[ox-de] keimform.de: Produktive Schweine und unproduktive Kinder
- From: Stefan Meretz <stefan meretz.de>
- Date: Tue, 20 Jul 2010 15:34:32 +0200
http://www.keimform.de/2010/produktive-schweine-und-unproduktive-kinder/
Produktive Schweine und unproduktive Kinder
Von StefanMz
<http://www.keimform.de/wp-content/uploads/2010/07/bezahlte_unbezahlte_arbeit-300x190.png>
In unser wirtschaftsdominierten Gesellschaft gilt es als
selbstverständlich, dass es im wesentlichen „die Wirtschaft“ sei, die
die gesellschaftlich notwendigen Güter produziere. Dem ist jedoch nicht
so. Durch einen Blick in die offiziellen Statistiken können wir uns
davon eindrucksvoll überzeugen.
Das Statistische Bundesamt hat 1991/92 und 2001/02 jeweils eine
Zeitbudgetstudie durchgeführt, in der ermittelt wurde, welche Zeit
Menschen für welche Tätigkeit verwenden. Im Vorwort einer Broschüre zu
den Ergebnissen der letzten Studie schreibt die seinerzeit zuständige
Ministerin:
Dass zur Lebensqualität in unserer Gesellschaft gerade diejenigen
Arbeiten gehören, die nicht bezahlt werden und somit nicht in die
Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen eingehen – also Arbeiten im
Haushalt, die Kindererziehung, das bürgerschaftliche Engagement und
Ehrenamt – das führt diese Untersuchung plastisch und unübersehbar
vor Augen.
Bevor ich – im Gegensatz zur Ministerin, die mit dem zitierten Satz ihr
Vorwort beendet – die Studie bewerten will, seien zunächst einmal einige
Ergebnisse vorgestellt. Ich beschränke mich auf die Daten zur bezahlten
und unbezahlten Arbeit. Als unbezahlte Arbeit gelten alle Tätigkeiten im
Haushalt (die sog. Haushaltsproduktion), Pflege- und Betreuungs- sowie
ehrenamtliche Tätigkeiten.
Die oben dargestellte Grafik (Klicken zum vergrößern) zeigt das
Jahresvolumen der unbezahlten und bezahlten Arbeit jeweils für den
Zeitraum der ersten und zweiten Studie. Berechnet man die jeweiligen
Anteile an der insgesamt notwendigen Arbeit, so ergibt sich für beide
Zeiträume ein Anteil von ca. *63%* unbezahlter und *37%* bezahlter
Arbeit (mit minimaler Verschiebung in Richtung bezahlter Arbeit).
Die Wegezeiten zur Erwerbsarbeit wurden allerdings extra ausgewiesen.
Rechnet man diese zur unbezahlten Arbeit (was in der Regel der Fall sein
dürfte: obwohl für die Erwerbsarbeit erforderlich, gibt‘s dafür kein
Geld), dann ergibt sich ein Anteil von ca. *65,5%* unbezahlter und
*34,5%* bezahlter Arbeit. Insgesamt kann man also von einem Verhältnis
von *zwei Dritteln unbezahlter Arbeit und einem Drittel bezahlter*
*Arbeit* ausgehen.
Denkt man darüber hinaus an die Erkenntnis von Karl Marx, nach der sich
der Wert der Ware Arbeitskraft durch die Kosten zu ihrer
Wieder-/Herstellung bestimmt, dann wären die in der Studie separierten
Bereiche der _Regeneration_ (Freizeit, Erholung, Mediennutzung) und der
_Weiter-/Bildung_ ebenfalls mit einzubeziehen. Da es sich bei der Studie
um eine Zeituntersuchung handelt, lassen sich jedoch insgesamt die
monetären Kosten nicht bestimmen.
Auch die Betreuungszeiten bei pflegebedürftigen Personen sind eher
unterschätzt, da „der ständige Bereitschaftsdienst“ (Schäfer) nicht mit
berücksichtigt ist. Etc. Weitere Punkte ließen sich anführen, die jedoch
immer mehr dazu führen, dass die _Behandlung von Lebenstätigkeiten_
_als „Arbeit“ generell fragwürdig_ wird und nicht nur die Tatsache, ob
sie bezahlt sind oder nicht.
