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[ox] Die Finsternis der "Aufklärung" (was: Geschlechterproporz und GPL-Gesellschaft )




Stefan Merten schreibt zu
"Geschlechterproporz und GPL-Gesellschaft" :

Das "nach der Aufklärung" möchte ich nochmal unterstreichen. So wie
ich mir das alles momentan zusammenreime, kam im wesentlichen erst mit
der Aufklärung / der Moderne die (abstrakte und formale)
Gleichbehandlung / Gleichstellung von Männern und Frauen in die Welt.
Was in einer geistigen Großströmung nach der Aufklärung angesagt ist,
kann und will ich nicht sagen. Anyway bin ich aber sicher ein Kind der
Aufklärung und von daher teile ich die Basis dessen durchaus:
Chancengleichheit.

Da würd ich doch gerne mal wissen, woher du dir diese Idealisierung
der "Aufklärung" / Moderne zusammenreimst. Und wo du ausgerechnet in
dieser Hochphase patriarchaler Ideologieproduktion Gleichstellung
von Männern und Frauen entdeckst.

Ich lese gerade das "Schwarzbuch Kapitalismus" von Robert Kurz und
da sind auch eine Menge Zitate von sogenannten "Aufklärern" wie
Rousseau, Kant oder Smith dabei. Abstraktionen und Formalismen
gibts da reichlich, aber von Gleichbehandlung oder
Chancengleichheit ist weder was zu lesen, noch sonst irgendwie zu
spüren. Im Gegenteil, es gibt einiges zu lesen, aus dem klar wird,
dass mit Formulierungen wie "Alle Menschen ..." oder "Jeder Mensch
..." durchaus nicht alle Menschen gemeint sind, sondern nur
solche, die gewisse unausgesprochene Grundanforderungen erfüllen:
männlich, weiß, erwachsen, besitzend...

Zitat Rousseau:
"So muß sich die ganze Erziehung der Frauen im Hinblick auf die
 Männer vollziehen.Ihnen gefallen,ihnen nützlich sein,sich von
 ihnen lieben und achten zu lassen, sie großziehen, solange sie
 jung sind, als Männer für sie zu sorgen, sie beraten, sie trösten,
 ihnen ein angenehmes und süßes Dasein bereiten; das sind die
 Pflichten der Frauen zu allen Zeiten, das ist es, was man sie von
 Kindheit an lehren muß."

Zitat Kant:
"Dank sei also der Natur für die Unvertragsamkeit, für die
 mißgünstig wetteifernde Eitelkeit,für die nicht zu befriedigende
 Begierde zum Haben, oder auch zum Herrschen! Ohne sie würden alle
 vortreffliche Naturanlagen in der Menschheit unentwickelt
 schlummern."


Dass solch trübe Funzeln als philosophische Leuchten gehandelt
werden, hat im wesentlichen zwei Gründe. Zum Einen wegen
ihrer Verdienste um die Legitimierung der damaligen (und
teilweise noch heutigen) kapitalistischen Herr(en)schaften, zum
Anderen die absolut(istisch)e Finsternis ihrer Zeit. Erhellend
sind ihre Gedanken höchstens im Vergleich zu ihren noch finsteren
Zeitgenossen wie Bentham, Mandeville, Malthus oder de Sade.

Die geistige Finsternis dieser Zeit kommt aber nicht aus dem
angeblich "finsteren Mittelalter", wie die Idelogie der Moderne
gern behauptet, und auch nicht aus der Unwissenheit früherer
Zeiten, der "Barbaren" und "Wilden". Sie kommt aus der brutalen
Gewalt, mit der die Moderne zu Beginn der Neuzeit startete.
Aus dem europaweiten Holocaust an Millionen von Menschen, die
meisten davon Frauen, die der "Hexerei" beschuldigt wurden, und
aus der Niederschlagung des Widerstands gegen die beginnende
kapitalistische Ausbeutung. Mit den Menschen, die den
Machtinteressen der Herr(en)schaften von Kirche, Staat, Kapital
Justiz und Wissenschaft im Weg standen, wurde auch das kritische
Bewußtsein vernichtet. Nur so ist zu erklären, warum über
mehrere Jahrhunderte nur herrschaftskompatible Philosphien
hervorgebracht wurden.

Im Spätmittelalter hatten Frauen weit mehr Rechte und Anerkennung
als in der "Aufklärung" und es gab eine Vielfalt von Subkulturen,
die Gleichheit zwischen Frauen und Männern propagierten und lebten.
Verfolgung und Verbrennung von "Hexen" und "Ketzern" gab es
vereinzelt seit dem 12.Jahrhundert, doch erst im 16./17. wurde es
zum perfekt und rational organisierten Massenmord. Sowohl die
moderne Wissenschaft (insbesondere die Medizin) als auch das
Justizsystem haben ihre Anfänge in diesen Grausamkeiten, und zwar
als Täter und Befürworter und nicht als Verteidiger der Opfer.

Diese blutigen Wurzeln der Moderne werden gern verdrängt, verleugnet
oder der "Irrationalität" des "finsteren" Mittelalters zugeschoben,
um nicht mit der Tradition der herrlichen Moderne brechen zu müssen.

Also Chancengleichheit schön und gut, aber mit Aufklärung und
Moderne bist du da wirklich auf dem Holzweg.

Gruß, Jobst





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