Re: Ehrenamt und Tauschwert (was: Re: [ox] Zu allem etwas (-D))
- From: "Stefan Meretz" <stefan.meretz hbv.org>
- Date: Fri, 30 Jul 1999 11:01:54 +0100
Hi Sabine,
mal vorab:
Und nun nicht schimpfen, nur weil ich Dir *noch
immer nicht zustimme*.....
Ich erheische nicht Zustimmung oder so, sondern mir liegt wirklich an einer
Diskussion, die uns alle weiterbringt. Dazu gehört manchmal auch
schimpfen, auf jeden Fall Dein Widerspruch, wo's nötig ist. Ich bin nicht
empfindlich... (hoffe ich...). Also wenn _Dir_ nach schimpfen ist...
Inhaltlich umkreisen wir uns noch alle hier in der Liste, jede/r hat eben
seine/ihre Perspektive. Da ich von der objektiven Existenz der Welt ausgehe,
ich die Sache, die wir umkreisen, die gleiche - mindestens potentiell (kann
natürlich sein, daß jede/r woanders umrennt, habe ich aber nicht den
Eindruck). Das bietet eine Grundlage für Verständigung.
Ich habe Dir, Sabine, versucht zu beschreiben, warum Freundschaftdienst
nix mit Linux-herstellen gemein hat. Das war das Ding mit der
Produktivkraft der Arbeit. War das total unverständlich?
Nein, nein, war schon verständlich. Hat mir aber nicht eingeleuchtet.
Schau, ich sage, Hobby-Modellflugzeugbau ist das gleiche wie Linux. Und
als Gegenargument sagst Du "Der Linux-Basar unterliegt den
Verwertungsbedingungen nicht"....na, wo ist denn da der Widerpruch? Ich
sage Linux ist wie ein Hobby, derzeit unterliegt also defakto nicht den
Verwertungsbedingungen (ich rede nun nicht von Support und Distribution)
Das Zitat mit den Verwertungsbedingungen stammt aus einer Kette von
Argumenten. So einsam besteht in der Tat kein großer Widerspruch. Der
Kern der Kette war die Aussage, daß der Kapitalismus das nicht auf die
Reihe kriegt, was der Linux-Basar schafft: eine neue Qualität der
Produktivkraftentwicklung zu entfalten, deren Kern die Selbstentfaltung des
Menschen ist. Der Verwertungszwang im kapitalistischen Laden bewirkt,
daß die Leute in der Arbeit nicht nach dem Spaß, sondern dem Markt
richten müssen - platt gesagt. Diesen Verwertungszwang hat Linux und Co
nicht, die Leute können genau das machen, was ihnen je individuell gemäß
ist, sie können ihre Individualität entfalten. Ich schreibe das jetzt so absolut
hin, um es deutlich zu machen, in Wirklichkeit sind die Widersprüche
komplizierter. Aber der Kern, die Tendenz stimmt - imho.
Nochmal andersrum: Es heißt doch immer, der Kapitalismus sei so
superproduktiv. Deswegen habe er ja auch über den Realsoz obsiegt. Zitat
von Dir:
Ich vertraue in eine unendliche Verwertungsphantasie des Kapitals...
Ja, Verwertung stimmt, koste es was es wolle, Kopf und Kragen und die
Erde. Das Kapital hat maximal den Boden ausgebeutet, hat mit Technik und
Wissenschaft Produktionausstöße maximiert, aber an die letzte,
ausbeutbare neue Quelle kommt das Kapital nicht so richtig ran: an den
Menschen selbst. Trotz aller Versuche, die es gibt. Und das Kapital weiß
das im Prinzip (in anderen Worten), guck' die Management-Literatur an. Die
dreht sich im Prinzip um nix anderes als um die Frage, wie man an den
Menschen rankommt: Motivition, Arbeitsorganisation, Managementtricks
usw. Aber den Widerspruch zwischen Fremdbestimmung (letztlich die
Anforderungen des Marktes) und Selbstentfaltung des Menschen kriegen sie
nicht gelöst. Geht auch nicht, sage ich.
