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Re: [ox] Freie Software und Wissenschaft



Hallo Benni, du Wissenschaftler!

At 08:35 09.07.02 [PHONE NUMBER REMOVED], Benni Baermann wrote:
Hallo ihr Wissenschaftler!

Also zunächst mal finde ich es ja schon auffällig, dass ausgerechnet
die professionellen Wissenschaftler es sind, die auffschreien, wenn
mal jemand ihre Profession kritisiert. Oder stecke ich Dich da in die
falsch Schublade, Franz? Naja, Das Sein bestimmt das Bewusstsein :-)

Ebent!

Es geht nicht um das Verständnis von
beschränkter Reproduzierbarkeit sondern gerade darum die Verständnis
(also das System, das Modell, ...) so weit zu treiben, dass möglichst
wenige Einzelfälle draussen bleiben und diese sind dann nicht mehr
Gegenstand von Wissenschaft auch wenn sie in ihren besseren Varianten
sich dieser Beschränktheit immerhin noch bewusst wird, so will sie sie
nicht mehr _verstehen_. Dafür gibt es dann Priester und Therapeuten.

Fuer einen gewissen und sicher dominanten Begriff von Wissenschaft hast du wahrscheinlich recht. Deshalb rufe ich ja zu einem Buendnis mit alternativen Kraeften in der Wissenschaft auf, die diese Form der Wissensproduktion auch verwerfen. Dazu muesste man dann aber weniger sich voneinander abgrenzen als sich gemeinsam von was Anderem abgrenzen.

Hans-Gert:
> Ich verweise auch auf den Beitrag von Ilkka Tuomi
> <a href= "http://firstmonday.org/issues/issue6_1/tuomi/index.html";>
> Internet, Innovation, and Open Source: Actors in the Network</a><br>
> First Monday, volume 6, number 1 (January 2001)
> und den Ansatz der "thought communities", auf den hier vor einiger
> Zeit hingewiesen wurde. Da ist, glaube ich, viel Nützliches für diesen
> Thread hier zu finden.

Ich hab den Artikel mal überflogen. Ich bin mal unfair und gehe
inhaltlich nicht drauf ein, sondern rein formal. Ich nehme mal ein
Zitat daraus - zugegeben völlig aus dem Zusammenhang gerissen - um
deutlich zu machen, was an Wissenschaft wirklich nervtötend ist:

" (e.g., DiBona, Ockman, & Stone, 1999 Wayner, 2000; Leonard, 2000;
Raymond, 1998b; Raymond, 1998a; Bezroukov, 1999; Kuwabara, 2000)"

Wow. Der Kern von solchen Zeilen ist doch:

- Der Autor will uns weismachen, er hätte _alles_ was es zu einem
Thema (wissenschaftliches) gibt, gelesen. Dieser Anspruch von
systematischer Vollständigkeit ist bei Wissenschaft immer vorhanden.

Das machst du (oder auch ein anderer Leser) draus. Ich mache daraus: Schoen, da hat sich jemand die Muehe gemacht, fuer mich ein paar Texte aufzulisten, die er in dem Zusammenhang, in dem die Literaturhinweise stehen, relevant findet. Wenn ich will kann ich da mal nachschauen. Verweise auf Diskussionen andernorts halt, Hyperlinks. Und wenn ich mit dem Autor diskutieren will, dann ist es tatsaechlich nuetzlich, wenn ich mich auf das einlasse, was er geschrieben, aber auch gelesen hat. Und dazu muss er mir dann aber schon auch sagen was. Diese Erfahrung machst du doch sicher zur genuege mit dem Alien-Buch oder der Dialektik der Aufklaerung.

Was bleibt also: Poserei und Kariere. Und das kriegt man schon in den
allerersten Seminaren und Vorlesungen beigebracht, wie wichtig die
sind. Das gestaltet sich von Disziplin (Das Wort alleine!) zu
Disziplin unterschiedlich, mal ist es Namedropping, mal
Abreviationdropping, mal Formalismus mit dem man Punkte sammelt, die
Rituale einübt. Am Ende ist es immer ein entfremdetes Hecheln nach dem
kleinen anschlussfähigen Wissenskick mit dem man gross rauskommt.

Du weisst selbst, wie schwer es ist, eine laufende Diskussion jemand so zu vermitteln, dass er/sie sich nicht ausgeschlossen fuehlt. Was ist FS, GNU, ox, RMS, eine Entitaet, M$, ...? Mit der Literaturhinweiswurscht, die du zitiert hast, gibt uns der Autor immerhin eine Chance, uns schlauer zu machen.

