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[chox] Re: [ox] Re: Interesse als Abstraktion



Hi Matthias!

Ich verlagere mal nach `chat oekonux.de'. Ich weiß nicht, ob du da
subscribet bist.

Ich glaube inzwischen, dass der Grund für den Dissens in einem
tieferen philosophischen Problem liegt. So gewendet würde ich unseren
Dissens da sehen.

Last month (33 days ago) Matthias Schulz wrote:
Am Sonntag, 20. Juli 2003 17:23 schrieb Stefan Merten:
Davon abgesehen hier mal ein Zitat aus meinem kleinen Brockhaus:

  Interesse [lateinisch "dabeisein"], Anteilnahme, Aufmerksamkeit; nur
  Mehrzahl: Neigung, Absicht, Vorteil, Nutzen.

Diese Definition scheint mir näher an meiner als an eurer. So gesehen
scheint mir mein Verständnis des Wortes jedenfalls mal volkstümlicher.

Naja, mit den Worten aus dem Brockhaus kann ich so nichts anfangen. Was meinst
du denn damit, inhaltlich?

Ich wollte hier wirklich nur das "volkstümlich" fest halten. Ist ja
wichtig, wenn mensch mit seinen Begriffen auch mal nach außen gehen
will.

In einer Menge von Menschen hat jedeR eigene individuelle
Gründe etwas zu tun. Überlappen sich nun diese Handlungsgründe zwischen
mehreren Menschen, kann ich diese Abstraktion, den Durchschnitt als
Interesse bezeichnen.

Hier scheint mir schon das Kardinalproblem zu liegen: Warum tust du
das denn? Hier trittst du ganz konkret als 3. Person auf und pfropfst
eine Abstraktion auf. Wozu?

Aber das Interesse ist doch die Abstraktion und damit äußerlich. Aber dazu
später mehr.

Es ist genau dann äußerlich, wenn du den Menschen als Monade
begreifst. Wenn du aber Menschen (auch) als Teil einer Gruppe
begreifst, dann ist im Beispiel unten, wo wir von 1. Person sprechen,
nichts mehr äußerlich.

BTW: Ich habe neulich mal kurz (ca. 20 Seiten) was über die
Philosophie Sartres gelesen. An einigen Stellen fiel es mir wie
Schuppen von den Augen, wenn ich an das dachte, was ich von Holzkamp
bisher gehört so habe (und das ist praktisch nur die Reflexion von
StefanMz). Kann es sein, dass die Sartre'sche Philosophie eine
wichtige Wurzel für Holzkamp ist? Gerade an dieser Stelle scheint mir
das so zu sein, weil ich hier genau Sartres Bild vom Ich und den
Anderen wieder erkenne. Und diese Sartre'sche Grundauffassung teile
ich überhaupt nicht. Das entspricht scheinbar ziemlich genau unserem
Dissens.

Im Abstrakt-Allgemeinen betrachte ich die Elemente eines Ganzen nur
insofern, wie sie eben dieses Ganze erschaffen. Die Elemente sind dann
nur gleiche Teile des Ganzen. Also die konkreten je individuellen
Handlungsgründe werden nur soweit betrachtet, wie sie zum Interesse
führen. Der Rest wird ausgeblendet.

Ja, hierzu hatte ich ja schon geschrieben, dass dieses
Abstrakt-Allgemeine ein mir reichlich fremdes Ding ist. Leider scheint
es euch mehr umzutreiben als mir lieb ist :-( .

Oh, mach dir mal keine Sorgen um uns ;-)
Es würde mich sehr wundern, wenn das Abstrakt-Allgemeine dir fremd ist. Das
würde nämlich bedeuten auf der Ebene der Erscheinungen zu verharren.

???

Das Konkret-Allgemeine verharrt auf der Ebene der Erscheinungen?

Und ganz offen gestanden: Ich wüsste auch nicht, warum ich für meinen
Teil mich für das Abstrakt-Allgemeine interessieren sollte. Ist
sowieso Teufelswerk und es ist auch leicht zu vermeiden. Was soll's
also?

Das Abstrakt-Allgemeine selbst ist kein Teufelswerk ;-) . Es ist eine wichtige
Denkform um das Wesentliche, das Stabile zu erkennen.

Dazu geht auch das Konkret-Allgemeine - hatte ich verstanden.

