Re: [ox] Re: Gewalt
- From: Horibbeck aol.com
- Date: Sun, 26 Aug 2001 17:48:13 EDT
Wahrscheinlich weil der F.Schandl immer gut zu zitieren ist,
nicht zuletzt dank seines Sprachwitzes hat Heinz Weinhausen diese
für mich damals wie heute recht erhellenden Ansichten
in der 1.(!) Nr. von Null - komma - nix,
einer Flugi-Serie unseres Krisis-Kreises weitergereicht.
Ich hoffe auch hier in dieser Gewalt-Diskussion auf geneigte Leser.
Null - komma - nix
beiträge zur Entkopplung von der Warengesellschaft
KRISIS-Kreis-KöIn
Nr. 1 / 98
DIALEKTIK UND DIMENSION DER GEWALT
22 ENTZAUBERNDE THESEN
von FRANZ SCHANDL
1. Gewalt ist die "Lösung" von Konflikten in ihrer reinsten, in ihrer ersten
und letzten Form: Konfrontation pur. Die ganze menschliche Geschichte ist
phänomenologisch betrachtet ein Ein- und Auflösen von Gewalt. Alle
wirklich einschneidenden Ereignisse beherbergen sie als Treibsatz. Gewalt ist
so zwar nicht der Motor der Geschichte, sehr wohl aber ein hervorstechendes
Moment der Verwirklichung sozialer Entwicklung.
2. Gewalt auszuschließen, wo sie doch täglich stattfindet, ist töricht. Auf
Gewalt zu verzichten, heißt heute nicht, daß auf Gewalt verzichtet wird. Im
Gegenteil, dieser Vorsatz beläßt, ja begrüßt die Gewalt, wo sie ist. Gewalt
ist da, läuft man ihr davon, dann nimmt man sie bloß mit. Man kann sich ihrer
nicht entledigen, auch wenn man sich ihrer entschlägt (auf sie verzichtet).
Gewalt kann jedenfalls nicht weggezaubert werden.
Das staatliche Gewaltmonopol ist die höchste Stufe der Anerkennung, daß
Gewalt in der Gesellschaft existiert. Es ist das Regulierungsinstrument der
Gewalten, das bisher fortgeschrittenste und anmaßendste.
4. Gewaltmonopol bedeutet nicht, daß der Staat keine Gewaltanwendung außer
der eigenen duldet. Es geht vielmehr darum, daß Gewaltsamkeit nur insofern
als legal gilt, als die staatliche Ordnung sie toleriert, genehmigt oder
vorschreibt. Behauptet wird also nicht schlichtweg ein Gewaltmonopol des
Staates, sondern, daß Gewalt nur dann im Recht ist, wenn sie staatlich getan,
gefördert oder erlaubt wird. Der Staat mit seinen Gewaltapparaten hat nicht
die Gewalt monopolisiert, er ist vielmehr dazu da, gesellschaftliche Macht
und Gewalt in letzter Instanz zu garantieren und abzusichern, d.h.
einzugreifen, wenn in der Gesellschaft die Selbstherrschaft aus
verschiedensten Gründen versagt.
5. Strenggenommen kann es gar kein Gewaltmonopol geben. Wäre es Realzustand,
wäre es überflüssig. Denn wäre es, wogegen könnte es Sein? - Eine Gewalt ist
keine Gewalt. Das Monopol der Gewalt muß eben auch deswegen behauptet werden,
da es von den Normierungen abweichende Gewalt und Gewaltbereitschaft in der
Gesellschaft gibt und geben muß. Es fördert "legale' und richtet sich gegen
"illegale" Gewalten in der Gesellschaft. Wer "Gewaltmonopol" sagt, gibt zu,
daß es verschiedene Gewalten gibt, jenes letztendlich bloß eine notwendige
Fiktion ist.
6. Die Notwendigkeit des bürgerlichen Gewaltmonopols ist die perfekte
Negation der Gewaltlosigkeit~ sie verdeutlicht nichts anderes als die
gegenwärtige Unmöglichkeit der Umsetzung wirklich gewaltfreier Zustände.
Gewalt bleibt also auch in der bürgerlichen Epoche immanenter
Funktionsbestandteil. Darüber sollten gerade ihre öffentlichen und privaten
Domestizierungen in der Kommunikation nicht hinwegtäuschen. Die Zivilisierung
hat die Gewalt nur formal beschränkt und reguliert, inhaltlich waren die
Möglichkeiten der Gewalt noch nie so gewaltig wie jetzt.
7. Auch Rechtsstaat und Gewaltmonopol können nicht einseitig positiviert oder
einfach verunendlicht werden.
Es gilt das Bewußtsein zu wecken bezüglich ihrer historischen Beschränktheit
und ihrer antiemanzipatorischen
Einschränkungen. Gewaltmonopol und Recht stellen so Quellen wie Grenzen
menschlicher Befreiungen dar.
