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Re: [ox] Kritik



Hi Ralf!

Ich will mal versuchen, das von dir Gesagte in unseren (vielleicht
oft: meinen) Terms zu sagen und auch ein paar Kommentare einzustreuen.
Vielleicht hilft das der Kommunikation.

3 days ago RalfKrae wrote:
Der entscheidende Unterschied ist der, dass in digitalisierter Form
elektronisch gespeicherte Informationsprodukte heutzutage mit minimalem
materiellen und Arbeitsaufwand vervielfältigt und verbreitet

Das ist das Besondere an der digitalen Kopie. Hatte ich vor anderthalb
Jahren noch anders gesehen, aber mittlerweile halte ich das für einen
fundamentalen Schritt.

und dann überall
und von allen, die über die dazu notwendige technische Ausstattung und
Qualifikation verfügen (diese Einschränkungen finde ich dabei aber wichtig),
genutzt werden können.

Na, die Qualifikation wird aber einerseits permanent weniger - z.B.
durch grafische Oberflächen - und andererseits wächst sie auch sehr
schnell heran - dadurch, daß viele damit zu tun haben.

Und klar, die technische Ausstattung muß da sein, wird aber immerhin
ständig billiger - zumindest bezogen auf die Leistung.

Dies gilt für materielle Produkte nicht und bietet ein
enormes Potential für die Erweiterung und Verbreitung gesellschaftlich zur
Verfügung stehenden Wissens und die Steigerung der Produktivkraft der
gesellschaftlichen Arbeit.

Unsere Argumentation geht dahin, daß die Bedeutung des materiellen
Anteils an der Produktion materieller Güter immer stärker abnimmt -
was denke ich schon in der kapitalistischen Produktion mit ihrer immer
stärkeren (informationsgetriebenen) Automation gut zu sehen ist. Mit
der obigen Tendenz zusammengenommen ergibt sich daraus, daß auch die
Produktion materieller Güter immer stärker den "Gesetzen" der
Informationsproduktion und -nutzung unterliegt.

Das ist nach dem momentanen Diskussionsstand die Basis für unsere
Argumentation, daß die GPL-Gesellschaft sich auch auf materielle Güter
erstrecken kann.

Da und soweit die kapitalistische Monopolisierung und Verwertung von
Eigentumsrechten an Informationsprodukten dies behindert und insoweit eine
Schranke für die Entwicklung der Gesellschaft darstellt, ergibt sich daraus
das Bedürfnis vieler, diese Schranke zu überwinden.

Das diskutieren wir so, daß hier die Produktivkraftentwicklung
beginnt, die Fessel des Überbaus Kapitalismus zu sprengen.

Daran kann
antikapitalistische Bewegung anknüpfen.

Das ist m.E. der falsche Zungenschlag. Für mich findet diese Bewegung
bereits im System statt - als Keimform eben. Da finde ich es falsch,
eine Bewegung von außer herbeizukonstruieren, die daran anknüpft.
Nein, nein, die Bewegung findet durchaus bei den Menschen statt und
wenn die Avantgarde irgendwelche Aufgaben hat, dann liegen die m.E. im
Prozeß der Bewußtwerdung.

Die ProduzentInnen und NutzerInnen
Freier Software umgehen diese Beschränkung von vornherein

"Umgehen" finde ich trifft es nicht richtig. Ich fand den Begriff
"Unterlaufen" treffender. Umgehen würde eher auf Raubkopieren
zutreffen.

und leisten damit
wichtige Beiträge, den Nutzen und die Möglichkeit der Beseitigung dieser
Schranke gesellschaftlich zu demonstrieren

Genau!

und darüber hinaus (das ist m.E.
das Spezifikum von Oekonux) den Blick auf die Frage zu richten, inwieweit
nicht auch darüber hinaus in der Ökonomie und Gesellschaft die Überwindung
kapitalistischer Produktions- und Herrschaftsverhältnisse möglich und
erforderlich wäre.

So kann ich das auch sehen.

Insoweit haben sie eine ähnliche Rolle wie es in der
Geschichte der Linken Genossenschafts- und andere Gemeinwirtschafts- oder
selbstverwaltete Projekte und zu Beginn sogar die Sowjetunion als realisierte
Alternative zum Kapitalismus hatten.

