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Re: [ox] Alieniesierung freier Software



Hi Benni und alle!

2 weeks (17 days) ago Benni Baermann wrote:
Ich lese gerade das Alienbuch zum zweiten Male.

Nun habe ich es nicht mal zum ersten Mal gelesen, aber...

Und bin über den
Abschnitt mit der Alienisierung der Krabbelstube gestolpert. S. 144
ff. Dort heisst es auf S.145 unten:

"Alle Aliens, ..., spulen ein Programm ab,

...da dreht sich mir schon der analytische Magen um :-( . Diese
Personalisierung habe ich aber jetzt oft genug kritisiert. Auch bei
der Benennung der Personenklassen habe ich so meine Schwierigkeiten.
Waren die Nazis auch Aliens - am besten from Outer Space?

Ich finde sie auch deswegen falsch, weil wir vermutlich alle alles
zusammen sind: Aliens, Maqui und ZivilistInnen. JedeR von uns kauft
Waren und spult damit alienistisches Programm ab. JedeR von uns hat
widerständige und unbeteiligte Anteile und vereinigt also auch Maquis
und ZivilistInnen. Ach, mir fällt immer mehr ein, warum ich diese
Bilder nicht für nützlich halte. M.E. vernebeln sie mehr als sie
erhellen und sind damit m.E. eher Teil des Problems als der Lösung.

Aber ok. Das ist meine Sicht und deine, Benni, ist offensichtlich eine
andere. Was ich - auch nach dem ganzen Thread - noch nicht sehe, wie
ich deine (derzeitige) Perspektive der Dinge für mich produktiv machen
kann. Liege ich falsch, wenn ich deine Perspektive als machtzentriert
bezeichnen würde?

Das scheint mir BTW auch die Spehr'sche Perspektive zu sein: Es geht
um die Macht und um sonst gar nichts. Das ist aber nicht meine
Perspektive. Macht ist natürlich ein wichtiger Faktor - aber nicht der
wichtigste und m.E. nicht mal der Entscheidende. Wenn Macht der
entscheidende Faktor gesellschaftlicher Entwicklung wäre, dann wäre
das römische Imperium niemals zusammengebrochen, die Kirche und die
Fürsten wäre immer noch *die* Dominante und die Sowjetunion würde auch
noch existieren.

das strukturelle Gewalt
über 5 Stufen etabliert: Befreiung von der alltäglichen
widerkehrenden praktischen Arbeit; Kontrolle der
Arbeitsorganisation; Aufbau von Aussenkontakten; Warenform der
Arbeit; Überführung in Eigentum."

Ok, nehmen wir das mal unhinterfragt an.

Als einfacher Lackmustest müßte das Muster in jedem Fall in Fällen
ursprünglicher Akkumulation zu finden sein.

Hier wird ja oft die These vertreten, die GPL mache die FS sozusagen
imun gegen Verwertung (und da viele das für das Selbe wie
Alienisierung halten, eben auch gegen diese).

Wie in anderen Threads nochmal ausgeführt, halte ich die GPL höchstens
für den juristischen Teil der Immunisierung. So ähnlich wie die Magna
Carta gegenüber dem britischen König während der wirkliche Drive des
Bürgertums ganz woanders abging. Wenn die GPL der ganze Damm wäre,
würde ich im übrigen keinen Pfifferling auf die
Freie-Software-Bewegung geben.

Im Folgenden überprüfe ich das mal anhand meiner Wahrnehmung der
Situation in der Szene:

1. "Befreiung von der alltäglichen wiederkehrenden praktischen
Arbeit"

Das tritt IMHO schon ein, wenn der "Maintainer" nur noch
Designentscheidungen trifft und nicht mehr oder nur noch wenig an
der konkreten Programmierarbeit beteiligt ist. Das lässt sich
sicherlich an vielen Projekten beobachten. Gerade bei den
erfolgreichen Projekten.

Was machst du denn da? Du rechnest hier mal kurz die Tätigkeit der
MaintainerInnen aus der "alltäglich wiederkehrenden praktischen
Arbeit" raus? Wie das?

Ich mache hier einiges an Maintenance und auch meine derzeitige
berufliche Tätigkeit hat einiges mit Maintenance zu tun. Ich habe
überhaupt nicht das Gefühl, daß irgendetwas davon nicht "alltäglich
wiederkehrende praktische Arbeit" ist.