8. Auch rechtsstaatliche Gewalt ist Gewalt. Das Bekenntnis zum Gewaltmonopol
ist unfraglich ein Bekenntnis zu einer bestimmten Gewalt bzw.
Gewaltzulassung, es mit einem Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit gleichzusetzen,
ist geistige Barbarei. Wenn Ächtung der Gewalt und Achtung des Gewaltmonopols
gemeinsam auftreten, sollten die Alarmglocken läuten. Wer das staatliche
Gewaltmonopd bekennt, ist für Gewalt.
9. Das Gewaltmonopol ist vielmehr historisch einzuordnen, nicht als Endpunkt
der Entwicklung öffentlicher Kommunikation anzusehen. Es ist einerseits als
ein positiver Schritt zur Überwindung vielfältiger Gewaltpole zu begrüßen,
andererseits aber auch als Hemmschuh emanzipatorischer Prozesse zu erkennen.
Es ist das Korsett des Rechtsstaates, ohne das er im Guten wie im Schlechten
nicht bestehen kann. Das Gewaltmonopol ist eine progressive wie regressive
Größe, somit ein relativer Wert.
1 0. Gewalt ist so nicht ein Gegensatz zum Recht, sondern sie sind sich
gegenseitig Mittel und Zweck. Will das Recht sich durchsetzen, benötigt es
die Gewalt, will die Gewalt in hochentwickelten Gesellschaften Bestand haben
- und sie muß Bestand haben, sonst haben die Gesellschaften keinen Bestand -‚
benötigt es die zivilisierte Form des Rechts. Gewalt ist die unabdingbare
Voraussetzung des Rechts.
11. Der Schlüssel zur Überwindung des staatlichen Gewaltmonopols liegt aber
nicht in seiner Rücknahme oder
Zerschlagung, sondern in seiner dialektischen, was meint positivierenden wie
negatorischen Weiterentwicklung.
Nicht die Unterwerfung unter die Ausgangsthese ist angesagt, sondern deren
permanente Synthetisierung.
Gewalt und Recht müssen so lange synthetisiert werden, bis von ihnen nichts
mehr übrigbleibt.
12. Gewalt ist immanenter Bestandteil der Gesellschaft. Laut öffentlicher
Meinung erscheint das jedoch unter
einem anderen Blickwinkel. Ihr ist Gewalt immer bloß Gegengewalt, sie selbst
nimmt sich somit aus. Gewalt hängt eng mit dem Wertgesetz zusammen. Ist sie
gesellschaftlich verwertbar, kompatibel hinsichtlich von Profiten und
Bruttonationalprodukten, wird sie toleriert, ja gefördert, wendet sie sich
dagegen, wird sie verfolgt.
1 3. Die Gretchenfrage: "Wie hältst Du's mit der Gewalt?" darf nicht gleich
einem Glaubensbekenntnis beantwortet werden. Im Prinzip gilt es die
Fragestellung zu destruieren, ihren Charakter als Fangfrage zu demaskieren.
Fangfrage deshalb, weil sie Gewalt aus ihren gesellschaftlichen
Zusammenhängen und Absichten reißt, weiters ein abstraktes Credo einfordert,
das nichts anderes sein kann als eine konkrete Zustimmung zum Bestehenden.
Das Gleiche gilt für das Gewaltmonopol. Hier sind alle Parolen wie "Hoch
das...." oder "Weg mit...:" unangebracht.
1 4.Die Gewaltfrage konnte bisher nie eine vorrangige sein, sondern stets
eine sekundäre. Die Frage ist also gar nicht die, ob man für Gewalt ist oder
nicht, sondern welche man in bestimmten Situationen für zulässig und
sinnvoll, notwendig und unumgänglich erachtet. Das ist meist keine Frage des
Woltens, sondern eine des Müssens. Und eine, die sich allen
Gesellschaftsmitgliedern stellt.
1 5.Gewalt ist jedenfalls nicht bloß eine Frage der Notwehr, sondern durchaus
eine der Strategie. Sie ist eine optionale Größe. Wer sie ausklammert,
beschneidet sich der Möglichkeiten, die der Gegenseite zur Verfügung stehen.
Keine wirklich ernsthafte Diskussion kann sich daran vorbeischwindeln. Doch
nicht debattiert wird heute, sondern das Abweichende verfolgt. Im
Trommelfeuer von Medien und Politik soll es dazu gebracht werden, sich den
Stoßgebeten anzuschließen, sich in Glaubensbekenntnissen und Fürbitten zu
ergehen, selbst nur noch das Erlaubte zu erlauben.
1 6.Bewegungen, die erfolgreich sein wollten, mußten das Gewaltmonopol direkt
oder indirekt antasten, von der Arbeiterbewegung, als sie das Streikrecht,
das Wahlrecht oder die Koalitionsfreiheit erkämpfte, bis hin zur
Ökologiebewegung, wenn es darum geht, bestimmte Projekte zu verhindern oder
zu erschweren.
