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Huehner, Eier, PendlerInnen und warum sie keine Keimform sind (was: [ox] Wertkritik vs. Postoperaismus und Umsonstladen (was: Sinnvolles Handeln und Keimformen))



Hi Benni und Liste!

Zu StefanMz' sehr gelungenen Beiträgen habe ich nichts hinzuzufügen
:-) .

Aber dein einer Vorschlag erinnert mich an was.

Last week (7 days ago) Benni Baermann wrote:
Freunde von mir wohnen auf dem Land. Sie
würden sich gerne Hühner anschaffen. Hühner fühlen sich aber wohler zu
mehreren. Zu mehreren produzieren sie aber ein vielfaches an Eiern als
sie verbrauchen können. Von diesem Ort fahren jeden Tag hunderte von
Pendlern in die Stadt. Es wäre denkbar, dass einer von denen jeden Tag
die Eier in den Umsonstladen bringt und fertig ist die komplette
Produktions-Distributions-Konsumptionskette.

Etwas ganz Ähnliches haben wir hier in Kaiserslautern mal gemacht:
Eine FoodCoop. Eine Gemeinschaft von Leuten also, die sich ihre
Lebensmittel von der Bio-BäuerIn o.ä. holen und dies jenseits der
üblichen Vermarktungseinrichtungen betreiben. Das ist zwar noch mit
Bezahlung, aber bei uns hat der Preis eher eine untergeordnete Rolle
gespielt. Ich will's ein bisschen ausführlicher erzählen.

Die Idee wurde bei uns in der Libertären Gruppe hier in Kaiserslautern
geboren. Wir hatten auch eine Idee von Außen aufgreifend beschlossen:
Ja, wir gründen so etwas. Idee war, dass wir zunächst mal das starten,
dass dann aber alleine weiterlaufen soll.

Nun haben wir solche Dinge damals ziemlich gut geregelt gekriegt. Eine
der wichtigsten Fragen - wo kriegen wir denn nun das Bio-Food her -
war glücklicherweise relativ schnell geregelt. Nicht weit von
Kaiserslautern gibt es nämlich einen Biolandbetrieb, der auch
Privatpersonen in der ganzen West- und Vorderpfalz beliefert. Das
hiesige Umweltzentrum hat uns eine Garage zur Verfügung gestellt, die
wir als Verteilstelle nutzen konnten. Lagerraum hatten wir nicht, war
aber auch nicht vorgesehen.

Nachdem das alles im Kasten war, haben wir dann den Betrieb
aufgenommen. Das lief so ab, dass alle, die etwas bekommen wollten,
eine Bestellung ausgefüllt haben. Das ging damals noch vorwiegend auf
Papier. Diese Bestellungen wurden in einen speziellen
Quasi-Briefkasten hinterlegt und zu einem bestimmten Stichzeitpunkt
zusammen geholt. Diese Aufgabe ging - mehr oder weniger - reihum
(schließlich waren wir ja Libertäre ;-) ).

Die Person, die die Bestellungen eingesammelt hat, hatte dann die
Aufgabe, die Bestellungen zu einer einzigen Sammelbestellung
zusammenzufassen und an den Biolandbetrieb weiterzuleiten. Ein Effekt
dieser Sammelbestellung war, dass wir so ein bisschen Mengenrabatt
gekriegt haben - aber wie gesagt hat der Preis nicht so eine wichtige
Rolle gespielt. Uns ging's mehr darum, einfach eine FoodCoop in die
Welt zu setzen.

Am Ausgabetag - der durch den Liefertermin des Biolandbetriebs
bestimmt war - trafen wir uns dann am frühen Abend für (höchstens)
eine Stunde und verteilten die Dinge, die da geliefert worden waren.
Für die Anlieferung selbst musste niemensch anwesend sein, da der
Lieferant einen Schlüssel zur Garage hatte. Eine ausrangierte
Haushaltswaage hat uns schon mal bei der Aufteilung von Kartoffeln
o.Ä. geholfen wenn mehrere Kartoffeln bestellt hatten.

