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Oekonux und Politik (was: Re: [ox-de] Ökonux und Politix)



Hi Hans-Gert, Ludger, alle!

BTW: Es heißt Oekonux und nicht Ökonux. Das "Oe" ist ein sanfter
Hinweis auf die vorwiegend virtuelle Existenz des Projekts :-) .

3 weeks (27 days) ago Hans-Gert Gräbe wrote:
ich entschuldige mich vorab für den scharfen Ton meiner Antwort, aber
mich regt das schlicht auf. Und sage mit Luther: Hier stehe ich und
kann nicht anders.

Mal generell: Oekonux ist dadurch groß geworden, dass Denkverbote
verboten sind. Insofern hat jeder das Recht etwas Dummes zu sagen. Nur
sollte vielleicht die Wiederholfrequenz und -anzahl begrenzt werden
;-) .

Ich klinke mich mal hier ein und antworte auf beide.

Am 04/28/10 21:17, schrieb Ludger.Eversmann t-online.de:
Auf Franz' Dorf-Wiki habe ich einen Kommentar von Frithjof gesehen,
ganz enthusiastisch über die Dorf-Community im allgemeinen, und dass
es möglicherweise bald möglich sei, etwa 80% des gewöhnlichen Bedarfs
eines solchen Dorfes da lokal und intern auch herzustellen.

Ich glaube das ist es genau worum es geht: es wird gelingen müssen,
solche kommunalen oder auch politischen oder sozialen,
organisatorischen Einheiten zu finden oder zu entdecken, die genau
dazu in der Lage sind: sich mit Hilfe all dieser technischen Helfer so
weit wie möglich selbst zu erhalten und zu versorgen, ...

Dem widerspreche ich heftig. Peer Production ist eine globale
Veranstaltung. Diese lokalen Überlegungen sind für mich Überbleibsel
heute - zumindest als gesellschaftliches Projekt - obsoleter Theorien
wie z.B. dem Anarchismus.

Genausowenig halte ich es für zielführend, quasi glückselige Inseln

schaffen zu wollen. Die Prinzipien der Peer Production setzen sich
horizontal durch und nicht vertikal. Ich kann heute mit Freier
Software und Wikipedia meinen Geldbedarf verringern. Eine Visison, wie
in dieser Dorf-Diskussion halte ich für abwegig.

Hierfür müsste man endlich mal klären, auf welchen *Voraussetzungen*
das überhaupt möglich ist. Irgendwie ist da ja die gesamte
Industriegesellschaft (die Computer, das Internet, Basismaterialien
der veschiedensten Art, aus denen dann, "lokal und intern" die vielen
Dinge des persönlichen Bedarfs hergestellt werden) vorausgesetzt. Dass
bei letzterem heute eine ganz entscheidende Flexibilisierung möglich
ist, das steht auch für mich außer Frage. Aber das berühmte
"Druckerproblem", das für Stallman am Anfang der GNU-Story stand, ist
ja gerade *keines* der Autarkie, sondern allein eine Frage der
sinnvoll ausbalancierten Handlungsoptionen auf verschiedenen
(gesellschaftlichen) Handlungsebenen.

Ich habe gar kein Problem damit, dass die Voraussetzungen aus dem noch
dominanten System kommen.

Der Blick auf die "technischen Helfer" verliert aus dem Auge, dass
diese nicht voraussetzungslos vorhanden sind, sondern hier ebenfalls
Reproduktionskreisläufe zu stabilisieren sind.

In der Frage eines Übergangs bin ich relativ agnostisch. Der wird
irgendwie ablaufen. Wichtiger ist für mich, ob die historischen Ziele
da klar genug sind und die historischen Kräfte stark genug. Das steht
für mich außer Frage.

Generell halte ich eine Antwort auf die Frage nach dem Übergang für
nicht seriös. Wir müssen uns vor Augen halten, dass wir hier über
einen Wechsel von einem Zeitalter des Menschen in ein anderes
sprechen. Davon hatten wir in der Menschheitsgeschichte bisher
vielleicht drei oder vier.

Und jetzt mal gefragt: Wer hätte sich vor 200 Jahren, zur Zeit also,
als sich der Kapitalismus in seinem Expansionsschritt_ befand, denn
seriös voraussagen können, wie die Welt 100 Jahre später oder auch nur
50 Jahre später aussehen würde? Heute haben viele Leute ja schon
Schwierigkeiten sich eine Welt ohne Handy oder gar ohne Internet
vorzustellen!! Und selbst wenn jemand nach einer Zeitreise die Welt in
100 Jahren beschrieben hätte: Seine zurückgebliebenen Mitmenschen
hätten ihn ausgelacht oder nicht verstanden, da sie überhaupt nicht
die begrifflichen Mittel gehabt hätten, ihn zu verstehen.

