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Re: [ox] Die Anwendbarkeit der Werttheorie in der Informatik



UlrichLeicht t-online.de

Stefan Meretz schrieb:
Hallo Ralf und andere Marxexegeten,

könnt ihr mir zwei Begriffe "definieren" ;-), naja, erklären reicht
mir auch - zum einen
- allgemeine Arbeit
und zweitens
- general intellect

Bin zwar kein Marx-Experte, antworte trotzdem.

Vorweg: 
Christian Fuchs hat in dem von mir geposteten Artikel, der Auslöser der 
Debatten und Repliken wurde, das wesentliche zu den beiden Begriffen gesagt 
und abschließend meiner Meinung nach richtig resümiert:
"Wissenschaftliche Arbeit kann also mit Marx als "General Intellect"
betrachtet werden. Sie schafft keinen Mehrwert, ist aber eine Arbeit, die
eine wesentliche Basis der Kapitalakkumulation darstellt und die sich im
fixen Kapital vergegenständlicht."

Ohne die Definition zu kennen, hat Stefan M.E. das richtige geahnt und aus 
den Marxexegese-Beiträgen das wichtige herausgefiltert. 
Die unter kapitalistischen Verwertungsbedingungen im eigentlichen Sinne 
unproduktive (nicht kapitalsproduktiv und mehrwertschöpfend), "wertlose" 
"allgemeine gesellschaftlichen Arbeit" (GR 595) oder "allgemeine 
wissenschaftliche Arbeit" (GR 596), "allgemeines gesellschaftliches Wissen, 
knowledge" (GR 602) der "general intellect" (GR 602), "human capital" (Ralf 
Krämer), "immaterielle Arbeit", "die Verwandlung des Produktionsprozesses ...
in einen wissenschaftlichen Prozeß" (GR 596), "die Entwicklung der allgemeinen 
Mächte des menschlichen Kopfes" (GR 601) führen diese überholten, den 
Produktivraftentwicklungen und -potenzen nicht mehr entsprechenden 
Verhältnisse unweigerlich an ihre Grenzen und bergen die Keimformen für die 
Sprengung der Fesseln der kapitalistischen Produktionsverhältnisse in sich. 
[Das sieht Christian Fuchs in den Schlußfolgerungen vermutlich nicht ganz so 
und würde es wahrscheinlich schon der Untergangsprophetie oder einem unsinnigen 
Zusammenvbruchsszenario á la krisis wie Ralf zurechnen.] Nun hat uns Ralf, 
Prophet des unendlichen Kapitalismus, [19.11.: "... ich halte jede Wette (sagen 
wir einzulösen in 2030, zur Aufbesserung meiner Rente?), dass der Kapitalismus 
das überleben wird (wenn er nicht politisch überwunden wird, was leider auch 
eher unwahrscheinlich ist)."]im Zuge der Diskussion mit Hans Gert letztlich 
doch noch an die Pforte des Jenseits desselbigen gebracht. Die Hoffnung und 
Möglichkeit auf die "Freie Gesellschaft" darf wieder keimen. 

Denn wichtiger noch als die Definition ist nämlich der Kontext, in dem die 
beiden Begriffe in den Grundrissen auftauchen. Es ist ein Abschnitt über fixes 
Kapital und Produktivkraftentwicklung, der überschrieben ist "Widerspruch 
zwischen der Grundlage der bürgerlichen Produktion (Wertmaß) und ihrer 
Entwicklung selbst. Maschinen etc." (Beginnt etwas vor dem Zitat von Hans Gert 
Graebe auf Seite 600). 
Und da stehen eben so spannende Dinge, deren Brisanz erst heute im Zuge der 
mikroelektronischen Produktivkraft-Revolution voll zum Tragen kommen, wie:
"In dem Maße wie die große Industrie sich entwickelt, wird die Schöpfung des 
wirklichen Reichtums abhängig  weniger von der Arbeitszeit und dem Quantum 
angewandter Arbeit, als von der Macht der Agentien, die während der Arbeitszeit 
in Bewegung gesetzt werden und ... deren powerful effectiveness ... abhängt 
vom allgemeinen Stand der Wissenschaft und dem Fortschritt der Technologie, 
oder der Anwendung dieser Wissenschaft auf die Produktion." (599) oder:
"Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des 
Reichtuns zu sein, hört und muß aufhören die Arbeitszeit sein Maß zu sein und 
Tauschwert des Gebrauchswerts. ... damit bricht die auf dem Tauschwert ruhende
Produktion zusammen. ... (und von C.F. auch schon zitiert) Das Kapital ist 
selbst der prozessierende Widerspruch, daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum 
zu reduzieren sucht, während es andererseits  die Arbeitszeit als einziges Maß 
und Quelle des Reichtums setzt. ... Die Produktivkräfte und gesellschaftlichen 
Beziehungen - beides verschiedene Seiten der Entwicklung des gesellschaftlichen 
Individuums - erscheinen dem Kapital nur als Mittel und sind für es nur Mittel, 
um von seiner bornierten Grundlage aus zu produzieren. In fact aber sind sie 
die materiellen Bedingungen, um sie in die Luft zu sprengen." (GR 601/602) 