Das Lieferprogramm des Biolandbetriebs umfasste neben den eigenen
Produkten - hauptsächlich Gemüse und Getreide - auch zahlreiche
Artikel aus dem ökologischen Großhandel. Eine
Lebensmittelgrundversorgung war aus diesem Programm allemal zu
bestreiten. Und die Produkte waren (und sind) hervorragend. Das
Angebot war also durchaus attraktiv. Der Biolandbetrieb macht auch
einmal im Jahr ein Hoffest, bei dem mensch auch die Felder und die
Hühner und mittlerweile auch die Rinder betrachten kann. Haben wir
auch mal alle zusammen gemacht.

Ja, einmal gab's wohl während eines solchen Ausgabe-Treffens sogar
Tee. Aber ansonsten waren die Treffen nicht super-gesellig.
Wohlgemerkt: Wir kannten uns alle schon recht lange und haben uns auch
sonst mindestens einmal die Woche gesehen. Im Laufe der Zeit stießen
auch zwei, drei Leute aus dem näheren Umkreis der einen WG dazu und
zwei oder drei ganz Unbekannte konnten wir auch anlocken. Obwohl wir
das aber im Umweltzentrum gemacht haben, in dem alle von unserer
Existenz wussten, und obwohl wir auch ein bisschen Werbung gemacht
haben - incl. in einer Broschüre der Stadt - war die FoodCoop ganz
offensichtlich nicht massenwirksam.

Bezahlung haben wir so geregelt, dass jedeR TeilnehmerIn quasi ein
(informelles) Konto bei der FoodCoop hatte. Da wurde dann jedes Mal
der Warenwert abgezogen und gelegentlich musste das halt aufgefüllt
werden. Das hat uns das Hantieren mit Geld während der Ausgabe
erspart. Der Biolandbetrieb wurde per Überweisung bezahlt. Die
Abrechnung der Konten hat immer die Person übernommen, die auch die
Sammelbestellung gemacht hatte.

Organisiert hat sich das Ganze auf den Ausgabetreffen selbst und
gelegentlich haben wir nochmal ein zusätzliches Treffen abends
gemacht. Es hatte zu der Zeit zwar einen Bio-Laden in Kaiserslautern
gegeben, aber der war nicht PC da nur profitorientiert. Ein weiterer,
der PC gewesen war, hatte einige Zeit vorher zugemacht.

Von der Organisation her lief das alles relativ gut - wir waren ja
Libertäre ;-) .

Dennoch begann nach den ersten Malen erst langsam und dann doch immer
mehr die Luft aus dem Ganzen zu entweichen. Die Leute bestellten immer
weniger und die Erledigung der nicht sonderlich geliebten Arbeit
Bestellung wurde immer ungerner getan. Wie so oft begann ich auch
immer mehr davon zu übernehmen - schließlich musste es ja irgendwer
machen. Wenn mensch so will mein persönlicher Dachschaden...

Ganz zusammengebrochen ist die FoodCoop in dem Moment, als ein neuer
Bio-Laden in Kaiserslautern aufmachte. Damit gab es eine neue Quelle
für Bio-Produkte, die noch dazu um die Ecke der genannten WG war. Das
Ganze ist dann auch irgendwann offiziell beendet worden. Das Ganze
lief so ca. ein Jahr lang. Ich lasse mich übrigens auch heute noch von
dem Biolandbetrieb beliefern.

Warum erzähle ich das so ausführlich? Weil es genau ein praktisches
Beispiel für die Kategorie Vorschläge ist, in die der
Hühner-/Eier-/PendlerInnen-Vorschlag fällt und in die tausend andere
fallen, die einem beim Bier eben mal so einfallen - und die genauso
scheitern, wie es unsere FoodCoop damals getan hat. Wir hatten ja wie
der Hühner-/Eier-/PendlerInnen-Vorschlag auch vor, damit ein Stück
Selbstorganisation ganz praktisch zu machen und zwar auf einem Sektor,
der tendenziell viele Leute betrifft. Es sollte ein praktisches
Projekt werden, mit dem unsere politischen Vorstellungen befördert
würden.