.. _Expansionsschritt: http://www.oekonux.org/texts/GermFormTheory.html#expansion-step-the-germ-form-becomes-an-important-dimension

So gesehen ist ja schon die Forderung nach einer geschlossenen Utopie
unseriös...

Es kann gut sein, dass man auf kommunaler Ebene *anfangen* muss, die
Ökonomie den Ökononem und die Politik den Politikern zu entreißen und
zur eigenen Sache zu machen, aber bitteschön dann auch mit dem
erforderlichen Sachverstand.

Die Idee der Peer Production ist doch auch deswegen so stark, weil es
funktionierende Beispiele gibt. Warum ist es sinnvoll, diese Beispiele
zu ignorieren? Warum ist es sinnvoll, diese lebenden Projekte zu
ignorieren und stattdessen den kalten Kaffee von gestern jetzt im
Gewand von Peer Production zu predigen? Das will sich mir nicht
erschließen - auch wenn es natürlich einfacher ist, als ein wenig
Forschung zu betreiben...

Wir hatten dazu hier vor vielen Jahren eine - heute gut vergessene - 
Diskussion über Kooperenz http://www.opentheory.org/ko-kurrenz/text.phtml

Leider ist die Diskussion über Peer-Ökonomie aus meiner Sicht in einer
massiven Sackgasse, so lange sie sich als Allheilmittel gegen alle
Übel der heutigen Zeit präsentiert - wie noch einmal von Christian
Siefkes letzte Woche hier in Leipzig vorgetragen.

+1

Aber ich bin ja auch für Peer Production...

Einen Fork kann ich
eben zur Not in einem Software-Projekt machen, nicht aber in der
Realität, wenn es darum geht, ein Haus zu bauen. Nach dem Fork stünde
nämlich dann (wenigstens) eine Investruine rum. Du kannst dem
natürlich entgegenhalten "Nu schto?" - aber das ist nicht wirklich
seriös. Um diese Fragen machen die PÖ-Leute seit Jahren einen weiten
Bogen.

Nochmal: Du verlangst Antworten auf Fragen, die heute keiner seriös
geben kann, und die sich auch in der Praxis überhaupt (noch) nicht
stellen. Du verlangst den großen Entwurf Up-Front. Das ist Unsinn. Und
wenn die Fragen auftauchen, wird die Menschheit schlau genug sein,
darauf Antworten zu finden. Davon bin ich überzeugt.

BTW: Ich habe auch mal Fragen zu diesem Komplex gesammelt:

     http://en.wiki.oekonux.org/Oekonux/DrawingBoard

Was möglicherweise bald viel wichtiger werden könnte: die Grundzüge
der Ökonux-Ideen zu Politix werden zu lassen. Und zwar meine ich damit
ein richtiges politisches Programm, das möglicherweise auch zu einem
Parteiprogramm werden könnte, einer Partei, die man wählen, und die
Mehrheiten erringen könnte. (oder gibts sowas vielleicht schon?)

Auch hier würde ich es wieder historisch sehen wollen. Es gab beim
Übergang zum Kapitalismus durchaus Fürsten, die jenen welchen
gefördert haben. Aber die wirkliche Power kam woanders her. Insofern
kann eine Partei hilfreich sein, aber als eine Institution der alten
Welt eben nur begrenzt.

Denn: möglicherweise gibts wirklich demnächst mal Krisen eines
Ausmasses, das den schlimmsten apokalyptischen Vorstellungen Norbert
Wieners dann auch tatsächlich nahe kommt, die er mal sich ausgemalt
hat für den weiteren Entwicklungsgang des ökonomischen
Wertäquivalents, ...

Da mache ich mir allerdings auch langsam Sorgen. Die
Krisen"bewältigung" besteht ja darin, die Grundlage für die nächste,
noch größere Krise zu legen - indem eben immer mehr Geld rein gepumpt
wird, das dann wieder nach Verwertung giert. Und das in immer höherer
Frequenz...

Und ich habe so das Gefühl, dass es nicht schlecht sein könnte, wenn
man dann wenigstens in ganz groben Zügen mal die Architektur, den
groben Plan eines "Systems" in der Tasche hätte, wie der Laden denn
auf Dauer, mit auch noch so viel und noch so smarter und potenter
Automation laufen kann;

Zum großen Entwurf: S.o. Zu den Prinzipien, auf denen etwas Neues
wachsen könnte, haben wir hier glaube ich schon viel beigetragen.

Fein. Die Defekte der heutigen Industriemaschine bekommen wir in den
Griff, indem wir sie in eine noch mächtigere einbauen

Again: Nicht die Industriemaschine ist das Problem, sondern der
gesellschaftliche Überbau.

