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[ox] Re: Geschlechterproporz und GPL-Gesellschaft



Hi Natascha, Thomas, Christoph, alle anderen aktiven und passiven
MitdiskutantInnen!

Hupps, da haben meine unausgegorenen Überlegungen ja für reichlich
Traffic gesorgt. Erstmal habe ich mir jetzt Zeit für diesen Thread
nehmen können und gehe erstmal da drauf ein. Auf den
"Finsternis"-Thread bin ich aber auch schon sehr gespannt.

BTW: Erfahrungsgemäß ist das Thema sehr heikel. Ich bin angenehm
überrascht, daß hier auch dieses Thema recht vernünftig behandelt
werden kann :-) .

6 days ago Natascha Feld wrote:
Das "nach der Aufklärung" möchte ich nochmal >unterstreichen. So wie
ich mir das alles momentan zusammenreime, kam im >wesentlichen erst mit
der Aufklärung / der Moderne die (abstrakte und >formale)
Gleichbehandlung / Gleichstellung von Männern und >Frauen in die Welt.

Seid ihr da nicht ein bißchen auf dem Holzweg???
Die Gleichbehandlung / Gleichstellung von Männern und Frauen in der
Aufklärung basierte vor allem darauf, dass die duale Geschlechtlichhkeit
als solche dort erstmals gesetzlich verankert wurde und klare männliche
und weibliche gesellschaftliche Pflichten postuliert wurden.

Frauen waren nun auch Bürger, aber eben BürgerINNEN und das wurde
erstmals so haarklein differenziert.

Hmm... Ich bin da jetzt wirklich kein Crack in diesen Dingen, aber was
ich z.B. aus religiösen Bereichen so gelernt habe, ist da die
Differenzierung auch sehr tief verankert. Laufen nicht einige
FeministInnen immer wieder Sturm gegen die Ungleichbehandlung der Frau
im Islam? Wäre das nicht ein Widerspruch zu der von dir vertretenen
These? In traditionellen Kulturen war das aber vielleicht nicht so
stark kodifiziert - weil es nicht nötig war, sondern sich anders
durchgesetzt hat.

Es wurde schon vielerorts in der feministischen Forschung der letzten 10
Jahre gezeigt, dass die Befreiung der französischen Revolution vor allem
zur Geschichte der Konstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit zu
zählen ist. Die Differenzierung des Menschen in Mann und Frau ist eine
uralte Geschichte, die jedoch hier eine entscheidende Wendung nimmt und
nun die Grundfeste der modernen Gesellschaft bildet, die ihrem Mythos
nach von einer barbarischen unmenschlichen Welt befreien soll.
Jedoch macht die Klassifizierung von Menschen erst Sinn, wenn man eine
Ungleichbehandlung damit rechtfertigen will.

Ja. Und wenn du eine Klassifizierung / Ungleichbehandlung brauchst,
dann ist die Aufklärung eben noch nicht weit genug durchgesetzt -
jedenfalls nach ihrem eigenen Anspruch. Vielleicht unterscheiden wir
uns vor allem darin, die Aufklärung (mehr) als Postulat bzw. (mehr)
nach ihrer bisher real vorangekommenen Konkretisierung zu betrachten.

Ich würde sogar sagen, daß die stärkere Gleichstellung der Frau, die
wir in den letzten 35 Jahren z.B. in Deutschland beobachten können,
gar nicht möglich wäre, wenn diese Gleichstellung nicht fest in die
Aufklärung eingebaut wäre.

Frauen, Juden, Schwarze, Türken, Araber. Die "Achse des Bösen" muss
unterscheidbar sein von der eigenen weißen Weste, um sie ausmerzen zu
können.

Na ja, wo du gerade von der "Achse des Bösen" sprichst. Das ist m.E.
ja das prominenteste Indiz dafür, wie weit die Moderne / Aufklärung
schon (wieder) auf dem Rückzug ist. Das ist ja rational alles nicht
mehr wirklich schlüssig zu erklären, sondern da stehen sich auf beiden
Seiten religiös-fundamentalistische FanatikerInnen gegenüber, denen
rationale Interessenlagen mehr oder weniger sch*egal sind. Im Westen
m.E. sogar vielfach mehr als auf der anderen Seite.

5 days ago Thomas Berker wrote:
At 12:24 04.03.02 [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Meretz wrote:
in deinen Einspruch konnte ich den Widerspruch nicht erkennen - ich habe
StefanMn ziemlich genauso verstanden wie du es beschreibst (nur nicht
weiter ausgeführt). Oder habe ich dich nicht verstanden?

Doch, da ist vielleicht schon ein Widerspruch. Natascha unterstreicht
zurecht, dass (auch) in der Aufklaerung die Kategorie Geschlecht eine
repressive ist. Und zwar auf ganz spezifische Weise: In den in der Tat die
Moderne in ihren Grundfesten zusammenhaltenden abstrakten Dualismen
kultur-natur, geist-gefuehl, oeffentlich-privat, usw.

Der Dualismus ist doch aber älter als die Moderne. Haben die alten
Griechen das nicht schon sehr geliebt?

wird die Frau der zu
beherrschenden (zu gestaltenden) Seite zugeordnet.

Na, da gibt es aber auch durchaus wichtige Monoismen: Der Mensch als
Behälter von Arbeitskraft. Und genau auf dieser Folie kommen Frauen
nämlich durchaus auch vor. Dauert zwar, aber als Reservearmee waren
sie schon immer gut und auch im Normalzustand gibt es da doch
wahrnehmbare Entwicklungen Richtung Gleichberechtigung.

