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Re: [ox] Noch mal zur Freien Gesellschaft



Hallo Hans-Gert,

wie meist antworte ich leider etwas verspätet, aber aus einem
Bedürfnis heraus ;-)

Hans-Gert Gr�be (2006-01-25 16:51 [PHONE NUMBER REMOVED]):
Hallo El Casi,

noch ein paar weitere Bemerkungen zu deiner mail:

El Casi wrote:
Genau hier findet der Umschlag von Bewegung (Sein) in Entwicklung
(Werden) statt.  Und die Frage ist, ob ein Umschlag auf höherer
Ebene die Existenzbedingungen für das (Fließ-) Gleichgewicht auf
der unteren Ebene auflöst oder ob unausgewogene Verschiebungen
oder gar Entwicklungen auf unterer Ebene das alte Gleichgewicht
auf höherer Ebene zum Umschlagen bringen.

Das ist eine gute Frage und es gibt zwei Antworten darauf. Die eine sagt
"Versklavungseffekt", d.h. der Takt der höheren Ebene zwingt der unteren
seinen Rhythmus auf. Und die andere (etwa Dawkins "egoistisches Gen")
behauptet gerade das Gegenteil: Die höhere Ebene gibt es überhaupt nur,
um die Reproduktionsbedingungen der unteren Ebene zu stabilisieren (und
die höhere Dynamik ergibt sich weitgehend aus diesem "Zweck").  Und wenn
diese höhere Dynamik nicht mehr passt, dann wird sie umgekrempelt.

Da drängt sich doch gleich der Gedanke auf, daß auch die niedere
und die höhere Dynamik ein Ganzes bilden, welches eigentlich nicht
mehr aufzulösen ist... Auch hier handelt es sich also
doch wieder, wie Du unten anmerkst, (immer?) im ``Aspekte
*derselben* Dynamik''.  Nichts desto trotz ist es sinnvoll, sie
auch unterscheiden zu können, da man sie sonst ja auch schwer
zusammen-denken kann.

In dem von Dir skizzierten Sinne von Gleichgewichtshierarchien ist
für mich die _Sicht_ der Warenmonade die untergeordnete, die
_Situation_ der Warenmonade die übergeordnete Ebene.

Hmm, das würde ich so nicht gegenüberstellen, Sicht und Situation sind
ja zwei Aspekte *derselben* Dynamik, Sein und Wahrnahme. Eher würde ich
hier kurzwelligere Phänomene als die untergeordnete Ebene betrachten,
eben z.B. die Suche nach einer Bleibe, auf die das übergeordnete
Phänomen (Sein als Warenmonade) im Sinne des "Versklavungseffekts" wirkt.

Einerseits möchte ich nochmal sagen, daß ich mit der ``Situation
der Wahrenmonade'' ihre Umgebung meinte, also ihre `Situiertheit'
-- im Warenmonadensystem.  Denn zwar betrachtet sich die Monade
als Monade, kann dies aber nur, wenn dies systemseitig begünstigt
wird, bzw. wenn dies tendenziell alle anderen auch so machen.
Darum stand für mich die `Situation' als Ausdruck für das System
inklusive `aller anderen Monaden', und somit als übergeordnete Ebene.
  (Anmerkung für alle Fälle: `System' ist hier nicht mechanistisch
  gemeint, sondern umfaßt für mich auch das, was im Pots.Man. als
  ``organismisch'' bezeichnet wird.)

Andererseits finde ich Deine kurzwelligere Betrachtung auch sehr
interessant...

*Wann* ich umziehe entscheide ich genausowenig autonom, wie
*wohin* ich umziehe.  ...

Das ist der Kern der Argumentation von F.O.Wolf: wenn wir über freie
Kooperation und all das reden, dann müssen wir berücksichtigen, dass wir
historisch, sozial und biologisch konstituierte Subjekte sind.  Aber
offensichtlich gibt es neben dem Entscheidungsrahmen auch einen
Entscheidungsspielraum.

