RE: [ox] Gedanken von den Berliner Konferenzen
- From: "Markus Lauber" <mlauber netcologne.de>
- Date: Sat, 4 Nov 2000 14:47:49 +0100
Stefan Merten wrote:
Momang. Das war nicht meine Kennzeichnung, sondern die von dem
zitierten Herrn. Glücklicherweise haben wir hier auf der Liste auch
Leute von der IG Medien, die deutlich weniger ihrer Zeit hinterher
sind als der liebe Herr Schimmel.
Dass es auch in Gewerkschaften Leute gibt, die ihrer Zeit hinterher sind,
wer wollte das bestreiten. Bei der IG Metall sehe ich allerdings einige
positive Ansaetze im Bereich Interessensvertretung IT-Sektor.
Was meinst Du denn ist die Alternative zu einer Verteidigung von
Arbeitnehmerinteressen?
Na wer verteidigt die denn überhaupt? Die Gewerkschaften? Und vorneweg
die IG Chemie oder was? Das ich nicht lache - und das weißt du ja auch
selbst.
In der Summe der letzten sagen wir 20 Jahre waren es immer noch die
Gewerkschaften, die bei allen Defiziten und Anpassungszwaengen das meiste
fuer die abhaengig Beschaeftigten rausgeholt haben.
Ich
schaetze der IG Medien
Ich habe gelernt, daß es "die IG Medien" nicht gibt.
Zweifellos. Allerdings finde ich die Meldungen ihres Vorsitzenden Hensche
zumeist mit das fortschrittlichste was es auf den Nachrichtenticker schafft.
geht es wie den anderen Gewerkschaften nicht darum
Computer abzuschaffen,
Woher nimmst du die Sicherheit, daß die Gewerkschaften das nicht
wollen? Es gab Zeiten, da war die Skepsis jedenfalls groß.
Das mag auch sein, das war aber eher Anfang der 80er. Historisch gesehen ist
es natuerlich voelliger Unfug gegen den technischen Fortschritt und insb.
die Produktivkraftverbesserung zu stellen, es kommt halt drauf an, was man
daraus macht. Und da finde ich 35-Std. (oder auch mal 30) bei vollem
Lohnausgleich eine ebenso altmodische wie weiterhin richtige Forderung.
Manchmal erstaunt mich schon die Tendenz (das ist jetzt nicht unbedingt auf
Dich bezogen), weil man in politischen Auseinandersetzungen unterliegt, man
sich einfach ein neues Theoriegebaeude aufmacht vom Ende der Arbeit/des
Kapitalismus (oder gleich der Welt), wogegen dann nur noch total neue
Ansaetze helfen sollen, die bisherige Einsichten der Arbeiterbewegung dann
als ueberholt, altmodisch, verfettet, buerokratisch usw. diskreditieren.
Und BTW: Im Interesse einer Interessenvertretung kann das ja durchaus
richtig sein. Dann müßten die das einfach fordern.
Produktivitaetsfortschritt finde ich erstmal immer gut, die Frage ist, was
man nachher damit macht.
Das Problem ist, daß du die Produktivitätsfortschritte im Web nicht
bei irgendwelchen bösen Arbeitgebern - Entschuldigung: netten
Tarifpartnern - hast, sondern jedeR KopiererIn ihrE eigeneR VerlegerIn
ist. Wenn dann jemensch wie der o.g. Herr lediglich die
Standesinteressen der AutorInnenschaft vertritt, dann mußt du mir mal
erklären, was daran der Fortschritt in der
gesellschaftlich/demokratischen Rückkopplung ist und wie die
Produktivitätsfortschritte dann mit gewerkschaftlicher Hilfe anders
verteilt werden sollten.
??? Das bezieht sich auf den eher kleinen Ausschnitt der Produktion freier
Software. Und noch tut zumindest der buergerliche Staat alles um die
Copyrights bei komerzieller Software aufrecht zu erhalten. Und implizit
gehst Du davon aus, dass mittelfristig fuer alle anstehenden Aufgaben freie
Software zur Verfuegung steht, das ist moeglich aber nicht sicher. Und
solange Firmen wie Microsoft mit kommerzieller Software Geld verdienen finde
ich es richtig, wenn isch jemand dafuer einsetzt, dass dieses umverteilt
wird.
Aber das ist genau der Punkt, wo du einfach begreifen mußt, daß die
digitale Kopie diese ganzen ollen Kamellen einfach unterläuft. Da ist
es einfach überholt sich mit den Konzepten der Buchdruck-Ära zu
positionieren.
