Message 01121 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT01012 Message: 19/37 L6 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

[ox] das Wesen des Menschen




Liebe Annette, lieber Stefan,

der zentrale Punkt unseres Disputs ist ein genaueres Verständnis der
These

   Gesellschaft bildet sich durch die arbeitsteilige Reproduktion, bei
   der NICHT MEHR JEDE/r EINZELNE ZU JEDEM ZEITPUNKT AN DER
   REPRODUKTIONSARBEIT BETEILIGT SEIN MUSS.

insbesondere des Begriffs REPRODUKTIONSARBEIT in diesem Zusammenhang.
Da habt ihr bisher nichts zur Präzisierung beigetragen. Reproduktion
wovon also? Von Gesellschaftlichkeit? Des Individuums? Von
Sozialstrukturen? Technik? Technologien? Kultur?

   Davon schreibt Annette auch nicht. Sie schreibt von Überwindung der
   Unmittelbarkeit. Nicht unmittelbar in (Re-)Produktion eingebunden
   zu sein, impliziert allerdings auch die grundsätzliche
   _Möglichkeit_ des "Ausstiegs".

Die von mir genannten Items sind von sehr unterschiedlicher
"Unmittelbarkeit", so dass ich mit dieser Antwort nicht viel mehr
anfangen kann als dass sie einen _Trend_ benennt, aber der
Verschiebung von Schwerpunkten der Reproduktion, nicht von Ausstieg
aus derselben.  Selbst Hege der Blumen in meinem Garten trägt ein
gewisses gesellschaftliches Reproduktionsmoment in sich. Auch mit
Annettes Ausführungen zur Vermittlung zwischen Individuellem und
Gesellschaftlichem kann ich in dem Zusammenhang wenig anfangen (obwohl
ich ihnen im Wesentlichen zustimme, ist eben systemtheoretisch gedacht
-- Du kennst ja K.-F. Wessels humanontogenetischen Ansatz; halte ich
dabei für sehr interessant).

Annette zitiert und schreibt weiter

       Dies erzeugt für Menschen einerseits eine neue Systemebene
       (eben "Gesellschaft" statt nur soziale "Gemeinschaft") - die
       für den Einzelnen aber mehr Freiraum (sich nicht - zumindest
       nicht immer und unmittelbar - an der Reproduktion zu
       beteiligen) mit sich bringt. (NN)

     Zustimmung, obwohl das mE nichts mit Ausstieg aus der
     Reproduktion zu tun hat. (Gräbe)

   Nein, noch nicht unbedingt. Aber es kennzeichnet ein Stückchen
   Freiheit, das wir oft übersehen. Eben: "Nein" zu den Verhältnissen
   zu sagen. (Schlemm)

Dann pochen sie Dir aber sehr schnell mehr oder weniger unsanft und
nachhaltig auf die Finger und ich kann mir nicht vorstellen, dass es
anders geht. Präziser: dass "Freiheit" als Freiraum einer expliziten,
impliziten oder wie auch immer gearteten gesellschaftlichen
Vereinbarung bedarf.  Ist allerdings komplexer, zu denken als "Einheit
aus Freiräumen und Kompetenz, aus Vertrauen und Verantwortlichkeit",
wie es in unseren "Emanzipationsthesen"
http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe/projekte/moderne/2000-9-16/e-thesen.html
heißt.

   Die Kategorie "Möglichkeit" ...

Spannende These. Wir hatten neulich hier in der
Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Diskussion zum Buch von V. Weiss "Die
IQ-Falle", der aus statistischen Untersuchungen klare Indizien für
genetische Faktoren bei Intelligenzunterschieden herausliest und
daraus ein ziemlich ambivalentes Weltbild konstruiert, das die
Verantwortlichen schließlich sogar bewogen hatte, ihn wieder
auszuladen. Statt dessen bestritten Friedrich und Mehlhorn, zwei
DDR-bekannte Intelligenzforscher aus dem ehemaligen ZIJ, die
Diskussion.  Mehlhorn arbeitet schon lange mit Vor- und
Grundschulkindern in dieser Richtung und betonte aus eigenen
Untersuchungen, dass neben evtl. vorhandenen genetischen
Prädispositionen die Bedingungen, unter denen sie sich entfalten,
besonders bis etwa 12 Jahre, eine mindestens ebenso entscheidende
Rolle spielen.  Deckt sich mit Deinem Verständnis von "Möglichkeiten".
Ich erinnere auch an Wessels Ansatz (z.B. in einem der Hefte der
Dresdner Kolloquia), der von "Entwicklung als Entfaltung" spricht; und
wenn gewisse Dinge auf Grund von Umweltbedingungen zu gewissen
Zeitpunkten nicht entfaltet werden können, dann wars das (für das
jeweilige Individuum).

   Gerade die modernere Biologie betont neuerdings die aktive Rolle
   der Organismen bei ihrer Evolution immer wieder. Tierarten und
   Organismen sind nicht nur passive Objekte, denen die Umwelt alles
   aufprägt... Die Gentechniker (und leider wir mit) werden da noch
   ihr blaues Wunder erleben, auch auf dieser Schiene ist nicht alles
   so determiniert, wie es die Lego-Genetiker sich wünschen...

Eben. Stefan schreibt dann noch 

   Tierische Aktivitäten sind vollständig determiniert (was Lernen,
   Emotionen und Motivationen nicht ausschliesst, das Denken aber
   schon).

Jedenfalls leben sie in einem ähnlichen Möglichkeitsraum wie wir
Menschen, insofern ist "vollständig determiniert" in dem Lichte
Quatsch.

-- 
Mit freundlichen Grüßen, Hans-Gert Gräbe

      -----------------------------------------------------------
     |  PD Dr. Hans-Gert Graebe, Inst. Informatik, Univ. Leipzig |
     |            Augustusplatz, D - 04109 Leipzig               |
     |         	     tel. : [PHONE NUMBER REMOVED] - 341 - 97 32 248                |
     |         email: graebe informatik.uni-leipzig.de           |
     |  Home Page: http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe  |
      -----------------------------------------------------------

----------------------
http://www.oekonux.de/



[English translation]
Thread: oxdeT01012 Message: 19/37 L6 [In index]
Message 01121 [Homepage] [Navigation]