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[ox] Metastadt, Aufklärung, FS, Patriarchat (was: Geschlechterproporz und GPL-Gesellschaft)



Hallo!

On Sun, Mar 10, 2002 at 02:49:26PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Na ja, wo du gerade von der "Achse des Bösen" sprichst. Das ist m.E.
ja das prominenteste Indiz dafür, wie weit die Moderne / Aufklärung
schon (wieder) auf dem Rückzug ist. Das ist ja rational alles nicht
mehr wirklich schlüssig zu erklären, sondern da stehen sich auf beiden
Seiten religiös-fundamentalistische FanatikerInnen gegenüber, denen
rationale Interessenlagen mehr oder weniger sch*egal sind. Im Westen
m.E. sogar vielfach mehr als auf der anderen Seite.

Sehe ich anders. Ihre Interessen sind durchaus rational, nur eben
partikular und zwar sowohl lokal als auch global.

5 days ago Thomas Berker wrote:
At 12:24 04.03.02 [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Meretz wrote:
in deinen Einspruch konnte ich den Widerspruch nicht erkennen - ich habe 
StefanMn ziemlich genauso verstanden wie du es beschreibst (nur nicht 
weiter ausgeführt). Oder habe ich dich nicht verstanden?

Doch, da ist vielleicht schon ein Widerspruch. Natascha unterstreicht 
zurecht, dass (auch) in der Aufklaerung die Kategorie Geschlecht eine 
repressive ist. Und zwar auf ganz spezifische Weise: In den in der Tat die 
Moderne in ihren Grundfesten zusammenhaltenden abstrakten Dualismen 
kultur-natur, geist-gefuehl, oeffentlich-privat, usw.

Der Dualismus ist doch aber älter als die Moderne. Haben die alten
Griechen das nicht schon sehr geliebt?

Erstens sind die alten Griechen in vielem die ersten Aufklärer gewesen
und zweitens haben die auch noch alle möglichen anderen Modelle
gehabt (Einziger Urstoff, vier Elemente, ...). Der für die weitere
Geistesgeschichte wichtigste Dualist war dann wohl Platon mit seiner
Unterscheidung in Ideenwelt und materielle Welt.

Ja, ich weiß, daß es im Mittelalter auch schon selbständig
wirtschaftende Frauen gegeben hat. Aber da sind auch Frauen verbrannt
worden. 

Die Hexenverfolgung ist ein Produkt der Modernisierung. Da sind sich
eigentlich inzwischen alle Historiker einig, soweit ich weis. 

Und dann gibt es in der Aufklaerung natuerlich immer 
Emanzipationsbewegungen, die sich meistens gegen die Folgen ihrer selbst 
richten

Das verstehe ich nicht. Wie soll das denn gehen? Wie kann sich eine
Bewegung denn gegen das richten, was sie erst durchzusetzen anstrebt?
Kannst du mal ein Beispiel nennen?

Er meinte wohl mit "ihrer selbst" die Aufklärung und nicht die
Emanzipationsbewegungen. Im Finsternisthread erklärt Thomas noch mal
genauer seine Vorstellung von Emanzipation, da wird das dann
deutlicher. 

Also irgendwie habe ich so langsam das Gefühl, als würdest du
argumentieren, daß erst die Aufklärung das Patriarchat erfunden hat -
dann macht dieser Gedanke nämlich nur Sinn. Ansonsten könnte die
Aufklärung nämlich auch durchaus vormoderne Formen bekämpfen - ähnlich
wie sie den Feudalismus bekämpft. Das glaube ich offengestanden aber
nicht, sondern ich denke, daß das, was wir heute als Patriarchat
bezeichnen, älter ist als die Aufklärung.

Wenn Du mit "älter als die Aufklärung" meinst, dass das Patriarchat
schon vor dem 17. Jhdt. installiert war, stimmt das sicher. Ich hab da
eine etwas andere Sicht:

Aufklärung, Wertsystem, Moderne, Patriarchat, Bürgertum, ... all diese
Dinge lassen sich zurückverfolgen bis zur Zeit der ersten
Stadtgründungen (In Norddeutschland also ins Mittelalter, im vorderen
Orient aber schon um 10.000 v.u.Z.). Hegemonial geworden sind sie aber
erst im 19. Jhdt. in Europa.

