Re: [ox] Die Anwendbarkeit der Werttheorie in der Informatik
- From: UlrichLeicht t-online.de (Ulrich Leicht)
- Date: Tue, 21 Nov 2000 12:42:06 +0100
UlrichLeicht t-online.de
Stefan Meretz schrieb:
Hallo Ralf und andere Marxexegeten,
könnt ihr mir zwei Begriffe "definieren" ;-), naja, erklären reicht
mir auch - zum einen
- allgemeine Arbeit
und zweitens
- general intellect
Bin zwar kein Marx-Experte, antworte trotzdem.
Vorweg:
Christian Fuchs hat in dem von mir geposteten Artikel, der Auslöser der
Debatten und Repliken wurde, das wesentliche zu den beiden Begriffen gesagt
und abschließend meiner Meinung nach richtig resümiert:
"Wissenschaftliche Arbeit kann also mit Marx als "General Intellect"
betrachtet werden. Sie schafft keinen Mehrwert, ist aber eine Arbeit, die
eine wesentliche Basis der Kapitalakkumulation darstellt und die sich im
fixen Kapital vergegenständlicht."
Ohne die Definition zu kennen, hat Stefan M.E. das richtige geahnt und aus
den Marxexegese-Beiträgen das wichtige herausgefiltert.
Die unter kapitalistischen Verwertungsbedingungen im eigentlichen Sinne
unproduktive (nicht kapitalsproduktiv und mehrwertschöpfend), "wertlose"
"allgemeine gesellschaftlichen Arbeit" (GR 595) oder "allgemeine
wissenschaftliche Arbeit" (GR 596), "allgemeines gesellschaftliches Wissen,
knowledge" (GR 602) der "general intellect" (GR 602), "human capital" (Ralf
Krämer), "immaterielle Arbeit", "die Verwandlung des Produktionsprozesses ...
in einen wissenschaftlichen Prozeß" (GR 596), "die Entwicklung der allgemeinen
Mächte des menschlichen Kopfes" (GR 601) führen diese überholten, den
Produktivraftentwicklungen und -potenzen nicht mehr entsprechenden
Verhältnisse unweigerlich an ihre Grenzen und bergen die Keimformen für die
Sprengung der Fesseln der kapitalistischen Produktionsverhältnisse in sich.
[Das sieht Christian Fuchs in den Schlußfolgerungen vermutlich nicht ganz so
und würde es wahrscheinlich schon der Untergangsprophetie oder einem unsinnigen
Zusammenvbruchsszenario á la krisis wie Ralf zurechnen.] Nun hat uns Ralf,
Prophet des unendlichen Kapitalismus, [19.11.: "... ich halte jede Wette (sagen
wir einzulösen in 2030, zur Aufbesserung meiner Rente?), dass der Kapitalismus
das überleben wird (wenn er nicht politisch überwunden wird, was leider auch
eher unwahrscheinlich ist)."]im Zuge der Diskussion mit Hans Gert letztlich
doch noch an die Pforte des Jenseits desselbigen gebracht. Die Hoffnung und
Möglichkeit auf die "Freie Gesellschaft" darf wieder keimen.
Denn wichtiger noch als die Definition ist nämlich der Kontext, in dem die
beiden Begriffe in den Grundrissen auftauchen. Es ist ein Abschnitt über fixes
Kapital und Produktivkraftentwicklung, der überschrieben ist "Widerspruch
zwischen der Grundlage der bürgerlichen Produktion (Wertmaß) und ihrer
Entwicklung selbst. Maschinen etc." (Beginnt etwas vor dem Zitat von Hans Gert
Graebe auf Seite 600).
