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Re: [ox] Re: Kooperation



Hi,

Benni Baermann schrieb:
Aber Spehr ist es immer noch personal gedacht. Es ist schon mal ein
Schritt weg vom Denken in "Schuld" und so, aber selbst wo er von
Strukturen schreibt, sind es immer irgendwelche Aliens, die die
Strukturen betreiben (z.B. in dem Kapitel "Einssein mit den Borg").
Siehe z.B. die "Alienisierung der Krabbelgruppe". Warum tun sie
(also auch wir) das? Woher kommt das alienistische Programm?

Ich sehe das nicht als Schwäche sondern als Stärke. Es sind am Ende
immer Personen die Herrschaft ausüben. Und es gibt immer welche, die
sich dazu hergeben und immer welche, die sich dagegen entscheiden.
Ich finde das enorm wichtig, dass man diese Handlungsfreiheit hat.
Natürlich muss ich mich irgendwie verwerten, aber die Härte mit der
ich es mache kann extrem unterschiedlich ausfallen. Und es ist doch
für unseren Alltagsverstand meist auch ziemlich offensichtlich das
sich da wer als Arschloch verhält. Wenn ich dessen Arschloch-Sein
wegdiskutiere, weil er sich ja nur kybernetisch-maschinell verwertet,
dann ist mir das zu wenig. Natürlich geht es nicht darum jetzt
wieder ein paar Leute rauszudeuten, die man dann nach der Revolution
hängen sehen will aber es geht zum Beispiel darum, mit wem man sich
verbündet und mit wem nicht. Und gerade die "Alienisierung der
Krabbelgruppe" ist ein Phänomen, das eben nicht nur durch
Verwertungslogik erklärbar ist.

Verwertungslogik impliziert kein Verhalten, daraus ist also nichts
erklärbar, weil es keinen Determinationszusammenhang zwischen den
Bedingungen und dem Verhalten gibt. Menschen haben _immer_
Handlungsmöglichkeiten. Das bedeutet aber nicht - so klingt es mir
bei dir -, dass ich dann lieber gleich nur noch auf die Handlungen
der Personen gucken brauche. Das ist IMHO eine Vereinseitigung genau
in die andere Richtung.

Der Link gelingt dann, wenn ich "Verwertungslogik" als etwas
begreife, zu dem ich mich ständig direkt oder indirekt verhalten
muss (unabhängig, ob ich den Begriff im Kopf habe oder nicht). Da
kommt ziemlich unterschiedliches raus - Christoph beschreibt es sehr
anschaulich. Ich bewege mich sozusagen im Medium permanenter
Anforderungen, die als verschiedene Zumutungen an mich herangetragen
werden - von Menschen gemachte Dinge, die sie tun, weil sie sich im
gleichen Medium bewegen. Wenn ich da jetzt den "dynamischen Kern der
Verwertungslogik" weglasse, dann erscheint Gesellschaft nur als
Ansammlung von personalen Arschlöchern. Arschlochsein ist aber kein
persönlicher Defekt, sondern Resultat begründeten Handelns als
sich-zu-den-Bedingungen-ins-Verhältnis-setzen.

Wenn man nur einen abstrakten Prozess ganz ohne solche Unterschiede
hat, dann kommt man sehr schnell in einen Zustand der Ohnmacht und
Verzweiflung.

Ja, deswegen teile ich deine Kritik.

Oder: Im Bild der kybernetischen Maschiene sind wir alle Rädchen.
Beim alienistischen Programm gibt es auch noch den Maquis.

Aliens und Maquis haben je ihre guten Gründe, das zu tun, was sie
tun. Wenn man es gründemäßig denkt, dann ist klar, dass Aliens und
Maquis keine festen Personen sind (die man "sein" könnte), sondern
Handlungsoptionen darstellen. Wichtig ist, sich jetzt über die
Gründe zu unterhalten. Da kann man IMHO aber überhaupt nur
rankommen, wenn man sich gleichzeitig über das "Medium" der
Verwertungslogik klar wird, in dem wir uns bewegen und zu dem wir
uns (wie vermittelt auch immer) verhalten.

Für mich ist die kybernetische Maschiene nur _eine_ Implementierung
des alienistischen Programms, es gibt jedoch auch andere und für
viele Leute sind die wichtiger. Ein Beispiel wären die Kirchen. Die
funktionieren nicht nach Verwertungslogik und trotzdem
zentralisieren sie Verfügungsgewalt. Oder an den Unis, da wo sie
noch nicht neoliberalisiert wurden. Das kann man mit Verwertung
alleine nicht erklären, das sind andere Formen von Herrschaft. Oder
das Patriarchat, oder ...

