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Re: [ox] Arbeit und Geld



Hi Benja und Liste!

Ein Punkt hier zu.

2 weeks (17 days) ago B Fallenstein wrote:
`Ware', `Wert', `Geld', `Kapital', `Lohnarbeit' usw. sind alles
Formbegriffe, diese Formen sind spezifisch fuer Kapitalismus. In anderen
Gesellschaften kann derselbe Inhalt eine ganz andere Form annehmen.
Gesellschaftlich _notwendige_ Arbeit gehoert fuer mich nicht zu diesen
Formbegriffen. Die ist solange notwendig, wie es keinen _technischen_
Ersatz (Maschinen etc.) fuer die Arbeiten gibt, auf die niemand wirklich
Lust hat. Es ist somit, wie gesagt, keine Frage der Verhaeltnisse,
sondern der Technik.

(Na ja, Technik, die Bugs automatisch fixt ist in keinster Weise
abzusehen. Ich denke, das Problem wird bleiben, egal wie sich die
Technik entwickelt.)

Aber ich denke, dass die Technikentwicklung schon eine Rolle auch in
dieser Frage spielt. Die Industrialisierung enthebt die Menschheit
grundsätzlich in weiten Teilen von der Notwendigkeit zu (schwerer)
körperlicher Arbeit, die vor der Industrialisierung wohl noch für
viele Menschen unserer Klimazonen buchstäblich das täglich Brot erst
ermöglicht hat.

BTW und wo ich gerade dabei bin: <exkurs> Ich habe vor Kurzem in der
ARD die Serie "Schwarzwaldhaus 1902" verfolgt. Auch wenn über die
Machart und auch die Form des Experiments selbst - z.B. die mangelnde
Ausbildung der ProtagonistInnen - zu diskutieren wäre, fand ich es
doch ungeheuer beeindruckend, wie sehr Menschen noch vor 100 Jahren
buchstäblich von ihrer eigenen Hände Arbeit, eigener Verantwortung und
auch so schwer kalkulierbaren Größen wie dem Wetter abhängig waren -
und zwar *existentiell* abhängig. Ganz zu schweigen von den
Lebensbedingungen, die sie unter diesen Umständen in unserer
unwirtlichen Klimazone damit erreicht haben. *Damals* war die Frage,
wo die Brötchen herkommen wirklich eine Frage, die die Menschen sehr
direkt betroffen hat. </exkurs>

Das hat auch zur Folge, dass die Notwendigkeit zu (schwerer)
körperlicher Arbeit tendenziell entfällt. Heute ist (schwere)
körperliche Arbeit vielmehr in den Bereich der Selbstentfaltung
gewandert - Gartenarbeit oder Fitness-Center z.B.

Allerdings ist es sehr wohl eine Frage der Verhaeltnisse, wie die
gesellschaftlich notwendige Arbeit organisiert wird. Der Kapitalismus
konzentriert diese Arbeiten auf Menschen, die nie etwas anderes machen
koennen, das Reich der Notwendigkeit also nie verlassen. Andere
profitieren von genau dieser Tatsache und brauchen das Reich der
Freiheit nie zu verlassen. Alle miteinander kommen nicht zur "Einsicht
in die Notwendigkeit", weil die Tatsache, dass ich "fuer die
Gesellschaft" arbeite, durch die Waren- und Geldform verschleiert wird.

Ja; aber es reicht auch nicht, dass jemand mir sagt oder ich mir sage
dass ich "für die Gesellschaft" arbeite und ich mich dann moralisch
unter Druck setze, ich muss das machen. Das ist nämlich auch
Notwendigkeit. Wenn die Einsicht in die Notwendigkeit dagegen dazu
führt, dass ich die notwendige Arbeit aus Selbstentfaltung tue (wozu
gehört: aufhören zu können, wenn die Arbeit nicht mehr Selbstentfaltung
ist), wird ein Schuh draus.

Hier ist aber die gesamtgesellschaftliche Organisation schon eine
wichtige Größe. Ich denke in letzter Zeit immer öfter so, dass die
Phase des Kapitalismus eine war / ist, in der die technischen
Produktivkräfte eben dergestalt waren, dass die sozialen
Produktivkräfte nur unter Zwang funktionieren konnten. Ob dieser Zwang
direkt (Arbeitslager) oder strukturell (Geld) war, ist dabei letztlich
nur eine graduelle Frage. Dies hängt mit zwei Faktoren zusammen.

Einerseits wurde im Zuge der Industrialisierung die Tätigkeit der
Einzelnen von je ihren Lebensbedingungen entkoppelt. Die Tätigkeit
bzw. die Arbeit in der Fabrik war eben nicht mehr in dem Sinne
unmittelbar an die eigenen Lebensbedingungen gekoppelt, wie sie es vor
100 Jahren im Schwarzwaldhaus waren. Der Gesellschaftsbegriff, den
StefanMz vertritt, wo eben nicht die je einzelne Tätigkeit
entscheidend für die eigene Reproduktion oder auch die der
Gesellschaft ist (IIRC), konkretisiert sich durch diese Entkopplung
eigentlich erst.

Die Vermittlung zwischen eigener Tätigkeit wurde vielmehr erst im
Nachhinein hergestellt durch das Geld, mit dessen Hilfe je ihre
Lebensbedingungen gestaltet werden konnten. Dass diese Vermittlung
überhaupt notwendig war und sich nicht wie auf Oekonux vorgestellt
sich von alleine eingestellt hat, liegt an:

Andererseits war die Technik auch eben nur so weit entwickelt, dass
die Menschen vor allem als verlängertes Element der unzulänglichen
Maschinerie anzutreten hatten. Diese mehrfach entfremdete Tätigkeit
wird eben nur unter Zwangsbedingungen gemacht. Kreative Potentiale,
die m.E. ein wesentliches Element von Selbstentfaltung sind, spielten
hierbei keine Rolle. Im Gegenteil: Kreative Potentiale waren
potentielle Störfaktoren. Umgekehrt war die Technikentwicklung aber
natürlich auch auf diese Prozesse ausgelegt: Niemensch würde eine
Maschine konstruieren, an der nur Zwangsarbeit verrichtet werden kann,
wenn sie nicht wüsste, dass es jemenschen geben wird, der diese
Zwangsarbeit auch tut.

Heute ist die Technikentwicklung dagegen an einem Punkt angekommen, wo
die kreativen Potentiale der Menschen immer mehr zum entscheidenden
Faktor ihrer Tätigkeit werden. Der nicht-kreative Teil des
Stoffwechsels wird nämlich zunehmend von Maschinen übernommen - wozu
sie ja auch schließlich da sind. Die Maschinen haben dabei
(technische) Freiheitsgrade und eine Universalität erreicht, die sie
eben auch zu Zwecken der Selbstentfaltung einsetzbar machen.

Eine Oekonux-Kernthese ist ja, dass die Notwendigkeit des kreativen
Potentials der Menschen nach einem nächsten Schritt in der
Produktivkraftentwicklung verlangt - der in der Freien Software
keimförmig sichtbar ist, der aber auch in den entsprechenden Bereichen
kapitalistischer Vergesellschaftung ahnbar ist. Die Entwicklung der
Maschinen spiegelt dies ebenfalls wieder.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

PS: Benjas Mails in diesem Thread fand ich ziemlich gut :-) .

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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