Message 04261 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT04038 Message: 12/29 L7 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] Maintainership-Konflikte jenseits von Software



Hi Benja und Liste,

B. Fallenstein wrote:
> nachdem ich auf der englischen Liste schon etwas mitdiskutiert habe,
> melde ich mich auch mal hier :-)

:-) :-)

> Stefan Merten schrieb:

Der bin zwar nicht, aber eine Geschichte zu deinem Überlegen kann ich
erzählen...

>>Ja, würde es. Aber bei Freier Software steht es jedem prinzipiell
>>frei, seinen eigenen Laden auf exakt der bisher erreichten Grundlage
>>aufzumachen. Niemensch könnte real verhindern, daß es z.B. parallele
>>oder sogar konkurrierende Entwicklungen gibt - siehe KDE / Gnome.
>
> Ich hab' den Eindruck, das könnte ein Knackpunkt für die Übertragung
> der Prinzipien freier Software auf die materielle Welt sein. Ein
> freies Softwareprojekt zu forken ist ja technisch wirklich einfach
> (vor allem in Sourceforge-Zeiten-- mal sehen, wie das in der
> post-Sourceforge-Ära wird...). Wenn ich aber, sagen wir mal, eine
> Schule/Uni mache, und Probleme damit habe, wie die Dinge laufen, kann
> ich ja nicht so einfach eine neue aufmachen: ich bräuchte ja zumindest
> mal einen Raum, und möglichst auch Ausstattung (Bücher, Computer
> usw.). In der GPL-Gesellschaft mag das einigermaßen gehen (zu genau
> müssen wir das wohl nicht ausstricheln, das wird sonst Utopismus),
> aber auf dem Weg dahin?

Der Weg dahin, also faktisch erstmal unter alten Bedingungen etwas neues
zu Denken, wo dir kaum einer folgen kann, ist _wirklich_ schwierig.

> Ich versuche mal, mir das an dem Beispiel vorzustellen. Wir haben da
> also eine "freie Schule/Uni" (free as in speech and free as in time
                                ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^
Diese super Idee von dir möchte nochmal extra hervorheben!

> und verschiedene Leute mit ziemlich verschiedenen Zielen. Hmm... erst
> mal ja noch kein Problem: wenn sie sich gegenseitig respektieren,
> können sie ja auch mit unterschiedlichen Zielen und auf
> unterschiedliche Weise zusammenarbeiten. Es wird ja z.B. keins
> gezwungen, sich irgendwelche Veranstaltungen anzutun, die es blöd
> organisiert findet.

Das Beispiel finde ich deswegen so passend, weil ich es ziemlich genau
so mal erlebt habe: beim Jugendumweltkongress vor zwei Jahren (kann sich
jede/r reinziehen: der nächste startet in 10 Tagen).

> Aber es ging ja um das Problem mit der MaintainerIn. Also, nehmen wir
> an, es gibt eine Person die sich darum kümmert, dass es ein
> ausgewogenes Angebot gibt, also Leute anspricht: Hör mal, zu dem Thema
> hier gibt's gar nichts, willst du nicht...? OTOH: Das würde sich
> wahrscheinlich ziemlich von selbst regeln. Okay, nehmen wir die
> Raumverteilung. Wer macht was wann und wo? Dafür braucht's wohl eine
> MaintainerIn, zumindest wenn es nur begrenzt viel Platz gibt und der
> irgendwie aufgeteilt werden muss. (Schließlich soll auch nicht so viel
> Raum zur Verfügung stehen, dass drei viertel permanent leer stehen und
> das ganze Haus total leer wirkt-- blöde Atmosphäre sonst.)
>
> Wie wird das RaummaintainerIn Maintainer? Vermutlich dadurch, dass es
> sagt, "ok, ich mache das." Wenn mehrere Leute mitmachen wollen, machen
> sie's zusammen. Wenn keins es macht, machen es alle, d.h. irgendwer
> wird wohl alle paar Monate ein großes Pow-wow organisieren, wo die
> Probleme gemeinsam bequatscht werden. Oder eine Webseite.