Durchaus möglich, dass das Patriarchat dabei eher Vorreiter war und
auch schonmal früher hegemonial geworden ist. Wenn man die
Hexenverfolgung als Indiz für eine hegemoniale Durchsetzung des
Patriarchats nimmt, dann passt das aber zeitlich ganz gut z.B. zum
Wertsystem, dessen Durchsetzung parallel zur stehenden Armee der
Fürsten passierte.

Mal konkret: Wenn sich FeministInnen gegen den muslimischen Schleier
aussprechen, ist das dann in Richtung der Aufklärung oder gegen die
Aufklärung gerichtet?

Meine Position ist in dieser Frage die: Ich halte es für aufklärerisch
und eurozentrisch. Letzteres beurteile ich als eindeutig negativ.

Aufklärung und Europa lassen sich nicht wirklich trennen, da hier die
oben genannten Phänomene zuerst hegemonial wurden. In China gab es
btw. auch mehrmals Phasen wo es fast dazu gekommen wäre. Z.B. wurde
dort schon im 11. Jhdt. Papiergeld verwendet (Etwas, was erst im 18.
Jdt in Europa stattfand). Aber da haben sich dann aristokratische
Kräfte durchgesetzt mit teilweise regelrecht bizarren Massnahmen, so
wurde dort z.B. mal die schon recht stattliche Handelsflotte die
gerade mit Überseeerkundungen anfing komplett vernichtet. Und das
Beispiel mit dem römischen Reich hatten wir ja letztens auch schon, wo
es schon sehr viele Ansätze in diese Richtung gab.

Mich würde halt immer noch brennend interessieren, wo jetzt eigentlich
*konkret* das Problem der Männerdominanz in der Freien Software ist.
Darauf hat bisher keineR geantwortet - nicht mal ansatzweise. Als
Indiz für irgendetwas sind wir uns wohl einig - aber konkret?

Doch Christoph hat doch geschrieben, dass er sich unwohl fühlt in
einseitig dominierten Gruppen und das es deswegen in seinem eigenen
Interesse ist, das zu ändern. Mir geht das auch so. 

weiter nachzugehen 
ist, und dass hier auch Initiativen gefragt sind. Ich finde "FS für 
Frauen"-Kampagnen, -Seminare, -Workshops etc. überhaupt nicht albern, wenn 
das ersthaft gemeint ist und wenn es die Bereitschaft signalisiert, auch 
darüber zu verhandeln, was an der eingeschliffenen Praxis möglicherweise 
geändert werden muss. 

Solche Seminare müßten sich dann aber in erster Linie an die Männer
richten, denn die - so ja die These - errichten ja willentlich oder
unwillentlich Hürden für Frauen, die diese nicht bereit sind zu
überwinden. Verdammt, irgendwie steigt mir da schon wieder ein
leichter Sexismusduft in die Nase :-( .

Was insbesondere hält Frauen denn konkret davon ab, sich eigene
Strukturen zu schaffen? Die Eintrittskosten sind für alle gleich hoch
- - genauer: niedrig - und auch Frauen können sich dafür entscheiden, 10
Stunden die Woche in Freie Software zu stecken. Warum kann es denn
keine selbstentfalteten Freien-Software-Projekte mit 98% Frauen geben?
Sind das alles die bösen Männer, die da alles zerstören / übernehmen
und gegen die sich die armen Frauen nicht wehren können? Oh, jetzt
riecht's aber schon bedenklich nach Sexismus :-( .

Nein, es sind nicht die bösen Männer, es sind die patriarchalen
Strukturen unter denen beide Seiten zu leiden haben (was jedoch auf
beiden Seiten nicht immer wahrgenommen werden muss). Genauso wie es
auch nicht die bösen Kapitalisten sind, sondern die Selbstfeindschaft
im Kapitalismus, die wir beseitigen müssen. 

