Re: [ox] Re: Geschlechterproporz und GPL-Gesellschaft
- From: Thomas Berker <thomas.berker gmx.de>
- Date: Mon, 11 Mar 2002 12:04:11 +0100
Hi Stefan!
At 14:49 10.03.02 [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
BTW: Erfahrungsgemäß ist das Thema sehr heikel. Ich bin angenehm
überrascht, daß hier auch dieses Thema recht vernünftig behandelt
werden kann :-) .
Ich habe dieses Thema noch nicht als heikel erlebt (zumindest nicht
haeufiger als andere aehnlich wichtige Themen), es koennte also auch an dir
liegen. Du legst nahe, dass du schon auf Unvernunft gestossen bist, wenn du
dich des Themas angenommen hast. Hier also ein paar Anmerkungen, um die
Vernuenftigkeit noch einmal zu steigern:
Laufen nicht einige FeministInnen immer wieder Sturm gegen die
Ungleichbehandlung der Frau im Islam?
Es ist verblueffend anzusehen, dass das Beispiel Frauen im Islam immer
wieder und in den meisten Faellen von nicht-islamischen Maennern in die
Diskussion gebracht wird. Z.B. auch jetzt im Zuge des Afghanistan-Krieges.
Nicht-islamische Maenner sprechen oft vom Sexismus islamischer Maenner, was
das wohl bedeutet?
Du sagst, dass einige Feministinnen Sturm laufen. Ja, es gibt sowohl in der
feministischen Diskussion/Literatur wie auch ausserhalb eine ausfuehrliche
Auseinandersetzung mit dieser spezifischen Ueberlagerung von
Sexismus-Rassismus. Der islamische Mann, als solcher rassistisch
ausgegrenzt, kann Frauen in seiner Eigenschaft als Mann unterdruecken. Da
wirds in der Tat kompliziert fuer feministische Praxis und Theorie. Ein
aehnliches Beispiel ist der Rassismus von weissen Frauen.
Was ich in diesem Zusammenhang vorschlagen moechte, ist auf dieses Beispiel
zu verzichten oder, wenn es dir wirklich wichtig ist, es in der
Komplexitaet, in der es in feministischer Theorie und Praxis diskutiert
wird, tatsaechlich ernst zu nehmen, aber das waere ein eigener Thread.
Ansonsten gibts ein paar wichtige Richtigstellungen am Anfang der Mail von
Benni unter dem Subject "[ox] Metastadt, Aufklärung, FS, Patriarchat". Hier
nur ein zusaetzliche Anmerkungen. Eine Reihe deiner Feststellungen sind
ganz einfach historisch falsch:
Ja, Hexenverbrennungen sind nicht Mittelalter, sondern Neuzeit. Dass das so
schwer aus den Koepfen zu bekommen ist, ist schon erstaunlich. Die
Geschichtsklitterung der Taeter hat phaenomenale Stehkraft.
Nein, alte Griechen haben sich nicht nur auf Dualismen kapriziert. Da kommt
noch hinzu, dass die alten Griechen, wie wir sie kennen, das Produkt der
(meist deutschen) Altphilologen des 19. Jahrhunderts sind. Diese
uebersetzten, katalogisierten, waehlten aus und warfen weg. Und das alles
taten sie beileibe nicht "objektiv", im Gegenteil: das "Griechentum" ist
eine massgebliche ideologische Stuetze des deutschen buergerlichen
Nationalismus im 19. Jh. und damit Waffe des deutschen Buergertums im Kampf
mit dem Feudaladel. Erfolgreich haben sie tatsaechlich bis heute kaum
hinterfragt "die Griechen" geschaffen, die immer wieder als Ressource
angerufen werden, naemlich um die ueberzeitliche Geltung buergerlicher
Ideen zu beweisen.
Und schliesslich: Dass es auch vor der europaeischen Aufklaerung
Ungleichheiten zwischen Geschlechtern gibt, ist unbestritten. Jedoch
aendert sich diese Ungleicheit mit den Zeitlaeuften ebenso wie jeder andere
Bereich auch. Warum auch nicht? Die Unterschiede beispielsweise zwischen
dem Geschlechterverhaeltnis des ausgehenden Mittelalters und dem der
fruehen Neuzeit sind mittlerweile gut erforscht. Und, nein: Es war nicht
schon immer so wie es heute ist.
mfg
Thomas
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