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Re: [ox] Die Finsternis der "Aufklaerung"




Hallo Stefan (Merten) und Mitdiskutanten


Da würd ich doch gerne mal wissen, woher du dir diese Idealisierung
der "Aufklärung" / Moderne zusammenreimst.

Aus der Aufklärung und Moderne selbst - woher sonst. Ich kann ja auch
nichts dafür, daß die Ideale der Aufklärung nie eingelöst worden sind
und sich heute schon wieder auf dem Rückzug befinden.

Das ist leider ziemlich nichtssagend. Ich wollte ja gerade wissen,
wieso du deine Ideale, die meinen ja garnicht so fern sind, mit
dem Begriff "Aufklärung" in Verbindung bringst, dem ich nur noch mit
größtem Mißtrauen begegnen kann, seit ich ein paar Zitate von sogenannten
"Aufklärern" gelesen habe. Mit der Möglichkeit, mir durch ein paar
Zitate von anderen Aufklärern zu zeigen, dass und wo in der
Aufklärung emanzipatorisches Potential steckt. Wo stehen denn die
"Ideale der Aufklärung", wer hat sie wann definiert? Oder sind das
deine eigenen Ideale, die du mit Aufklärung benennst, weil es so
gut klingt und unvoreingenommene Menschen sich auch eher etwas
Positives darunter vorstellen ?



Und wo du ausgerechnet in
dieser Hochphase patriarchaler Ideologieproduktion Gleichstellung
von Männern und Frauen entdeckst.

Ja, wir haben seit einigen Jahren einen ziemlich massiven Backlash.
Ich habe auch nirgends behauptet, daß die Gleichstellung bereits
vollzogen wäre - eher das Gegenteil.

Dennoch halte ich es für übel, die Errungenschaften der Frauenbewegung
hier mal mit einem Federstrich als nicht-existent zu denunzieren.
Frage mal ältere Frauen, die die 50er/60er schon bewußt erlebt haben,
ob sich seitdem nichts getan hat. Woher nimmst du eigentlich eine
solche Arroganz wenn ich mal fragen darf?

Das ist ein Missverständnis, ich meinte nicht die heutige Zeit,
sondern das Zeitalter der Aufklärung (18. Jahrhundert), das zum
Glück vorbei ist. Allerdings ist das Denken der heutigen Zeit immer noch
ganz stark davon geprägt, und besonders im Neoliberalismus wird
immer wieder darauf zurückgegriffen.

Ich lese gerade das "Schwarzbuch Kapitalismus" von Robert Kurz und
da sind auch eine Menge Zitate von sogenannten "Aufklärern" wie
Rousseau, Kant oder Smith dabei.

...die dir ja scheinbar ziemlich wichtig sind. Wieso?

Sie sind mir nicht persönlich wichtig. Aber die heutigen
Ideologien, die uns das Leben schwer machen, lassen sich zurückverfolgen
zu diesen Typen. Ich bin also mehr gezwungen sie wichtig zu nehmen.
Natürlich als Feind und nicht als Objekt der Verehrung.
Wen hältst du denn für bedeutsame Aufklärer?

...

Ich beziehe mich ganz an der Basis auf das, was *ich* *für mich* will.
Dazu gehört (mittlerweile) eine GPL-Gesellschaft, weil ich die
Überzeugung gewonnen habe, daß es *mir* darin besser geht als heute.
Wenn andere ähnlich denken und wenn die Realität dem entgegenkommt
freut mich das natürlich, weil mich das der (erhofften) Maximierung
meiner Selbstentfaltung (schneller) näher bringt.

Die Aufklärung bzw. was ich davon verstanden habe ist dafür für mich
ein Baustein. Andere Elemente menschlichen Seins sind es für mich aber
auch. So eindimensional bin ich ja nun auch nicht ;-) .

Klär mich doch endlich mal darüber auf, was du unter Aufklärung verstehst.

...


Diese blutigen Wurzeln der Moderne werden gern verdrängt, verleugnet
oder der "Irrationalität" des "finsteren" Mittelalters zugeschoben,
um nicht mit der Tradition der herrlichen Moderne brechen zu müssen.

Ich verdränge da nix - warum auch. Ich brauche die Moderne nicht als
Herrlichkeit. Aber als historischer Fakt ist sie nun mal da und
deswegen muß ich mich damit auch auseinandersetzen.

Ich setz mich ja auch mit der Moderne auseinander. Jedoch nicht
inhaltlich, weil Moderne garkeinen durchgängigen Inhalt hat. Modern kann
alles sein, hauptsache es hat sich durchgesetzt. Einziges Ideal des
modernen Menschen ist, immer auf der Höhe der Zeit zu sein, dh sich
unabhängig von Inhalten rechtzeitig auf die Siegerseite zu
schlagen. Dieses Verhalten hat natürlich Rückwirkungen darauf,
was und wie sich etwas durchsetzt. Modern wird, was modern scheint.
Und das ist wiederum auch eine Frage der Macht und der Mittel.
Deshalb ist Auseinandersetzung mit Moderne keine inhaltliche,
sondern eine mit dem Phänomen der Inhaltslosigkeit und Beliebigkeit.


Also Chancengleichheit schön und gut, aber mit Aufklärung und
Moderne bist du da wirklich auf dem Holzweg.

Na, die Chancengleichheit hat sich wohl kaum gegen Aufklärung und
Moderne durchgesetzt. Demokratie ist doch z.B. die Chancengleichheit
übersetzt in den (massen)politischen Raum.

Chancengleichheit ist modern, weils sich durchgesetzt hat. Jedoch
nur äußerlich. Schafspelze sind praktisch für Wölfe. Aber ihr Gebiss
werden sie nicht eintauschen.

Selbst die Teilnahme am
Markt setzt letztlich Chancengleichheit voraus und ich würde mal
spekulieren, daß eine (funktionierende, nachhaltige) Ausweitung des
Marktes auch eine Ausweitung der Chancengleichheit voraussetzt.

Chancengleichheit auf dem Markt wäre, wenn alle etwa gleichviel in
der Börse hätten. Das ist aber absolut nicht der Fall. Natürlich
wäre es im Interesse der Anbieter, wenn alle Geld im Überfluß hätten.
Aber keiner von ihnen würde sein Geld dafür hergeben, um diesen
Zustand zu erreichen.


Auch hier ist übrigens zu beobachten, wie die Aufklärung / Moderne /
Kapitalismus in den Ländern der sog. III. Welt eben *nicht* in dem
Maße Fuß fassen konnte - die bereits industrialisierten Länder haben
der Chancengleichheit da eben keinen Raum gegeben. Wobei ich das
jenseits des verursachten Elends jetzt gar nicht werten will - einfach
nur als Analyse.


Warum sollte eine Siegerideologie da Fuß fassen, wo die Verlierer sind,
auf deren Elend der Reichtum und Erfolg der Sieger beruht? In diesem
"Spiel" können nicht alle Gewinner sein. Was nicht heißt, dass keine
anderen "Spiele" geben kann.

Gruß, Jobst



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Organisation: projekt oekonux.de


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