Ich glaube, so meinte ich das gar nicht.  Ich wollte nur sagen,
daß ich nicht zu meinem Lieblingszeitpunkt in meine
Lieblingswohnung einziehen kann, wenn mich da keiner haben will.
Ich kann erst irgendwo hinziehen, wenn ich was gefunden habe, wo
ich hinziehen kann. Und selbst dann sind der Bestimmung des
Zeitpunkts sehr enge Grenzen gesetzt (es sei denn, ich kann es mir
leisten, über längere Zeiträume doppelt Miete zu zahlen).  Wo ich
hier autonom sein soll, will mir wirklich nicht einleuchten.
Zumal es zum Beispiel für mich aufgrund der gegenwärtigen
wirtschaftlichen, politischen und familiären Situation zur Zeit
leider überhaupt nicht in Frage kommt, dorthin ziehen zu können,
wo ich wohnen möchte, geschweige denn, zu dem mir genehmen
Zeitpunkt.  Und das, was mich daran hindert, ist eben nicht meine
historische, soiale und biologische Konstitution, sondern das
herrschende (!) Wirtschaftssystem, oder allgemeiner gesagt, mein
Platz in der aktuellen Gesellschaftsordnung. (-- welchen ich
allerdings aufgrund meiner hist., soz. & biol. Konstitution nicht
einfach verlassen oder wechseln kann.)

Der Entscheidungsspielraum, den ich in dieser Situation habe,
beschränkt sich auf genau zwei Möglichkeiten (und das Spektrum
dazwischen): Entweder ich blende die Ursachen meines
diesbezüglichen `Geworfenseins' aus (-- quasi das werfende Moment an
meinem Geworfensein --) und unterwerfe mich dieser Situation
nicht nur praktisch sondern auch geistig, oder ich behalte diese
Ursachen meiner Abhängigkeit im Auge und `mecker darüber rum'.
Rahmen und Spielraum. 

(Praktisch (bzw. psychisch) läuft es wohl eher andersrum: indem
ich spontan oder anhaltend das Bedürfnis habe, mich über die
Zwänge, denen ich unterworfen bin, aufzuregen, beginne ich,
Ursachen zu suchen und in Frage zu stellen.)

Die Behauptung (oder Autosuggestion) einer (völlig) autonomen
Entscheidung drückt also für mich vor allem aus, daß das Bewußtsein
des Selbstes als gesellschaftlich bedingter und abhängiger
Erscheinung höchst mangelhaft ausgeprägt ist.

Aber "wann *ich* umziehe entscheide *ich*" könnte auch ein
Sich-zur-Wehr-Setzen gegen Erscheinungen sein, die nur unter dem
Deckmantel der "gesellschaftlichen Bedingtheit" daherkommen.  

Ja, das könnte es sein.  Aber dies ist das Sich-zur-Wehr-Setzen
gegen vor- bzw. nicht(-ganz)-kapitalistische Verhältnisse, welches
in meinen Augen in dieser Form zu nichs anderem geeignet ist, die
relative Fortschrittlichkeit kapitalistischer Verhältnisse zu
propagieren.  Ob dieses Propagieren der Fortschrittlichkeit des
Kapitalismus aber selbst fortschrittlich ist, oder konservativ,
oder rückschrittlich (also quasi anti-dynamisch), das hängt von
der geschichtlichen Situation ab.  Dieses Argument tritt immer
dort auf, wo `der Kapitalismus sich ausbreiten möchte', zum
Beispiel: Mehr Eigenverantwortlichkeit in der Altersvorsorge!
Keine tariflichen Vorschriften über Mindestlohn und Arbeitszeiten
mehr!  Endlich sein eigener Vorgesetzter sein! (Und auf jegliche
vertraglich gesicherten Einkünfte verzichten, als eigene `Firma'
auf dem Markt der anonymisierten Abhängigkeiten, also der
institutionalisierten Verantwortungslosigkeit. Schließlich ist
sich ja jeder selbst der Nächste.)  Da ich auch in diesen
genannten Beispielen kaum fortschrittliche Tendenzen ausmachen
kann (außer im dialektischen Sinne), setze ich mich vor allem mit
der Kehrseite der propagierten Befreiung auseinander, und mit dem
ganzen Inhalt propagierten Autonomie, nämlich mit der
existenziellen Abhängigkeit der Befreiten (inkl. mir selbst) von
der »vollständigste[n] Anarchie, innerhalb deren der
gesellschaftliche Zusammenhang [...] sich nur als übermächtiges
Naturgesetz [...] geltend macht.«¹

