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[ox-de] Re: Entfaltung von Kooperationen und individuell



Hallo Stefan,

Stefan Meretz wrote:
Das sehe ich genauso. Lass uns also von den Aufschaukelungen weg
gehen und allgemeiner die Struktur von sozialen Prozessen
diskutieren.

Ich möchte (und werde) mich dabei aber schon auf empirische Elemente
unserer gemeinsamen Praxis, also das, was in Oekonux "abgeht", beziehen.
 Und das auch in der Hoffnung, so diese unsere gemeinsame Praxis zu
beeinflussen.

Ja, das ist eine wichtige Bemerkung. Ein solcher Zugang hat die
Beförderung der EIGENEN Entfaltung im Auge und geht davon aus, damit
auch die "je eigene Entfaltung" zu befördern. Es ist aber m.E. kein
"versteckter absolut diktatorischer Anspruch", sondern schlicht ein
ausbeuterischer dahinter, wenn es in einem solchen Diskurs primär um
die eigene Bereicherung ("weil ich mich entfalten will - und da
brauche ich die Anderen") geht. Ein m.E. SEHR subtiles Moment, das
tief im Grund meines Frusts über Hütten liegt.

Ich kann nur schwer nachvollziehen, wie Jac und auch du zu diesem 
Schluss kommen. Wie kann ich das Verhältnis so ausdrücken, dass es mir 
nicht als "instrumentell" ausgelegt wird? Grundsätzlich als Referenz 
zum Verhältnis von "intersubjektiv" und "instrumentell":

Der Vollständigkeit halber dein Verweis hier im Wortlaut
<zitat>
Es reicht nicht aus, die Herrschaft hinwegzufegen - etwas Neues, noch
dazu Besseres, setzt sich nicht automatisch an dessen Stelle; eher
andere, vielleicht noch brutalere Formen der Herrschaft. Parallel zum
Kampf gegen die Herrschaft muß das angestrebte Neue im Verhalten der
Menschen und ihrem gesellschaftlichem Zusammenwirken mitentwickelt werden.
</zitat>

Was du weiter schreibst, ist eine Utopie (ich meine das nicht im
abwertenden Sinne, der dem Wort manchmal beigelegt wird). Sie geht von
einer konstruierten Welt aus, deren grundlegenden Konstruktionspfeiler
ich nicht teile. Etwa "je meine Selbstentfaltung" - weil du dabei die
Entfaltungen getrennt denkst. In dieser gedanklichen Konstruktion kann
ich in keiner Weise erkennen, *dass* und erst recht nicht *wie* sich
diese "je Selbstentfaltungen" aufeinander beziehen. Die "positiven
Rückkopplungen" stehen irgendwie im Raum. (Holzkamp 1980) kann
für sich in Anspruch nehmen, so was überhaupt erstmals (?) gedacht zu
haben, aber auch er bleibt bei der phänomenologischen Beschreibung einer
solchen Utopie stehen.

Ist es aber nicht so, dass es eben keine Selbstentfaltung ist, also ein
intrinsisches Etwas sich entfaltet, sondern wie in der ganzen
Erziehungsdebatte, dass sich jede(r) in den Möglichkeitsraum hinein
entfaltet, den er vorfindet und der von den anderen (und deren
Entfaltung) konstituiert wird?

Um es an dem sehr subtilen Moment in Hütten noch einmal zu
verdeutlichen. Warum meintest du, diesen AK zum Arbeitsbegriff machen zu
müssen in der Form, wie du ihn gemacht hast? Warum hast du weder die im
Reader dokumentierten Vordebatten noch mein Angebot der Beteiligung an
der konzeptionellen Planung angenommen? Du hattest deine eigene
Entfaltung im Auge und auch die anderen haben davon ein Stück weit
profitiert. Aber es war unbefriedigend, weil dein Blick, der primär auf
dich selbst gerichtet war, dich daran gehindert hat, die weitergehenden
Potenzen zu sehen. Ist natürlich alles *meine Sicht*, klar.

Es geht m.E. nicht so sehr darum, dass die Rückkopplungen der anderen
positiv sind, sondern, dass man sich in der eigenen Entfaltung *selbst*
positiv auf die Entfaltungen der anderen bezieht. Ein *aktiv suchendes*
Einlassen auf die anderen.

So. An dieser groben Vorstellung orientiere ich mich nun. Daran richte
ich mein Handeln aus. Mir geht es also - um nun die Kritik von oben
aufzugreifen - mitnichten um meine eigene Bereicherung auf Kosten
Anderer - ganz einfach, weil ich weiss, dass das nicht funktioniert.