Für mich bezeichnet Gruppeninteresse eher das genaue Gegenteil: Eine
fokussierte Konkretisierung der je konkreten Gründe im Rahmen eines
Kollektivs (jetzt mal ohne das transzendente Brimborium, das diesem
Wort anhaftet). Jedenfalls ein Gruppeninteresse, das ich mir
emanzipatorisch vorstelle. Alles andere würde ich aber ohnehin als
Ideologie bezeichnen und nicht als Gruppeninteresse.

Wie willst du denn konkrete Gründe konkretisieren?

In der 1. Person Singular: Ich gehe in mich, denke darüber nach, was
für Gründe ich habe, reflektiere die mit der Realität, denke
(vieldimensional) über Mühe und Nutzen bestimmter Handlungen nach und
finde mich irgendwann (hoffentlich) bei einem für den jeweiligen
Augenblick angemessenen individuellen Interesse [euer-Begriff-hier]
wieder. Dieses Interesse [euer-Begriff-hier] wird dann für's Erste für
mich handlungsleitend.

Das ist wohl das, was ich unter Handlungsgrund verstehe.
Wie dieses individuelle Interesse ermittelt wird, weiß ich schlicht nicht.
Davon habe ich keine Ahnung und das ist auch im Moment nicht mein Thema.

Wenn es um eine Analogie geht, wäre es aber wichtig, da Genaueres zu
wissen.

Für
mich ist es aber etwas völlig anderes, als das Interesse, zu dem wir gleich
kommen.

In der 1. Person Plural: Ich kommuniziere mit anderen, denke mit ihnen
darüber nach, was für Gründe wir haben, reflektieren diese mit der
Realität, denken (vieldimensional) über Mühe und Nutzen bestimmter
Handlungen nach und finden uns irgendwann (hoffentlich) bei einem für
den jeweiligen Augenblick angemessenen gemeinsamen Interesse
[euer-Begriff-hier] wieder. Dieses Interesse [euer-Begriff-hier] wird
dann für's Erste für uns handlungsleitend.

Ja, das ist das Interesse, von dem ich rede.

Gut.

Nicht das Interesse ist handlungsleitend, sondern weiterhin der Handlungsgrund
bzw. das Interesse der 1. Person Singular. Sicherlich ist das gemeinsame
Interesse ein Moment der konkreten Handlungsgründe, aber es ist nicht selbst
der Grund.

Hier nimmst du eine Trennung vor, die m.E. nicht sachgemäß ist. Auch
hier scheint wieder das Sartre'sche Verhältnis von Ich und Anderen
auf, dass er als ein unüberbrückbares verstanden hat - IIRC. Das halte
ich aber für Blödsinn.

Ist das gemeinsame Interesse handlungsleitend, würde ich vom entfremdeten Fall
sprechen.

Die Handlungsgründe / individuellen Interessen sind im gemeinsamen
Interesse für mich quasi verdichtet. Was für dich eine andere
Kategorie ist - die dann natürlich flugs eine äußerliche wird - ist
für mich bestenfalls ein anderer Aggregatszustand des gleichen Stoffs.
Hier liegt m.E. unser zentraler Dissens. Und der speist sich aus der
grundlegenden Auffassung vom Individuum und seinem Verhältnis zu den
Anderen.

Entfremdet wird es dann, wenn handlungsleitende Interessen eben nicht
mehr Aggregatszustand individueller Interessen sind. Sage ich jetzt
mal so. Müsste genauer durchdacht werden.

Nun gibt es von diesen Realabstraktionen eine ganze Menge, IMHO. Zum
Beispiel auch die Politik. Sicherlich ist Politik ein Teil des
gesellschaftlichen Seins des Menschen, jedoch wenn ich mich darauf
beschränke und es quasi vom konkreten Sein abspalte, setze ich eine
Abstraktion in die Wirklichkeit.
In der FS-Community ist es immer das konkrete Sein der Menschen
welches produziert. Ich kann davon keine einzelnen Teile abstalten.

Freie Software ist auch nichts anderes als das Ergebnis der
Fokussierung der Totalität der Bedürfnisse auf bestimmte Inhalte von
relevant vielen Personen. Diese Personen "zwingen" sich auf, dass
Freie Software etwas Wichtiges sei, für das sie sich Mühe geben
möchten.

Hm, Freie Software ist IMHO das Ergebnis einer Vielzahl unterschiedlicher
je individueller Handlungsgründe, die sich nicht auf ein Abstraktum, auf
den Durchschnitt beschränken müssen.

Für mich liegt der Fehler im Schritt von einer Fokussierung zur
Realabstraktion.