Diese Auseinandersetzung scheint mir in Zeiten wo Bertelsmann gerade Napster
kauft noch lange nicht ausgestanden. Evt. ist die freie Kopierbarkeit aller
Inhalte ueber Internet auch nur eine Uebergangsphase. Ist es nicht
vorstellbar, dass die grossen Netzbetreiber, die grossen Contenthersteller
und die grossen kommerziellen Softwarefirmen isch auf eine neues
Internet-Protokoll, Hardware usw. einigen, welches eine Art Kopierschutz
'eingebaut' hat? Klar findige Leute koennen sowas immer unterlaufen, aber es
geht darum, dass das fuer die Masse der Leute wirksam ist.
OK, das mag zu paranoid klingen, aber historisch gesehen, war der
Kapitalismus bislang sehr gut in der Lage sich an neue Herausforderungen
anzupassen.
Und selbst wenn. Wenn in Zukunft Betrienssysteme im Zuge freier Kooperation
'hergestellt' werden. Dann arbeitet man halt mit denen. An den
Machtverhaeltnissen in Betrieben und der einseiteign Aneignung des Mehrwerts
muss das nichts aendern. OK Microsoft wird etwas weniger wert sein und in
Zukunft dann halt mit seiner Markenmacht MS-Linux und Schulungen vertickern,
so what.
Alles kein Grund bewaehrte Vertretungsstrukturen leichtfertig in den Wind zu
schiessen und die grosse libertaere Freiheit aller Kopierenden auszurufen.
Das freie Kopieren von Software ist heute in vielen Bereichen Realitaet
(egal ob mit GPL oder als 'private Sicherungskopie'). Und was ist der
Effekt? Trampert/Ebermann e.g. sehen eher eine Art Selbstkonditionierung der
Leute, weil diese schon in ihrem Freizeitverhalten (Games, Programmieren,
Oekonux-Listen beschreiben/betreiben) sich auf die Erfordernisse der
Produktion konditionieren.
Meinst Du also die Alternative zu gewerkschaftlicher Vertretung
sei das MP3
Streaming in Clubs oder wie darf ich das verstehen?
Da müßtest du mir schon genauer auseinanderlegen, wie du aus dem
Gesagten auf diesen Schluß kommst. Dann beantworte ich gerne deine
Frage.
Ich bezog das auf Deine unverbundene Hinternanderreihung des inkometenten
Gewerkschafters (der nur Standesinteressen vertritt) und des kompetenten MP3
DJs. Abgesehen davon, dass ich mich frage, was an der Vertretung von
Klasseninteressen schlecht sein soll, kam mir die Gegenueberstellung nicht
wirklich schluessig vor.
Ist der sich (vermeintlich) selbst entfaltende (kompetente) MP3-DJ das
Gegenbild zum Gewerkschafter? Das habe ich nicht verstanden.
Wenn du unsere Diskussionen länger (oder aufmerksamer?) verfolgt
hättest, dann hättest du bemerkt, daß wir über genau diese Frage
nachdenken. Mir fallen dazu jetzt jedenfalls viele, viele Gedanken
dazu ein, die hier schon geäußert worden sind.
Ich werde das also aufmerksam weiter verfolgen, oder bei Gelegenheit mal ins
Archiv schauen.
Der Kapitalismus kann Freie Software und deren Erfolg nicht
integrieren - jedenfalls nicht, ohne den Erfolg zu zerstören. Es geht
nicht, weil die Selbstentfaltung, die den Kern der Freien Software
bildet, nicht mit der Fremdbestimmung kompatibel ist, die den Kern der
kapitalistischen Lohnarbeit ausmacht. Hast du sicher nur kurz
Das ist die Frage. In der Gruppenarbeit oder in der Vergabe von Jobs an
Selbstangestellt ist die Fremdbestimmung auch auf ein absolutes Mindestmass
reduziert, sprich die Kontroll- und Ueberwachungsebene (Vorarbeiter etc.)
wegrationalisiert. Trotzdem wuerde niemand ernstlich behaupten bei Volvo sei
die kapitalistische Produktion dem Untergang geweiht.
Das was Du 'Selbstenfaltung' nennst, koennte man auch als
Selbstkonditionierung bezeichnen. Man arbeitet in seiner Freizeit noch
zusaetzlich um sich KnowHow anzueignen und meinetwegen fortgeschrittene
Software herzustellen. Oder irgendwann ist Arbeit und Freizeitbeschaeftigung
so komplett auf PCs orientiert, dass sich die Frage gar nicht mehr stellt,
was hier entfremdet ist. Ich mache morgens meinen Laptop auf und abends zu,
in der Kneipe hab ich Palm und Mobiltelefon, ich bastle an kommerziellen und
nichtkommerziellen Sites und fuehle mich prima dabei. Ob das dann eher eine
Vision oder ein Alptraum ist, koennte man diskutieren und insb. ob das eher
fuer 20 oder eher fuer 80% der Beschaeftigten gelten wird.