Ist das Spannungsfeld zwischen Entscheidungsrahmen und
Entscheidungsspielraum (nach dem bekannten Motto: Gib mir drei
Dinge - Kraft, das zu ändern, was zu ändern geht, Geduld, das zu
ertragen, was nicht zu ändern geht, und Weisheit, das eine vom
anderen zu unterscheiden).

Ebent. So sinnvoll der Spruch auch sein mag, ist er doch (auch)
hervorragend geeignet, strukturelle Gegebenheiten in den Bereich
des Unantastbaren und des zu ertragenden zu rücken, z.B.:
Softwareproduktion braucht Investitionsschutz, weil sonst die
Programmierer großer Projekte nicht bezahlt werden können, und die
müssen doch auch ihre Lebensgrundlage mit Geld bezahlen -- DAS
KANN DOCH KEINER ÄNDERN. Also braucht die Wirtschaft, ja die
Gesellschaft, Schutz gegen freie Kopierbarkeit.  Also brauchen
Programmierer Softwarepatente. -- Gib mir die Weisheit zu
erkennen, daß das die Ideologie einer über sich hinauswachsenden
Wirtschaftsweise ist! (Also die Weisheit, nicht jeder
Krisendemagogie Glauben zu schenken, obwohl nicht ich es bin, der
hier die Widersprüche zuspitzt.) -- Gib mir die Kraft, nicht am
alten hangen zu bleiben! (Im Kopf nicht, und in der Praxis nicht,
also die Kraft zur eigenen Veränderung, und die Kraft, nicht den
alten `bewährten' Einsichten eines sich längst verändert habenden
Systems verhaftet zu bleiben). -- Und gib mir die Geduld, nicht am
Werden und an meiner Kraft zu zweifeln, nur weil ich das Werden
(noch?) nicht begreifen kann oder weil es nicht `in meiner Hand
liegt'!

Ist aber nicht primär eine des "Gastarbeiters", sondern die
Wahrnahme eines (wirklichen oder vermeintlichen) Risikos. ...

Klar. Das waren ja nur Beispiele. Aber ist es nicht in der Tat
ätzend, vor allem als Risiko wahrgenommen zu werden, vor allem,
wenn man gar nichts dagegen machen kann?  Das warenmonadische
steckt doch vor allem in letzterem, oder? Und nicht in der `Sicht'
bzw. der Empfindung, daß das ätzend ist, finde ich.

Aber kommt hier nicht zugleich zum Ausdruck, dass die an dem "Akt"
Beteiligten mit unterschiedlichen, ja autonomen Zielfunktionen an das
Ganze herangehen? Du willst in die WG, weil du ein Dach über dem Kopf
brauchst, die anderen wollen die bestehende WG funktionsfähig halten und
da ist die finanzielle Seite für sie wichtig. Dass du das nicht so
unvoreingenommen respektieren kannst, sondern es schlicht "ätzend"
findest, hat allerdings sicher was mit dem Sein als Warenmonade zu tun.

Hm, klar hat das was damit zu tun: ich kann es nur ätzend finden,
Warenmonade sein zu müssen, wenn ich tatsächlich Warenmonade sein
muß.  Sonst wäre in meiner Wahrnehmung was faul.

Aber daß ich diesen Aspekt meines Seins überhaupt (noch) als
ärgerlich empfinde, weist über ihn hinaus.  Du scheinst hingegen
sagen zu wollen, daß gerade dies nicht darüberhinausweist, sondern
daß ich mit dem Ärger über die warensystemisch bedingte
Zielfunktion des Anderen meine Unfähigkeit oder Unwilligkeit zur
Akzeptanz seiner Autonomie zum Ausdruck bringe.  Das ist aber
nicht dasselbe: viele Bedürfnisse (oder Zielfunktionen) sind mir
durchaus verständlich und oder scheinen mir auch dann respektabel,
wenn ich sie nicht teile, oder wenn sie nicht die meinen sind.
Aber darum geht es mir nicht: 1. frage ich nach der Herkunft und
den Bedingungen der konkreten Zielfunktionen,
und 2. muß ich bedingte Zielfunktionen in Frage stellen, wenn
(s)ich ich ihre Bedingungen in Frage stelle(n).

