Message 03281 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT03195 Message: 15/17 L1 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] Re: Gewalt



Hallo Horst und Stefan,

Der Punkt 20 im Krisis-Text von F.Schandl fasst ganz gut zusammen,
worum es mir in diesem Thread geht:

20. Unser Standpunkt ist einer, der Gewalt radikal kritisiert, aber nicht
kategorisch ausschließt. Er beinhaltet ganz nüchtern folgende Kernsätze:
Erstens:Gewalt ist Gewalt. Es gilt jene als solche zu bezeichnen, Gewalt zu
erkennen und richtig zu benennen, unabhängig von ihren Trägern und Absichten.
Hier geht es um ihre Identifizierung. Zweitens: Gewalt ist nicht Gewalt. Es
gilt sich stets zu fragen, was ihr Zweck ist, ob sie diesen erfüllt, wes
gesellschaftlicher Charakter die Handlung ist. Gewalt ist in ihrer Potenz
vielfältig. Hier geht es um ihre Differenzierung und Einordnung.
Drittens:Nichtgewalt ist Gewalt. Normalerweise gilt als Gewalt nur die
sinnlich wahmehmbare und rechtlich nachweisbare Schädigung von Objekten. Man
glaubt von Tätern und Opfern sprechen zu können. Doch mit fortschreitender
Zivilisation haben sich die Schäden zusehends vergesellschaftet, d.h. sie
sind viel seltener mittelbar als unmittelbar, können nicht dingfest und
personalisiert werden. Auswirkungen und Einwirkungen fallen nicht unmittelbar
zusammen, sie sind zeitlich und örtlich, kausal und formal voneinander
getrennt. Nicht jede Gewalt zeigt sich, vor allem die ökologische Krise
verdeutlicht das. Gewalt ist also immer weniger indiskret und direkt, sondern
diskret und leise, mehr radioaktiv als aktiv. Mehr als ihre akute Seite muß
man heute ihre chronische Dimension thematisieren. Gewalt ist jedenfalls
primär von der vermittelten Auswirkung her zu diskutieren, nicht von der
unmittelbaren Einwirkung.

Genau -- das meine ich mit struktureller Gewalt, indirekter und kollektiver
Gewalt, und mit dem Fokus auf Schädigung.  Die Definitionen anderer Leute
hier (nur physische direkte Gewalt / nur vom Opfer wahrgenommene) greifen
da viel zu kurz.

Bei der IAC-Theorie geht es um Bewusstmachung von Gewalt, zwecks
Minimierung der Gewalt.  Details dazu im Folgenden.

---

Stefan Merten schrieb am 27.8.:
2 days ago Christoph Reuss wrote:
Stefan Merten schrieb vor 3 Stunden:
Hmm... Wenn ich dich richtig verstehe, dann definierst du so etwas wie
einen objektiven Schaden, den jemensch oder auch etwas erleiden kann,
und wenn dieser objektive Schaden zugefügt wird, dann ist das Gewalt.

Ja, wobei ich subjektive Komponenten _additiv_ schon auch berücksichtigen
würde (z.B. der persönliche Erinnerungswert eines Gegenstandes, der dem
Opfer weggenommen/zerstört wurde).  Was ich einfach vermeiden will, ist,
dass das Opfer (per "Selbstbetrug" oder einfach aus Unwissenheit) den
Schaden "übersieht".  Das wäre nämlich ganz im Sinne der Täter -- s.u.

Bist du eigentlich absolut zweifelsfrei, daß du dem von dir als
solches definierten Opfer keine Gewalt antust?

Einen Geschädigten sich selbst als Nicht-Opfer bezeichnen zu lassen,
nachdem seine Schädiger ihn in diese Illusion hineinmanipuliert haben
[=deine "Lösung"], tut ihm jedenfalls Gewalt an (es ist zumindest
"unterlassene Hilfeleistung"..).  Umgekehrt gefragt: Welche Gewalt
soll meine Definition denn dem Opfer antun ?


Da kann ich erstmal nicht ohne weiteres folgen, da damit mal wieder
Dritte bestimmen, was für jemenschen Schaden ist. Das ist letztlich
auch wieder Herrschaft.