Das halte ich für einen Knackpunkt: Es macht einfach jemand. Der Grund
kann total verschieden sein: Mich nervts, das es keiner macht; ich
wollte schon immer mal mein geniales Raum-Dispatching-Programm in der
Realität checken; ich liebe die Kommunikation mit den Projekten etc.

> Das Problem, auf das du (StefanMn) anspielst, würde ja dann auftreten,
> wenn das RaummaintainerIn 'verrückt' wird und versucht, Macht
> auszuüben. Über die Raumverteilung entscheiden zu können, ist ja
> potentiell ein Machtfaktor: die Leute, die ich nicht mag, kriegen
> entweder die Räume ohne Fenster oder müssen schon um halb acht morgens
> kommen, und wer sich mir widersetzt, das kriegt gar keinen Raum
> ("sorry, aber das ging jetzt echt nicht", betont bedauerndes Grinsen).

Kann passieren. Die Frage ist: wie regelt es sich wieder hin?

> Aber andererseits: die Macht ist nur Macht, wenn die anderen auf sie
> hören. Im Beispiel ist das MaintainerIn ja nicht gewählt, hat also
> auch keine automatische Macht; wenn die Gruppe nicht ok findet, was
> es tut, braucht sie sich ja nicht daran zu halten. Ich glaube, das
> trifft ähnlich auf viele (materielle wie immaterielle)
> Leitungsaufgaben zu:
> wenn uns die Entscheidungen nicht passen, brauchen wir ja gar nicht
> wegzugehen, wir hören einfach nicht auf sie (zumindest wenn die Gruppe
> mehrheitlich nicht mit ihnen einverstanden ist).

Ja.

> Wenn es jetzt zwei verschiedene Gruppen mit verschiedenen
> Vorstellungen über die Raumverteilung gibt, was passiert? Nehmen wir
> an, die Fronten haben sich ziemlich verhärtet, es ist einfach keine
> Basis für einen Kompromiss zu finden, der Punkt ist erreicht, wo wir
> in einem FS-Projekt forken würden. Wenn man sich noch riechen kann,
> könnte das Gebäude zwischen den Gruppen aufgeteilt werden (räumlich
> und/oder zeitlich).
> Dann hätte man eine andere, niedrigere Ebene, auf der ein Kompromiss
> zu finden wäre, der dann hoffentlich leichter ist.
>
> Wenn's immer noch nicht klappt und die Atmosphäre unter den
> Differenzen erheblich leidet, müsste aber doch eine Alternative
> gefunden werden... zusammenlegen und ein zweites Gebäude
> mieten/kaufen, in das dann eine der Gruppen umziehen kann...
> irgendwie so was. (Hm, das klingt ja wie ein im Konsensverfahren
> ausgehandelter Scheidungspreis... das Eisen fasse ich lieber nicht an
> ;-))

Hihi;-)

> Hm, alles ziemlich im Entstehen begriffen. Sind die Überlegungen hier
> verallgemeinerbar für "materielle Maintainerschaft?"

Hier die Geschichte: Meine Erlebnisse beim Jugendumweltkongress (JUKSS) von vor zwei Jahren.