1 7. In bestimmten Kämpfen ist es angebracht, über rechtsstaatliche Schranken
hinwegzuschreiten, und das ist auch gängige Praxis. Ob Legalitätsbrüche
sinnvoll sind oder nicht, hängt von der jeweiligen Situation ab. Das schließt
eine Menge taktischer Überlegung mit ein, wobei verschiedene Kriterien
(Wirksamkeit, Mehrheitsfähigkeit, Bündnispartner, Gefährdungsaussch]uß,
Mobiiisierungsgrad, Vermittlungsmöglichkeit, Kampagnefähigkeit etc.> beachtet
werden müssen.
1 8.Emanzipatorische Praxis zielt auf die Überwindung von Herrschaft.
Gewaltfreiheit weist auf diesen Zweck, verabsolutiert ihn jedoch nicht als
Mittel. Freiheit ist keine Losigkeit, Gewaltfreiheit somit nicht mit
Gewaltlosigkeit zu verwechseln. Das Prinzip der Gewaltfreiheit ist nicht mit
dem Dogma der Gewaltlosigkeit gleichzusetzen. Gewaltfreiheit ist ein
richtiger Inhalt, Gewaltlosigkeit eine unrichtige Form. Der Schritt vom
Prinzip der Gewaltfreiheit zum Dogma der Gewaltlosigkeit ist daher kein
logischer. Er ist die Verwechslung von Form und Inhalt notwendiger
Pazifizierung und konkreter Umsetzung.
1 9.Die Gewaltfrage muß offengehalten werden, weil sie offen ist. Wer sie
zumacht, hat nicht sie zugemacht, sondern sich selbst. Ein absoluter
Gewaltverzicht ist heute nicht möglich und sollte auch nicht propagiert
werden. Die Befürworter des Gewaltmonopols haben das verstanden und sich auf
eine bestimmte Gewalt - die des Staates, bzw. jener, die er zuläßt -
verständig. Warum aber sollte eine radikale Opposition dasselbe tun?
20.Unser Standpunkt ist einer, der Gewalt radikal kritisiert, aber nicht
kategorisch ausschließt. Er beinhaltet ganz nüchtern folgende Kernsätze:
Erstens:Gewalt ist Gewalt. Es gilt jene als solche zu bezeichnen, Gewalt zu
erkennen und richtig zu benennen, unabhängig von ihren Trägern und Absichten.
Hier geht es um ihre Identifizierung. Zweitens: Gewalt ist nicht Gewalt. Es
gilt sich stets zu fragen, was ihr Zweck ist, ob sie diesen erfüllt, wes
gesellschaftlicher Charakter die Handlung ist. Gewalt ist in ihrer Potenz
vielfältig. Hier geht es um ihre Differenzierung und Einordnung.
Drittens:Nichtgewalt ist Gewalt. Normalerweise gilt als Gewalt nur die
sinnlich wahmehmbare und rechtlich nachweisbare Schädigung von Objekten. Man
glaubt von Tätern und Opfern sprechen zu können. Doch mit fortschreitender
Zivilisation haben sich die Schäden zusehends vergesellschaftet, d.h. sie
sind viel seltener mittelbar als unmittelbar, können nicht dingfest und
personalisiert werden. Auswirkungen und Einwirkungen fallen nicht unmittelbar
zusammen, sie sind zeitlich und örtlich, kausal und formal voneinander
getrennt. Nicht jede Gewalt zeigt sich, vor allem die ökologische Krise
verdeutlicht das. Gewalt ist also immer weniger indiskret und direkt, sondern
diskret und leise, mehr radioaktiv als aktiv. Mehr als ihre akute Seite muß
man heute ihre chronische Dimension thematisieren. Gewalt ist jedenfalls
primär von der vermittelten Auswirkung her zu diskutieren, nicht von der
unmittelbaren Einwirkung.
2 1.Gewalt als elementares Ereignis der gesamten menschlichen Vorgeschichte,
wird auch weiterhin in progressiven und regressiven Varianten auftreten, ja
diese werden nicht immer eindeutig bestimmten gesellschaftlichen Trägern
zuordbar sein. So kann selbstverständlich auch polizeiliche und militärische
Gewalt zu verschiedensten Anlässen fortschrittlich sein, während
oppositionelle Gewalt sich kontraproduktiv entlädt.
2 2. Gewalt wird jedenfalls so lange sein, so lange Herrschaft ist. Wer heute
schon ihren Abgesang veranstaltet, verunstaltet die Möglichkeiten der
Emanzipation, erniedrigt sie, belegt sich mit Denk- und Handlungsverboten.
Die Spirale der Gewalt kann in der bürgerlichen Epoche trotz aller zivilen
Befriedungsversuche letztendlich nicht durchbrochen werden. Nach wie vor
gilt, auch wenn die Gültigkeit dieses Prinzips einst überwunden werden soll:
Emancipatio sine potestate non est!
MfG,
Horst
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