Das würde ich nicht ganz so sehen, da - zumindest bei Oekonux - ja die
Überwindung der arbeitsgesellschaftlichen, tauschbasierten Form an
sich im Vordergrund steht. Das ist bei den von dir genannten Ansätzen
ja zumindest in der Praxis nicht so gewesen.

Allerdings, und das ist wieder ein
Unterschied, auf dem modernsten Sektor der Produktivkraftentwicklung und ohne
viele der Probleme der genannten Beispiele.

Na, die Sowjetunion war schon ein Modernisierungsregime auf dem
damaligen Niveau der Produktivkraftentwicklung. Allerdings ist der
Ansatz leider immer immanent arbeitsgesellschaftlich geblieben. Meine
Analyse im Lichte unserer heutigen Debatte: Die hatten noch nicht die
nötigen Produktivkräfte - weil es die noch nicht gab.

Unterstreichen möchte ich aber den Unterschied, daß die von dir
genannten Ansätze sich immer am Rande des Zentrums entwickelt haben,
während Freie Software im Zentrum der (immanenten) Entwicklung steht.

Aber m.E. ebenso wenig wie diese
mit der Potenz, aus der Dynamik ihrer eigenen Entwicklung und
Beispielhaftigkeit heraus den Nieder- und Untergang  des Kapitalismus
herbeizuführen.

Dazu mal was Endgültiges von meiner Seite: Es ist nicht ausgemacht,
daß der Kapitalismus verschwindet - oder vorher die Menschheit. Wer
solches behauptet kann vielleicht eine Karriere als HellseherIn
anstreben. Aber zumindest seit 20 Jahren ist einfach nicht mehr in
Sicht, daß es dem Kapitalismus mal wieder so richtig gut geht und er
in der Lage ist seine eigenen Heilsversprechen einzulösen und wir z.B.
mal wieder Vollbeschäftigung mit lauter Normalarbeitsplätzen haben.

Und BTW: Was wir hier diskutieren *braucht* den Nieder- oder Untergang
des Kapitalismus nicht als Voraussetzung - das ist ja leicht zu sehen.

Hier ist dann m.E. die Schnittstelle zur allgemeinen Diskussion von
SozialistInnen, AnarchistInnen usw. über die Notwendigkeiten, Möglichkeiten,
Perspektiven und Strategien einer Überwindung des Kapitalismus.

Im Prinzip ja, wenn ich auch und gerade dieses Projekt hier den
BerufspolitikerInnen - zu denen ich mich mit der einen Hälfte meines
Herzens auch zähle - nicht überlassen möchte. Da bin ich zu sehr
gebranntes Kind.

Mein Eindruck ist aber, daß der von dir genannte Personenkreis sich
zum guten Teil einen Teufel um das schert, was wir hier denken, bis
hin zu geradezu allergischen Reaktionen wenn mal das Ende der
Arbeitsgesellschaft auch nur in den Mund genommen wird. Ich bin
ehrlich gesagt nicht sicher, ob aus diesen Reihen viel Fruchtbares
kommt - leider.

Auf diesem
Feld ist der Oekonux-Diskurs m.E. weitgehend gekennzeichnet durch große
Illusionen und erhebliche Ignoranz gegenüber den bisherigen Erkenntnissen,
Diskussionen und historischen Erfahrungen auf diesem Feld.

Nochmal das Spiel mit dem Rückversetzen: Wo könnte ein Owen
Erfahrungen mit dem heraufziehenden Vollkapitalismus gesammelt haben?
Natürlich sollten wir schauen, was an historischen Erungenschaften der
Arbeitsgesellschaft übernommen und ggf. in der Synthese aufgelöst
werden soll und was zurückbleiben muß. Wenn du dich aber wirklich auf
die Idee des Epochenbruchs einläßt, dann wirst du zustimmen müssen,
daß zu vielem prinzipiell keine Erfahrungen vorliegen können.

Oekonux hat hier
wichtige Beiträge einzubringen, aber es wäre m.E. völlig verfehlt, es als DIE
LÖSUNG zu betrachten, sondern es muss ein beidseitiger Lern- und
Diskussionsprozess stattfinden. Das wäre meine Zielsetzung in Bezug auf den
Oekonux-Kongress.

Ein Aspekt der Konferenz, ja. Analyse in Form von Projektvorstellungen
finde ich aber mindestens genauso wichtig.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan


_________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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