Ich war als Referent für eine AG eingeladen, das Vorbereitungsteam hatte
mich angesprochen. Ich war zwei Tage dabei, habe zwei Plena miterlebt.
Spannend fand ich, wie die ungeliebten Notwendigkeiten organisiert
wurden. Von irgendwem wurde ein Problem im Plenum genannt. Es wurde kurz
überlegt, in welche Richtung eine Lösung gehen kann, dann wurde eine
Bezugsgruppe (so hiess das wohl IIRC) gebildet. Das lief meist so, das
die Person, die das Problem vorbrachte, meist die Maintainerschaft
übernahm: "Wer mitmachen will, kommt nach dem Plenum dort-und-dort hin".
Entweder es klappte, oder nicht. Wenn nicht, war das Problem nicht gross
genug, zu wenigen wichtig etc. Probleme, oder besser die Bedürfnisse,
waren sehr weit gefasst: vom berühmten Kloputzproblem (ja, dafür fand
sich eine Gruppe!), über das Hausmeister-Kontakt-Problem, das
Raumverteil-Problem, das Ich-will-Theater-machen etc. war alles Mögliche
vertreten. Bestehende Gruppen berichteten über ihre Lösungen, Ideen etc.
Schwierige Fragen wurden länger diskutiert, leichte nur kurz (es gab
natürlich auch die Plenums-Gruppe). Ein echtes Problem - so wie ich es
wahrgenommen habe - war die unterschiedliche Routine und Traute, vor
vielen Leuten zu sprechen. So wusste die JUKSS-Vorbereitungsgruppe
natürlich in vielem einfach gut Bescheid und hatte Erfahrung, eine
Position klar zu formulieren. Dadurch entstand ein grosser
Durchsetzungsdruck, was aber gleichzeitig als Problem wahrgenommen und
thematisiert wurde. Und es gab wohl auch Leute, die mit ihrer Erfahrung
so operierten, dass bestimmte Fragen und Diskussionen als "nicht
wichtig" an den Rand gedrängt wurden. Es gab eher die Tendenz, um der
Harmonie willen, Konflikte klein zu halten. Mir zuviel "Konsens".
Wahrscheinlich aber auch ein Reflex auf die Tendenz, sich innerhalb von
irgendwie emanzipatorischen Gruppen bis hinunter auf die kleinstmögliche
Einheit zu spalten. Was unter den Bedingungen der Selbstentfaltung der
Fork, ist eben unter Bedingungen Durchsetzung auf Kosten anderer die
Spaltung. So kreativ und nötig das eine sein kann, so doof und
destruktiv das andere.

Gut, das war nur ein kurzer Eindruck, aber ich war erstaunt, dass sowas
überhaupt möglich ist (die erste IRL-Ox-Erfahrung war ja erst im April
2001). Die gruseligen Sachen (v.a. inhaltlich), die es auch gab, lasse
ich mal weg.

Ein paar Bedingungen sind beim JUKSS einfach günstig (ähnlich zur FS
ürbigens): Räume sind unknapp, es steht eine ganze Schule zur Verfügung.
Es können die verschiedensten Vorlieben sowohl für die Nacht als auch
für den Tag zur Geltung kommen: Von den Schlafräumen der nichtrauchenden
nichtzuweckenden (es gab eine Weckgruppe - mit Musik!) Frauen bis zu
den Räumen für gemischtgeschlechtliche Sonstige - wie für Gäste wie mich
z.B. (ob ich mir nochmal eine Nacht auf einem harten Klassenzimmerboden
auf einer dünnen Isomatte antue, muss ich mir allerdings schwer
überlegen...). Und natürlich die AG-Räume.

Dann waren bestimmte Dinge extern fest organisiert: Die Essensversorgung
wurde vorher "eingekauft" - es kochte die berühmte (berüchtigte?)
Kochtruppe "Rampenplan", einige kennen sie sicher (die müsste man glatt
mal interviewen zu dem hier diskutierten Problem). Auch da ein kleines
Erlebnis: Es wurde zum Essen gerufen, ich weiss nicht mehr wie, und es
bildeten sich eine lange Schlange. Doch nichts passierte. Es herrschte
eine fröhliche Wartestimmung, bis sich rausstellte, dass das Essen zwar
fertig ist, aber es gerade keine "Verteilgruppe" gibt. Ok, dann gibt's
eben kein Essen, bis das Problem gelöst ist. Sehr einfaches Prinzip.

Diesen Bericht sehe ich im Kontrast zu der Schilderung von StefanMn über
seine Erfahrungen mit "Leitungsproblemen" bei proprietären und
kommerziellen Software-Projekten:
http://www.oekonux.de/liste/archive/msg04237.html
Ich kann diese Erfahrungen (in eher noch drastischerer Form) nur
bestätigen. Deswegen bin ich schon hin und wieder überrascht, wenn es
anders geht. Das zeigt mir: Es _kann_ gehen.

Das war's.
Ciao,
Stefan

--
     Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
     Internetredaktion
     Potsdamer Platz 10, 10785 Berlin
--
     stefan.meretz verdi.de
     maintaining: http://www.verdi.de
     private stuff: http://www.meretz.de
--




________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT04038 Message: 12/29 L7 [In index]
Message 04261 [Homepage] [Navigation]