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Re: [ox] Re: Geschlechterproporz und GPL-Gesellschaft



Hallo Stefan, Jobst!

At 23:08 13.03.02 [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
>> Ich bin angenehm
>> überrascht, daß hier auch dieses Thema recht vernünftig behandelt
>> werden kann :-) .

BTW würde ich das nach der Erfahrung mit Natascha übrigens revidieren:
Es ist auch hier heikel :-( . Immerhin haben ich und andere hier
sicher schon größeren Stuß von sich gegeben und keineR hat stande pede
ihren Ausstieg angekündigt.

Ein Ausstieg ist natuerlich immer ein mehrdeutiges Phaenomen.

Persönliche Defekte zu
unterstellen hilft einem Erkenntnisprozeß m.E. genauso wenig weiter
wie Strohmänner basteln.

Es geht mir nicht um persoenliche Defekte, sondern um inhaltliche Fehler und irrefuehrende Vereinfachungen. Davon nehme ich deine 'Feministinnen, die Sturm laufen gegen Schleier und Frauenunterdrueckung im Islam', mal aus, hier habe ich in der Tat mit dieser meiner Aussage:

> Es ist verblueffend anzusehen, dass das Beispiel Frauen im Islam immer
> wieder und in den meisten Faellen von nicht-islamischen Maennern in die
> Diskussion gebracht wird. Z.B. auch jetzt im Zuge des Afghanistan-Krieges.
> Nicht-islamische Maenner sprechen oft vom Sexismus islamischer Maenner, was
> das wohl bedeutet?

... von dem Kontext, in dem es von dir gesagt wurde, abstrahiert. Es war gemeint als ein Hinweis darauf dass jener Kontext existiert. Du weist diesen Kontext von dir, dein gutes Recht.

Für mich zählt jedenfalls immer
noch mehr der Gehalt einer Aussage als wer es gesagt hat - und ggf. ob
es anderem von derselben Person widerspricht. Ghosh...

Siehst du, das sind wir eben verschieden. Die eigene Position (also wer ich bin inkl. Geschlecht, Hautfarbe, Klasse, usw.) zu reflektieren und zum Teil meines Denkens zu machen ist mir schon wichtig. Ich finde, mein Denken wird dadurch ganz einfach "richtiger". Meine Person gehoert zum Kontext des Gehalts einer Aussage und ist damit ein Teil von ihr wie auch die andere(n) Persone(n).

Doch nun zur Sache:

3 days ago Stefan Merten wrote:
>> Ja, ich weiß, daß es im Mittelalter auch schon selbständig
>> wirtschaftende Frauen gegeben hat. Aber da sind auch Frauen verbrannt
>> worden. An Einzelaspekten läßt sich wie so oft schwer etwas festmachen
>> - nur illustrieren.

Sind diese selbständig wirtschaftenden Frauen, von denen ich
geschrieben hatte, eigentlich dann auch schon der Neuzeit zuzurechnen?

Plakativ gesprochen sind Hexenverbrennungen genau die Ausrottung solcher Frauen. Ungefaehr in dem Sinn, in dem du anschliessend schreibst:

Ich kann mir sogar sehr lebhaft vorstellen,
daß es sich um ein Phänomen handelt, daß genau die alte Kultur
zerstören half und damit zur Durchsetzungsgeschichte der Aufklärung
gehört - klingt plausibel. Und?

Die Durchsetzungsgeschichte der Aufklaerung ist nicht beendet. Das macht es relevant fuer mich. Der Punkt auf dem ich und andere hier beharren ist, dass Aufklaerung nicht unproblematisch ist und zwar konkret in dieser unseren Gegenwart. Weder gibt es, wie du nahelegst, nur eine anfaengliche gewaltsame Durchsetzung (so eine Art Geburtswehen), noch lassen sich Errungenschaften der Aufklaerung saeuberlich von ihrer Gewalt trennen. Gleichwohl und deshalb ist sie ein widerspruechliches Phaenomen, da wuerde ich weniger weit gehen als Jobst, wenn er schreibt:

At 15:01 13.03.02 [PHONE NUMBER REMOVED], Jobst Quis wrote:
Ich wollte ja gerade wissen,
wieso du deine Ideale, die meinen ja garnicht so fern sind, mit
dem Begriff "Aufklärung" in Verbindung bringst, dem ich nur noch mit
größtem Mißtrauen begegnen kann, seit ich ein paar Zitate von sogenannten
"Aufklärern" gelesen habe.

"Aufklaerung als Methode" ist naemlich das, was er selbst in seiner Mail betreibt. Ich meine damit die Anwendung von Prinzipien, die von den Aufklaerern als Ersten in grossem Ausmass erprobt und institutionalisiert wurden. Sie lassen sich vielleicht unter der Ueberschrift "Rationaler Diskurs, dem nichts heilig ist" zusammenfassen. Dazu am Schluss dieser Mail noch ein bisschen mehr.

