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Re: [ox-de] Situationen statt Personen



Hallo Stefan,

durch Urlaub und Arbeit sind über einen Monat alte Mailschulden bei dir
aufgelaufen, die ich endlich mal abtragen will. Bitte sieh mir nach,
wenn ich dabei die ganz aktuellen Sachen nicht gleich mit einbinde. So
weit reicht meine Puste gerade eben nicht.

Stefan Meretz schrieb am 31.7.
Nur insofern du NUR den abstrakten Wert als Maß aller Dinge zur
Kenntnis nimmst.

Öh, ich bin das nicht, der dort den Wert als Maß nimmt. Das geschieht 
ohne mein und generell unser Zutun, es stellt sich gesellschaftlich 
her - hinter unserem Rücken, wusste schon Adam Smith. Der Wert ist ein 
gesellschaftliches Verhältnis.

Der Wert ist *ein* gesellschaftliches Verhältnis, nicht das einzige. Zum
Beispiel gibt es auch ein gesellschaftliches Verhältnis der
Dachdecker(meister), sich um die Fortschreibung der Kunst des
Dachdeckens zu kümmern, sich selbst weiterzubilden, entsprechendes
Personal in ausreichender Menge auszubilden und Dächer entsprechend dem
"Stand der Technik" zu decken. Konkurrenz ist (auch) der Druck, welcher
dieses gesellschaftliche Verhältnis antreibt. "Verdrängung der
Konkurrenzverwerter" setzt nur bei einem Überangebot derartiger
Kompetenz ein, da die Gründung einer Dachdeckerfirma nicht nur
erheblicher Vorschussinvestitionen bedarf, sondern vor allem auch
kompetentes Personal verfügbar sein muss. Dachdecker(meister) sind also
inhärent knapp, und Wolf hat es zu spüren bekommen (weil es in _dieser_
Gesellschaft Mechanismen gibt, die Zahl der Dachdecker _zu_ knapp zu
halten - es ist nicht die sicherste Art der Kapitalverwertung).

Da jedes Tun inhärent con-current ist, sich dabei Interessen- und
Gestaltungsfelder überlappen, ist ein solches "Beschädigen" auch
einer SelbstENTFALTUNG in deinem Sinne immanent. Ich hoffe, ich
konnte dir diesen Gedanken an deinem eigenen Agieren in Hütten in
Bezug auf meine Person erläutern (bitte - ich meine das in keiner
Weise persönlich; ich mag nur nicht immer so abstrakt rumschwätzen).

Nein. Auch wenn es dich ärgert: Ich habe nicht verstanden, was du 
meinst. Vielleicht magst du deine Kritik mir in einer persönlichen Mail 
nochmal deutlicher klarmachen?

Nein, ich mag - wie Thomas und im vollkommenen Gegensatz zu Stefan
Merten und Franz - keine nicht-öffentlichen mails zu solchen Themen und
habe auch keine Ängste, mich da deutlich(er) zu äußern.

Und ich erkläre dir meine Wahrnahme von Hütten gern auch noch einmal
genauer: Dort sind Menschen zusammengekommen, jeder mit eigenen
Selbstentfaltungsansprüchen. Die wurden - weitgehend rücksichtslos - am
ersten Abend an der Pinwand "verhandelt". Leise Töne sind dort gnadenlos
untergegangen, ebenso alles, was in der Vorbereitung passiert ist. Aus
dieser "Schlacht an der Pinwand" resultierte u.a. ein Arbeitskreis
zum Arbeitsbegriff mit dir und Uli Weiß als Maintainern. Dass ich fast
dasselbe Thema - mit Verweis auf die Vorfeld-Debatten zu "Arbeit als
Bedeutungswirbel" - bereits vorher in die Diskussion eingebracht hatte
(in der "Vorstellungsrunde"), blieb unbeachtet, ebenso meine explizite
Bitte, mich mit in die Vorbereitung des Arbeitskreises einzubeziehen.
"Es wäre zu viel geworden" (O-Ton Meretz). Dass ich mir dann doch Raum
in Form eines "Koreferats" genommen habe, will ich der Vollständigkeit
halber gleich mit anmerken. Bloß, wenn ich mit vorbereitet hätte, dann
hätten wir wahrscheinlich den Schwerpunkt deutlich anders gesetzt und
mehr die Vorfelddebatte "Arbeit als Bedeutungswirbel" einbezogen.

Beschädigen beim Prozessieren in sich überlappenden Interessen- und
Gestaltungsfeldern ist also was vollkommen Alltägliches, selbst bei
Leuten, die das theoretisch (eigentlich) verstehen.

