Re: [ox-de] Wirtschaftsinformatik
- From: Hans-Gert Gräbe <hgg hg-graebe.de>
- Date: Fri, 20 Aug 2010 10:43:47 +0200
Hallo Ludger,
Am 16.08.2010 22:33, schrieb Ludger.Eversmann t-online.de:
ja Arbeitserleichterungen umsetzen - OK, sicher nicht das Problem,
aber spannend wirds doch eben erst bei dem "Voll" mit der Automation,
Nach dem, was ich bei (Mertens 2005) gelesen habe, kann ich nicht
erkennen, dass er "sinnvolle Vollautomation" anders als von mir
beschrieben versteht. Das, was Mertens beschreibt (und ich denke, er
versucht sich vor allem in einer Zustandsbeschreibung), ist ein im
Entstehen begriffenes Wissenschaftsgebiet (schlampige Sprache, ungenaues
Profil, elementare Defizite in einzelnen Bereichen - er stellt das
eigentlich gut beherrschte Dispositionsproblem dar, welches nicht zum
Einsatz kommt; meine Anmerkung dazu: WI hat die Ressourcenebene jenseits
der Verfügbarkeitseben kaum im Blick - usw.).
Ich denke, dass Mertens da aus der Warte seiner praktischen Erfahrungen
etwas sieht, das in Wirklichkeit größer ist, denn es gibt ja ganz
offensichtliche Brücken zur PÖ-Debatte, zu den Selbstentfaltungsansätzen
von Oekonux und auch zu den Ansätzen von Franz Nahrada usw. Es geht um
ein komplexes Organisationsproblem, zu dem es praktisch bereits viele
Erfahrungen gibt, aufarbeiten und theoretisch besser verstehen wollen.
Das ist aber m.E. ein Phänomen einer Technologiewelle (aka
Kondratjew-Welle) - vergleichbare Phänomene, etwa die Etablierung der
Ingenieurwissenschaften, gab es in anderen Technologiewellen auch.
Dein Ansatz bzgl. Wirtschaftsinformatik, wenn ich es recht verstehe,
geht darüber hinaus und fordert, dass diese viel grundsätzlicher über
die Änderungen nachdenken müsste und damit, wohin die Reise über die
verschiedenen Technologiewellen geht. Du schreibst insbesondere
... ob eine Wirtschaftsentwicklung, die in epochaler technologisch
induzierter Massenarbeitslosigkeit resultiert, als ein soundsovielter
Kondratieff verstanden werden kann, das Problem ist doch: wie finden
wir Lösungen, die die Lebensinteressen der Menschen tatsächlich
berücksichtigen, und die den neu entstandenen technischen
Möglichkeiten angemessen sind, die so einer "Vollautomation" als
technologische Voraussetzung ja auch unterliegen müssen.
Ich denke, das sind aber Problemkreise in zwei sehr verschiedenen auch
zeitlichen Dimensionen, und die WI-Leute verstehen dich einfach nicht,
weil sie nie in dieser anderen Dimension denken. Auch (Mertens 2005)
macht ja nicht mehr als dich freundlich zur Kenntnis nehmen und dann zur
eigenen Agenda überzugehen.
Du argumentierst mit der Universalmaschine. Allerdings muss jeder
solchen Maschine ja was aufs Band geschrieben werden, ehe sie losrattern
kann. Insofern bedeutet die Verfügbarkeit einer solchen Maschine
(genauer: einer materiell-energetisch instanziierbaren Blaupause
derselben, das unterscheiden die Informatiker denn doch gelegentlich)
nur, dass sich der Schwerpunkt der gesellschaftlichen Produktion hin zur
Produktion (und Vergesellschaftung) solcher Beschreibungen verschiebt.
Die materiell-energetischen Konsequenzen des praktischen Einsatzes
solcher Beschreibungen eingeschlossen. Auch die Reproduktions- und
Selbstheilungsfähigkeit dieser Systeme muss in einer solchen Sprache
beschrieben sein. Also eine sehr detaillierte und komplexe Sprache mit
mglw. vielen Abstraktionsebenen, deren Herausbildung m.E. noch eine
ganze Weile dauern wird.
Andererseits berücksichtigt dein Turing-Maschinen-Ansatz nicht, dass es
rund um ums herum bereits ein System von Millionen reproduktions- und
selbstheilungsfähiger Einheiten gibt samt einer hochentwickelten
"Sprache", über die diese Phänomene "abgewickelt" werden und die ganz
unten auf einem 4-Buchstaben-Alphabet basiert. Vielleicht wäre es gut,
sich etwas stärker an *dieser* Sprache zu orientieren und auch dieser
*einen großen Erzählung* intensiver zu lauschen als zu meinen, dass wir
Menschen alles selbst erfinden und das "Sein wie GOTT" perpetuieren
könnten. Ich denke, das spricht auch Franz aus der Seele.
Mertens versteht nicht so richtig und in aller Konsequenz, dass
diese "Automation" aus der marktlichen Wirtschaftsorganisation mit
all ihren Krisen und Zyklen und ihrer fehlenden Steuerbarkeit
herausführt, dass sich diese Wirtschaft aus einem dynamischen,
inkonsistenten, wild-wachsenden System zu einem linearen,
berechenbaren, konsistenten System entwickeln muss.
Das von mir erwähnte System ist allerdings das ganze Gegenteil eines
"linearen, berechenbaren, konsistenten Systems".
Viele Grüße,
Hans-Gert
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