Dazu kommt, aber bitte, das ist jetzt ein sekundäres Argument in _diesem_
Zusammenhang, das der Kapitalismus KEINES der globalen Probleme
gelöst kriegt.
Der Sache mit der Produktivkraftentwicklung stimme ich zu, nein: glaube
ich verstanden zu haben...es gibt eine bestimmte Zusammensetzung
(quantitativ, qaulitativ, usw.), historisch usw. Aber erlaubt das Schlüsse
für die Zukunft? Steckt da eine Art Gesetzmäßigkeit drin?
Ja, ich glaube, daß es da eine historische-logische Entwicklungsabfolge
gibt, die Schlüsse für Tendenzen erlaubt. Ich meine, der Linux-Basar wird so
historisierbar, und damit verstehbar. Ich nenne nochmal den Link des Textes,
in dem ich das genau versuche, und da ich auch ein großer Vereinfacher bin
(jede Historisierung entlang von Kategorien verfeinfacht sowieso), gibt's dort
eine Grafik, die diese Entwicklungslogik in einer Grafik darstellt (wofür ich
schon ob der Vereinfachung Prügel gekriegt habe - zurecht). Also der Link
war http://www.kritische-informatik.de/linuxswl.htm
Daß da
irgendeine Form von "Ende" in Aussicht gestellt ist, wie Du sagst, das
glaube ich nicht. Ich vertraue in eine unendliche Verwertungsphantasie des
Kapitals...
Hier der Zusammenhang, aus dem ich oben Dein Zitat riß. Bitte unterscheide
die Arbeit und die Verwertung. Bei der Arbeit, die ja die einzige Quelle von
Reichtum ist, sieht der Kapitalismus ziemlich alt aus: die geht ihm nämlich
aus. Das wird diskutiert unter dem Titel der "Krise der Arbeitsgesellschaft".
Keiner glaubt mehr an Vollbeschäftigung. Die Verwertung kann trotzdem
_erstmal_ weiter funktionieren, und die Spekulation auf zukünftige
Verwertungen ("Casinokapilalismus"). Anderes Thema...
Wenn wir das mit der PK-Entwicklung mal weglassen und uns nur Deinen
Satz "Der Linux-Basar unterliegt den Verwertungsbedingungen nicht"
ansehen...kannst Du mir diesen Satz an der Sache selbst erklären, ohne
eine PK-Entwicklung? Ich denke schon, er könnte verwertbar gemacht werden.
kommt halt drauf an. Weißt Du: Wahrscheinlich habe ich Dich doch nicht
verstanden.
Nee, geht nicht isoliert. Der Satz ist nicht falsch, aber isoliert erlaubt er
keine weitergehenden Schlüsse.
Mit eurem
(Sabine und Stefan Mn.) Versuch, unbezahlte Arbeit *als solche* mit der
unbezahlten Arbeit *Linux-machen* erstmal gleichzusetzen, um dann
irgendwelche Unterscheidungsmerkmale zu finden, kommt ihr nicht weit,
Ich denke, es wäre schon sehr weit, wenn wir das unter uns geklärt
hätten. Du gehst davon aus, daß es nicht das gleiche ist, ich habe es noch
nicht eingesehen (s.o.).
Das geht auch nicht so schnell, und niemand hat per se Recht. Ich hoffe, Du
bekommst eine Idee, warum ich finde, daß Hobby-Modellflugzeugbau nicht
das gleiche ist wie Linux - jenseits vom armen Verwertungsargument.
Solange das ungeklärt ist, können wir eigentlich
nicht weiter machen, oder?
Na ja, unser ganzes Bemühen geht darum, uns und die Sache zu verstehen.
Aber die Frage Linux=Ehrenamt ist eine wichtige Frage, das stimmt.
Bye,
Stefan
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Stefan Meretz, Duesseldorf
Web: http://www.kritische-informatik.de
stefan.meretz kritische-informatik.de
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