Message 04403 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT04384 Message: 3/82 L2 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] Reality-Check



Hi Benni!

3 days ago Benni B?rmann wrote:
On Mon, Jan 28, 2002 at 10:37:50PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Na, es gibt und gab bei [ox] ja nun schon einige Leute, die genau
diesen Realitätscheck für gescheitert halten.

*Das* sehe ich nicht unbedingt. Die Kritik, die überwiegend kommt ist
doch eher vom Typ: Das wird nie funktionieren, weil ... Das ist aber
eine ganz andere (wichtige) Frage.

Und die Kritik von Sabine?

Na, wenn ich es richtig erinnere würde ich in aller Kürze sagen, daß
die beiden vor allem sagten, daß Freie Software den Kapitalismus nicht
ankratzen kann. Ferner sei er voll kompatibel damit. Außerdem dürfe
mensch nicht über Keimformen reden, weil mensch sich da irren könnte.

Ersteres mag sein - werden wir erleben. Kratzte aber die
Realitätswahrnehmung von Oekonux nur dann an, wenn der baldige
automatische Zusammenbruch postuliert würde. Wer tut das?

Zweiteres ist ja über weite Strecken unbestritten. Das kostenlose
öffentliche Gut haben wir ja schon diskutiert. Daß es einen
inkompatiblen Teil gibt - die Tauschfreiheit - bestreiten sie ja auch
nicht wirklich. Lediglich dessen Bedeutung.

Na ja, und ob wir über Keimformen reden dürfen oder nicht, halte ich
doch dann eher für eine Frage, die jedeR mit sich privat ausmachen
muß.

Oder die von Thomas Berker letztens?

Mit der bin ich noch nicht fertig - siehe andernmails.

Was wäre denn außerdem der Gehalt? Daß Freie Software anders
funktioniert als Kommandowirtschaft ist ja wohl kaum strittig. Welche
Strukturen sich realiter bilden ist dann schon wieder Gegenstand von
Untersuchung. Jedenfalls sehe ich bisher keine klaren Widersprüche
gegen die Selbstentfaltungsthese.

Oder
die Frage mit dem Patriarchat?

Eine Frage, die von einer Oekonux-Theorie bisher nicht beackert wurde.

Aber auch hier: Was wäre denn der Gehalt? Daß sich in Freier Software
die Elitenbildung im Kapitalismus ein Stück weit wiederspiegelt ist
glaube ich unstrittig. Und? Der Umkehrschluß kann ja nur sein, daß
ausschließlich die Armen und Entrechteten überhaupt eine Chance auf
eine Gesellschaftsveränderung haben. Dafür dürfte es historisch aber
kein einziges Beispiel geben.

Eine Männerdominanz bei der Freien Software für ein schlechtes Omen
für eine GPL-Gesellschaft zu nehmen, hieße im übrigen die Keimform mit
der entwickelten Form zu verwechseln - die wir alle noch nicht kennen.
Und ich halte ja auch BTW die Frauendominanz bei der Kindererziehung
und ihren Selbstentfaltungsanteilen nicht für ein schlechtes Omen.

Die passen alle nicht in diese
Kategorie.

Nein, aber zumindest die beiden letzten denken auch noch sehr in den
überkommenen Mustern - und versuchen alles in diese Muster zu pressen.
Vielleicht ist das nicht immer richtig. Vielleicht macht es Sinn, die
Welt mit anderen Mustern anzuschauen.

Daß die Phänomene, die wir in der Freien Software beobachten, aber
schlicht nicht zuträfen oder sich nicht zumindest auch mit der hier
entwickelten Theorie erklären ließen, das habe ich bisher fast nie
gehört. Will sagen: Wenn wir die vorfindlichen Phänomene durch die
Oekonux-Theorie erklären können und neue Entwicklungen dieser Theorie
zumindest nicht widersprechen, dann ist das der Realitäts-Check, von
dem ich sprach. Nicht mehr und nicht weniger. Alles andere ist Utopie
und immer deutlich wackliger.

Mir geht es eigentlich nur am Rande darum, eine Theorie zu bauen, die
auf irgendwelche Phänomene passt. Man kann beliebig viele Theorien
bauen.

Ja, aber nicht beliebig viele interessante. Wie schon bei meiner
Kritik der Freien Kooperation: Eine Theorie beschreibt Wirklichkeit
und ist desto nützlicher, je besser sie sie beschreibt. Und BTW: Du
hast auch eine Theorie darüber, daß morgen die Sonne wieder aufgeht -
nützlich, nicht wahr?

Interessant ist für mich eher was ich will und warum und wie
man das mit anderen zusammen realisieren kann.

Und exakt dazu brauchst du eine Theorie - zumindest wenn du irgendwann
mal aus dem etwas mühsamen Trial-and-Error-Verfahren rauskommen
willst.