Marx wie "krisis" ein Zusammenbruchsfetischist?! Bei diesen Entwicklungen geht 
es auch nicht nur um Kennzeichen/Ursachen für den tendenziellen Fall der 
Profirtae, deren realer Fall nebenbei bemerkt sehr wohl für die Jahre seit dem 
ersten größeren Kriseneinbruch Anfang der siebziger bis heute auch empirisch 
nachzuweisen und auch Auslöser für das ist, was unter neoliberaler Offensive 
in aller Munde ist. (Da helfen zwar weniger die linken und alternativen 
Memorandum-Ökonomen, obwohl ihr Datenmaterial auch einiges dazu hergibt, ich 
empfehle das Buch von * Rainer Roth, Professor für Sozialwissenschaften an der 
FHS Ffm, und auch aktiv in der Bundesarbeitsgemeinschaft der 
Sozialhilfeinitiativen, "Das Kartenhaus, Ökonomie und Statsfinanzen in 
Deutschland", DVS-Verlag Ffm, 430 Seiten für nur 25 DM, der das detailliert, 
alle Statisken und Literatur auswertend und ohne keyneseanische Scheuklappen 
nachweist). Wir haben es heute mit einer neuen Qualität, dem Abschmelzen der 
Wertmasse zu tun und damit zusammenhängend und ursächlich auch mit dem 
Abschmelzen produktiver abstrakter Arbeit.

Die Verwissenschaftlichung der Produktion, die Verschiebungen in der 
organischen Zusammensetzung des Kapitals zugunsten des konstanten 
Kapitalanteils (man könnte es auch die wachsende Vorherrschaft der "toten 
Arbeit" nennen), diese enorm gestiegende und kostenträchtige Kapitalintensität
(ein Beispiel aus letzter Zeit die kreditierten Wahnsinnssummen für 
UMTS-Lizenzen, von denen die Banker selber nicht mehr sicher sind, daß sie 
durch ukünftige Wertschöpfung wieder "eingespielt" werden und deshalb der 
Telekom für den gleichen Akt in der Schweiz keinen Kredit mehr geben wollen) 
sind auch untrügliche Anzeichen einer krisenhaften Entwicklung, die das System 
der Verwertung um ihrer selbst willen näher an den Rand des ökonomischen 
Kollaps bringen, als die mainstream-Linke wahrhaben will. Die objektiven 
Schranken sind heute näher denn je erreicht. Automatisch zusammenbrechen tut 
nichts, es wird nur prekäreer, perverser und letztlich wohl auch barbarischer. 
Zur Veränderung der Verhältnisse brauchts mehr. Erstens einem soziale Bewegung, 
die diese objektive Schranken auch wirklich erkennt und zweitens die Keimformen 
für Veränderungen aufspürt, ergreift und weitertreibt usw..
Ralf schreibt dazu in einer Antwort an Stefan Merten am 19.11.:
"Ich denke auch, dass diese Bewegung bereits stattfindet. Allerdings denke ich 
dabei nicht in erster Linie an Oekonux, sondern ganz traditionell an die 
diversen Formen dieser Bewegung in Gewerkschaften, Politik, Wissenschaften, 
Kultur etc." 
Daß ich das im wesentlichen anders sehe und nicht viel von traditionerllen 
Konzepten und Kräften halte, habe ich schon mehrfach bekannt. Zunächst aber 
ist es wichtiger zu klären, wo die Differenzen in der Analyse der 
realen Verhältnisse, des Erkennens oder Nichterkennes krisenhafter 
Entwicklungen liegen. Da habe ich andere Einschätzungen als Ralf und die 
mainstream-Linke in diesem Lande, für die seine Position bei allen Differenzen 
und Differenzierungen durchaus steht.
Das schaffe ich jetzt vor der Schicht nicht mehr, und diese mail würde auch 
zu lang. Aber ich werde in einer zweiten mail versuchen, die Differenzen 
darzulegen, auch wenn meine theoretischen Resourcen wie meine zeitlichen 
beschränkt sind.

Gruß 
Uli


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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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