In der Studie wird dann lustiger Weise der Versuch unternommen, den
„Wert“ der unbezahlten Arbeit auszurechnen. Angenommen wird eine Netto-
Vergütung von 6 Euro (1991/92) bzw. 7 Euro (2001/02), rechnet man
übliche Sozialleistungen hinzu, verdoppeln sich die Beträge. Ist man
schon beim Rechnen, dann muss man auch die durchlaufenden vernutzten und
die langlebigen Gebrauchsgüter einbeziehen. Am Ende landet man
schließlich beim „Haushaltsunternehmen“, das man mit „normalen“
Wirtschaftsunternehmen vergleichen könne. Ihr Anteil am BIP
(Bruttoinlandsprodukt) beträgt 43% bzw. 40%. Berechnungsbasis ist die
o.g. Netto-Vergütung für das „Haushaltsunternehmen“. Setzt man hier
Bruttolöhne oder etwa durchschnittliche Produktionslöhne ein, ergäben
sich ganz andere Zahlen – womit die Zahlenspielerei auf Basis monetärer
Werte generell witzlos wird.
Was bedeutet es, wenn doppelt so viele gesellschaftlich notwendige
Tätigkeiten unbezahlt wie bezahlt erledigt werden?
Zunächst einmal sollte man sich die Tatsache klar machen, dass dem so
ist. Die „Wirtschaft“ ist – zeitlich gesehen – nicht der wichtigste
Bereich der gesellschaftlich-notwendigen Tätigkeiten. Gleichzeitig ist
ihre Logik total dominant: Nur was sich rechnet, wird auch
wirtschaftlich gemacht, sprich: verwertet. Keine Verwertung bedeutet
Unglück, Armut, Ausgrenzung, Absturz.
Die „Nicht-Wirtschaft“ ist in doppelter Hinsicht die andere Seite der
„Wirtschaft“: Ohne sie ginge „Wirtschaft“ nicht. Sie fängt all jene
Tätigkeiten auf, die erledigt werden müssen, sich aber nicht verwerten
lassen. Gleichzeitig ist sie Pool des potenziell „in Wert“ zu setzenden
„Wertlosen“: Immer mehr Tätigkeiten werden von der Verwertungslogik
erfasst und nach ihrem Bild formiert (vgl. die Pflegetätigkeiten, die
nach Minuten skaliert werden, in der menschliche Zuwendung hingegen ein
Fremdwort sein muss).
Es verwundert schließlich nicht, dass die beiden Bereiche geschlechtlich
strukturiert sind (der Bereich der „Nicht-Wirtschaft“ wird in der Studie
auf ihre Geschlechtsspezifik untersucht): Die „weibliche Nicht-
Wirtschaft“ steht der „männlichen Wirtschaft“ gegenüber. Doch auch hier
verhält es sich wie mit dem generellen Verhältnis von Verwertung und
noch nicht Verwertetem: Was nicht ist, kann noch werden. Und
andersherum: Wessen Arbeitskraft als nicht mehr verwertbar gilt, darf im
abgespaltenen „Nicht-Bereich“ die physischen und psychischen
Aufräumarbeiten erledigen.
Schon der Ökonom Friedrich List
<http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_List> wusste:
Wer Schweine erzieht ist ein produktives, wer Kinder erzieht ein
unproduktives Mitglied der Gesellschaft.
Exakt dort stehen wir heute noch.
*Literatur*
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.), Wo
bleibt die Zeit? Die Zeitverwendung der Bevölkerung in Deutschland
2001/02
D. Schäfer, Unbezahlte Arbeit und Haushaltsproduktion im Zeitvergleich,
in: Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Alltag in Deutschland. Analyse zur
Zeitverwendung, Forum der Bundesstatistik, Band 43, 2004, S. 247-273.
Quellen online: Zeitbudgeterhebung <http://is.gd/dzoFm>
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