Re: [ox-de] Text zu Keimformen bzw. der Entwicklung sozialer Vermittlungsmechanismen
- From: Stefan Meretz <stefan meretz.de>
- Date: Thu, 29 Sep 2011 12:17:02 +0200
Hi Stefan!
Nach meinem GefÃhl reisst du etwas auseinander, was es gilt zusammen zu
denken: Individuum und Gesellschaft. Gewiss sind Individuum und
Gesellschaft nicht im formalen Sinne identisch, sie sind aber auch
genauso wenig formal vÃllig voneinander verschieden oder gar getrennt.
Die Individuen sind gesellschaftliche Menschen und in der menschlichen
Gesellschaft, die von den Individuen konstituiert wird. Mit formaler
Logik bekommt man das allerdings nicht gedacht, sondern verfÃllt immer
wieder in ein entweder-oder.
Du schreibst nun:
On 2011-09-24 16:25, Stefan Nagy wrote:
Na selbstverstÃndlich tritt uns Individuen das von uns (als
Gesamtheit) gemachte als Fremd, als etwas von dem wir beherrscht
werden, gegenÃber â schlieÃlich sind und waren wir ja nie Subjekte,
sondern lediglich Teile dieser Gesamtheit.
Das ist keineswegs selbstverstÃndlich, sondern Resultat der entfremdeten
Form in der das geschieht. Du ontologisierst das Fremde als NatÃrliches,
wenn du hier von einer SelbstverstÃndlichkeit sprichst.
Weiter:
Eine Gesellschaft, die wir als von uns Individuen geschaffene erfahren,
wÃre meines Erachtens keine Gesellschaft im eigentlichen Sinn, sondern
lediglich eine Summe von Individuen.
Es wÃre jetzt polemisch, wenn darauf verweisen wÃrde, dass dieser
Meinung auch Magaret Thatcher war (oder ist), nur dass sie den Schluss
zog, dass es daher keine Gesellschaft gÃbe. Dein Satz wird nur wahr,
wenn du Individuum und Gesellschaft als Getrennte denkst.
Und:
Eine Kritik an gesellschaftlichen Vermittlungsmechanismen Ãber die wir
nicht Herr sind, geht also meines Erachtens in Leere, weil
Gesellschaft als eigene EntitÃt, als emergentes PhÃnomen eben solche
Mechanismen bedingt.
Du nimmst den realen Schein fÃr die ganze Wahrheit, der in der
bÃrgerlichen Gesellschaft tatsÃchlich dafÃr sorgt, dass Gesellschaft als
Âeigene EntitÃtÂ, als Âemergentes PhÃnomen erlebt wird. Realer Schein
heisst, dass es keine Einbildung ist, sondern es ist tatsÃchlich so,
dass uns die Gesellschaft als Undurchdringliches entgegentritt, deren
Prozesse und Vermittlungsmechanismen wir nicht kontrollieren kÃnnen.
Dies ist jedoch keine Eigenschaft von Gesellschaft sui generis, sondern
der historischen Form geschuldet.
Nun diskutierst du Beispiele und erklÃrst mir: Das ist so fÃr mich.
Dagegen gibt es kein Argument. Ich kann dein Empfinden schlechterdings
nicht bezweifeln. Ich kann nur auf einer allgemeinen Ebene behaupten,
dass das so ist, weil es in dieser Gesellschaft notwendig so ist. Die
Entfremdung von und gegenÃber der Gesellschaft tritt auch gegenÃber
konkreten anderen Personen auf. Auch diese werden jeweils als Fremde
(bis in die Sprache hinein) erlebt, anstatt als Eigene, als Menschen wie
jeweils ich. In einer Gesellschaft, die in Partialinteressen zerfÃllt,
in der der Eine gegen die Andere steht und umgekehrt, ist es auch nicht
anders mÃglich. Wir kÃnnen durchschnittlich strukturell einander nicht
vertrauen. Dies jedoch ist keine Eigenschaft der Personen oder der
Gesellschaft als solcher, sondern der historisch besonderen From der
Vermittlung. Diese Ãberlegung schlieÃt ein, dass es nicht so sein muss
(siehe meinen ersten Kommentar mit einigen Ãberlegungen dazu).