Du rutschts in letzter
Zeit schon wieder immer mehr in dieses Wir-haben-eine-Message-Ding
rein,

Na, andere nehmen es jedenfalls so wahr.

Diese Antwort hat eine nette Doppelbedeutung. War das Absicht?

Ähm - meine ursprüngliche Lesart war: Andere nehmen war, daß wir eine
Message haben.

Eine weitere Lesart könnte sein, daß andere wahrnehmen, daß ich wo
reinrutsche. Nee, das meinte ich nicht und nehme ich auch nicht so
wahr.

was Du nach der Kritik auf dem Kongress ein bisschen
vorsichtiger formuliert hast.

Ok, andere glauben offenbar, daß *ich* eine Message habe. So besser
;-) .

Ja. Du vermischst das halt oft. Ich hab allerdings beim Vortrag in
Wiesbaden gemerkt, dass das auch sehr schwer ist, dass zu trennen.

In den Vorbemerkungen versuche ich immer klarzumachen, daß wir im
Projekt viele Meinungen haben. Ok, ich schreibe wieder öfter "einige
hier" anstatt "wir".

Gleichzeitig denke ich, daß unser Ansatz halt auch wirklich sehr viel
Neues beinhaltet.

Na, ich würd´ eher sagen, er liegt im Trend. Der vielgelobte Negri und
sein Umfeld reden oft ganz ähnlich, nur ist ihr Fokus nicht so eng auf
FS bezogen. Was gleichzeitig ein Vorteil, aber auch ein Nachteil ist.

Sorry, aber das sehe ich nicht. Nach wie vor sehe ich auf weiter Flur
*keinen*, der sich intensiv mit aktueller Produktivkraftentwicklung
auf der Höhe der Zeit befaßt. Negri, vor allem aber Hardt vielleicht
ein bißchen, Rifkin hat wohl auch interessante Beobachtungen gemacht
(alles nur vom Hörensagen und hier und da mal einer Rezension). Aber
die nehmen das nach meinem Dafürhalten alles noch durch die alte,
arbeiterInnenbewegte Brille wahr - und diese Ideologie filtert für
meinen Geschmack eben entscheidende Größen raus, mit der eine
emanzipatorische Perspektive auf der Höhe der Zeit schlicht nicht zu
denken ist.

Na, dann sollten wir uns vielleicht mal intensiver mit diesen anderen
Ansätzen beschäftigen anstatt nur über Rezensionen zu reden. Auch eine
Form von Reality-Check.

Gerne. Freiwillige vor. Ich hab' mein Pensum jedenfalls echt schon
(über)voll...

Nach meiner Wahrnehmung oft sehr positiv und aufgeschlossen. Würde
mich auch noch mehr Information interessieren. Aber wie läßt sich das
überhaupt messen?

BTW: Ob die Freien-Software-Leute selbst in ihrer Tätigkeit das
Potential sehen, das einige hier vermuten, ist ja zunächst mal nicht
sonderlich relevant.

Doch es ist sehr interessant. Man muß allerdings unterscheiden
zwischen der Frage ob sie selbst ihre Tätigkeit als Selbstentfaltung
verstehen oder der Frage ob sie selbst ihre Tätigkeit als irgendwie
"revolutionsfördernd" betrachten.

Ersteres ist relevant - weil das der Reality-Check ist - letzteres ist
nur interessant, weil es die Utopie betrifft.

Die alte Frage von Bewegung an sich und für sich leuchtet hier durch,
die IIRC vor allem durch eine unterschiedliche Bewußtheit
gekennzeichnet ist.

Es macht wohl kaum Sinn eine grosse
elaborierte Theorie der Selbstentfaltung in der FS zu entwickeln, wenn
die Leute, die es tun alle meinen, dass sie das nur tun, weil ihr Chef
es ihnen sagt. Nur mal so als denkbares Szenario.

Eben.

Der von Stefan hier eingeforderte Reality-Check ist, so glaube ich,
dringend nötig. In welcher Form nehmen wir ihn tatsächlich vor?

Wer hat noch Ideen, wie es gehen könnte?

Na Umfragen und Interwievs machen uns so ´nen Kram. Ist superaufwendig
und superhakelig. Ich trau mir nicht zu das sinnvoll zu machen. Wenn
wir gutdotierte Profs wären, würden wir einfach ein paar
Diplomarbeiten vergeben ;-)

Ja, da würde mir vermutlich auch schnell ein Haufen einfallen... Aber
es gibt ja auch schon einiges dazu. Leider steht einiges davon noch
nicht auf der Link-Liste - weil ich (u.a.) dazu nicht oft komme :-( .


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT04384 Message: 3/82 L2 [In index]
Message 04403 [Homepage] [Navigation]