Gleichwohl stimme ich dir zu, dass die allfaelligen Formen der Poserei nerven. Aber sie sind m.E. eher ein Bindeglied zur Freien Software. Ich behaupte mal, dass auch innerhalb konkreter FS-Projekte und in der Szene solche Mechanismen ablaufen. Dieses staendige Daraufhinweisen z.B. welche tolle Software dieser und jener geschrieben hat. Wenn jemand Kompetenz signalisiert ("Ich habe XY gelesen." "Mir ist die Abkuerzung XY gelaeufig"), dann ist das halt mehrdeutig. Einmal ist es eine nuetzliche Information fuer mich: "Aha, das kann der/die also. Dann kann er/sie mir was darueber erzaehlen." Aber es kann natuerlich auch Einschuechterungsgehabe sein. Oder Beides.

On Mon, Jul 08, 2002 at 02:32:00PM +0200, Thomas Berker wrote:
> >ok, also mal wieder FS & Wissenschaft. Wir hatten das Thema schon oft
>
> Die Parallelen liegen ja auch auf der Hand. Leider ist genau diese
> Diskussion ziemlich knifflig. Das liegt daran, dass  - wie auch schon
> geschrieben wurde - konkreter Wissenschaftsbetrieb und eine wieauchimmer
> konzipierte ideale Wissenschaft (z.B. als Aufklaerung) durcheinandergehen.
> Wir wissen, dass diese Konzepte kontrovers diskutiert werden. Und zudem
> moechte ich davor warnen, die eigenen Erfahrungen in einer oder zwei
> Disziplinen in einem oder zwei Wissenschaftsbetrieben zu verallgemeinern.

Jetzt pose ich auch mal :-) Ich glaube nämlich schon, dass ich einen
größeren Querschnitt kenne, als die allermeisten anderen. Ich hab
mehrere Jahre in Life-Science-Laboren gearbeitet und kenne sowohl
Ingenieurs- als auch Geistes- und Sozialwissenschaft aus eigener
Anschauung

Ich wollte damit auch nicht sagen, dass _du_ nur einen zu kleinen Ausschnitt kennst (ich kenn dich und deinen breiten Horizont ja schliesslich schon lange genug), sondern, dass alle Blickwinkel beschraenkt sind.

> Also: Wissenschaft als eine bestimmte ideale Wissenschaft und als
> Wissenschaftsbetrieb gibts erstmal nicht.

Na, zu allem was ich gesehen habe, passen die von mir geschilderten
Prinzipien aber sehr gut.

Ich zeig dir bei Gelegenheit Anderes.

> Diese Wissenschaft ist
> - pragmatisch,
> - netzwerkfoermig (im Gegensatz zu buerokratisch) organisiert,
> - international,
> - gleich fern von Staat und Kapitalismus,
> - offen und durchlaessig.
>
> Soweit die Idee.

Und das ist schon immer das ideal von _jeder_ Wissenschaft

Nein. Es gibt zu viele Leute, die traeumen von und betreiben:

- Wissenschaft, die systematisch, abstrakt und/oder theoretisch ist und bleiben soll,
- buerokratisierte und/oder hierarchisch organisierte Wissenschaft,
- national beschraenkte Wissenschaft,
- Wissenschaft, die im Dienste von Staat und/oder Kapital steht und stehen soll,
- Wissenschaft, die sich elitaer dem Rest der Gesellschaft verschliesst.

und es ist
schon immer ein Hohn gewesen. Welche Wissenschaft würde sich offen
dazu bekennen eine dieser Prinzipien nicht anzuwenden?

Du wirst historisch gesehen zumal in Deutschland keine Probleme haben, jemand zu finden, der sich gegen offene, internationale, usw. Wissenschaft ausspricht. Aber auch in den deutschen Bildungsdebatten der letzten Jahrzehnte wimmelts davon.

Genau das sind auch die Ideale von Freier Software und wenn nix
passiert, sieht es damit in hundert Jahren genauso elend aus.

Sag ich ja, da kann man voneinander lernen. Ich denke, gerade hier lohnt es sich auf die Parallelen zu schauen statt auf die Unterschiede.

> Also: FS _ist_ in zentralen Punkten vergleichbar mit Wissenschaft, aber
> trau schau wem.

Ja, die Frage ist nur, ob das für Wissenschaft oder gegen Freie
Software spricht ;-)

Fuer Beides.

beste Gruesse, thomas (b)

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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