Jetzt wuerde ich als begeisterter Computer- und Laptopuser vielleicht sagen:
prima das wollte ich doch immer alles einfach am Rechner machen und das Ding
12 Std. und länger am Tag laufen haben, mache ich halt 8 Std. Arbeit und 4
Std. Freizeit. Meine reale Erfahrung ist, die man auch theoretisch sehr
leicht nachvollziehen kann, dass sich die Arbeit über die Verfügbarkeit von
Kommunikationsmitteln (Mobiltelefon, IrDA, Laptop) tendenziell in den
klassischen Freizeitbereich ausweitet und sie im Zweifel Vorrang hat, nicht
immer, aber immer öfters - und dagegen schützt kein noch so ausgeklügeltes
Nummern-Profil im Telefonspeicher. Selbstentfaltung?
Und selbst Integrations-/Zerstörungsversuche müssen fehlschlagen, weil
die einmal in die Welt gesetzte Freiheit der Freien Software nicht
mehr einzufangen ist. Selbst wenn z.B. Folgeprodukte Freier Software
auf irgendeinem Weg privatisiert werden sollte - was nach GPL nicht
geht, aber die mag irgendwie anfechtbar sein -, dann kann jedeR das
Oh ich kann mir schon vorstellen, dass ein Kartellamt die GPL kassiert,
zumindest fuer die populaeren Distributoren, die fuer die Verbreitung der
Soft sorgen. Dieser verflixte Ueberbauapparat ist zu so manchem faehig.
Verbietet Parteien, Genehmigt Angriffskriege, Sanktioniert Lauschangriffe
und Asylrechtsabschaffungen usw. usf.
Na ja, die Anfänge siehst du in der kapitalistischen industriellen
Produktion ja schon. Da wird menschliche Arbeitskraft zunehmend durch
Roboter oder andere informatisierte Verfahren ersetzt. Damit
unterliegt aber auch die materielle Produktion immer stärker der
Produktion von Informationen und gehorcht immer mehr deren Gesetzen.
So? Fuer die Anschaffung hochspezialisierter Industrieroboter und den Aufbau
einer entspr. Fabrik brauche ich immer noch massig Kapitaleinsatz; wenn die
Software dazu kuenftig kostenlos kommt, na umso besser. Und wenn ich dann
nur noch 50 SpezialistInnen brauche, auch gut. Ulrich Beck und Gerhard
Schröder halten fuer den Rest sicher schon den 'brasilianischen' informellen
oder Billiglohnsektor für die personenbezogenen DL bereit - der Rest kriegt
RTL2.
Es wäre also langfristig durchaus zu erwarten, daß Freie Projekte den
kommerziellen den Rang ablaufen - weil sie kostenlos *und* besser
sind. Freie Software macht das jedenfalls schon vor. Die aktuell
spannenden Entwicklungen laufen wohl im Bereich der Musik ab - wir
leben in spannenden Zeiten.
Ich sage mal: der entscheidende Trennstrich verlaeuft hin zur materiellen
Produktion, die ausser mit einem Replikator nicht beliebig und kostenfrei
kopierbar ist.
Stimmt: Eine Freie Bundesregierung müßte her ;-) . Am besten im Sinne
von Andy Müller-Maguhn: "Macht doch was ihr wollt, ich mache es ja
auch" ;-) .
DAS ist ja gerade der fundamentale Irrtum, dass totale (Markt)freiheit zu
echter Freiheit fuehrt. Das Gegenteil ist der Fall, unregulierte Maerkte
schaffen mittelfristig Monopole oder auch mafia- bzw. bandenaehnliche
Strukturen. Kann man sehr gut an den jüngst von den Chikago-Boys
'reformierten' Staaten der ehem. zweiten Welt sehen. Auch wer verstehen
will, was mit 'ursprünglicher Akkumulation' gemeint war wird dort fündig.
Ich halte Müller-Maguhns Aussage zwar fuer anarchisch-spassig ganz
interessant, wenn er es ernst meint und umsetzen würde, würde sich eher der
Krawatti-Westerwelle freuen.
Und ich wuerde mal tippen, dass Produkte (wenn es denn solche sind) wie
Linux auch auf eine gewisse Markenbildung (Branding) angewiesen
sind um sich
ausserhalb einer verschworenen Community (:-) durchzusetzen
Was meinst du mit Branding?
