Re: [ox] Konkurrenz, Vielfalt und Selektion
- From: Thomas Berker <thomas.berker gmx.de>
- Date: Thu, 19 Sep 2002 16:02:43 +0200
Hei Benni,
bevor ich ins Einzelne gehe, nochmal was Grundlegenderes: Ich bin mir gar
nicht mehr so sicher, ob 'Kooperation versus Konkunrrenz' tatsaechlich zu
den 'grossen' Dualismen gehoert. Ein Zweifel schleicht sich ein, wenn wir
dieses Paar z.B. mal mit dem Mann-Frau-Dualismus permutieren.
Auf der Ebene des dualistischen Rollenmodells:
- 'konkurrieren' Maenner nicht nur, sie 'kooperieren' durchaus - und zwar
mit anderen Maennern.
- Frauen hingegen 'kooperieren' nicht mit ihren FreundInnen, Kindern und
Gatten, stattdessen lieben, behueten, begehren, erziehen, ... sie sie.
- Untereinander konkurrierende Frauen werden nicht ganz ernst genommen, sie
sind entweder 'stutenbissig' oder Mannweiber (z.B. Sportlerinnen, ausser
diejenigen, die trotzdem 'feminin' bleiben).
- Wenn Frauen es aber wagen, von gleich zu gleich mit Maennern sich zu
messen, dann werden sie unentwegt darauf hingewiesen, dass sie eigentlich
in einer anderen Liga spielen und besser _um_ statt _gegen_ Maenner
konkurrieren sollten (z.B. die droege Anspielung auf 'des Maedchens' Angela
Merkels Haarschnitt).
- Und Maenner 'kooperieren' nicht mit Frauen, sie begehren, lieben,
benuetzen, ... sie. Das ist z.B. ein Hintergrund der oft gehoerten
Platituede: "Maenner und Frauen koennen keine Freunde sein".
Usw., usf., ich hoffe das allgemeine Muster ist deutlich geworden. Unter
die 'grossen' Dualismen wuerde ich wirklich nur diejenigen zaehlen, die
sich _gegenseitig_ verstaerken, weil sie gemeinhin gleichsinnig assoziiert
werden, z.B. Mann-Frau, Geist-Materie, zivilisiert-wild, Mensch-Natur,
ratio-emotio, usw. In all diesen Begriffspaaren wuerde ich Koop _und_ Konk
eher der linken Seite zuordnen.
Vielleicht waere also eine recht grundlegende Kritik an deinem Interesse
fuer das Paar Koop-Konk im Zusammenhang mit Freier Software, dass es nicht
nur den Dualismus selbst reproduziert (um ihn zu ueberwinden, was durchaus
legitim sein kann, s.letzte Mail), sondern dass du damit gleich auch noch
nolens volens u.a. die daran klebenden Geschlechterstereotype mit
einkaufst. Du bildest also mit 'Kooperenz' sozusagen nur die Synthese des
'maennlichen, rationalen, zivilisierten, ...' Teils eines quer dazu
stehenden Dualismus. Irgendwie passt das ja auch zu Freier Software als
maennerdominiertem Bereich.
Das muesste - wenns stimmt - zumindest reflektiert werden.
Aber nun im Einzelnen:
At 16:58 18.09.02 [PHONE NUMBER REMOVED], you wrote:
> Materialismus weg hin zu allzu idealistischen Argumentationsmustern
> draengeln lassen.
Das ist mir nicht ganz klar inwieweit das "idealistische
Argumentationsmuster" sind. Es geht doch gerade darum den
idealistischen Dualismus anzugreifen, oder?
Ich meinte idealistisch nicht von 'ideal' hergeleitet ('Ich bin Idealist
und arbeite ehrenamtlich fuer das Gute') sondern von 'ideell' (also: 'Ich
bin Idealist und glaube, dass Ideen die Welt veraendern'), so wie es
philosophiegeschichtlich verwendet wird. Meine Selbstkritik, die uebrigens
auch den ersten Teil dieser Mail betrifft, zielte darauf, dass man ueber
all das Ideologiezeug trefflich spekulieren kann, es aber zumindest
zusaetzlich ganz andere Kraefte sind, die wichtig sind.