Ich verlange von niemandem, er solle sich unvernünftig verhalten.
Oder entgegen seinen (woher auch immer geprägten) Bedürfnissen
oder Interessen handeln.  Sondern ich schlage vor, den konkreten
Zusammenhang von Bedürfnissen und ihrer Bedingtheit (sowie die
daraus sich ergebenden Zielfunktionen) auf seine Effizienz hin zu
prüfen.  Unter den gegebenen Bedingungen und in Anbetracht ihrer
Wandelbarkeit.

Ist diese Autonomie der Zielfunktionen aber nicht eine
kulturelle Errungenschaft und ein Kernelement einer Freien
Gesellschaft? Muss man dann nicht auch Karsten Webers Frage nach
dem "Preis d(ies)er Freiheit" stellen?

Die Autonomie der Zielfunktionen ist die Grundlage für die
Fetischisierung des Werts und die ideelle Verewigung der
Warenbeziehungen. Sie ist die `moderne' Grundlage der Verwandlung
eines Produkts menschlichen Tuns, nämlich der gesellschaftlichen
Verhältnisse, in eine `unsichtbare Hand', in eine
naturgesetzartige Kraft, der wir Menschen ohnmächtig unterworfen
sind.  Sie ist sicher eine Errungenschaft verglichen mit der
Fetischisierung güldener Kränze und anderer Utensilien, blauen
Bluts, schwarzer, purpurner und weißer Kutten oder
verschiedenfarbiger Kreuze.  Aber wie lange wollen wir uns noch
geistig auf dieser Errungenschaft ausruhen?  Ist denn nicht auch
sie ziemlich begrenzt? Und kann sie denn überhaupt ihren
Verheißungen gerecht werden?
 
Das bedingt sich in meinen Augen gegenseitig: aufgrund unserer
Prägung neigen wir vielfach dazu, uns mit einem Problem lieber
herumzuquälen als unsere Augen für Alternativen zu öffnen ...

In der Kritischen Psychologie heißen diese beiden Alternativen
restriktive und verallgemeinerte Handlungsfähigkeit.

Genau diese Normen aber, die unseren Horizont prägen, machen für
mich die Warenmondadensicht aus.  (Mag sein, daß die Normen nicht
direkt vom Kapital erfunden worden sind, und daß die Bezeichnung
daher irreführend ist, aber die Sicht der Warenmonade ist eben ein
Konglomerat, wie die kapitalistischen gesellschaftlichen
Verhältnisse auch).

Diese Art, gesellschaftliche Verhältnisse in versachlicher Form
wahrzunehmen, ist nach meinem Verständnis der Kern des Marxschen
Fetisch-Begriffs. Also mehr als "nur" Warenmondadensicht (letztere nimmt
ihren Ausgangspunkt in einer speziellen Subjekteigenschaft, erstere in
der generellen Art der Wahrnahme gesellschaftlicher Phänomene - sind wir
schon wieder beim Thema "Wissen und Information").

Kannst Du das etwas näher Erläutern?  
(Fetisch ~ Wissen, Warenmonadensicht ~ Information?)
 
Und deshalb vielleicht viel mehr Nachsicht mit anderen und dann
vielleicht auch mit sich selbst angebracht wäre.

Nachsicht ohne Einsicht ist Gefühlsduselei ;-)

(An dieser Stelle kann ich gerade nicht sehen, wo bzw. warum ich
nachsichtig sein soll, da es sich ja nur um eine abstrakte
Erwägung u.a. der strukturellen Zwänge und ihrer Auswirkungen
handelt -- warum sollte ich mit diesen Nachsicht haben?  Wenn mir
hinwiderum ein Mensch begegnet, der leidet oder sich quält, werde
ich ihn deshalb wahrscheinlich nicht "der Feigheit und Faulheit"
bezichtigen, weil er damit höchstwahrscheinlich nichts anfangen
kann.)