Böswillig könnte ich jetzt dir und Spehr noch die Unterscheidung vom
raffenden und schaffenden Kapital unterstellen - lasse ich sein. Aber
was m.E. schon deutlich wird, ist die schwache und undurchdachte
Begrifflichkeit, die Spehr nach meiner Wahrnehmung so gerne verwendet.
Für mich sieht diese Schwäche auch oftmals gezielt aus, so daß halt
das rauskommt, was rauskommen soll. Das macht das ganze Vorhaben für
mich unredlich ("alienistisch" nach Spehrs Diktion ;-) ). Aber
vielleicht sollte ich's mal lesen...

Anyway, Deine/Spehrs Logik zu Ende gedacht, kommst du da raus, daß
Arbeitsteilung nicht mehr möglich ist - alle müssen ja dann wohl alles
machen können und es dann auch real vor sich hin dilettieren. Dann
landest du mit einem gesellschaftlichen Niveau nicht mal bei Bauern
und Handwerkern...

2. "Kontrolle der Arbeitsorganisation"

Auch hier sind die meisten Projekte schon recht weit. Meistens sind
es nur wenige, die Organisatorisches Übernehmen.

Nun, da stecke ich zu wenig in konkreten Projekten drin um das genau
beurteilen zu können. Fakt ist in (nicht-kommerziellen) Freien
Software-Projekten zunächst aber, daß niemensch zum Mitmachen
gezwungen wird - weder strukturell noch sonst irgendwie. Sogar nach
Spehr'schen Kriterien ist die freie Kooperation hier in Vollendung
gegeben: JedeR kann mit Null-Kosten jederzeit gehen.

Wenn sich jemensch um die Verteilung von notwendigen Tätigkeiten
kümmert, dann ist das für mich erstmal ein Dienst am Gesamtprojekt, an
der Allgemeinheit.

Wie haben wir denn z.B. die Konferenz organisiert. Einen Beitrag, den
ich z.B. ab und an geleistet habe, war, zu erwähnen, was aus meiner
Sicht noch zu erledigen ist. Das ist diskutiert, vieles davon erledigt
worden - auch von mir -, einiges abgelehnt / verändert worden, weniges
ist liegengeblieben. Wenn du so willst eine
Maintainer-/Management-Aufgabe. Habe ich damit eine
"Arbeitsorganisation" betrieben, die jenseits dessen lag, was sachlich
notwendig war? Und die sachliche Notwendigkeit einer
Arbeitsorganisation ist (mindestens) bei arbeitsteiligem Wirken
einfach nicht von der Hand zu weisen.

In manchen
Projekten werden die Organisatoren demokratisch legitimiert in
anderen diktatorisch bestimmt, was jedoch so oder so nichts an dem
alienisierenden Charakter ihrer Tätigkeit ändert.

Wer Maintainer-/Management-Aufgaben übernimmt und wie diejenige dazu
kommt, ist eine ganz andere Frage. Ich täte sagen, die, die es am
besten kann - was das Vertrauen der Gruppe in die entsprechende Person
einschließt. Es gibt begnadete CoderInnen, denen du niemals
Maintainer-/Management-Aufgaben überlassen würdest - weil du weißt,
daß es ein Schaden für alle wäre. Möchtest du das erzwingen?

3. "Aufbau von Aussenkontakten"

Was sind eigentlich Außenkontakte bei Freier Software? Gibt es da
überhaupt so ohne weiteres ein Außen und dementsprechend auch ein
Innen? Immerhin ist zumindest potentiell jedeR InsiderIn mit einem
Bug-Report oder einem Feature-Wunsch.

Auch dieser ist schon sehr weit fortgeschritten. ESR hat ja seine
Tätigkeit sogar offen so beschrieben, dass er das übernimmt. In
seiner Schilderung ist das natürlich eine selbstlose Dienstleistung.
Aber auch Thorwalds oder RMS sind Beispiele für Epigonen, die von
aussen als identisch mit Projekten angesehen werden und für diese
Sprechen.

Zunächst hat jedeR in der Freien-Software-Bewegung die Möglichkeit
selbst Außenkontakte im Sinne von Medienkontakten (unterstelle ich
einfach mal, daß du die meinst) herzustellen. Ob die Medienwahrnehmung
angemessen ist, ist eine andere Frage, und höchstens teilweise ein
Problem, das der Freien-Software-Bewegung zuzurechnen ist - hast du ja
selbst schon gesagt.

Und es ist BTW teilweise geradezu haarsträubend, wie da berichtet
wird. Ich erinnere mich z.B. an einen Artikel in irgendsoeinem
Börsen-Käseblatt, wo gerade Linus Torvalds gehypet wurde - zu Zeiten
des allgemeinen Linux-Hypes. Das war geradezu schauerlich, was da
berichtet wurde. Da wurde Linus Torvalds als praktisch gleichwertig
mit Bill Gates gehandelt - absurder geht's nun echt nicht mehr.