> Ich stimme Jobst gleichwohl zu, dass eine Gegnerschaft zu zentralen
> Dualismen sich selbst hinterfragen kann: Wird ein Modell zwingend dadurch
> besser (demokratischer, menschlicher, wahrer), dass es komplexer ist als
> ein Dualismus? Ja und nein. Im Einklang mit Jobst glaube ich, dass das
> komplexere Modell tendenziell mehr Einsicht bringt und weniger
> Handlungsmoeglichkeiten.
Ich sehe nicht so recht, wieso ein nicht-dualistisches Modell zwingend
komplexer sein muss.
Hast recht. Auch ansonsten stimme ich zu, bis auf:
> Benni
> muss in wesentlichen Teilen die Rhethorik des Dualismus (private Sphaere =
> Kooperation; Nation = Kooperation; Markt = Konkurrenz; ...) reproduzieren,
> um zur besonderen Qualitaet Freier Software zu gelangen. Das ist bei
dieser
> Form der Kritik an Dualismen immer so und definitiv ein Problem.
Deswegen hab ich ja irgendwann das neue Kunstwort eingeführt, weil das
mit den alten Worten nicht mehr so recht gepasst hat.
Das macht m.E. keinen sooo grossen Unterschied: Wenn ich dich richtig
verstehe, willst du mit dem Kunstwort Kooperenz auf was ganz Neues hinaus,
was eben nichts mehr mit Kooper(ation) und (Konkur)renz zu tun hat. Als
Wort signalisiert es das nicht unbedingt und provoziert Missverstaendnisse.
Besser waer vielleicht ein ganz anderes Wort.
Und dann noch zu ganz was anderem:
> Dieser letzte Typ von Kritik setzt freilich voraus, dass Leute davon
> ueberzeugt werden, dass es nichts gibt, 'was der Mensch eigentlich ist'
> oder 'worauf die Gesellschaft eigentlich gegruendet ist'. Keine
vorsozialen
> Essentials nirgends.
Hm. Was ist mit dem vorsozialen Essential, das der Mensch eben gerade
ist, die Wahl zu haben (ala kritische Psychologie)? Aber das ist dann
vielleicht wirklich Mierenökerei...
(Fuer die die sich wundern: Mierenoekerei ist Insidersprech. Auf
Hollaendisch heisst wohl Mirenoeker - sicher wirds voellig anders
geschrieben - Ameisenficker, also sowas wie Korinthenkacker)
Nix gibts, keine Essentials! Alles wird verhandelt! Meine Wahlfreiheit ist
in meinem Interesse. Wenn ich behaupte, das waere angeboren oder so, dann
luege ich mein partikulares Interesse in eine allgemeine Naturtatsache um.
Einigen kann man sich allerdings schon auf ein paar grundlegende
Ausgangspunkte und dazu wuerde ich die Wahlfreiheit unbedingt zaehlen.
> "Der Mensch ist dem Menschen ein Gott. Der Mensch ist
> dem Menschen ein Wolf. " So ungefaehr heisst, wenn ich mich richtig
> erinnere, das ganze Hobbes-Zitat (aus 'De cive').
Nach ein bisschen Googlen scheint das falsch zu sein: Der Erste Teil
stammt von Feuerbach und ist eine Antwort auf Hobbes.
Da taeuscht Google. Die Googlifizierung des Wissens ist super, hat aber
auch einen Nachteil: Google weiss das, was viele schreiben/glauben. Und
wenn das mal nur die halbe Wahrheit ist, dann weiss Google nur die halbe
Wahrheit. De Cive gibts z.B. hier
http://www.ecn.bris.ac.uk/het/hobbes/hobbes1 (natuerlich mit Google gesucht
und gefunden) und das Zitat lautet:
"To speak impartially, both sayings are very true; That Man to Man is a
kind of God; and that Man to Man is an arrant Wolfe. "
Das ist aber ansonsten, glaub ich, in unserem Zusammenhang erstmal nicht so
wichtig.
Thomas
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