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Re: [ox-de] Re: Nochmal: gesellschaftliche Natur



Hallo Jac,

HGG schrieb am 1.8.
Gene als Träger dessen, was du als evolutionär vermittelt bezeichnest,
enthalten also maximal eine vielfältige vorsortierte *Potenz* von
Entfaltungs<b>möglichkeiten</b>.
Die im Übrigen auch genau definierte Umgebungsbedingungen zu ihrer
Entfaltung benötigen, inklusive wohldefinierter Zeitfenster. Beispiel:
die Contergan-Babys. Und das geht doch nach der Geburt nahtlos weiter;
die Entfaltung des Menschleins als biopsychosoziale Einheit. Entfaltung
musischer Fähigkeiten, des geometrischen Vorstellungsvermögens,
akzentfreie Sprache usw. usw. - all das funktioniert doch ganz genauso
als Wechselspiel zwischen Anlagen und Umgebungsbedingungen in Zeitfenstern.

und Jac darauf am 2.8.
Zweitens:
Gene stellen "Erinnerungen" an einen bestimmten Aufbau eines 
Lebewesens dar - in unserem Beispiel ein Fisch. In ihnen ist keine
konkrete Erinnerung an bestimmte Umweltbedingungen gespeichert, ...

Ich weiß nicht, ob ich mich so unklar ausdrücke. Wie wird denn deiner
Meinung nach aus einer befruchteten Eizelle das voll ausgebaute Wesen?
Ist das kein Entfaltungsprozess mit tausend wenn und aber's? Sind da
nicht Transferasen und wie das Zeugs alles heißt beteiligt? Müssen nicht
zu ganz speziellen Zeitpunkten ganz spezielle Bedingungen vorliegen,
damit gewisse Entfaltungsschritte überhaupt stattfinden? Wird nicht in
diesem Entfaltungsprozess das _Zusammenspiel der vielfältigen Faktoren_
reproduziert?

Und was ist bei den "Memen" anders? Funktioniert der Erziehungsprozess
nicht auf dieselbe paradigmatische Weise? Entfaltung eines Menschen als
soziales Wesen in die *vorgefundene* Gesellschaft? Können wir also nicht
nur in einem bescheidenen Rahmen auf die Entwicklung der gerade
nachwachsenden Generation Einfluss nehmen?

Dann treffen wir uns aber auch schon wieder: Dieser mögliche Einfluss
muss ausgeübt werden, sowohl für die Gene (Mutterschutz) als auch die
Meme ("Vereinbarkeit von Familie und Beruf" hieß das mal früher in der
DDR - wie weit das wirklich gelungen ist, sei dahingestellt. Sind wir
heute sehr viel weiter weg von als damals.)

Musische Fähigkeiten, die Entfaltung des geometrischen 
Vorstellungsvermögens etc. schließlich sind für mich ebenso
evolutionär vermittelte Fähigkeiten wie das Atmen von Luft, das
Erlernen des Gehens auf zwei Beinen oder das Erzeugen von
Lauten, rückgekoppelt mit der Umwelt. Sie sind letztlich durch 
die Fähigkeit des menschlichen Körpers als Teil der Evolution 
vermittelt, nicht durch die Gesellschaft. Begabung entsteht
nicht durch Reflexion, sondern stellt die Hardware, um eine
bestimmte Reflexion - z.B. in der Musik, Malerei oder in der
geometrischen Mathematik zu ermöglichen.

Das stellen Leute, die sich hier in Leipzig lange damit beschäftigt
haben (H.-G. Mehlhorn, Walter Friedrich), vollkommen anders dar.  Hier
werden viele grundlegende "Verschaltungen" im Gehirn in den ersten 6-8
Lebensjahren angelegt (oder auch nicht). Wofür die erforderlichen
*gesellschaftlichen* Freiräume sehr konstitutiv sind. Mehlhorn nennt
etwa das Ergebnis seiner BIP-Kreativitätsschule, wo in vier Jahren
(Klasse 1 bis 4) der durchschnittliche IQ von etwa 100 auf 117 gestiegen
ist. Belegt durch eine Längsstudie über die (mit IQ 100 eingangs
weitgehend "gewöhnliche") Population. Die "Hardware" selbst wird also in
Vielem durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen erst "geformt".

Viele Grüße, hgg

-- 

  Prof. Dr. Hans-Gert Graebe, Inst. Informatik, Univ. Leipzig
  Augustusplatz, D-04109 Leipzig, Raum 5-53	
  tel. : +49 341 97 32248
  email: graebe informatik.uni-leipzig.de
  Home Page: http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe

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