Re: [ox] Freie Software und Wissenschaft
- From: Benni Baermann <benni obda.de>
- Date: Fri, 12 Jul 2002 09:45:41 +0200
Tach alle!
On Thu, Jul 11, 2002 at 08:45:00PM [PHONE NUMBER REMOVED], Thomas Berker wrote:
Hallo Benni, du Wissenschaftler!
;-)
At 08:35 09.07.02 [PHONE NUMBER REMOVED], Benni Baermann wrote:
Es geht nicht um das Verständnis von
beschränkter Reproduzierbarkeit sondern gerade darum die Verständnis
(also das System, das Modell, ...) so weit zu treiben, dass möglichst
wenige Einzelfälle draussen bleiben und diese sind dann nicht mehr
Gegenstand von Wissenschaft auch wenn sie in ihren besseren Varianten
sich dieser Beschränktheit immerhin noch bewusst wird, so will sie sie
nicht mehr _verstehen_. Dafür gibt es dann Priester und Therapeuten.
Fuer einen gewissen und sicher dominanten Begriff von Wissenschaft hast du
wahrscheinlich recht. Deshalb rufe ich ja zu einem Buendnis mit
alternativen Kraeften in der Wissenschaft auf, die diese Form der
Wissensproduktion auch verwerfen. Dazu muesste man dann aber weniger sich
voneinander abgrenzen als sich gemeinsam von was Anderem abgrenzen.
Jaja, so eine Formel würde ich natürlich auch unterschreiben. Nur ist
es dazu nicht nötig "Wissenschaft" als was an sich tolles zu hypen.
- Der Autor will uns weismachen, er hätte _alles_ was es zu einem
Thema (wissenschaftliches) gibt, gelesen. Dieser Anspruch von
systematischer Vollständigkeit ist bei Wissenschaft immer vorhanden.
Das machst du (oder auch ein anderer Leser) draus. Ich mache daraus:
Schoen, da hat sich jemand die Muehe gemacht, fuer mich ein paar Texte
aufzulisten, die er in dem Zusammenhang, in dem die Literaturhinweise
stehen, relevant findet. Wenn ich will kann ich da mal nachschauen.
Verweise auf Diskussionen andernorts halt, Hyperlinks. Und wenn ich mit dem
Autor diskutieren will, dann ist es tatsaechlich nuetzlich, wenn ich mich
auf das einlasse, was er geschrieben, aber auch gelesen hat. Und dazu muss
er mir dann aber schon auch sagen was. Diese Erfahrung machst du doch
sicher zur genuege mit dem Alien-Buch oder der Dialektik der Aufklaerung.
Ja, korrekt. Es ist ja auch nicht so, dass ich in meinen Texten keine
Links lege. Ich bin halt nur gegen das Prinzip möglichst viel Links zu
legen, weil das immer geheuchelt ist. Auch Links und Verweise haben
nicht nur Quantität sondern auch Qualität. Und diese Qualität wird vom
"Prinzip Wissenschaft" prinzipiell nicht honoriert.
Was bleibt also: Poserei und Kariere. Und das kriegt man schon in den
allerersten Seminaren und Vorlesungen beigebracht, wie wichtig die
sind. Das gestaltet sich von Disziplin (Das Wort alleine!) zu
Disziplin unterschiedlich, mal ist es Namedropping, mal
Abreviationdropping, mal Formalismus mit dem man Punkte sammelt, die
Rituale einübt. Am Ende ist es immer ein entfremdetes Hecheln nach dem
kleinen anschlussfähigen Wissenskick mit dem man gross rauskommt.
Du weisst selbst, wie schwer es ist, eine laufende Diskussion jemand so zu
vermitteln, dass er/sie sich nicht ausgeschlossen fuehlt. Was ist FS, GNU,
ox, RMS, eine Entitaet, M$, ...? Mit der Literaturhinweiswurscht, die du
zitiert hast, gibt uns der Autor immerhin eine Chance, uns schlauer zu machen.
Nicht wirklich. Besser wäre es gewesen auf _einen_ Artikel zu
verweisen, der einen Überblick gibt. Aber das ist ja gegen die
Wissenschaftlerehre, die immer nur auf Originalarbeiten verweisen
darf. Noch besser wäre es gewesen wirklich Hyperlinks zu legen.
Immerhin ist der Artikel in einer Netzzeitschrift erschienen! Aber
nein, die überkommenen und überholten Kriterien von
Wissenschaftlichkeit aus dem Gutenbergzeitalter zählen mehr als
Pragmatismus.
Gleichwohl stimme ich dir zu, dass die allfaelligen Formen der Poserei
nerven. Aber sie sind m.E. eher ein Bindeglied zur Freien Software. Ich
behaupte mal, dass auch innerhalb konkreter FS-Projekte und in der Szene
solche Mechanismen ablaufen. Dieses staendige Daraufhinweisen z.B. welche
tolle Software dieser und jener geschrieben hat. Wenn jemand Kompetenz
signalisiert ("Ich habe XY gelesen." "Mir ist die Abkuerzung XY
gelaeufig"), dann ist das halt mehrdeutig. Einmal ist es eine nuetzliche
Information fuer mich: "Aha, das kann der/die also. Dann kann er/sie mir
was darueber erzaehlen." Aber es kann natuerlich auch
Einschuechterungsgehabe sein. Oder Beides.
Ja auf jeden Fall! Wenn ich Wissenschaft kritisiere dann ist das auch
als Warnung gedacht gewesen, wohin sich Freie Software auch entwicklen
kann und sich teilweise auch schon entwickelt hat.
Also: Wissenschaft als eine bestimmte ideale Wissenschaft und als
Wissenschaftsbetrieb gibts erstmal nicht.
Na, zu allem was ich gesehen habe, passen die von mir geschilderten
Prinzipien aber sehr gut.
Ich zeig dir bei Gelegenheit Anderes.
Da bin ich natürlich schon gespannt. Warum nicht auf der [ox]-Konferenz?
Diese Wissenschaft ist
- pragmatisch,
- netzwerkfoermig (im Gegensatz zu buerokratisch) organisiert,
- international,
- gleich fern von Staat und Kapitalismus,
- offen und durchlaessig.
Soweit die Idee.
Und das ist schon immer das ideal von _jeder_ Wissenschaft
Nein. Es gibt zu viele Leute, die traeumen von und betreiben:
- Wissenschaft, die systematisch, abstrakt und/oder theoretisch ist und
bleiben soll,
- buerokratisierte und/oder hierarchisch organisierte Wissenschaft,
- national beschraenkte Wissenschaft,
- Wissenschaft, die im Dienste von Staat und/oder Kapital steht und stehen
soll,
- Wissenschaft, die sich elitaer dem Rest der Gesellschaft verschliesst.
Zugegeben, die hab ich von vorneherein schon als Verräter eingestuft.
Irgendwie errinnert mich das jetzt ganz dubios an die üblichen
Humboldt-Diskussionen zu Streikzeiten...
und es ist
schon immer ein Hohn gewesen. Welche Wissenschaft würde sich offen
dazu bekennen eine dieser Prinzipien nicht anzuwenden?
Du wirst historisch gesehen zumal in Deutschland keine Probleme haben,
jemand zu finden, der sich gegen offene, internationale, usw. Wissenschaft
ausspricht. Aber auch in den deutschen Bildungsdebatten der letzten
Jahrzehnte wimmelts davon.
Ich fürchte Du hast Recht :-(
Grüße, Benni
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