Marke im Sinne von Marke eines Produkts. Also etwa RedHat, Mercedes usw. Das
spielt in der momentanen Verbreitung von Produkten ja keine unerhebliche
Rolle.
durchaus vorstellen, dass man gegen Laeden wie SuSE und redHat
eines Tages
z.B. kartellrechtlich vorgeht -
Auf welcher Grundlage?
Sie verschenken etwas um Marktmacht zu erlangen unter 'Wert'. Sozusagen der
Vorwurf an M$ von der anderen Seite. Wenn man dann noch bei den Laeden ein
paar Produkte findet, die auf Linux laufen und nicht der GPL unterworfen
sind kann man daraus schon was machen. Klar, das klingt sehr ungerecht und
nach allgemeinem Rechtsverstaendnis auch nicht sehr wahrscheinlich, aber
moeglich ist vieles. "Filthy Hackers zerstören europäische Computerindustrie
und vernichten hunderttausende Arbeitsplätze" - egal ob's stimmt das ruft
Leute auf den Plan.
Oder wenn man Anti-Porno-'Sicherheitsstandards' im Zuge freiwilliger oder
weniger freiwilliger (Selbst)kontrolle verstaerken will und freie Software
das nicht mitmacht/zulassen will. In den USA fällt Leuten wie Tipper Gore
oder Joe Lieberman zu sowas immer was ein.
Wie ist es mit PGP? Eigentlich eine wirklich super Sache. In der
Ursprungsvariante frei verfuegbar, selbstorganisiert usw. usf. Spielt das
heute bei Firmen wirklich eine Rolle, hat sich das ausserhalb einer gewissen
Szene durchgesetzt, oder bevorzugt man dann nicht doch Corporate-Lösungen,
MS-Trustcenter, die Verschlüsselung von LotusNotes etc. Ich hab vor einiger
Zeit mal den Versuch unternommen bei Leuten und Firmen fuer PGP zu werben,
der Erfolg war ausser bei den eh schon katholischen ein aeusserst geringer.
Aber wenn es so wäre, daß gegen die repressiv vorgegangen würde, dann
wäre das nur ein Beweis dafür, daß die bürgerliche Gesellschaft und
ihre Agenten die existentielle Bedrohung erkannt hätten, die für sie
von Freier Software ausgeht. Hoffen wir, daß sie das nicht so bald
merken.
Hmm, erfahrungsgemaess gehen buergerliche Gesellschaften auch dann repressiv
vor, wenn sie eigentlich nicht wirklich bedroht werden. Und historisch
gesehen ist ein solches repressives Vorgehen zwar ganz schoen
kostenintensiv, aber bislang zumeist erfolgreich (Spanien 1936ff., Chile
1973, Faschismus in einigen kapitalistischen Staaten) - OK das ist jetzt
SEHR verkuerzt, aber denk mal drueber nach, oder um eine klassische Frage zu
stellen: wieviele Divisionen hat Linus Thorvald?
und ob dann eine GPL vor Gericht oder der
EU-Kommission Bestand hat, scheint mir ungeklaert.
Das wäre natürlich zu klären. Aber ich wüßte mit bestehenden Gesetzen
nicht, was da anfechtbar sein sollte.
Man verbieten jemandem etwas zu patentieren, was ja nach buergerlicher
Doktrin die Grundvoraussetzung fuer die Entwicklung von Maerkten und
attraktiven Produkten usw. ist. Sonst braeuchte man ja das ganze Copyright
und Marken- und Patentrecht nicht.
Der Gentlemen Common Sense der fruehen Nettiquetten ist innerhalb von drei
Jahren weggefegt worden, inzwischen ist die innere Landnahme des
Kapitalismsu im Internet schon sehr weit fortgeschritten und die moralischen
Appelle von 1995 "mach keinen Spam", "wirb nicht fuer miese Finanzprodukte",
"vermeide Chainletters" klingen irgendwie antiquiert. Und Micropayment ist
ja noch gar nicht mal etabliert.
GPL ist erstmal wuerde ich provokativ sagen ein netter Common Sense, der
funktioniert, der aber AFAIK noch vor keinem Gericht getestet worden ist,
indem etwa jemand versucht hat SEINE Varianten von Linux schuetzen zu lassen
(und seien es nur die Aenderungen). Mag sein, dass das nicht kommt, dass der
'Marktanteil' noch zu gering ist, aber daraus zu schliessen, dass weil das
jetzt ein paar Jahre so geht, aus GPL gleich die Grundlage fuer eine neue
Gesellschaft wird (werden koennte) - sorry, das erscheint mir dann doch
etwas zu hoch gegriffen.
Markus
----------------------
http://www.oekonux.de/