Und da stehen eben so spannende Dinge, deren Brisanz erst heute im Zuge der
mikroelektronischen Produktivkraft-Revolution voll zum Tragen kommen, wie:
"In dem Maße wie die große Industrie sich entwickelt, wird die Schöpfung des
wirklichen Reichtums abhängig weniger von der Arbeitszeit und dem Quantum
angewandter Arbeit, als von der Macht der Agentien, die während der Arbeitszeit
in Bewegung gesetzt werden und ... deren powerful effectiveness ... abhängt
vom allgemeinen Stand der Wissenschaft und dem Fortschritt der Technologie,
oder der Anwendung dieser Wissenschaft auf die Produktion." (599) oder:
"Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des
Reichtuns zu sein, hört und muß aufhören die Arbeitszeit sein Maß zu sein und
Tauschwert des Gebrauchswerts. ... damit bricht die auf dem Tauschwert ruhende
Produktion zusammen. ... (und von C.F. auch schon zitiert) Das Kapital ist
selbst der prozessierende Widerspruch, daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum
zu reduzieren sucht, während es andererseits die Arbeitszeit als einziges Maß
und Quelle des Reichtums setzt. ... Die Produktivkräfte und gesellschaftlichen
Beziehungen - beides verschiedene Seiten der Entwicklung des gesellschaftlichen
Individuums - erscheinen dem Kapital nur als Mittel und sind für es nur Mittel,
um von seiner bornierten Grundlage aus zu produzieren. In fact aber sind sie
die materiellen Bedingungen, um sie in die Luft zu sprengen." (GR 601/602)
Marx wie "krisis" ein Zusammenbruchsfetischist?! Bei diesen Entwicklungen geht
es auch nicht nur um Kennzeichen/Ursachen für den tendenziellen Fall der
Profirtae, deren realer Fall nebenbei bemerkt sehr wohl für die Jahre seit dem
ersten größeren Kriseneinbruch Anfang der siebziger bis heute auch empirisch
nachzuweisen und auch Auslöser für das ist, was unter neoliberaler Offensive
in aller Munde ist. (Da helfen zwar weniger die linken und alternativen
Memorandum-Ökonomen, obwohl ihr Datenmaterial auch einiges dazu hergibt, ich
empfehle das Buch von * Rainer Roth, Professor für Sozialwissenschaften an der
FHS Ffm, und auch aktiv in der Bundesarbeitsgemeinschaft der
Sozialhilfeinitiativen, "Das Kartenhaus, Ökonomie und Statsfinanzen in
Deutschland", DVS-Verlag Ffm, 430 Seiten für nur 25 DM, der das detailliert,
alle Statisken und Literatur auswertend und ohne keyneseanische Scheuklappen
nachweist). Wir haben es heute mit einer neuen Qualität, dem Abschmelzen der
Wertmasse zu tun und damit zusammenhängend und ursächlich auch mit dem
Abschmelzen produktiver abstrakter Arbeit.
Die Verwissenschaftlichung der Produktion, die Verschiebungen in der
organischen Zusammensetzung des Kapitals zugunsten des konstanten
Kapitalanteils (man könnte es auch die wachsende Vorherrschaft der "toten
Arbeit" nennen), diese enorm gestiegende und kostenträchtige Kapitalintensität
(ein Beispiel aus letzter Zeit die kreditierten Wahnsinnssummen für
UMTS-Lizenzen, von denen die Banker selber nicht mehr sicher sind, daß sie
durch ukünftige Wertschöpfung wieder "eingespielt" werden und deshalb der
Telekom für den gleichen Akt in der Schweiz keinen Kredit mehr geben wollen)
sind auch untrügliche Anzeichen einer krisenhaften Entwicklung, die das System
der Verwertung um ihrer selbst willen näher an den Rand des ökonomischen
Kollaps bringen, als die mainstream-Linke wahrhaben will. Die objektiven
Schranken sind heute näher denn je erreicht. Automatisch zusammenbrechen tut
nichts, es wird nur prekäreer, perverser und letztlich wohl auch barbarischer.
Zur Veränderung der Verhältnisse brauchts mehr. Erstens einem soziale Bewegung,
die diese objektive Schranken auch wirklich erkennt und zweitens die Keimformen
für Veränderungen aufspürt, ergreift und weitertreibt usw..
Ralf schreibt dazu in einer Antwort an Stefan Merten am 19.11.:
"Ich denke auch, dass diese Bewegung bereits stattfindet. Allerdings denke ich
dabei nicht in erster Linie an Oekonux, sondern ganz traditionell an die
diversen Formen dieser Bewegung in Gewerkschaften, Politik, Wissenschaften,
Kultur etc."
Daß ich das im wesentlichen anders sehe und nicht viel von traditionerllen
Konzepten und Kräften halte, habe ich schon mehrfach bekannt. Zunächst aber
ist es wichtiger zu klären, wo die Differenzen in der Analyse der
realen Verhältnisse, des Erkennens oder Nichterkennes krisenhafter
Entwicklungen liegen. Da habe ich andere Einschätzungen als Ralf und die
mainstream-Linke in diesem Lande, für die seine Position bei allen Differenzen
und Differenzierungen durchaus steht.
Das schaffe ich jetzt vor der Schicht nicht mehr, und diese mail würde auch
zu lang. Aber ich werde in einer zweiten mail versuchen, die Differenzen
darzulegen, auch wenn meine theoretischen Resourcen wie meine zeitlichen
beschränkt sind.
Gruß
Uli
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