Ja, ich weiß, daß es im Mittelalter auch schon selbständig
wirtschaftende Frauen gegeben hat. Aber da sind auch Frauen verbrannt
worden. An Einzelaspekten läßt sich wie so oft schwer etwas festmachen
- nur illustrieren.

Und dann gibt es in der Aufklaerung natuerlich immer
Emanzipationsbewegungen, die sich meistens gegen die Folgen ihrer selbst
richten

Das verstehe ich nicht. Wie soll das denn gehen? Wie kann sich eine
Bewegung denn gegen das richten, was sie erst durchzusetzen anstrebt?
Kannst du mal ein Beispiel nennen?

und ebenso oft nicht an ihren dualistischen Grundfesten ruetteln.
Stefan Merten bezeichnet sich als Freund der Aufklaerung
                                    ^^^^^^

Na, na, na. Keine Unterstellungen:

Last week (7 days ago) Stefan Merten wrote:
Anyway bin ich aber sicher ein Kind der
                                  ^^^^
Aufklärung und von daher teile ich die Basis dessen durchaus:
Chancengleichheit.

Ich würde mir sehr wünschen, wenn ich beim Wort genommen werde. Ich
versuche schließlich ständig, möglichst exakt zu formulieren.

Und ich behaupte, daß sich von dieser Kindschaft auch niemensch in den
hochindustrialisierten Ländern freisprechen kann. Aber wenn die Aliens
(nicht die Spehr'schen, die echten) was (für mich) Besseres bringen
oder uns selbst solches einfällt, dann kann ich die Aufklärung auch
mit fliegenden Fahnen verlassen.

und betont
letzteres, dass sie fuer den Ruf nach Gleichberechtigung der Geschlechter
steht.

Oder hab ich wiederum was nicht richtig verstanden?

Das hast du schon richtig verstanden. Wenn ich dich richtig verstehe,
dann sagst du, daß die Aufklärung erst die Geschlechter konstruiert um
dann ihre Gleichberechtigung zu fordern. Hmm... Aber die FürstInnen
und das Feudalsystem mitsamt Gottesgnadentum sind nicht auch von der
Aufklärung konstruiert um sie dann zu bekämpfen - oder?

Also irgendwie habe ich so langsam das Gefühl, als würdest du
argumentieren, daß erst die Aufklärung das Patriarchat erfunden hat -
dann macht dieser Gedanke nämlich nur Sinn. Ansonsten könnte die
Aufklärung nämlich auch durchaus vormoderne Formen bekämpfen - ähnlich
wie sie den Feudalismus bekämpft. Das glaube ich offengestanden aber
nicht, sondern ich denke, daß das, was wir heute als Patriarchat
bezeichnen, älter ist als die Aufklärung.

Mal konkret: Wenn sich FeministInnen gegen den muslimischen Schleier
aussprechen, ist das dann in Richtung der Aufklärung oder gegen die
Aufklärung gerichtet?

Meine Position ist in dieser Frage die: Ich halte es für aufklärerisch
und eurozentrisch. Letzteres beurteile ich als eindeutig negativ.

Hier ist recht viel "Geschlecht? Das wird sich dann
schon richten", also die schlechte alte Nebenwiderspruchsthese unterwegs.

So etwas ging mir natürlich auch schon durch den Kopf... Leider habe
ich bisher keine richtig gute Antwort darauf gefunden - jedenfalls
keine bessere als die, die ich in der das hier auslösenden Mail
gefunden habe.

2 days ago Yetipress wrote:
Grundsätzlich gibt es in einer freien Gesellschaft natürlich keinen Zwang,
dass sich alle an allem beteiligen müssen, und dass in allen Bereichen die
Menschen entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung vertreten sein
müssen - die Menschen können machen, was sie wollen.

Aber.

Im wesentlichen und mit den - mittlerweile wohl hinlänglich bekannten -
Unterschieden in der Sichtweise scheint Christoph recht ähnlich zu
argumentieren wie ich. Schön :-) .

Aus all dem ergibt sich, dass der Frage, wieso FS so schlechten
Geschlechterproporz hat und wie sich das ändern lässt,

Mich würde halt immer noch brennend interessieren, wo jetzt eigentlich
*konkret* das Problem der Männerdominanz in der Freien Software ist.
Darauf hat bisher keineR geantwortet - nicht mal ansatzweise. Als
Indiz für irgendetwas sind wir uns wohl einig - aber konkret?

weiter nachzugehen
ist, und dass hier auch Initiativen gefragt sind. Ich finde "FS für
Frauen"-Kampagnen, -Seminare, -Workshops etc. überhaupt nicht albern, wenn
das ersthaft gemeint ist und wenn es die Bereitschaft signalisiert, auch
darüber zu verhandeln, was an der eingeschliffenen Praxis möglicherweise
geändert werden muss.

Solche Seminare müßten sich dann aber in erster Linie an die Männer
richten, denn die - so ja die These - errichten ja willentlich oder
unwillentlich Hürden für Frauen, die diese nicht bereit sind zu
überwinden. Verdammt, irgendwie steigt mir da schon wieder ein
leichter Sexismusduft in die Nase :-( .

Was insbesondere hält Frauen denn konkret davon ab, sich eigene
Strukturen zu schaffen? Die Eintrittskosten sind für alle gleich hoch
- genauer: niedrig - und auch Frauen können sich dafür entscheiden, 10
Stunden die Woche in Freie Software zu stecken. Warum kann es denn
keine selbstentfalteten Freien-Software-Projekte mit 98% Frauen geben?
Sind das alles die bösen Männer, die da alles zerstören / übernehmen
und gegen die sich die armen Frauen nicht wehren können? Oh, jetzt
riecht's aber schon bedenklich nach Sexismus :-( .


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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