Kann man das wirklich so trennen?

Ja, ich finde das muß man sogar so trennen. Nur daher kann doch
die Weisheit kommen, nicht Dinge (Verhältnisse) für unwandelbar zu
halten, die wandelbar sind.

Zum Beispiel haben viel mehr Menschen Vorbehalte gegenüber Freier
Software, als dazu aufgrund ihrer materiellen Interessen
`gezwungen' sind.  Natürlich werfe ich kaum jemandem konkret
Feigheit und Faulheit in diesem Zusammenhang vor, aber Mut und
Neugier zu wecken, versuche ich schon.  Und das läuft irgendwie
auf's selbe hinaus, auch wenn es ganz anders klingt, oder?
Außerdem sind wohl die meisten real-existierenden Kampagnen für
Unfreie Software (bzw. gegen Freie Software) ebenfalls genau
darauf ausgerichtet: FUD -- Fear, Uncertainty & Doubt --, das
heißt doch nicht anderes, als Feigheit und Faulheit säen bzw.
düngen, oder? `Die' erkennen diese Kraft also durchaus auch
unvoreingenommen genau als solche an, versuchen, sie zu
stärken, und nutzen sie aus... Freilich ohne es (laut) so zu
sagen.

Sostschenko z.B. hat sich zum Thema Selbst-Quälen viel
unnachsichtiger geäußert:

	  Das Leiden ist eine der schlimmsten
	  Geißeln der Menschheit.  Und man muß es
	  hassen, um es ausrotten zu können.

Und zwar nicht in einem abstrakten Zusammenhang, sondern in seiner
Autobiographie (Schlüssel des Glücks) ;-)

"Hassen", "ausrotten" -- du weißt, wohin das geführt hat. Sostschenko
ist da Beobachter und Kind seiner Zeit zugleich. Erich Fromm hält dem
"Die Kunst des Liebens" entgegen, und ähnliche gedankliche Linien
findest du auch im Potsdamer Manifest.  Vielleicht muss man auch lernen,
Leidensfähigkeit bis zu einem gewissen Grad zu kultivieren - im Sinne
der oben angeführten drei Dinge (Kraft, Geduld, Weisheit). Sowohl in der
christlichen Ethik als auch den fernöstlichen Religionen spielt sie eine
große Rolle. Und das sind jeweils die Erfahrungen von mehr als 2000
Jahren Kultur.

Erstens weiß ich nicht inwieweit diese Übersetzung dem Original
anzulasten ist, ich kenne es leider nicht. Und zweitens: Wohin
irgendwas führt, hängt nicht nur vom Tool oder vom Wortlaut ab.
Schlechtes Beispiel: mit einem kill-Kommando kann man ein System
zum Absturz bringen oder es genau davor bewahren. Die Frage ist
doch vielmehr, ob es nicht genau diese von Dir gepriesene
2000-jährige Kultur war, die zu dem von Dir gemeinten "Hassen" und
"Ausrotten" geführt hat.  Bei Sostschenko wird dieser Zusammenhang
eben einfach mal umgedreht, und das kann ich ihm nicht verübeln.
Er schreibt nämlich nicht, daß man die Leidenden (oder
Nicht-Leidenden) hassen oder ausrotten müsse. Der Menschenhaß
dagegen ist geradezu ein roter Faden unser 2000-Jahre-Kultur und
trotzdem für mich keinen Pfifferling wert.  Ob er sich nun auf
Angehörige anderer sogenannter Rassen, Religionen, Kulturen,
Landstriche, Geschlechter, Stände, Klassen, Nationen, auf Träger
anderer Mundarten, Einsichten, Lebensgewohnheiten,
Weltanschauungen, Heil- und sonstiger Praktiken, Talente,
Interessen, Fähig- und Fertigkeiten, Bedürfnisse oder Ansprüche
bezog -- ich fürchte, das gute an unserer Kultur werde ich da eher
in den Ausnahmen finden können.  Und warum sonst würdest Du so
viel Wert auf Autonomie legen, wenn nicht unsere ganze Geschichte
inklusive ihrer Kultur nur so strotzen würde von Widerwärtigkeiten
in genau dieser Beziehung?  Und ja, ich sehe hier auch einen
Zusammenhang mit der Kultivierung des Leidens und Duldens.  Geduld
und Dulden sind zwei verschiedene Angelegenheiten, ebenso wie
Erleiden und Leiden.  Die Kultivierung von Dulden und Leiden (bis
hin zur entsprechenden Geißelung, Selbstgeißelung, Ketzer- und
Hexenverbrennung und sonstigem Exorzismus als logischer Folge) hat
in meinen Augen nicht nur nichts mit Kraft und Weisheit zu tun,
sondern hat eben genau die Funktion der Lähmung bzw. des
im-Keim-Erstickens von sowohl Kraft als auch Weisheit.