(oder wie darf
ich das mit dem Plan verstehen?). Und du und deinesgleichen sind die
Architekten? Sorry, vielleicht geht da der Ossi mit mir durch, zumal
ich gerade in der LINKEN erlebe, wie sich die alte Garde reproduziert
hat und die Kommandohöhen der "Architektur" fest in den Händen hält.

Vielleicht solltest du aufhören, ständig auf die Vertreter der alten
Ordnung zu starren. Wie gesagt: Die können hilfreich sein, aber das
ist auch das meiste was zu erwarten ist.

Ich glaube es muss auch mehr Aufmerksamkeit für diese Ideen geschaffen
werden, auch für die Ausweglosigkeit des "Kapitalismus", um das
Interesse zu schärfen für Alternativen;

Eine der großen Leistungen von attac fand ich mal die Popularisierung
des Spruchs "Eine andere Welt ist möglich". Nun habe ich von attac
auch schon lange nichts mehr gehört. Auch schon wieder Geschichte? Na
ja, wenn mittlerweile die Regierenden zentrale attac-Forderungen
(Tobin-Tax) nachbeten, dann würde ich mich auch fragen was ich falsch
gemacht habe ;-) .

Was ist "der Kapitalismus" und "Alternativen" angesichts der Marxschen
Aussage, dass sich diese Gesellschaft mit all ihren Institutionen
dauernd transformiert?

Die Frage stellst du nicht ernsthaft - oder? Der Kapitalismus ist
durch abstrakte Arbeit und durch eine Vergesellschaftung über den
Äquivalententausch gekennzeichnet. Und das hat bisher keine
Transformation auch nur entfernt angetastet. Und das ist genau die
Power von Peer Production, dass sie *genau da* ansetzt und zu allem
Überfluss auch noch funktioniert. *Da* kommt die Power her!

Sind wir derzeit Zeuge allein einer solchen
Transformation oder gibt es wirklich Elemente, die darüber
hinausweisen? Ich habe oft genug aufgezeigt, dass sich auch die
Peer-Ökonomie-Ansaätze durchaus *innerhalb* einer sich wandelnden
Wertform bewegen.

+1

Nun, zu Peer-Ökonomie hatte ich mich ja auf [ox-en] ausgelassen.

Es müsste mehr Aufwand in Forschungen gesteckt werden, wie so etwas
wie eine sich selbst versorgende kommunale Einheit realisiert werden
könnte, da müsste m. E. richtig Power hineinwandern, damit das alles
schnell genug voran geht, bevor rundherum das "Alte" eben seinen
Geist aufgibt, und dann möglicherweise gar nichts mehr geht. Also
bischen mehr Dampf kann bestimmt nicht schaden.

Ah ja, allein die Umstände sind andere. Dumm gelaufen?

Ich denke, dass Ludger hier schon in die richtige Richtung denkt. In
einer Gesellschaft, die sich immer fiebriger an Strohhalmen
festklammert ist das aber in der Tat schwer umzusetzen.

Immerhin haben wir den Vorteil, dass wir nicht irgendwelche wilden
Elfenbeintürme vor uns herschieben, sondern dass wir auf konkret
funktionierende Ökonomien (sic!) verweisen können, die mit Wikipedia
heute noch dazu jeder kennt und schätzt.

Ich denke das müsste u. a. an Universitäten passieren, in all diesen
öffentlichen Foren die es so gibt, Frithjof hatte ja mal recht viel
Aufmerksamkeit, aber das ist wohl wieder abgeflacht, ja warum
eigentlich?

Ah ja, an denselben Orten, die eh schon durch massive Defizite
glänzen? Die aktuellen Kürzungen in diesem Jahr um 20% (bei
Hilfskraftmitteln an der Uni Leipzig sogar 50%) zeigen, welche Beben
die Finanzkrise gerade in diesem infrastrukturellen Bereich auslöst.

Na, das ist doch letzlich das Argument von Ludger, dass es hier in die
falsche Richtung geht. Oder?

Also - ich finde es muss mehr passieren, grössere theoretische
Geschlossenheit, Schärfe und Brillianz, und grössere pragmatische
Entschlossenheit und Kraft, um Kräfte binden und bündeln zu können.

Ah ja, "Geschlossenheit", "Entschlossenheit" - offensichtlich kennst
du den einzig richtigen Weg. Vielleicht brauchen wir in einer Zeit der
großen Suche eher das Gegenteil davon?

Eine neue Produktionsweise lässt sich nicht von Oben durchsetzen. Oben
kann bestenfalls helfen.


						Grüße

						Stefan


[English translation]
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