Eine Fokussierung ist leicht änderbar und schon das Wort beschreibt
die Tatsache, dass ein Ausschnitt aus einer Vielheit hervorgehoben
wird. Wie bei einer Lupe ist der Rest dadurch aber nicht weg sondern
eben nur gerade nicht im Fokus. Politik, etc. *kann* ich jetzt als
eine solche Fokussierung auf einen bestimmten Ausschnitt aus Themen
der menschlichen Existenz ansehen. So würde *ich* *alle* Begriffe
bilden wollen.

So funktioniert IMHO das Abstrahieren. Das ist eine wichtige Voraussetzung.
So siehst du aber nur lauter einzelne Elemente, die du dann später irgendwie
zusammen bringen musst.

Nein, nein, nein!! Das ist die Stanze!! Es sind *nicht* lauter
unverbundene Elemente. Wenn du mit einer Lupe auf einer Straßenkarte
operierst, dann siehst du auch, dass die Straßen am Rande deines
aktuellen Fokus weiter gehen. Die Lupe berücksichtigt das und von
daher ist gar nicht die Notwendigkeit, da irgendwas a posteriori
wieder zusammen zu bringen. Die Stanze sagt, dass die Straßen da
enden. *Dann* machst du allerdings einen kapitalen Fehler.

Was ist, wenn das Element nur aus dem Ganzen herraus
begreifbar ist?

Das ist genau das, was ich meine! *Alles* ist nur aus dem Ganzen
heraus zu begreifen. *Alle* Straßen führen am Rand weiter. *Alles*
andere ist Humbug bzw. ein kapitaler Fehler. Und ich hatte verstanden,
dass ihr diesen Humbug mit allgemein-abstrakt bezeichnet. Aber dennoch
kann ich mir die Straßenkarte einer Stadt anschauen und Sinnvolles
daraus lesen.

Aber vielleicht kommen wir ja so auch zusammen: In der Praxis ist
dieses Aus-dem-Ganzen-heraus-begreifen in einer bestimmten Situation
natürlich immer nur bis zu einem gewissen Grad leistbar. Bei genügend
mangelnder Sorgfalt mag dann auch mal im Ergebnis eben das raus
kommen, was ihr als allgemein-abstrakt bezeichnet. Ich könnte jetzt
mit euch argumentieren: Das ist nicht schlimm, das muss mensch nur
wissen. Na, vielleicht finden wir uns ja doch noch irgendwie ;-) .

Wenn du den Schritt zur Realabstraktion machst, dann wirfst du die
Lupe weg und stanzt aus dem Gesamtbild ein Fragment heraus. Das ist
wie Ideologien funktionieren und immer bescheuert. Aber es ist doch
eigentlich ziemlich leicht, dass einfach zu lassen - oder?

Naja, bei den Realabstraktionen hast du doch immer mehrere, z.B. Politik,
Kultur, Ökonomie... die alle miteinander in Beziehung stehen und ein Ganzes
bilden. Es sieht aus, wie durch die Lupe, nur größer ;-) .


Im Kapitalismus ist das gesellschaftliche Sein aufgespalten in z.B.
Politik, Kultur, Ökonomie... aber auch Wissenschaft, Theorie ;-) ...
Das sind alles Realabstraktionen, IMHO.

Das sind alles Fokussierungen - ja. Kein wesensmässiger Unterschied zu
Freier Software an dieser Stelle.

Bis du jetzt anderer Ansicht?

Nein. Es kommt darauf an, was mensch mit der Fokussierung macht.
Mensch kann fokussieren und sich für einen Moment auf etwas
konzentrieren. Da wird nichts weg geworfen. Und mensch kann die Stanze
nehmen und den Rest weg werfen - erst dann ist es eine
Realabstraktion. Aus meiner Sicht kommt es lediglich darauf an, nicht
das falsche Werkzeug zu nehmen - um im Bild zu bleiben.

Das mit dem Fokussieren und der Lupe hingt etwas, IMHO. Es heißt ja auch nicht
umsonst Abstrahieren. Du betrachtest nur einige Eigenschaften eines Dings.
Nicht das Ding selbst. Was du abstrahierst existiert nicht wirklich. Wenn du
das aber nicht weißt, und es für die Wirklichkeit hältst und sie so
gestaltest, wird es eine Realabstraktion.

Es ist grundsätzlich (zumindest Menschen - und über die reden wir)
nicht möglich, das Ganze zu erfassen. Postuliere ich. Deswegen machst
du notwendig immer einen Fehler bei der Begriffsbildung. Das musst du
wissen. Aber die Lupe weiß das.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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http://www.oekonux.de/

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Organisation: projekt oekonux.de



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