieb:
Ja, würde es. Aber bei Freier Software steht es jedem prinzipiell
frei, seinen eigenen Laden auf exakt der bisher erreichten Grundlage
aufzumachen. Niemensch könnte real verhindern, daß es z.B. parallele
oder sogar konkurrierende Entwicklungen gibt - siehe KDE / Gnome.

Ich hab' den Eindruck, das könnte ein Knackpunkt für die Übertragung der
Prinzipien freier Software auf die materielle Welt sein. Ein freies
Softwareprojekt zu forken ist ja technisch wirklich einfach (vor allem
in Sourceforge-Zeiten-- mal sehen, wie das in der post-Sourceforge-Ära
wird...). Wenn ich aber, sagen wir mal, eine Schule/Uni mache, und
Probleme damit habe, wie die Dinge laufen, kann ich ja nicht so einfach
eine neue aufmachen: ich bräuchte ja zumindest mal einen Raum, und
möglichst auch Ausstattung (Bücher, Computer usw.).

D.h.: Du machst ein Projekt und brauchst dazu - im hier neulich
erörterten Sinne - begrenzte Ressourcen. Das "begrenzt" scheint mir
einer der Schlüsselbegriffe.

In der
GPL-Gesellschaft mag das einigermaßen gehen (zu genau müssen wir das
                                               ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^
wohl nicht ausstricheln, das wird sonst Utopismus), aber auf dem Weg dahin?
  ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^

Guter Punkt BTW.

Ich versuche mal, mir das an dem Beispiel vorzustellen. Wir haben da
also eine "freie Schule/Uni" (free as in speech and free as in time ;-))
und verschiedene Leute mit ziemlich verschiedenen Zielen. Hmm... erst
mal ja noch kein Problem: wenn sie sich gegenseitig respektieren, können
sie ja auch mit unterschiedlichen Zielen und auf unterschiedliche Weise
zusammenarbeiten. Es wird ja z.B. keins gezwungen, sich irgendwelche
Veranstaltungen anzutun, die es blöd organisiert findet.

Dann macht sich die Begrenzung nicht als Knappheit bemerkbar, sondern
sie ist zwar da, mensch kann sich aber damit arrangieren.

Aber es ging ja um das Problem mit der MaintainerIn. Also, nehmen wir
an, es gibt eine Person die sich darum kümmert, dass es ein ausgewogenes
Angebot gibt, also Leute anspricht: Hör mal, zu dem Thema hier gibt's
gar nichts, willst du nicht...? OTOH: Das würde sich wahrscheinlich
                                  ^^^^

???

Kannst du das mit Erläuterung in
[http://co-forum.de/index.php4?Oekonux-Abk%FCrzungen] eintragen?

ziemlich von selbst regeln. Okay, nehmen wir die Raumverteilung. Wer
macht was wann und wo? Dafür braucht's wohl eine MaintainerIn, zumindest
wenn es nur begrenzt viel Platz gibt und der irgendwie aufgeteilt werden
muss. (Schließlich soll auch nicht so viel Raum zur Verfügung stehen,
dass drei viertel permanent leer stehen und das ganze Haus total leer
wirkt-- blöde Atmosphäre sonst.)

Wie wird das RaummaintainerIn Maintainer? Vermutlich dadurch, dass es
sagt, "ok, ich mache das." Wenn mehrere Leute mitmachen wollen, machen
sie's zusammen. Wenn keins es macht, machen es alle, d.h. irgendwer wird
wohl alle paar Monate ein großes Pow-wow organisieren, wo die Probleme
gemeinsam bequatscht werden. Oder eine Webseite.

Das diskutiert jetzt die Frage, wie organisieren wir die Lösung eines
bestimmten Sachproblems, das im Zusammenhang mit einer bestimmten
Aktivität auftritt. Hier dürften die Antworten schon sehr
unterschiedlich sein - wie du andeutest.

Das Problem, auf das du (StefanMn) anspielst, würde ja dann auftreten,
wenn das RaummaintainerIn 'verrückt' wird und versucht, Macht auszuüben.
Über die Raumverteilung entscheiden zu können, ist ja potentiell ein
Machtfaktor: die Leute, die ich nicht mag, kriegen entweder die Räume
ohne Fenster oder müssen schon um halb acht morgens kommen,

Daß die Bedürfnisse da durchaus unterschiedlich sein können,
ignorieren wir hier zur Vereinfachung mal.

und wer sich
mir widersetzt, das kriegt gar keinen Raum ("sorry, aber das ging jetzt
echt nicht", betont bedauerndes Grinsen).

Ja, das wäre der Fall von Verrücktheit. Abstrakt gesprochen würde ich
sagen, die gefundene Problemlösungsstrategie - in diesem Fall einE
personifizierte RaummaintainerIn - versagt. Hier wären jetzt die
Fragen:

* Wie werde ich einerseits die alte, (jetzt) versagende
  Problemlösungsstrategie los?

