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Re: [ox] ... auf den Punkt



Holger Weiss writes:
Hier lese ich zwei Argumente heraus: Die Subsitenzforderung sei
vermutlich mehrheitsfaehig; und Geschichte sei kein linearer Prozess, so
dass eine "Entgesellschaftung" nicht im Widerspruch zu irgendeiner
"Entwicklungslogik" stehe, sondern ihr vielleicht sogar entspreche.
Beides (wenn sie denn stimmen) Argumente fuer eine Realisierungschance
der Forderung, aber beides sagt natuerlich nichts ueber die Qualitaet
der Forderung. Ich kenne ja auch zwei Texte, in denen Du das ausfuehrst,
trotzdem hab ich ehrlich gesagt noch nicht ganz begriffen, wo genau der
"Reiz" des Doerflichen am Globalen Dorf liegt. Kann man das kurz auf den
Punkt bringen?

Naja...ich habe drüben auf [chox] gerade begonnen, es auf den konkreten
Punkt zu bringen..
http://www.oekonux.de/projekt/chat/archive/msg00581.html
.
Ich versuch hier mal in Deutsch und in Kürze die hauptsächlichen Gründe
zusammenzubringen. Manche sind reizvoll, manche sind es weniger. etwas
eloquenter, aber weniger dicht habe ich es auch hier probiert:
http://www.wikiservice.at/gruender/wiki.cgi?AchtThesen

1. Verfügbarkeit freier Ressourcen. Selbst wenn Du mal annimst, daß sich
im Weltmaßstab Kapitalismus aufheben ließe, ist der Zugang zu Ressourcen
in städtischen Environments komplex und aufwendig. Am Land hast Du den
gesamten Reichtum vor der Haustüre, soferne Produktionsmittel und
Verfahren auf Nawaros (Nachwachsende Rohstoffe) umgestellt sind. Es bedarf
keines großen Aufwands und keiner komplexen Entscheidungen, um Produktion
in mikroregionalen Dimensionen in Gang zu setzen und ihre
Kreislaufförmigkeit zu managen.

2. Kulturelle Vielfalt. Genau durch diese kleinräumig modulare Struktur
der Lebensräume ist auch eine immense Vielfalt von Lebensstilen und
Lebensentwürfen lebbar, nicht bloß das kleinste gemeinsame Grau.
Wesentlich ist, daß über die Dörfer mit den Füßen abgestimmt wird; genauso
wie über den Erfolg oder Mißerfolg von freien Softwareprojekten.

3. Planetares Management: Unsere gesamte Biosphäre ist einem ständigen
Erosionsprozeß ausgesetzt. Sich selbst überlassene Natur ist nicht
unbeding zuträglich für die Gattung homo sapiens. Darüber hinaus ist der
einigermaßen fragile Prozeß von Checks und Balances empfindlich gestört.
Stichwort Wiederaufforstung der Regenwälder, aber nicht nur das; eine
Biosphäre, die zugleich menschlicher Lebensraum ist, schafft einen
wohnlichen Planeten. Darüber können und sollen wir auch länger diskutieren.

4. Psychohygiene. Nur in der Möglichkeit, sich aus gesellschaftlicher
Dichte abzuseilen kann der Mensch zu innerer Autonomie finden. Der
permanente Kontakt mit nicht kulturell überformten, autopoietischen
lebensprozessen ist für mich ein zusätzlicher schlagender Grund, in der
Landschaft zu wohnen. Nenn es Rückzug, nenn es Stille.


Oben sprichst Du auch von der Bewahrung von "gewissen"(?) technischen
Errungenschaften, und einem Text grenzt Du Dich gegen die
"traditionelle" Subsistenzforderung ab, die Du dort auch zumindest
sinngemaess als "reaktionaer" bezeichnest, wenn ich's recht im Kopf hab.
Wie ist das Verhaeltnis zwischen wuenschenswerter Produktivkraft auf der
einen und Konzentration auf Lebensraum auf der anderen Seite? Du
wuerdest zustimmen, dass Subsistenz auch Produktivkrafteinbusse
bedeutet, oder? Sprich, das Globale Dorf ist eine Abwaegung zwischen
Produktivkraft und anderen Zielen?

Naja, das mit der Produktivkraft ist eben so eine verzwickte Sache. In der
Nachhaltigkeitstheorie gibt es den "rebound" - effekt. Soll heißen, wenn
wir an einer Stelle des Produktionssystems einen Produktivkraftzuwachs
haben, dann muß nicht unbedingt das ganze System "produktiver" werden.
Ganz arg sieht man das am Individualverkehr. Ein Produktivitätszuwachs bei
Autos, selbst Solarautos und Brennstoffzellenautos bedeutet noch lange
nicht eine Optimierung des Systems als ganzes. Der Stau auf der Autobahn
oder die vergeudete Stoßzeit ist da nur das handgreiflichste Phänomen.
"Verborgen" ist der unsichtbare Stress, der auf das gesamte
Produktionssystem ausgeht.
- Flächenversiegelung durch Asphalt
- Raumverbrauch für Parkplätze
- Steigende Entfernungen bedingen steigende Aufwendungen für Gas, Wasser,
Kanalisation
- Aufwand für Verkehrsüberwachung und Beseitigung von Unfallfolgen
etc. pp..

Die Konzentration auf "Lebensraum" sehe ich schon als einen
Optimierungsversuch, da stehe ich in der Denktradition von Paolo Soleri,
der für komplexer werdende Systeme einen drastischen
Miniaturisierungsschub fordert. Also ich würde mich gegen die
Unterstellung wenden "Lebensraum" sei einem produktiven Leben
entgegengesetzt. Wenn Du Dir einmal darüber Rechenschaft ablegst wieviel
Lebenszeit wir dem Mittel Automobil widmen müssen, dann wird schlagend
klar wie wenig der abstrakte Quantitäten - Ausstoß über die Qualität des
Lebens aussagt.

Ich finde das übrigens spannend, daß der Produktivkraftsbegriff jetzt ins
Visier kommt. Vielleicht damit auch die Frage was ist wirklich Reichtum.
Wenn wir hier auf der 3. Konferenz auch nur einigermaßen einsteigen, dann
kommt vielleicht heraus daß ein aus Selbstentfaltung geborenes
Produktionssystem auch technisch ganz anders funktionieren kann als ein
wertbasiertes.


DAs mal nur fürs erste, das Thema wird uns jetzt wohl begleiten.

Frannz

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Organisation: projekt oekonux.de



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