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Bedingungen für Selbstentfaltung? (was: Re: [ox] Reality-Check)



Hi Benni und Liste!

2 weeks (18 days) ago Benni Baermann wrote:
On Wed, Mar 13, 2002 at 10:31:52PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Um bei dem großen Selbstentfaltungsding mitmachen zu können sind
Kenntnisse und Mittel erforderlich und zwar nicht zu knapp.

Hupps? Für mich nicht.

Ja, da kommen wir der Sache vielleicht näher.

Ganz bestimmt sogar.

Die hat
nicht jedeR. Auch oder womöglich sogar gerade in einer auf
Selbstentfaltung basierenden Gesellschaft nicht.

Wait a minute. GPL-Gesellschaft beinhaltet für mich *zentral*, daß
Knappheit abgeschafft ist. Dann hat das jedeR per Definition und es
unterliegt einzig und alleine irgendwelchen Anlagen und der freien
Entscheidung einer Person. D.h. wer die Kenntnisse und Mittel haben
*will*, kann sie auch bekommen. Eigene Anstrengung um die eigenen
Handlungsmöglichkeiten kann einem aber niemensch abnehmen.

Genau was Du hier "eigene Anstrengung um die eigenen
Handlungsmöglichkeiten" nennst ist aber etwas, was einem nicht in die
Wiege gelegt wird.

Es wird den Menschen sogar buchstäblich in die Wiege gelegt. Sonst
könnten Säuglinge nicht mal das Sehen lernen - geschweige denn das
Saugen an der Mutterbrust / Flasche und alles was da noch so nötig ist
um überhaupt mal wenigstens ein paar basale Handlungsmöglichkeiten zu
haben in dem ganzen Chaos, das die Sinne einem so liefern.

Die Möglichkeit dazu vielleicht, aber das meiste
davon wird ja den meisten gründlich ausgetrieben.

Irgendwie habe ich massiv das Gefühl, daß du hier ein ganz bestimmtes
Ideal von Selbstentfaltung im Kopf hast, daß du letztlich anderen
überstülpen wirst müssen. Warum?

Wie sich das individuell, historisch, kulturell
ausbuchstabiert ist höchst variabel. Vielleicht ist es nicht mal so
eine steile These zu vermuten, daß Mitglieder einer
Stammesgesellschaft sich auch schon selbstentfaltet haben.

Sicher nicht. Der Punkt ist nur das individuell ausbuchstabieren. Wie
gesagt sind den Leuten die Selbstentfaltungsmöglichkeiten ziemlich
ausgetrieben worden. Wenn Du jetzt auf Deinem hohen Theorieross
daherkommst und ihnen sagst, dass sie aber "qua menschsein" sich bitte
selbstentfalten sollen werden sie Dich wohl vor allem mit grossen
Augen angucken.

Na ja, mensch müßte es ihnen schon in ihren Worten sagen. Aber ein
halbes Jahr Mallorca würden die meisten verstehen - meinst du nicht?
Danach würden sicher die allermeisten sich anfangen was zu überlegen,
worauf sie Bock hätten.

Versteh mich nicht falsch, mir geht es nicht darum den "neuen
Menschen" zu erziehen oder darum dass nicht auch konkret jeder
Einzelne zur Selbstentfaltung fähig wäre.

Nein, "neue Menschen" sind mir auch immer suspekt.

Mir geht es nur darum,
dass es eben ein grosser Schritt ist von der Theorie, nach der jeder
"qua Menschsein" sich Selbstentfalten kann und der Praxis, das auch
für die Leute konkret möglich und wünschenswert zu machen.

Nun, da sehe ich nicht wirklich ein Problem. Aber vielleicht liegt das
daran, daß ich nicht so viele Vorgaben mache.

Selbstentfaltung ist halt auch ein Egotrip. Ist ja auch
alles gut und richtig, ich bin ein grosser Selbstentfaltungsfreund,
aber die Tragweite dieser Umwälzung ist halt nicht von allen auf
einmal mitzumachen.

Was hindert sie unter den von mir genannten Bedingungen deiner Ansicht
nach?

Der Wunsch, gesagt zu kriegen, wo´s langgeht.
Sklavenmentalität. Angst vor Freiheit.

Aha. Du hast also Angst, daß sich zu wenige SklaventreiberInnen
finden, die es den selbstentfalteten Sklaven ordentlich besorgen. Na,
da habe ich eher keine Bedenken.

Wunsch nach z.B. nationaler
Identifikation. Jemand besseres sein wollen. Sexismus, Rassismus, ...

Für dich ist das also unvereinbar mit Selbstentfaltung? Ich würde
denken, vor allem letzteres ist lediglich irrational mit dem
Selbstentfaltungsmodell, das "wir" hier diskutieren. Daß es irrational
ist, heißt nicht, daß es automatisch verschwindet - aber die Chancen
stehen jedenfalls ganz gut.

Nehmen wir als Beispiel Freie Software: Es wäre z.B. völlig
irrational, keine Freie Software von Schwarzen / Weißen / Gelben /
Roten / Grünen / <deine ethnische Haßgruppe hier> oder von Männern /
Frauen usw. einzusetzen *weil* sie von den jeweiligen Leuten kommt.
Manche werden es dennoch tun, aber die Rationalität zieht das
statistisch schon gerade.

Wäre das nicht so, gäbe es im übrigen keinen Kapitalismus, der
schließlich auch nur aufgrund von Rationalitätsbedingungen - halt
unter bestimmten historischen Vorgaben und vielfach gebrochen -
gedeihen konnte.

Möglicherweise sind alle diese Dinge nur Ausfluss des
Verwertungssystems, glaub ich aber nicht. Und selbst wenn, werden sie
nicht von heute auf morgen verschwinden und "wir" müssen irgendwie
damit umgehen, sowohl theoretisch als auch in der Praxis.

Warum? Ich weiß jedenfalls nicht so genau, warum ich damit umgehen
muß. Um was zu erreichen?

Nun, ich rede auch oft nicht so sehr über eine Übergangszeit -
zugestanden. Übergangszeiten sind immer schwer und besonders
turbulent. Bifurkationspunkte halt.

So lange es aber nicht wenigstens die Andeutung eines gangbaren Weges
gibt, wird Dir auch niemand Dein Ziel glauben.

Na, glücklicherweise gibt es nicht nur diese Versicherungsmentalität.

Und nicht zuletzt ist
immer der Weg das Ziel.

Sie baden gerade ihre Hände darin ;-) .


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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Organisation: projekt oekonux.de


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