* Wie komme ich zu einer neuen, voraussichtlich besser
  funktionierenden Problemlösungsstrategie?

Aber andererseits: die Macht ist nur Macht, wenn die anderen auf sie
hören.

Na ja, es ist schon so, daß die "Macht aus den Gewehrläufen" kommen
kann - dann klingt das "ich verweigere einfach" ein bißchen hohl. Das
können wir uns hier vielleicht - glücklicherweise - nicht mehr so
recht vorstellen, aber in vielen Gegenden der Welt ist das immer noch
sehr real und unsere MitdiskutantInnen in den USA kennen das womöglich
noch alles hautnah.

Im Beispiel ist das MaintainerIn ja nicht gewählt, hat also auch
keine automatische Macht; wenn die Gruppe nicht ok findet, was es tut,
braucht sie sich ja nicht daran zu halten. Ich glaube, das trifft
ähnlich auf viele (materielle wie immaterielle) Leitungsaufgaben zu:
wenn uns die Entscheidungen nicht passen, brauchen wir ja gar nicht
wegzugehen, wir hören einfach nicht auf sie (zumindest wenn die Gruppe
mehrheitlich nicht mit ihnen einverstanden ist).

Es sein denn die MaintainerIn hat irgendwelche Machtmittel - wie z.B.
Gewehrläufe. Wie gesagt: Die strukturelle Abwesenheit von Machtmitteln
scheint mir ein ganz wichtiger Punkt.

Und das ist übrigens auch noch mal etwas ganz anderes als Macht und
Gegenmacht. Dieses Macht-Gegenmacht-Konzept scheint mir das zu sein,
das klassisch verfolgt wurde und das ich auch in der Freien
Kooperation erkenne.

Um's im Beispiel zu sagen: Hätte die MaintainerIn irgendwelche
Gewaltmittel gegen die Gruppe in der Hand, dann könnte sich die Gruppe
dadurch aus der Gewalt befreien, wenn sie Gewaltmittel gegen die
MaintainerIn in der Hand hat. Wenn wir als strukturelles Gewaltmittel
jetzt mal Geld hernehmen, dann sind wir bei der klassischen
Lohnarbeit: Du tust, was ich will, oder ich zahle dir keinen Lohn
mehr.

Und aus dieser Gewalt- und Aufrüstungsspirale müssen wir raus!

Wenn es jetzt zwei verschiedene Gruppen mit verschiedenen Vorstellungen
über die Raumverteilung gibt, was passiert?

Dann haben diese beiden Gruppen einen Konflikt. Die Frage ist, wie mit
dem Konflikt umgegangen wird. Insbesondere spielt auch hier die Frage
von Macht und Machtmitteln eine große Rolle.

Nehmen wir an, die Fronten
haben sich ziemlich verhärtet, es ist einfach keine Basis für einen
Kompromiss zu finden, der Punkt ist erreicht, wo wir in einem FS-Projekt
forken würden. Wenn man sich noch riechen kann, könnte das Gebäude
zwischen den Gruppen aufgeteilt werden (räumlich und/oder zeitlich).
Dann hätte man eine andere, niedrigere Ebene, auf der ein Kompromiss zu
finden wäre, der dann hoffentlich leichter ist.

Nun, ich mag die Rede vom Kompromiß in unserem Zusammenhang nicht,
weil ein Kompromiß eben letztlich auf Tauschbasis beruht: Ich gebe
genausoviel ab wie du. Wir "zahlen" quasi mit gleich vielen
Abstrichen. Auch wenn hier das menschliche Maß der Bedürfnisse
vielleicht eher ins Spiel kommen kann - weil die Abstriche eher
persönlich als im gesellschaftlichen Durchschnitt bewertet werden -,
so ist es dennoch strukturell ein Deal. Aber das nur BTW.

Was du beschreibst ist ein eskalierter Konflikt. Angeheizt - wenn
nicht ausgelöst - wird der Konflikt durch die Knappheit, zu der die
Begrenzung an dieser Stelle definitiv geworden ist.

Wenn's immer noch nicht klappt und die Atmosphäre unter den Differenzen
erheblich leidet, müsste aber doch eine Alternative gefunden werden...
zusammenlegen und ein zweites Gebäude mieten/kaufen, in das dann eine
der Gruppen umziehen kann... irgendwie so was. (Hm, das klingt ja wie
ein im Konsensverfahren ausgehandelter Scheidungspreis... das Eisen
fasse ich lieber nicht an ;-))

Ich in diesem Zusammenhang auch lieber nicht ;-) .

Wichtig daran auch: Hier verläßt das Projekt seinen eigenen Rahmen und
braucht definitiv Ressourcen von außen. Deine Problemlösung ist
letztlich eine Überwindung der Knappheit indem die Begrenzungen
ausgeweitet werden.

Was mir auch auffällt: Während des ganzen Vorgangs hat ein paar Mal
die Problemebene gewechselt.