Aber erstmal zurueck zu den Frauen: Nun werden in der Tat, wie du auch schreibst, heutzutage in Europa eher wenige Frauen verbrannt. Das verwundert nach ein paar Jahrhunderten Saekularisierung/Kommodifizierung nicht besonders. Gleichzeitig gibt es mehr Gleichstellung von Frauen als in den Fruehzeiten der Aufklaerung. Das ist allerdings historisch tatsaechlich gegen die Aufklaerer erkaempft worden, die halt neben ihrer Eigenschaft als Aufklaerer auch noch Maenner waren und schnell sehr unsachlich (unaufklaererisch) werden konnten, wenn es um diese Fragen geht. Die meiste Zeit aber sind Frauen seit dem 18.Jahrhundert nicht verbrannt worden sondern einfach ignoriert samt ihrer Belange. Der Kampf darum, dass "Frauenbelange" Menschenbelange sind, ist noch lange nicht zu Ende.

At 23:08 13.03.02 [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
> Jedoch
> aendert sich diese Ungleicheit mit den Zeitlaeuften ebenso wie jeder andere
> Bereich auch. Warum auch nicht?

Ja. Wer hat dem widersprochen? Gegen wen oder was fightest du hier
eigentlich?

> Die Unterschiede beispielsweise zwischen
> dem Geschlechterverhaeltnis des ausgehenden Mittelalters und dem der
> fruehen Neuzeit sind mittlerweile gut erforscht.

Netterweise. Anstatt Strohmänner aufzubauen und auf ihnen rumzuprügeln
könntest du deine Weisheit mit uns teilen.

Darueber hatte Natascha seinerzeit schon ein paar Worte geschrieben, die Weisheit ist also schon geteilt. Aber du hast ja recht, man kann auch zitieren:

At 12:01 04.03.02 [PHONE NUMBER REMOVED], Natascha Feld wrote:
Die Gleichbehandlung / Gleichstellung von Männern und Frauen in der
Aufklärung basierte vor allem darauf, dass die duale Geschlechtlichhkeit
als solche dort erstmals gesetzlich verankert wurde und klare männliche
und weibliche gesellschaftliche Pflichten postuliert wurden.

Frauen waren nun auch Bürger, aber eben BürgerINNEN und das wurde
erstmals so haarklein differenziert.

Es wurde schon vielerorts in der feministischen Forschung der letzten 10
Jahre gezeigt, dass die Befreiung der französischen Revolution vor allem
zur Geschichte der Konstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit zu
zählen ist. Die Differenzierung des Menschen in Mann und Frau ist eine
uralte Geschichte, die jedoch hier eine entscheidende Wendung nimmt und
nun die Grundfeste der modernen Gesellschaft bildet, die ihrem Mythos
nach von einer barbarischen unmenschlichen Welt befreien soll.
Jedoch macht die Klassifizierung von Menschen erst Sinn, wenn man eine
Ungleichbehandlung damit rechtfertigen will.

Zurueck zum Text:

At 23:08 13.03.02 +0100, Stefan Merten wrote:
> Und, nein: Es war nicht
> schon immer so wie es heute ist.

Was ja geradezu eine Plattheit ist. Schön, daß es auch noch ein paar
Gemeinsamkeiten gibt.

Du bist dir einiger Konsequenzen dieser Aussagen offensichtlich nicht bewusst, sonst wuerdest du weiter unten nicht schreiben:

Ja. Es gibt Theorien, daß eine Urgesellschaft matriarchal organisiert
war. Es gibt auf diesem Planeten auch noch einige, sehr wenige und
kleine kulturelle Gruppen, die sich das bis heute erhalten haben (in
Ostasien vor allem IIRC). Das Patriarchat hat sich nach diesen
Theorien irgendwann flächendeckend durchgesetzt. Ob dafür eine
Begründung geliefert wird, entzieht sich meiner Kenntnis.

Denn die populaere Theorie, dass in grauer Vorzeit "das" Patriarchat "das" Matriarchat verdraengt hat, ist ein Beispiel fuer schlechte Historisierung. Damit wird das Patriarchat zur _fast_ ueberzeitlichen Konstante (mit Ausnahme einer mythischen "Urzeit"). Das Spezifische des modernen Geschlechterverhaeltnisses, verschwindet dahinter. Wieder so eine Platitude?

Genug geschulmeistert, ich lasse das jetzt mal dabei bewenden, es ist ja auch ziemlich off-topic. Das einzige Verbindungsglied zur Freien Software, das mir auf die Schnelle einfaellt, ist, dass das Prinzip des abstrakt-rationalen Diskurses, das, wie oben schon angedeutet, _das_ Handwerkszeug aufklaererischen Denkens ist, in der FS-Entwicklung an zentralen Stellen auftaucht. Die Ablehnung von Kontext (s.o. die Frage, ob der Gehalt einer Aussage oder die Person, die sie aeussert, wichtiger ist) ist uebrigens eng mit dieser Art Diskurs verbunden. Sollte die tendenzielle Abwesenheit von Frauen etwas damit zu tun haben? Ich weiss nicht. Aber das waere im Zweifelsfall ohnehin ein neuer Thread.

mfg

Thomas

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