Entscheidungen gibt es gewiss auch in einer Freien Gesellschaft (die 
sind schließlich genuin menschlich), nur hängt davon nicht die eigene 
Reproduktion ab. Der bedingungslose Erhalt ist conditio sine qua non 
(unerlässliche Bedingung).

Dass Konkurrenzsituationen wie eben beschrieben - samt den dabei
prozessierten konflikthaften Entscheidungen - auch in einer
nachkapitalistischen Gesellschaft auftreten werden halte ich für eine
Binsenweisheit.  Dass diese mehr oder weniger deutlich formierend auf
meine "Reproduktion" wirken, ebenso. Bin ja schließlich kein Masochist,
dass ich dir oder Uli Weiß nachrenne. Wenn euch meine Kommentare nicht
interessieren - auch gut. Wenn ich in Oekonux dauernd gegen Wände renne,
dann hat das sicher Einfluss auf die Form und Intensität meines
Engagements hier.  Um mal wieder was Konkretes einem "abstrakten
Rumschwätzen" entgegenzusetzen. Nein, dass "davon nicht die eigene
Reproduktion abhängt" kann ich allenfalls in der Dimension der Existenz
bedrohenden Weise dieser Gesellschaft nachvollziehen.

Mehr noch, dass solcherart "Einfluss" erforderlich ist, um Gesellschaft
zusammenzuhalten, steht für mich auch außer Zweifel. Jede Einzelperson
braucht den gesellschaftlichen "Widerhall" ihres Tuns, selbst bzw.
gerade zur "Selbstentfaltung".  Jede Einzelperson entfaltet sich in den
Raum hinein, der ihnen von den anderen eingeräumt wird. Und strukturiert
ihn.  Und das geschieht noch dazu alles gleichzeitig. Eben con-current.

Da es kein Determinationverhältnis gibt, bestimmen weder "die
Verhältnisse", noch "die individuellen Eigenschaften", sondern es
gibt Bedingungen (äußere wie innere), zu denen ich mich stets
verhalte, indem ich begründet entscheide. Diese Entscheidungen
finden auch nicht erst statt, wenn es darum geht, etwas zu tun (was
dann "Verhalten" genannt wird), sondern als Mikroentscheidungen
permanent: beim Denken, beim Fühlen, beim Wahrnehmen, beim Handeln.

Neben den (äußeren) Bedingungen sind es immer auch die (inneren)
Erfahrungen und Erinnerungen (in einem weiten Sinne wie bei FOW), die
hier eingehen. Und - du wirfst m.E. mit den "Mikroentscheidungen"
Entscheidungsebenen in einen Topf, die besser analytisch getrennt
werden. Jedenfalls kann ich hier die (für mich ganz zentrale)
Kantsche Unterscheidung zwischen Raisonnieren und Tun nicht mehr
sehen.

Deine Kritik verstehe ich nicht: Ich habe doch gerade das Verhältnis 
der "äußeren" und "inneren" Bedingungen dargestellt, das nämlich in den 
je individuellen Entscheidungsgründen zusammen kommt, und das  
differenzierter als nur unterteilt in "Raisonnieren" und "Tun".

Meine Kritik richtet sich dagegen, dass sich dieses Außen und Innen bei
deinen "Mikroentscheidungen" zu einem ununterscheidbaren Brei von
Kausalitäten und Zeithorizonten vermengt, während sich für mich Handeln
aus zwei wohl unterscheidbaren Quellen speist; der im Moment real
vorhandenen Gegenwart als Außen und der in persönlicher Erinnerung
präsenten Vergangenheit als Innen. Zweiteres führt zu einer
Vorstrukturierung der Art, wie ersteres gefiltert individuell
wahrgenommen wird und damit zugleich zu einer Vorstrukturierung von
Zukunft.

Aber vielleicht habe ich dich nur falsch verstanden und du meinst was
Ähnliches.

"Das geschieht allerdings im öffentlichen Diskurs permanent." Dann
wäre ich schon mal extrem vorsichtig, so was als "gibt es ... nicht"
zu charakterisieren.

Ich bin da wagemutig und sage: Gibt es nicht. Es handelt sich immer um 
Zuschreibungen - fremd oder auch selbst.

Aber der öffentliche Diskurs ist doch ebenfalls ein Moment *realer*
Gegenwart, oder? Den Sinn deines "gibt es nicht" verstehe ich nicht.

Viele Grüße, hgg

-- 

  Prof. Dr. Hans-Gert Graebe, Inst. Informatik, Univ. Leipzig
  Augustusplatz, D-04109 Leipzig, Raum 5-53	
  tel. : +49 341 97 32248
  email: graebe informatik.uni-leipzig.de
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