Die Perspektive der Unterdrückten, die Du ja immer so vehement
kritisierst, wird vielleicht manchmal dadurch interessant, dass
jemand, der auf der materiell besser gestellten Seite eines
Herrschaftsprinzips steht (Männer, Kapitalisten) sich bei
Bewusstwerdung seiner Selbstfeindschaft verhältnismässig einfach
persönlich davon emanzipieren kann, wärend die andere Seite (Frauen,
Arbeiter) aufgrund ihrer materiellen Unterlegenheit dazu gezwungen ist
_gemeinsame_ Aktionsformen/Organisationen zu wählen, was ja schon der
erste Schritt einer Emanzipation im Selbstentfaltungssinne ist.

Vorsicht steile These:

Was wir bei Freier Software vielleicht wirklich zum ersten Mal
beobachten, ist, dass die globale Vernetzung einen Zustand geschaffen
hat in dem auch die materiell besser gestellten (Freie
Softwareprogrammierer gegenüber Sweatshopinsassen) eine
Organisationsform suchen und finden, die auf Gemeinsamkeit basiert, da
die neue global vernetzte Welt das nicht nur ermöglicht, sondern auch
erfordert. 

Wenn jetzt "Stadt" der beherrschende Raum der Moderne war und
Verstädterung sozusagen die Quintessenz der Aufklärung (siehe oben),
dann wird es besonders interessant die geographische Struktur dieser
neuen vernetzten Welt zu untersuchen und da zeigt sich eben, dass das
alte städtische Bürgertum abgelöst wird von einer Lebensform, in der
die Distanzen (in Stunden gemessen aber auch z.B. in kulturellen
Dingen) zwischen der Londoner City und dem Frankfurter Bankenviertel
kürzer werden als die vom Bankenviertel in den Hintertaunus, oder eben
die Distanzen zwischen Afghanischen Berghöhlen und dem Zentrum der
Metropolen auch mal auf Null schnurren können.

Und dann zeigt sich auch, dass ebenso wie die Aufklärung eine
Geschichte der Zerstörung ebenso mit sich führt, wie eine der
Konstruktion, dieses Neue Meta-Städtische Paradigma eben auch genauso
wie das alte städtisch-aufklärerische neben
konstruktiven/freiheitlichen Elementen (Freie Software z.B.) auch
Destruktives/Herrschaftsförmiges mit sich führt (Anti-Terror-Krieg,
explodierender Flugverkehr (äh, ich meinte Mengenmässig, *hüstel*).
Und dieses dialektische Verhältnis die alte "Dialektik der Aufklärung"
ablöst.

Die Frage die sich bezüglich des ursprünglichen Themas
"Geschlechterproporz und FS" dann stellen würde, wäre ob das sozusagen
noch ein Überbleibsel der alten Aufklärung in der neuen Metastadt ist
oder schon Ausdruck neuer destruktiver Tendenzen ist, die man sich mit
dem neuen Paradigma miteinkauft. Ich würde jetzt soweit gehen zu
sagen, dass die Tatsache, dass in der Softwareentwicklung Männer
dominieren, Ausdruck des Alten Patriarchats ist und die Tatsache, dass
in der Freien Softwareentwicklung Männer _noch_mehr_ dominieren schon
Ausdruck dieses neuen Etwas ist. Warum das aber so ist ist mir
schleierhaft, da müsste man dann vielleicht auch mal gucken, wie es
denn in anderern Bereichen dieser Entwicklung mit dem
Geschlechterverhältnis aussieht. Hm, bei den neuen globalen Kriegern
ala Bin Laden ist es ziemlich eindeutig. Aber wie sieht es z.B. in den
Chefetagen der gestorbenen NewEconomy aus mit dem
Geschlechterverhältnis im Vergleich zum 
Geschlechterverhältnis in Chefetagen der alten Ökonomie? Dazu gibt es
doch bestimmt schon Zahlen, oder?

Naja, jetzt hab ich mich ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt. Zum
Glück brüte ich gerade eine Erkältung aus, so dass ich es aufs
Fieberdelirium schieben kann, wenns hart auf hart kommt.

Grüße, Benni

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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