* Zunächst ging es um das Problem einen Freien Unterricht in einem
  lokal gebundenen Rahmen (Schule) "gut" zu gestalten.

* Dabei trat das Teilproblem auf, daß die Vergabe der Ressource "Raum"
  "gut" geregelt werden sollte.

* Die gefundene MaintainerIn wurde verrückt was Machtfragen
  aufgeworfen hat.

* Nachdem die gefundene Problemlösungsstrategie versagt hat, wurde
  eine neue gebraucht. Hier wäre also eine neue zu suchen und ein
  Übergang notwendig gewesen.

* Es entstanden Differenzen darüber, was als "gute" Gestaltung der
  Schule betrachtet wurde. Insbesondere wurden hier Begrenzungen
  plötzlich zur Knappheit.

* Aus den Differenzen entstand ein Konflikt. Hier wäre es also darum
  gegangen, Konfliktbewältigung / -gestaltung / -lösung zu betreiben.

* Der Konflikt eskalierte und eine Trennung wurde zur einzigen
  Möglichkeit. Damit war die Situation wieder bereinigt und das neue
  Problem der Trennung voneinander stand auf der Tagesordnung.

* Die Beschaffung neuer Ressourcen wurde aufgrund der gefundenen
  Konfliktlösung zum neuen Problem.

Was mir dazu so einfällt:

* In diesen ganzen unterschiedlichen Problemfeldern sind ebenso
  unterschiedliche SpezialistInnen gefragt. Insbesondere wäre an
  einigen Stellen vielleicht Hilfe von externen SpezialistInnen
  gefragt.

* Da die Problemfelder so unterschiedlich sind, geben sie vielen
  unterschiedlichen Menschen Raum, dort ihre Selbstentfaltung zu
  finden.

* Nur ein differenzierter Prozeß kann die unterschiedlichen
  Problemlagen adäquat angehen. In unseren Demokratien werden uns für
  so komplexe und vielschichtige Problemlagen gewöhnlich zwei, drei
  Alternativen angeboten und das war's. Insbesondere werden große
  Teile des multidimensionalen Lösungsraums schon deswegen nicht
  erörtert, weil nur relativ wenige Leute überhaupt beteiligt sind.

* Pfiffige Lösungen sind bei einer differenzierten Betrachtung oft
  viel eher möglich, als wenn ganze Problemkomplexe als ein Problem
  betrachtet werden. Das Problem mit den Räumen kann ja vielleicht
  dadurch gelöst werden, daß eine Gruppe lieber im Freien unterrichten
  mag - um mal ein etwas blödes Beispiel zu bringen.

Hm, alles ziemlich im Entstehen begriffen.

Wie so vieles hier :-) .

Sind die Überlegungen hier
verallgemeinerbar für "materielle Maintainerschaft?"

Ich habe mal versucht, ein paar Verallgemeinerungen durchzuführen. Ist
jetzt nicht spezifisch auf eine Übergangsphase in die GPL-Gesellschaft
ausgerichtet. Vielleicht hilft's dir oder irgendjemensch ja dennoch
weiter.


Noch ein paar Fußnoten zu StefanMz' Antwort.

5 days ago Stefan Meretz wrote:
Ich versuche mal, mir das an dem Beispiel vorzustellen. Wir haben da
also eine "freie Schule/Uni" (free as in speech and free as in time
                                 ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^
Diese super Idee von dir möchte nochmal extra hervorheben!

Me too :-) .

Es gab eher die Tendenz, um der
Harmonie willen, Konflikte klein zu halten. Mir zuviel "Konsens".

So wie du es schilderst, hätten da Leute widersprechen müssen. Also
eben *kein* Konsens sondern unterdrückte Konflikte. Es muß ja nicht
jeder Konflikt riesig aufgebauscht werden, aber unterdrücken ist auch
Mist.

Diesen Bericht sehe ich im Kontrast zu der Schilderung von StefanMn über
seine Erfahrungen mit "Leitungsproblemen" bei proprietären und
kommerziellen Software-Projekten:
http://www.oekonux.de/liste/archive/msg04237.html
Ich kann diese Erfahrungen (in eher noch drastischerer Form) nur
bestätigen. Deswegen bin ich schon hin und wieder überrascht, wenn es
anders geht. Das zeigt mir: Es _kann_ gehen.

Ja, es kann. Und es ist angenehm - wie wohl auch von dir empfunden.
(Mensch muß sich natürlich auf einen solchen Prozeß einlassen können,
ihm vertrauen können. Wenn dich dauernd die Frage umtreibt, wer hier
eigentlich den Laden schmeißt, dann wirst du wenig Freude daran haben
können.)

Ich hatte in meiner libertären Zeit da auch einige solche Erlebnisse.
Und ich halte es für unglaublich wichtig, solche Erfahrungen auch
*real* zu machen. Das ganze Erzählen gibt leider nur einen matten
Abglanz davon, wie es sich anfühlt :-( .


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
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