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Re: [ox] Re: Gegen die eigenen Beduerfnisse handeln?



* "Franz J. Nahrada" <f.nahrada reflex.at> [2003-05-29 21:56]:
Du erinnerst Dich sicher an die Passage, wo Marx lange vor der
Behandlung der Oberfläche des Kapitals die Willensform als ökonomische
Formbestimmung einführt:

Ja, und jedes Wort ist wahr. Auch hier wird doch genau die Abstraktion
gemacht, die ich in diesem Thread nun schon fuenfzehn Mal genannt habe.
Es wird der Wille besprochen, den das Subjekt objektiv haben muss,
INSOFERN es Warenbestitzer oder Lohnarbeiter ist. Von der Ebene des
konkreten Subjekts inklusive seiner prinzipiellen Moeglichkeit, sich
seinem objektiv notwendigen "Willen" affirmativ oder kritisch zu stellen
(das hatten wir mit "freien Willem" besprochen), ist nicht die Rede. Das
Subjekt wird besprochen, insofern es Traeger von oekonomischen
Verhaeltnissen und SONST NICHTS ist. Aus Deinem Marx-Zitat:

[ MEW 23, Der Austauschprozess, S.99: ] Die Personen existieren hier
nur füreinander als Repräsentanten von Ware und daher als
Warenbesitzer.

Im Folgenden unterschlaegst Du diese Abstraktion:

Das Subjakt muß daher pausenlos etwas wollen: ein Geld für die
eigene Arbeitskraft, eine rechtliche Anerkennung als Vertragspartner etc.

Der Warenbesitzer Karl-Heinz _muss_ letzteres wollen, die konkrete
Person Karl-Heinz _kann_ das aber Scheisse finden, so einfach ist das.
Zumal wir uns in der Sache offensichtlich einig sind:

Was ich bei Dir angegriffen habe, soweit ich mich erinnere, war nicht die
Konstatierung des freien Willens. Es war lediglich die Formulierung, daß
ein simpler Wille in der Lage wäre, gesellschaftliche Verhältnisse
aufzuheben oder zu zerstören. Das habe ich im Kern mit "Willensillusion"
gemeint und dabei nicht gemeint, daß der Mensch keinen Willen hätte.

Ich hab nun wirklich in keinster Weise gemeint, dass mein Wille die
kapitalistischen Verhaeltnisse aufheben oder zerstoeren koenne ;-) Die
Formulierung war fuer sich genommen falsch, sie kam nur durch den
Kontext zustande. Zu Deinem Thema hatte ich im selben Posting klar
gesagt, dass die Frage, ob das Subjekts seine Bedingungen beeinflussen
oder gar zerstoeren kann, natuerlich schlicht von der Natur der
Bedingung abhaengt.

Um unseren Gegensatz vielleicht doch aufrecht zu erhalten: Aus dem
prinzipiell freien Willen des Individuums und der Tatsache, dass
gesellschaftliche Formen sich immer nur durch menschliches Handeln
durchsetzen, leitet sich ab, dass _kollektives_ Handeln prinzipiell
gesellschaftliche Verhaeltnisse aendern oder zerstoeren kann. Ich tippe
mal, dass Du auch hier von "Willensillusion" sprichst (Kind... Bad...
ausschuetten). Und nein, mir ging es bei diesem Thema weder um diesen
Punkt noch sitze ich hier beleidigt auf kollektive Handlung wartend.

Zum Kern der Willensillusion in der Politik ist von der Krisis einiges
erklärt worden, was anderswo fehlt.

Die Kritik diesbezueglich geht manchmal in die richtige Richtung, weil
mangelnde Analyse der Wertform tatsaechlich in vielen Faellen die
Kernursache fuer Fehlschluesse ist. Die Analyse krankt aber _immer_
daran, dass der Wunsch der Vater des Gedanken bleibt, was den Untergang
der Wertform betrifft. Die Wertform will ja leider auch nicht viel mehr
von ihrem Untergang hoeren, als die Arbeiter von ihren Interessen. Keine
Ahnung, ob die ML'er da wirklich so viel beleidigter sind als die
Krisianer. Letztlich haben beide das Problem, dass ihr jeweiliger
Gegenstand partout nicht auf sie hoeren mag.

"Objektiv determiniert" bist Du auch irgendwie durch die Logik der GPL
Gesellschaft,

M.E. ist _der_ Kern der Marx'schen Kritik, dass das Verhaeltnis von
Subjekt und Objekt im Kapitalismus _verkehrt_ ist, dass also die
Verhaeltnisse uns, nicht wir die Verhaeltnisse bestimmen. Auch bewusst
organisierte Verhaeltnisse sind Verhaeltnisse, die dem "freien Willen"
des Individuums als Bedingungen seines Handelns gegenuebetreten. Sofern
Du nur das mit "objektiver Determinierung" meinst, wuerde ich Dir
zustimmen. Sofern die Verhaeltnisse aber selbst bewusst gemachte sind,
werden diese durch die Leute determiniert, nicht umgekehrt.

[ Vorgezeichnete Bahnen eines beleidigten und enttaeuschten
  Materialismus; Automatismen und objektive Interessen; faustische
  Freiheitsapotheose mit Weltschmerz und Pathos; Deutsche Ideologie ]

Natuerlich will man immer und prinzipiell alles wohl unterschieden und
begruendet haben....darueber hat sich Marx schon in der gleichnamigen
Schrift lustig gemacht.

Dagegen habe ich einfach angemahnt, daß uns diese Willenshuberei nicht
sehr viel hilft. Um noch eins draufzusetzen: es ist das Fähnlein des
beleidigten Materialismus, der sich sogar mitunter in eine richtige
Gegnerschaft zur bürgerlichen Gesellschaft hineinphantasiert, um dann
plötzlich festzustellen, daß im Grunde sowieso nur wenige dagegen
sind.

Herrje, Du kennst Leute ;-) Mir fehlt nur der Bezug zum Thema. Ich hab
weder Weltschmerz noch Pathos in's Spiel gebracht, sondern ein klar
abgegrenztes Thema: Hat das Subjekt die Moeglichkeit, gesellschaftlich
undeterminierte Entscheidungen zu treffen und wenn ja, wie ist das
Verhaeltnis zu den gesellschaftl. Bedingungen? Die Frage kam nicht auf,
weil ich an den freien Willen der Arbeiterklasse appellieren wollte,
sondern weil ich versucht hatte, Joost Kluessendorfs These bezueglich
des Gegenstands "individuelles Handeln" differenziert zu besprechen,
indem ich besagtes Verhaeltnis aufdroesele. Die Frage ist IMO tricky,
aber beantwortbar. Wenn Du sagst, sie ist prinzipiell irrelevant, wuerde
mich interessieren, was Du denn zu Joosts Punkt gesagt haettest.

Holger

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is relatively simple."  -- SPARCstation 10 Service Manual
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