Ich sehe es umgekehrt: Das alienistische Programm ist eine
Implementierung der Verwertungslogik. Und dann gibt's da noch andere
ugly things, die auch ihre Rolle im Spiel haben (Kirchen, Unis
etc.), obwohl sie selbst nicht direkt nach Verwertungslogik
funktionieren (Kirchen? Warum bedauern sie die Austritte? Könnten
doch froh sein, die Ungläubigen los zu sein! - Ja, die Kohle.).

Für mich ist das alienistische Programm eine Metapher, die
Gemeinsamkeiten an diesen unterschiedlichsten Herrschaftsstrukturen
offenlegt und die mir hilft Handlungen zu beurteilen und in letzter
Instanz auch ob sie "gut" oder "böse" sind.

IMHO kann es nicht darum gehen, Handlungen (v.a. anderer) als gut
oder böse oder sonstwas zu beurteilen. Es geht für mich darum, sie
zu verstehen, weil ihre subjektiven Begründungen potenziell auch
meine Gründe sein können. Darüber sollten wir uns unterhalten: Was
haben wir für Gründe bestimmte Dinge mitzumachen, bei anderen aber
zu widerstehen? Usw. Und wie können wir (z.b. bei Oekonux)
Bedingungen, einen Möglichkeitsraum, so herstellen, damit niemand
Gründe hat z.B. rauszugehen etc. (kein Programm etc.). Ob das auch
trifft, ist eine andere Frage - es gibt ja keinen
Determininationszusammenhang.

Du schreibst, das Du diese Wörter nicht magst, aber letzten Endes
geht es doch genau darum: Rauszufinden, wie man handeln _soll_. Das
ist eine ganz altmodisch moralisch normative Frage. Und da geht es
eben auch um Personen.

Wieso soll? Du sollst gar nix. Die Frage ist doch warum willst Du
wie handeln? Das bedeutet statt normativem Diskurs, der immer
ausgrenzend ist, ein einschliessender Gründediskurs. Wäre meine Idee
dazu.

Ich bin auch Materialist aber trotzdem glaube ich, dass man ohne
Moral nicht auskommt. Denn das allerwichtigste ist immer: Die
Menschen können entscheiden.

Moral kann in meiner Sicht immer nur Resultat, nie aber
Voraussetzung von Handlung sein. Bürgerliche Müllpolitik propagiert
ständig das Umgekehrte: orientiere an "Werten" (hier: Moral). Ja,
klar, praktisch ist in meiner Erfahrung immer schon Erfahrung und
Moral als Resultat vorgängiger Handlungen da - doch die Frage ist:
orientiere ich mich daran? Auch da habe ich die gleichen Einwände
wie beim normativen Diskurs.

Ich denke, du siehst das ganz ähnlich, vielleicht nur mit eben
anderen Akzentuierungen. Ich seh Dich da auf halbem Weg zwischen
Krisis und Spehr ;-)

Ich seh mich auf lauter halben Wegen zwischen vielen Theorien. Aber
weit sind wir zwei wirklich nicht voreinander weg - IMHO;-)

Naja, aber den Ersatz für die kybernetische Maschiene in einer
besseren Welt hat ja sonst jetzt auch noch niemand gefunden, oder?

Nicht wirklich;-) Aber drüber nachzudenken, halte ich für
entscheidend - von wo auch immer man kommt.

Ansonsten bitte Mail an mich! Wir stochern so ein bisschen im Nebel
rum. Bei Dir ist es die Keimform und bei Spehr die "fünf Politiken".
Du denkst das eher von hinten nach vorne und Spehr umgekehrt. So
würde ich das sehen.

Dann treffen wir uns ja in der Mitte:-)

Deswegen ist es ja auch so enorm wichtig, dass es unterschiedliche
Ansätze gibt. Die "eine" Theorie wird es nicht mehr geben, alleine
schon weil unsere Geschichten alle viel zu
postfordistisch-postmodern sind um noch als einheitliche
"Zielgruppe" funktionieren zu können. Es gibt ja nicht nur kein
einheitliches revolutionäres Subjekt mehr, sondern eben auch kein
einheitliches Erkenntnissubjekt. Und deswegen liegt mir auch die viel
beschworene "Offenheit" von Oekonux so am Herzen. "Open Theory" im
Wortsinne sozusagen.

Yep!

Ciao,
Stefan

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  stefan.meretz hbv.org
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