Das wäre aber bei Deiner Gewalt-Definition (dass das Opfer den Schaden
selber definiert) _erst_recht_ so:  Denn mittels Propaganda (Religion,
"Kultur", Werbung und andere Gehirnwäschen) können dann Dritte das
Opfer dahingehend beeinflussen, dass es den ihm zugefügten Schaden
nicht als solchen empfindet (sondern sogar als Nutzen!).
Beispiele:
- Die Märtyrer, denen per Religion eingeredet wurde, der Tod sei für
  sie das Beste (weil sie so einen Logen-Platz im Himmel bekommen).
- Die User, denen per M$-Werbung eingeredet wurde, Windoof sei das
  allerbeste OS und viiiiel besser als Linux/Mac.
- Die Arbeitnehmer, denen per Kapitalismus-PR eingeredet wurde, das
  U$-System sei das beste und viiiel besser als eine GPL-Gesellschaft.
  Und überhaupt: jeden Tag die Blödzeitung lesen, CNN gaffen und Cola
  saufen ist doch ein _Nutzen_, kein Schaden, poah ey!  ;-}}

_Das_ ist nun wirklich Herrschaft !  ;-(

Meine Definition hingegen bringt den Schaden an den Tag -- egal wie stark
das Opfer manipuliert wurde, den Schaden nicht als solchen zu empfinden.

Du machst das Opfer einer Manipulation ja nur zum Opfer deiner
Manipulation. Wo ist da jetzt der Unterschied? Oder du müßtest mir
sagen,

* warum ausgerechnet deine Meinung nun gerade keine Manipulation ist,

* hinsichtlich welcher Achse sie keine Manipulation ist,

* warum dies alles auch für dein Opfer so sein muß und

Der fundamentale Unterschied ist, dass die "eine" Manipulation von den
"Herrschenden" kommt, welche ein grosses Interesse daran haben, dass die
Opfer der (strukturellen) Gewalt diese nicht als Gewalt erkennen;
_wogegen_ "meine Manipulation" keine Manipulation ist, weil ich erstens
kein "Herrschender" bin (also auch kein Interesse an der Manipulation der
Opfer habe) und ich zweitens meine Kriterien transparent und verifizierbar
offenlege (was die "Herrschenden" bei ihrer PR gar nicht tun -- im Gegenteil).

Der Vorwurf der nicht völligen Objektivierbarkeit steht natürlich im Raum.
Wissenschaft ist nie "wertfrei" -- in keiner Disziplin.  In der Soziologie
kommt erschwerend hinzu, dass Forscher und Forschungsobjekte von der selben
"Art" sind -- Menschen --, und der Forscher dadurch ein Teil der "Versuchs-
anordnung" (Gesellschaft) ist.  Besonders problematisch ist das dann, wenn
der Forscher zur herrschenden Klasse gehört -- und das ist der Fall beim
"Mainstream" der Soziologen und Konfliktforscher.  (Was m.E. der Grund
dafür ist, dass die "offizielle" Konfliktforschung so "auf der Stelle tritt"
und keine brauchbaren Analysen oder gar Lösungen anzubieten hat.  Der
Status Quo soll ja erhalten bleiben!)

Du siehst, dieser Einschränkungen bin ich mir durchaus bewusst.  Man kann
aber versuchen, die Analyse möglichst zu objektivieren, indem man sie
möglichst umfassend empirisch verifiziert -- d.h. prüft, ob die beobachteten
Ereignisse und Verhältnisse "in die Theorie passen" und mit ihr erklärbar
sind.  Das haben wir bei IAC getan:  5000 Jahre Konflikte untersucht und
die viktimologischen Gemeinsamkeiten eruiert.  (siehe insbes. Anhang B in
http://www.iac-research.ch/SEF/Papier.html )  Ausserdem lassen sich auch
aktuelle Entwicklungen der Gegenwart (auf Stufe Individuen, Gruppen und
Staaten) mit der IAC-Theorie erklären.


* die Telefonnummer vom lieben Gott - die du sicher auswendig kannst.

Nanu, so unsachlich kenne ich dich ja gar nicht, Stefan...  wie war das
nochmal mit der hohen Listenqualität?  ;-)


Sorry, aber da ist mir zu viel Gewißheit dabei.

Solange die "Gewißheit" empirisch & logisch untermauert und offen
für Kritik ist -- also kein Dogma ist --, sehe ich darin kein Problem.
(Galileo war ja auch "gewiss", dass sich die Erde um die Sonne dreht...)


Im Namen solcher
Gewißheiten sind in der Geschichte i.d.R. die schlimmsten Gewalttaten
verübt worden - das macht mich da ein wenig vorsichtig.

Uiii, dieser Vergleich ist voll daneben -- im Gegenteil:  Die IAC-
Theorie _durchleuchtet_ Viktimisierungsmechanismen (Religionen, Kriege,
Kapitalismus etc.) und macht sie bewusst.  Diagnose und Bewusstmachung
sind die notwendige Voraussetzung für die "Reparatur" eines Systems.

Welche Gewalttaten ausgerechnet im Namen einer *Gewalt-Bewusstmachungs-
Theorie* verübt werden sollten, müsstest du erst noch darlegen.

(Mehr Praktisches dazu im folgenden Beitrag an Casimir...)

Grüsse,
Christoph


________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT03195 Message: 15/17 L1 [In index]
Message 03281 [Homepage] [Navigation]