Zum Widerspruch zwischen Erich Fromm und Mikhail Sostschenko bitte
ich Dich um nähere Verweise, da ich in meinem Gedächtnis keinen
ausfindig machen kann ;-(  (Mit dem Potsdamer Manifest habe ich
hingegen so meine Probleme, aber das wirst Du Dir wohl schon
gedacht haben ;-)
 
Christophs Sicht, ein Individuum sei entweder Pred. oder Prod.,
ist in meinen Augen ein absurd einseitige Sichtweise.

Genau auf dieses dein "in meinen Augen" wollte ich hinaus.  Es geht dir
ja nicht (nur) darum, das auszuargumentieren, sondern du willst ja
zusätzlich bei Christoph einen Effekt erzielen.  Aber in Christophs
Augen ist es eben offensichtlich in keiner Weise "absurd".  

Nein, ich will im Moment bei Christoph keinen Effekt erzielen,
denn ich kann ihn nicht verstehen.

-- Hallo Christoph!

Nimm's mir nicht übel, aber bei unseren letzten `Direkt'-Kontakten
kam ich zu dem Schluß, daß ich mir wahrscheinlich nur in einer
persönlichen Begegnung, bei einem Abend in der Kneipe oder so, ein
mir verständliches Bild von Deinem Ansatz, Deiner Sichtweise
machen könnte...  Die schriftlichen Versuche der
Auseinandersetzung und Diskussion schienen mir doch eher in
unsinnigen Fechtereien zu versanden.  Aber woran das liegt, kann
man nicht immer im selben Medium ergründen... ;-)

... Also noch einmal meine Frage:

Wie ist das da mit dem "theoretischen oder praktischen
Aufdröseln"?

Genauer: wie gehst du damit um, dass Christoph auf deine
Argumente nicht anspringt und bei seiner (in deinen Augen)
absurden Argumentation bleibt? Lass ihn doch? 

Christoph guckt sozusagen von einem Standpunkt, den ich nicht
sehen kann, der mir quasi zu weit weg ist, ich sehe nicht, was er
sieht und verstehe nicht, was er darüber sagt, auch wenn es
derselbe Gegenstand sein sollte, den wir im Auge haben -- also
warte ich, bis wir sozusagen in Sicht- bzw. Rufweite geraten, um
die Grundlage für Kom-mun-ikation zu erschaffen, sofern ihm dann
daran gelegen ist.

Kannst du mit jemandem praktisch was machen, zu
dem du so große (immerhin "absurd") theoretische Differenzen hast?

Das hängt von verschiedenen Dingen ab, unter anderem vom wer und
vom was.  Aber `im Prinzip' -- ja.  Worauf willst Du hinaus?

(Mit jemandem, der die Warenmonaden-WG verteidigt, würde ich nicht
zusammen die WMWG abschaffen können.  Darauf?  Oder darauf, daß es
ob der verschiedenen Ansichten und offenen Möglichkeiten sowieso
besser wäre, den Dingen ihren Lauf zu lassen, statt etwas `aktiv'
abschaffen oder verändern zu wollen?) 

Grüße,
El Casi.

-- 

¹ Marx, Kapital Bd. 3, S. 888, http://www.mlwerke.de/me/me25/me25_884.htm
________________________________
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