Warum scheitern diese Dinge aber regelmäßig? Wenn ich mich heute das
im Oekonux-Kontext nochmal frage, dann verstehe ich plötzlich warum
das so sein *muss*.

Logisch gab es in dem neuen Laden alles, was es bei uns gab und noch
viel mehr. Logisch ist mensch bei einem normalen Laden nicht an einen
festen Ausgabetermin gebunden. Logisch muss bei einem solchen Laden
niemensch eine Bestellung aufgeben - ist ja alles schon da. Kurz
gesagt: Ein solcher Laden ist schlicht und ergreifend bequemer zu
benutzen, als die ganze Mühsal auf sich zu nehmen, die solche Projekte
wie die FoodCoop in der Praxis ganz konkret bedeuten. Wir hatten hier
immerhin nicht das Transportproblem, da das Teil der Leistung des
Biolandbetriebs war. Bei einem ähnliche Projektchen, wo Biomilch von
einem Bauern geholt wurde, war das ein Riesenproblem, weil da jede
Woche ein Mensch 30km hin und 30km zurück fahren musste.

Aber allein die Mühe, die Bestellungen aufzusammeln, zusammenzufassen,
weiterzuleiten und abzurechnen war schon viel. Ein fester
Ausgabetermin, um den herum an diesem Tag das restliche Leben
organisiert werden muss, ist auch nicht die wahre Freude. Das bisschen
"Hallo!" und mal die Uli oder den Frank wiedergetroffen zu haben,
haben das ganz offensichtlich nicht aufgewogen - spätestens als es die
kommerzielle Alternative (wieder) gab.

In diesem Fall konnten die ganzen Aufgaben aufgrund ihrer niedrigen
Komplexität noch ohne weiteres von allen erledigt werden. Das ist
nicht immer so. Bei komplizierten und/oder komplexen Aufgaben kommt
aber noch ein Lernaufwand bzw. eine Spezialisierung hinzu - für etwas,
worauf mensch eigentlich gar keinen Bock hat.

Fakt ist, dass diese Sorte Projekte mit einem Haufen Tätigkeiten
verbunden sind, die auch nicht den Hauch von Selbstentfaltung
beinhalten - spätestens nach der dritten Abrechnung ist das nur noch
eine Last. Der individuelle Selbstentfaltungsgewinn, der dabei
rumkommt ist demgegenüber minimal. Das bisschen Soziale lässt sich
viel angenehmer in der Kneipe haben.

Im Kapitalismus wird dieses Problem jetzt durch eine entfremdete
Anreizstruktur gelöst. Den Leuten muss gar nicht Spaß machen was sie
da tun, da sie ja Geld dafür kriegen. Mit anderen Worten: Geld ist
hier das (strukturelle) Zwangsmittel, dass die Leute dazu bringt Dinge
zu tun, die sie bei klarem Verstand lieber lassen würden. Da helfen
auch keine sozialen Erfindungen. Die Tätigkeiten der SklavInnen auf
den Baumwollplantagen war ja nicht wirklich dadurch Selbstentfaltung,
dass sie dabei den Blues gesungen haben. Genausowenig übt eine
FließbandarbeiterIn dadurch selbstentfaltetere Tätigkeit aus, dass sie
in einer Gewerkschaft ist. Und auch die SchwarzwaldhausbäuerIn
schuftet nicht weniger, nur weil es eine Dorfgemeinschaft gibt.