Es geht nicht darum, was du *willst*, sondern ob und wie du in der Lage
bist, deine eigenen Vorsätze umzusetzen. Und dabei zu verstehen, was
dich, subjektiv und objektiv, daran hindert. Es geht dabei - ich hoffe,
das erkennst du an - um Psychotherapie, die kaum als Selbsttherapie
funktioniert. *Nur* im Sinne einer solchen kollektiven Therapie ist
meine These und - nehme ich an - Jacobs gemeint. Dass wir uns - als
Kinder einer ausbeuterischen Gesellschaft sozialisiert - an vielen uns
gar nicht bewussten Stellen ausbeuterisch verhalten, ist ja
trivialerweise anzunehmen. Der Gedanke "weil ich mich entfalten will -
und da brauche ich die Anderen" enthält ein solches Element. Ich hoffe,
ich konnte dir am Beispiel Hütten deutlich machen, dass er auch in
deiner Praxis eine Rolle spielt. Ist alles *überhaupt nicht*
spektakulär, nur es bemerken und uns gegenseitig darauf aufmerksam
machen müssen wir. Das gehört für mich zentral zu "New Culture".

"Selbstentfaltung" ... beantwortet die Frage, wie ein lokale Logik 
etabliert werden kann, die gesellschaftliche Kohärenz erzeugt. Der
Wert kann das, in dem er lokal ein quantifizierbares Maß
bereitstellt, an dem ich meine Handlungen ausrichten kann. Er ist nur
ignorant gegenüber menschlichen Bedürfnissen und gegenüber
gesellschaftlichen ohnehin. Er stellt auch nur eine Art
ungesellschaftlicher Gesellschaftlichkeit her etc. - das ist jetzt
nicht das Thema.

Ich wiederhole mich in der Frage. M.E., und ich habe das mehrfach gut
begründet, geht es nicht um eine andere *lokale* Logik, sondern um das
große Koordinatensystem, also globale Effekte. Konkret: Es geht primär
darum, zu anderen, leistungsfähigeren Interaktionsformen zwischen
autonomen interagierenden "Produzenten" zu kommen.  Die auch hier weit
verbreitete Illusion, dass man dazu die Wertform abschaffen müsse, teile
ich nicht.  Im Gegenteil, sie ist in ihrer - hier auf der Liste absolut
unverstandenen - Grundkonstruktion die Form, welche *sich* als
Interaktionsform autonomer interagierender "Produzenten" herausgebildet
hat und insoweit ein zivilisatorisches Element ersten Ranges. Und die
Sozialismusversuche des 20. Jahrhunderts, die ja alle angetreten waren
mit dem Anspruch, diese Wertform zu überwinden, sind kläglich
gescheitert. Arbeitsteilung und Tauschwert sind einfach zwei Seiten
derselben Medaille, das hat Peter Ruben in (ruben-98) so gut begründet,
ich kann es nicht besser. Verweis auf meine Kommentare zur WaK-Debatte
in http://de.wiki.oekonux.org/HGG/WAK-Debatte.

Dies hilft hier nicht weiter, weil das "je ich" im privaten Gebrauch
der Vernunft dann doch das "ich" ist.

Mir geht es nicht um den privaten, sondern um den gesellschaftlichen 
Gebrauch.

?? Ich rede vom "Gebrauch der Vernunft im Handeln" (Kant), der per se
ein privater ist, auch wenn dein Handeln ein öffentliches ist. Weil für
*dein* Handeln nur *du* dich zu verantworten hast. Und *nur* dieser
Gebrauch ist m.E. für den "allgemeinen Standpunkt erster Person"
relevant. Der Standpunkt ist ein zwar gesellschaftlich formierter, aber
letztinstanzlich "allgemeiner privater".

Was sind denn für dich Inhalte einer "New Culture"?

Siehe oben, mindestens das aktive Einlassen auf andere bei der
Entwicklung eigener Gestaltungsansprüche. Aber die Diskussion steht ja
ganz am Anfang.

"Bedeutend/weniger bedeutend" hat m.E. (wenigstens in ihrer 
psychologischen Wohlfeilheit) die eindimensionale Skala des 
abstrakten Werts als Quelle. Sie hat eine TRIVIALE Auflösung in
einer MEHRdimensionalen Welt, in der jede(r) IHRE/SEINE
Bedeutsamkeit entwickeln kann ...

[New Culture cont.] ... und einem solchen Wahrnehmen der verschiedenen
Potenzen Raum zu geben, das gehört für mich auch dazu. Wenn Individuen
aus 10 Merkmale nur je genau 5 beherrschen, dann entstehen
\binomial{10}{5} = 255 paarweise nicht vergleichbare Kompetenzprofile.
Daraus muss doch was zu machen sein. Übrigens steht auch *diese*
Gesellschaft bereits vor einer solchen Herausforderung. Hatte ich in
Hütten genauer ausgeführt ...

Würdest du zustimmen, dass das, was wir gerade jetzt hier betreiben, 
die "Konstituierung und Reproduktion dieses "Oekonux-Raum" als
Resutat der Interaktion dieser Entfaltungsprozesse" _ist_? Ist das
ein Weg?

Ja klar aber doch!

Viele Grüße, HGG

-- 

  Prof. Dr. Hans-Gert Graebe, Inst. Informatik, Univ. Leipzig
  Augustusplatz, D-04109 Leipzig, Raum 5-53	
  tel. : +49 341 97 32248
  email: graebe informatik.uni-leipzig.de
  Home Page: http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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