Und das Problem sehen wir doch im übrigen schon bei unserem,
verglichen mit der Freien Software doch relativ begrenzten
Unternehmen: Sabine hat Sorge, daß eine bestimmte Außenwahrnehmung
dominiert, und auf `http://www.panokratie.de/Links/links.htm' finde
ich immer noch `Konferenz zur GPL- oder *Schenk*wirtschaft'
(Hervorhebung von mir) - trotz anmeckern.

Frage wäre also: Was tun?

Daß die etablierten Medien in der Lage sind, eine so differenzierte
Sache wie die Freie-Software-Bewegung halbwegs stimmig rüberzubringen,
glaubt hier wohl niemensch im Ernst. Die scheitern ja schon an viel
einfacheren (und wichtigeren) Aufgaben - z.B. einer einigermaßen
wirklichkeitsgtreuen Darstellung der Situation in Ex-Jugoslawien.

Wenn dieses Mittel also prinzipiell nicht zur Verfügung steht, was
dann? Fällt mir nur eigene Kanäle ein. Web-Sites z.B. Und die
GNU/Linux-Sites hypen eigentlich nicht irgendwelche Einzelpersonen -
oder?

4. "Warenform der Arbeit"

1500 Programmierer arbeiten bei IBM im Linux-Umfeld. Red Hat
finanziert ganze Labore. Die Beispiele sind Legion. Dennoch ist
dieser Punkt derjenige, der erst noch im Entstehen ist. Noch immer
entsteht ein Grossteil der FS "just for fun".

Das sehe ich auch als gewisses Problem an. Aber aus den Gründen, die
hier gerade auch wieder in der Maintainer-Frage aufscheinen, halte ich
die für strukturell nicht gegeben. Du kannst niemenschen zwingen
kreativ zu sein und deswegen sind für ein Projekt, bei dem Kreativität
an erster Stelle steht (wie Software), kapitalistische Verhältnisse
mit ihrer immer vorhandenen Fremdbestimmung (letztlich durch den
Markt) einfach ungünstig - ungünstiger zumindest als das, was in
Selbstentfaltung möglich ist. <gebetsmühle> Deswegen ist Freie
Software in Freier Selbstentfaltung einfach besser als kommerzielle
Software jeder Art und wird sie deswegen niederkonkurrieren.
</gebetsmühle>

Und BTW ist ja noch die Frage, warum die das machen. Ich habe darauf
immer wieder versucht Antworten zu geben - z.B. auch in
`http://www.oekonux.de/texte/neuegesellschaft/inhalt.html#Freie
Software und kommerzielle Einflüsse', wo zumindest für Red Hat u.ä.
eine m.E. stichhaltige Erklärung gegeben wird.

Noch ein Gedanke dazu: Es könnte für IBM und Konsorten schlicht
billiger sein, die Entwicklung Freier Software (auch großzügig) zu
sponsoren, als weiter in der M$-Abhängigkeit zu verbleiben. Es ist ja
zu kurz gedacht, wenn jede einzelne Aktivität einer Firma immer nur
unter unmittelbaren Gewinnabsichten betrachtet wird - auch wenn
infrastrukturelle Investitionen heute von der Börse zunehmend
abgestraft werden :-( ...

5. "Überführung in Eigentum"

Dieser Schritt ist der einzige von dem wir noch nichts gehört haben.
Wobei Netscape durchaus schon fast als ein (gescheiterter) Versuch
in dieser Richtung angesehen werden kann.

Dazu ist die GPL allerdings ein wichtiger Punkt. Mal sehen wie das
jetzt mit Apples Darwin / Mac OS X weitergeht. Die haben sich ja
einfach BSD gegriffen und einiges privatisiert.

Ausserdem bestätigt mich das in meiner Meinung, dass eine reine
Wert-Betrachtung nicht ausreicht, sondern Alienisierung (und
Herrschaft) mehr ist als das.

Oder weniger - wäre meine Position. Jedenfalls was anderes und
scheinbar doch sehr unter den Direktiven der Aliens gedacht - d.h. im
Rahmen a priori vermachteter und wertförmiger Strukturen, aus denen
ich grundsätzlich raus will. So grundsätzlich, daß die in einer
Gesellschaft wie sie mir vorschwebt nur noch im sachlich unabweisbaren
Rahmen vorkommen - und der ist m.E. klein.

Ich wäre nach wie vor daran interessiert, deinen/Spehrs Ansatz für
mich produktiv zu machen - aber wie?


						Mit Freien Grüßen

						Stefan


________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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