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Re: Re: [ox] Gibs Gruppen? (war: ... Warum Herrschaftsdebatte?)



Hi El Casi, du wünschtest dir, dass ich auf diese Mail von dir eingehe:

On Sunday 13 April 2003 13:02, Casimir Purzelbaum wrote:
Hinter den "Gruppen" in den obigen Fragen verbirgt sich aber für mich
in der Tat mehr, als eine bloße Klassifikation. Dieser Unterschied ist
aber, scheint mir, einer der Knackpunkte in der Diskussion -- wichtig
unter anderem für das Verständnis von Macht, Herrschaft und
Repräsentation sowie nicht zuletzt für die Frage, ob eine Gruppe eine
Subjekt (also handlungsfähig) sei oder nicht...

Ich würde (heute nicht mehr) eine Gruppe nicht wie ein Subjekt behandeln, 
wenn ich über Emanzipation nachdenke. Tut man das, setzt dies einen 
identitären Bezug voraus. Oder man versucht es "objektiv" so wie du.

Der Unterschied einer Klasse (als Menge aller Objekte mit gewissen
übereinstimmenden Merkmalen) und einer Gruppe besteht m.E. darin:

Der Zustand von Objekten einer Klasse ist vom Zustand der anderen
Objekte und vom Zustand der Klasse unabhängig.

Der Zustand der Elemente einer Gruppe hängt in gewisser Weise vom
Zustand der anderen Elemente und/oder von dem der Gruppe insgesamt ab.

Das halte ich für eine unzulässige Abstraktion. Sie sieht von wesentlichen 
Momenten menschlichen Zusammenlebens ab: Darin gibt es eben nicht zur 
Zustände etc. Genau hier führt IMHO die physikalische Analogie, die du 
vorher aufgemacht hast, in die Irre.

Als Beispiel: Radfahrer bilden hiernach eine *Klasse*, weil sie alle
radfahren -- das ist nichts als ein gemeinsames Merkmal. Eine *Gruppe*
aber bilden sie, weil sich bspw. die Situation des einzelnen
Radfahrers mit sinkender Anzahl von Radfahrern tendenziell
verschlechtert (-- oder verbessert, je nach dem).

Wieso? Du versuchst hier Gruppe *objektiv* zu definieren. Dein "je nach 
dem" deutet schon an, dass du hier von allem möglichen absehen musst.

Das heißt, nach meiner Vorstellung müssen die Radfahrer nicht mal
untereinander direkt interagieren, um miteinander in Beziehung zu
stehen: Die Gruppe kann schon allein aus einem "Zusammenhang"
entstehen, der möglicherweise inhärent gar nicht vorhanden ist! -- In
diesem Beispiel entsteht nämlich die Gruppe der Radfahrer nicht durch
ihre Beziehungen untereinander, sondern "nur" durch ihre
Außenbeziehungen (nämlich durch die Beziehungen zu den anderen
Verkehrsteilnehmern oder zu den Regulierungsinstanzen, Politikern
usw.).

Wie schon mal geschrieben: nenn das von mir aus auch "Gruppe". Ich sehe 
das aber keine analytische Qualität, sondern nur Beschreibung. Statt 
"Gruppe" könntest du z.B. auch "System" nehmen, oder?

Jetzt besteht die abstrakte Schwierigkeit darin, daß ein Objekt genau
dann zu einer Gruppe gehört, wenn sein Zustand von dem der Gruppe
abhängt (bspw. von der Anzahl der zur Gruppe gehörigen Objekte) -- Die
Existenz der Gruppe aber hängt davon ab, daß Objekte zu ihr gehören
(indem deren Zustand in gewisser Weise von dem ihrigen abhängig
ist). Das ist offenbar ein Kreisschluß... und daher lassen sich
Gruppen abstrakt nicht aus einzeln betrachteten Elementen modellieren
-- im Gegensatz zu Klassen.  Eine Klasse kann aber als Gruppe
modelliert werden, wenn ihre Definition eine Beziehung zwischen ihren
Elementen oder zwischen den einzelnen Elementen und gewissen
kumulierten Eigenschaften (dieser einzelnen Elemente) enthält.

Wie gesagt: zu abstrakt (von zu vielem Abgesehen, was Menschen ausmacht: 
die sind halt keine Objekte, Elemente etc.). So kannst du es vielleicht 
in einem Programm modellieren...

Wo eine Gruppe ist, ist immer auch eine Klasse. Diese ist aber als
solche nicht immer leicht zu identifizieren, da die verbindende
Beziehung, die eine Gruppe ausmacht, nicht immer leicht formalisierbar
ist.

Und meine These ist, daß sich hinter den meisten im Gespräch
befindlichen "Klassen" von Menschen auch *Gruppen* verbergen, also
nicht nur Mengen von Menschen mit überlappenden Merkmalen
(bspw. Interessen), sondern auch reale Beziehungen.

Den Schluss kann ich nicht nachvollziehen: Die abstrakte Definition 
enthält keine "realen Beziehungen", sondern "Zustände". Hier holst du 
hinterrücks wieder rein, was du vorderhand rausabstrahiert hast.

Der Begriff der Gruppe dient also dazu, die Existenz und die Qualität
dieser Beziehungen zu erfassen und auszudrücken. Wichtig ist das
deshalb, weil sich die Merkmale der Elemente ohne die Gesamtheit der
Beziehungen, denen sie unterworfen sind, nicht erklären/analysieren
lassen. Verzichten könnte man auf den Begriff Gruppe, wenn diese
Beziehungen, denen die Objekte "unterworfen" sind, und ihre Qualität
für alle die gleichen oder für alle verschieden wären. Sind sie aber
nicht.

Das gilt vielleicht für die Physik ("Gruppe von Teilchen"), nicht für 
Menschen. IMHO.

  Macht das Sinn?

Für mich nicht;-)

Ciao,
Stefan

--
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