Nein, nein, hier ist der technische Teil der Produktivkraftentwicklung
schon wichtig. Der technische Teil ermöglicht nämlich, die Anteile der
Tätigkeit zu verringern, die Mühsal sind. Dazu ist Technik schließlich
da. Gleichzeitig ermöglicht die (heutige) Technik auch kreativ zu
werden, also selbstentfaltet tätig zu werden. Ein Aspekt, der noch
zusätzlich einen Fokus auf die Technik legt.

Wenn ich mir jetzt das FoodCoop-Beispiel nochmal in diesem Rahmen
anschaue, dann wäre hier mehr Technikeinsatz eine Möglichkeit gewesen.
Heute würde mensch wahrscheinlich eine Web-Site bauen, auf der
Bestellung und Abrechnung weitgehend automatisiert sind. Die andere
Mühsal bleibt jedoch bestehen - und wird immer noch nicht durch das
bisschen Gemeinschaft und ach so tolle Selbstorganisation aufgewogen,
das hier und da rausspringt. Wäre das so, gäbe es die FoodCoop ja
wieder. Aber es ist immer noch so, dass der Kapitalismus das alles
offensichtlich viel besser hinkriegt. Er ist auf diesem Sektor immer
noch in der Lage, die Interessen aller Beteiligten besser zu bedienen,
als das, was einem mal eben so beim Bier als Selbstorganisationsmodell
einfällt.

Wenn ich mir das so herum nochmal anschaue, dann merke ich deutlich,
wie sehr dieser Selbstentfaltungsaspekt in der ganz konkreten
Tätigkeit auch aus dieser Perspektive wichtig für eine Keimform ist.
Und eine nachhaltige Selbstentfaltung ist hier entscheidend -
Anfangseuphorie gibt's eigentlich immer. Ist dieser
Selbstentfaltungsaspekt in den ganz konkreten Tätigkeiten zu wenig
enthalten, dann brauchst du halt ein Zwangsmittel damit die Leute das
tun, was notwendig zur Aufrechterhaltung des Betriebs ist. Geld zum
Beispiel. Gesinnung ist aber auch so ein (inneres) Zwangsmittel - und
das war es, was die FoodCoop ja praktisch erst ans Laufen gebracht
hat. Viele alternative Projekte leben ja von dieser Gesinnung - und
der mit ihr begründeten Selbstausbeutung.

All das ist bei Freier Software aber nicht nötig. Sie wird
(überwiegend) weder bezahlt noch überwiegt die (stupide) Plackerei.
Die Technikentwicklung hat hier Möglichkeiten geschaffen, nützliche
Dinge mit Selbstentfaltung im Sinne von Kreativität so eng zu
verknüpfen, dass deren Trennung die Produktqualität beeinträchtigt.
Zumindest für so viele Leute, dass sich ein gesellschaftlich wirksamer
Effekt ergibt. Natürlich mit den Multiplikatoren digitale Kopie und
Internet.

Wenn wir jetzt den Hühner-/Eier-/PendlerInnen-Vorschlag oder die
FoodCoop aber immer mehr mit Technik ausstatten, die die ganze Mühsal
abnimmt? Ich würde da z.B. an ein automatisiertes Transportsystem
denken, das die Güter bis ins Haus bringt. Unterirdisch tendenziell.
Voll computerisiert natürlich. Die Bestellungen dann natürlich auch
voll computerisiert - meinetwegen auch mit Geld. Bei solchem
Technikeinsatz ist die Mühsal weg. Aber dann ist eine FoodCoop auch
kein eigenes Projekt mehr, da dies ein allgemeines Angebot der
allgemeinen Infrastruktur wäre. So wie es heute ein allgemeines
Angebot der allgemeinen Web-Infrastruktur ist, sich alle möglichen
Informationen zu besorgen. Eine solche Sache ist aber ein völlig
anderes Kaliber als Hühner-/Eier-/PendlerInnen-Vorschläge oder
FoodCoops. Und wieder bin ich ein bisschen mehr davon überzeugt, dass
es *genau da* hingehen muss.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

PS: Willkommen im neuen Jahr :-) .

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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