Btw.: Was erwartest du eigentlich, wenn du dich mit Treibern von
proprietÃrer Hardware auseinandersetzen musst? Wahrlich kein VergnÃgenâ
Meine hier vorgebrachte Kritik richtet sich kurz gesagt gegen die
Vorstellung eines Subjektstatus von menschlichen Individuen in Bezug
auf den gesellschaftlichen Prozess
Verstehe ich dich richtig, dass du diese These tatsÃchlich ontisch
meinst? Meinst du tatsÃchlich, dass Menschen in der Gesellschaft, die
sie herstellen, keine Subjekte sind? Was sind sie denn dann?
Zugleich negiere ich die MÃglichkeit einer Nicht-Gesellschaft; also
einer solchen, die keine Gesamtheit ist & die den Individuen daher als
nicht fremd, oder besser gesagt gar nicht entgegentritt (weil wir ja
hier nur eine Summe von Individuen imaginieren).
Gesellschaft = Gesamtheit = Fremdes â richtig? Damit bestÃtigst du meine
EinschÃtzung von oben: Du hÃltst die bÃrgerlich-fremde Form der
Vergesellschaftung fÃr die allgemein-menschliche, die â wenn das zutrifft
â in der Tat nicht zu Ãndern wÃre. Dann kÃnnten wir allerdings auch die
Suche nach alternativen Formen der Vergesellschaftung (der
gesellschaftlichen Vermittlung) einstellen.
Der gesellschaftliche Prozess ist in meinen Augen nicht nur als eigene
EntitÃt anzuerkennen, sondern darÃber hinaus als Subjekt seiner selbst
zu fassen.
Das hat Marx mit dem Kapital als Âautomatischem Subjekt auf den Begriff
gebracht. Marx jedoch meinte dies jedoch ausschlieÃlich bezogen auf den
Kapitalismus und nicht auf die gesellschaftliche Vermittlung generell.
Meine EinschÃtzung ist: Diese Gesellschaft ist eine der Trennungen und
Spaltungen. Dem entsprechen auch die dominanten gesellschaftlichen
Denkformen, die sich etwa in der Entgegensetzung von Individuum und
Gesellschaft zeigen. In Wahrheit gibt es den Gegensatz als solchen
nicht. Der gedachte Gegensatz des Gegensatzes ist jedoch nicht die
schlichte IdentitÃt, sondern die IdentitÃt von IdentitÃt und Unterschied
(sowie der Unterschied von IdentitÃt und Unterschied). Das bedeutet, es
gibt ein Ãbergreifendes Allgemeines, in dem sich die Differenzen als
Momente des Allgemeinen zur Geltung bringen ohne in GegensÃtze zu
zerfallen.
Das gilt auch fÃr den Kapitalismus, nur ist es viel schwerer das zu
erkennen, weil hier zwei Grenzen denkend Ãberschritten werden mÃssen:
Erstens entwickelt sich der Kapitalismus real in Form von GegensÃtzen
(Produktion/Konsumtion, Arbeit/Kapital, Kaufen/Verkaufen,
Produktion/Reproduktion etc.) und zweitens bildet er die
GegensÃtzlichkeit der Entwicklung gedanklich als NatÃrliches ab. Sowohl
nahegelegte Praxis- wie Denkformen mÃssen denkend (und dann auch
handelnd) Ãberschritten werden. Das ist hart. Aber es geht, weil die
Wahrheit immer das Ganze ist. Die Wahrheit ist nicht die
GegensÃtzlichkeit, sondern die in der Bewegung der GegensÃtzlichkeit
hergestellte widersprÃchliche Einheit.
Nun wirst du einwÃnden, dass trotzdem die Gesellschaft doch ein von den
je konkreten Individuen unabhÃngig funktionierendes Ganzes darstellt,
und das ist absolut richtig. Gleichzeitig wird diese Gesellschaft von
den Individuen hergestellt, sie ist also von dieser Herstellung
abhÃngig. Diese Gleichzeitigkeit gilt es zu denken, und nicht in eine
Seite der Subsumtion zu fallen.
Und selbstverstÃndlich sind Jimmy Wales, Linus Torvalds und Stefan Nagy
Subjekte :-)
Ciao,
Stefan
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